JANUAR 2018
1. Ich sitze mit meinem Mann ganz gemütlich am Morgentisch. Wir geniessen den frisch aufgebrühten Kaffee und die frischen, knusprigen Brötchen mit selbstgemachter Konfitüre. Plötzlich zieht etwas vor dem Küchenfenster meine Aufmerksamkeit auf sich. An der Böschung des Dorfbaches werden Blätter bewegt. Zuerst halte ich nach Vögeln und Katzen Ausschau. Doch dann entdecke ich das graue, stachelige Etwas. Was hätte mir zum Jahresanfang Schöneres passieren können, als von der Natur, in Form eines Igeljungen, überrascht zu werden. Wahrlich ein guter Start.
Meine lieben Leser, ich wünsche auch euch einen wunderschönen Start ins neue Jahr. Und immer schön wachsam bleiben. Das Schöne, das Glück ist manchmal ganz nah bei dir. Du musst es nur als Solches erkennen. Ich wünsche euch viel Spass auf eurer Jahresentdeckungsreise
9. Ich kann mich noch gut erinnern, als du, Laurent, zum ersten Mal die ALS-Selbsthilfegruppe besuchtest. Damals warst du noch sehr selbständig und ein Rollstuhl war für dich noch kein Thema. Die Jahre vergingen und die Beeinträchtigungen durch die Krankheit Amyotrophe Lateralsklerose nahmen langsam, doch stetig zu. Dein Unbehagen, deine Selbstständigkeit ganz zu verlieren, machten dir seit geraumer Zeit sehr zu schaffen. Du hast dich jedoch immer wieder aufgerappelt, um an freudigen Ereignissen teilnehmen zu können. Nun, nach all den kräftezehrenden Jahren, hat die Kraft nicht mehr gereicht und du hast losgelassen.
Lieber Laurent, so vieles haben wir gemeinsam erlebt. Du warst mein längster ALS-Weggefährte und ich werde dich immer wieder irgendwo vermissen. Ich danke dir vielmal für deine langjährige Freundschaft. Nun wünsche ich dir eine wunderschöne Reise, mein lieber Freund.
Tagesmusik: Miles Davis - Time after time
18. Beim durchgehen meiner Tagebücher, bin ich ab und zu auf Beiträge und Bilder gestossen, welche Erinnerungen wachriefen. Manche zauberten erneut ein Lächeln auf mein Gesicht. Andere liesen mich still werden. Da lese ich von Begegnungen, von Freundschaften, von Lebenskünstlern und Weggefährten. Ich lese von Entbehrungen, von Kämpfen, von Enttäuschungen, von Trauer und Abschied. Ich kann mich noch gut an meinen allerersten Kontakt mit einem ALS-Betroffenen erinnern. Walti erhielt die schreckliche ALS-Diagnose im gleichen Monat und im gleichen Jahr wie ich. Mit Walter Stahl und seiner Frau Susi, konnte sich mein Mann und ich über den Alltag mit der Krankheit ALS austauschen. Wir trafen uns privat und nahmen gemeinsam an den Selbsthilfetreffen teil. Das unerbittliche Fortschreiten der Krankheit ging auch an uns nicht spurlos vorbei. So mussten wir Walti im Jahr 2009 ziehen lassen.
Beim Durchgehen der Tagebücher blieb mein Blick so oft an Fotos hängen. Die Geschichten dazu kamen mir dann auch gleich wieder in den Sinn. Seit ich von der Krankheit ALS betroffen bin, durfte ich viele Menschen kennenlernen, welche das gleiche Schicksal zu meistern haben wie ich.
Für mich sind sie allesamt Helden. Es braucht enorme Kraft, sich der Krankheit zu stellen.
Stell dir vor, du wirst in absehbarer Zeit weder deine Beine noch die Arme benutzen können. Du verlierst dein Sprechen und deine Mimik. Du kannst nicht mehr über den Mund essen und trinken ohne dass du dich ständig verschluckst. Oder der Schleim ist so zähflüssig, dass es dir die Atmung blockiert und du Angst hast, zu ersticken. Dein Lungenmuskel, das Zwerchfell, ist so geschwächt, dass du kaum abhusten kannst. Du kannst nichts dagegen tun, ausser entsprechende Hilfsmittel einzusetzen, die dich eine Zeitlang über Wasser halten. Du fühlst, wie dein Körper immer schwächer wird. Du erlebst in vollem Bewusstsein, wie sich deine Lebensgeister mehr und mehr verabschieden.
So viele Betroffene und Angehörige stellen sich tagtäglich der Herausforderung ALS. Und das im Wissen, dass der Kampf mit der ALS nicht zu gewinnen ist.
Schon so oft musste ich von lieben Menschen Abschied nehmen. Ich möchte meine Freunde nicht dauernd an die ALS verlieren. Ich hoffe so sehr, dass die Krankheit Amyotrophe Lateralsklerose bald heilbar ist.
19. Es heisst nicht, dass ein Leben nach der Diagnose ALS, nicht mehr lebenswert sein wird. Die Herausforderung, sich jeden Tag aufs Neue zu motivieren, sich den stetig fortschreitenden Beeinträchtigungen anzupassen, wird nicht einfach. Aber es lohnt sich. Die Welt ist immer noch wunderschön und hat so viel Schönes zu bieten. Wenn ich bereit bin, Schönes wie Gutes wahrzunehmen, wird auch die Lebensfreude zurückkehren. Die Krankheit wird deswegen nicht weniger, doch das Leben mit ihr wird etwas erträglicher. Öffne deine Augen und lebe.
20. Die Guggenmusik "Gassäjüüzer Ättighüüsä" feiert dieses Wochenende ihr 35.-jähriges Bestehen. Zum Fest organisierte sie für heute Nachmittag einen kleinen Umzug durchs Dorf. Obwohl ein kalter Wind blies, lies ich mir dieses Spektakel nicht entgehen. Ausgerüstet mit Umhang, dicker Schärpe, Handschuhen und mit einer heissen Wärmflasche, stellte ich mich an den Strassenrand. Ich musste nicht lange warten, da wurde ich schon mit heissen Schnapskaffee versorgt. Da ich viele der Teilnehmer kenne, wie auch sie mich, wurde der Trinkhalm gleich mitgeliefert. Auch der Orangenwagen war mir wohlgesonnen. Damit er mich besser erreichen konnte, fuhr er direkt auf mich zu. Ich finde es immer so schön, wenn sich Vereine für solche Anlässe engagieren. Das ist Dorfleben. Trotzdem überlasse ich das Festen und Tanzen heute anderen.
23. He Leute, die Sonne ist im Anzug. Die Schnee- und Regenwolken lösen sich immer mehr auf und blaue Flecken erscheinen am Himmel. Es dauert nicht mehr lange und die Sonne schickt die ersten Strahlen auf die Erde. Ich freue mich so, meine geliebte Sonne nach langer Zeit wiederzusehen. Sie ist also doch nicht kaputt. Ihr Lachen wird dazu beitragen unsere Lebensgeister zu wecken.
27. Ach, war ich heute Morgen müde. Ich hätte so gerne länger geschlafen. Da am Mittwoch und am Samstag die Spitex meine Morgenpflege übernimmt, konnte ich nicht einfach liegenbleiben. Also, raus aus den Federn. Als ich dann am Vormittag beim Musikhören immer wieder eingenickt bin, hat mich mein Mann auf die Sonne im Garten aufmerksam gemacht. Dieser Weckruf hat seine Wirkung nicht verfehlt. Also, ab nach Draussen. In eine warme Decke gehüllt und mit Sonnenstrahlen auf dem Gesicht, konnte ich im Garten wunderbar vor mich hindösen. Wintersonne oder doch schon Frühlingssonne? Ach, ist doch eigentlich egal. Hauptsache Sonne.
29. Was war das für ein schöner Tag. Für mich der schönste in diesem jungen Jahr. Die Sonne von früh morgens bis abends spät. Es war so warm, dass wir meine Physiotherapie-Stunde gleich im Garten abhielten. Die Sonne, die Wärme tun mir so gut. Ich merke, wie an Energie gewinne und meine Freiheit zurückkehrt.
Es wird aber auch langsam Zeit, dass es wärmer wird. Ich habe diesen Winter nämlich bereits zwei Wärmeflaschen gebodigt. Wenigsten hatte ich weder die Grippe noch war ich erkältet. Ich hoffe sehr, das bleibt auch so. Ein Infekt generiert bei uns ALS-Betroffenen schnellmal Atemprobleme. Darum habe ich auch die Weisung herausgegeben, dass Niemand mit Erkältung besuchen darf. Ganz Schützen kann ich mich nicht, ansonsten müsste ich in einem Isolationszimmer im Haus bleiben. Und das wäre für mich kein Leben mehr.
Also liebe Sonne, bleibe noch ein Weilchen.
30. Ich hatte heute lieben Besuch. Da die Sonne genauso schön wie gestern vom Himmel lächelte, hielten wir den Schwatz natürlich im Garten ab. Mittlerweile kann ich schon bis 14.30 Uhr auf meinem Gartensitzplätzchen verweilen. Sobald aber die Berge der Sonne die Sicht versperren und der Schatten sich über den Garten legt, muss ich ins Haus.
FEBRUAR
1. Gestern Abend konnte ich vom Bett aus beobachten, wie der Mond hinter den Bergen aufsteigt, um sich sogleich in voller Pracht am Himmel zu zeigen. Die Wolken umgarnten ihn oder wichen ehrfurchtsvoll beiseite. Welch schönes Bild am Himmelszelt. Sieht einfach wunderschön aus. Ich liebe den Mond genauso wie die Sonne.
3. Manchmal bin ich der Worte leer und kann nicht schreiben. Viele Ereignisse lassen mich verstummen. Bilder oder Musik lasse ich dann für mich sprechen.
Ich werde die Gespräche und die Zusammenkünfte mit Laurent und Dorette vermissen. Ich wünsche den Beiden eine wunderschöne Reise auf dem Regenbogen.
4. .....immer wieder muss ich Abschied nehmen.
Ja, die ALS hat unsere ALS-Familie diesen Winter wieder arg gebeutelt. Grosse Lücken hat sie in unsere Familie gerissen. Nicht, dass diese Lücken nicht gefüllt werden. Für Nachwuchs sorgt die ALS schon selbst. Das Schicksal unserer Familie, die Familienmitglieder ändern stetig. Es ist ein Kommen und Gehen. Wir alle wissen, unsere Verweildauer in der Familie ist begrenzt. Unsere Verbundenheit, unsere Freundschaften innerhalb der Familie, sind angesichts der Zeit, desto tiefer und intensiver. Wir unterstützen einander, wir trauern gemeinsam und lachen miteinander. Wir haben eine schöne Zeit zusammen.
7. Heute schafft es die Sonne wohl nicht, die Wolkendecke zu durchbrechen. Der Nebel hängt tief im Tal und es ist kalt. So kalt, dass ich mich mit Wärmflasche und Hirsekissen ins Bett verzogen habe. Ob ich mich heute nochmal aufraffe und am Abend bei der Fasnachtseröffnung dabei sein werde, weiss ich jetzt noch nicht. Die "Ytrummletä" im Kantonshauptort ist, mit den vielen Bläsern, Trommlern und den Paukenschlagenden Fasnächter, schon eindrücklich. Die Gassen und Strassen sind gefüllt mit Maskeraden und Menschen, welche am Fasnachtstreiben Gefallen finden. Bei denen wäre ich auch. Stecke schön in der Zwickmühle. Muss mich zwischen einem Fernsehabend in der Wärme und dem Fasnachtstrubel in der Kälte entscheiden. Eine Erkältung kann ich mir aber nicht erlauben, habe momentan reichlich zu tun. Warum kann es nicht auch so warm sein, wie beim Karneval in Rio.
Ihr fragt euch sicher, wie ich dies alles schreiben kann, wenn ich mich doch im Bett aufhalte. Mein Umweltgerät Tobii, mit dem ich auch das SMS und WhatsApp bedienen kann, ist am Bettgalgen befestigt. Ich habe mit dem Tobii auch Zugriff aufs Internet. Schreiben kann ich entweder mit der Augensteuerung oder mit der PC-Maus und der Bildschirmtastatur. Das Schreiben im Liegen strengt meinen Arm sogar weniger an als im Sitzen.
11. Gestern fand wieder ein Stammtisch unserer ALS-Familie statt. Seit Herbst 2016 trifft sich die ALS-Familie 4-mal im Jahr, um einen gemütlichen Nachmittag zusammen zu verbringen. Die ersten fanden in diversen Restaurants statt. Je grösser die Familie wurde, desto schwieriger wurde es, ein geeignetes Lokal zu finden. Zudem sollte die Örtlichkeit zentral sein und mit ÖV erreichbar sein. Dass die Barrierefreiheit gewährleistet sein muss, versteht sich von selbst. Dorette, ein Familienmitglied von uns, hat dann im Kloster Ingenbohl den idealen Ort für die zukünftigen Stammtisch-Treffen gefunden. Im Kloster haben wir einen grossen Raum nur für uns. Keine Nebengeräusche die unsere Unterhaltung stören. Für unser leibliches Wohl sorgen 3 - 4 Schwestern. Da einige von uns Mühe haben mit Schlucken, offeriert die Küche inzwischen sehr fein pürierte Suppe und belegte Brote ohne Rinde. Die Herzliche und weltoffene Art der Schwestern, mit welcher sie uns begegnen, hinterlassen wunderbare Spuren in unseren Herzen.
Auch Gestern wurden wir wieder mir einer wunderschönen Tischdekoration überrascht. Die heutigen Smileys wurden, wie die vorangegangene Dekoration auch, von einer 90- jährigen Schwester, eigens für uns hergestellt. Dafür ein herzliches Dankeschön. Wir nehmen die Deko jeweils gerne zur Erinnerung nach Hause. Gestern wurde noch die Gedenkkerze der ALS-Familie eingeweiht. Sie wird nun bei jedem Stammtisch angezündet und in die Mitte der Tische gestellt. Sie steht symbolisch für unsere vorausgegangenen Familienmitglieder
Die Gemeinschaft Ingenbohler Schwestern und ALS-Familie bewährt sich.
16. Ich vermisse die wärmenden Sonnenstrahlen. Mir fehlen die Farben der Blumen und die blühenden Sträucher. Mir fehlt das grün der Blätter und der Wiesen. Ich vermisse das Pfeifen der Vögel, das Summen der Bienen, der Flügelschlag der Schmetterlinge. Mir fehlen die Gewitter mit Blitz und Donner. Ich vermisse den Wind und das Rauschen des Wassers. Ich brauche die Erde unter meinen Füssen. Die Natur ist die Nabelschnur zu meinem Leben. Sie liefert mir die Energie, immer wieder aufzustehen und weiter zu machen.
19. Gestern Morgen habe ich zu meinem Mann gesagt «Ich brüchä Sunnä, ich müäss dr Friälig gspürä». Kurz darauf waren wir schon auf der Autobahn richtung Süden. Da es mal keinen Stau vor dem Gotthard-Tunnel gab, kamen wir zügig vorwärts. In Airolo erwartete uns ein stahlblauer Himmel und die lachende Sonne strahlte auf uns herunter. Als wir Richtung Lugano fuhren, stieg das Thermometer auf beachtliche 14°C. Einfach wunderschön. Am See entlang, fuhren wir dann nach Italien. Es gab ausser den Wilden Erika-Stauden noch nichts Blühendes zu sehen. Das Nahen des Frühlings habe ich jedoch trotzdem gespürt. Der Nachhauseweg führte uns dann wieder durch tiefsten Winter. Wir überquerten den Malojapass 1815 m und den Julierpass 2284 m. Wobei die Temperaturen mit -7°C schön in den Keller sausten. Auch wenn wir erst spät am Abend Nachhause kamen, war diese Tour genau das Richtige. Dies habe ich gebraucht.
20. Am Samstag montierte Nives, die Partnerin meines Sohnes, an unserem Grizzly-Haus (Gartenhaus) ein Wildbienenhäuschen. Ab Mitte März wird dann das Häuschen mit einer Startpopulation von circa 25 Mauerbienenkokons bestückt. Ich freue mich jetzt schon, das Treiben der Bienen zu beobachten. Angst vor den Mauerbienen brauche ich keine zu haben. Sie sind völlig harmlos. Ihr weicher, kleiner Stachel wäre kaum in der Lage, schmerzende Stiche zu versetzen. Sobald es ein wenig wärmer wird, werden wir die geplante Wildblumenwiese sähen. Die Bienen werden dereinst diese Wiese besuchen und für die Vermehrung der Blumen sorgen. Als Belohnung können die Mauerbienen den geliebten Nektar ernten.
Mit der Aussaat müssen wir definitiv noch einige Zeit warten. Draussen herrschen arktische Temperaturen. Ich bin heute nur kurz mit dem Rolli ums Haus gefahren und schon läuft mir die Nase.
Muss mich wohl noch ein wenig gedulden. Ich weiss ja, der Frühling naht.
21. Nun weiss ich es definitiv. Der Frühling kommt. Ich sehe, wie sich die Farbe der Sonne verändert. Während der Winterzeit zeigt sie sich in heller, greller Farbe am Himmel. Auf der Reise in den Frühling verwandelt sich ihre Farbe in einen zarten, warmen Ton. Auch wenn es immer noch bitterkalt ist, so habe ich heute die Veränderung bemerkt, als ich aus dem Fenster schaute. Ich konnte die Veränderung nicht nur sehen, ich habe sie ebenfalls sehr stark gespürt. Das befreiende Gefühl, welches sich in meiner Brust ausbreitete, war zwei, drei Tränchen wert.
Tränchen, weil mit dem nahenden Frühling mein Bewegungsradius zunimmt. Ich kann bald wieder selbständig das Haus verlassen. Wenn die Wärme zurückkehrt, brauche ich Niemanden, der mir die Jacke anzieht. Ich bekomme meine Freiheit zurück. Zu fahren, wann und wohin ich will, das liebe ich. Während der Winterzeit bin ich doch vorwiegend ans Haus gebunden. Ein Grund sind die Strassenverhältnisse, ein anderer ist die Kälte. Ich darf mir keine Erkältung einfangen. Ich nehme deshalb und wegen des Sonnenmangels, von November bis Februar täglich Vitami-D3-Tropfen ein. Und das schon seit vielen Jahren.
Ich mag den Schnee mit den wunderschönen glitzernden Kristallsternchen. Aber irgendwann habe ich genug Weisses gesehen und sehne mich nach Farbe. Farben, welche zuhauf im Frühling vorkommen. In der Natur hole ich mir immer wieder die Energie, den Kampf mit meiner Krankheit, der ALS, aufzunehmen. Sie gibt mir immer wieder das Ja zum Leben.
23. Ich musste schon viele ALS-Gspänli ziehen lassen. Ich dachte, die vielen Abschiede hätten mich hart werden lassen. Ich dachte, ich könnte nicht mehr weinen. Das war wohl lediglich zum Eigenschutz. Heute ist dieser Schutz eingestürzt und die Trauer hat mich eingeholt. Die Tränen fliessen und ich bin sehr aufgewühlt. Ich muss jetzt erstmal ein Timeout einlegen. Aber keine Angst, ich muss einfach meine Kräfte wieder neu bündeln. Ihr hört bald wieder etwas von mir. Vielleicht mache ich, der Eiseskälte wegen, auch einen Winterschlaf. Ihr könnt mich dann wecken, wenn es wieder wärmer wird.
MÄRZ
3. Es dauert noch etwas, bis ich mich aus der Schockstarre gelöst habe. Ich hoffe, ich kann euch mit den eingefügten Musiktiteln auf meiner Tagesmusikseite ein wenig Unterhaltung bieten. Bis bald und haltet euch von der Grippe fern.
5. Am Samstag habe ich gerne die Wärme meines Hauses verlassen. Mit meiner Assistentin Hildi besuchte ich die GV von Procap Uri. Als Vereinsmitglied und als geladener Gast der Selbstvertretung Uri, war es für mich selbstverständlich der GV beizuwohnen. An solchen Zusammenkünften darf ich immer wieder neue Menschen und andere Schicksale kennenlernen. Ich knüpfe neue Kontakte und es entstehen zusätzliche Freundschaften. Ich liebe es, mich in diesen Kreisen zu bewegen. Hier spielt es keine Rolle, welche Beeinträchtigungen meinen Alltag prägen. Wir alle haben ähnliche Hürden zu meistern.
Unter den geladenen Gästen sind nebst weiteren Organisationen, welche sich den Belangen von Menschen mit Beeinträchtigungen widmen, auch Behördenmitglieder aus Gemeinden und des Kantons. Die Diskussionen mit den Behörden sind wichtig und tragen zur Verständigung und Klärung bei. Es war eine sehr lebhafte und aufschlussreiche GV. Ich denke, nun ist auch allen Strassenbauverantwortlichen klar, dass die Menschen mit Rollstuhl, mit Rollatoren und Menschen mit einer Gehbehinderung, keine neuen Pflastersteinwege mehr befahren / begehen wollen. Ausser, die Steine werden so geglättet, dass es kaum mehr «holperer» gibt.
Es ist üblich, dass die geladenen Gäste vor Schluss der GV ein paar Worte an die Versammlungsteilnehmer richten. Wie schon im letzten Jahr, wurde ich auch diesmal wieder, von meiner Assistentin Hildi stimmlich unterstützt. Ich schreibe die Rede jeweils auf dem PC und Hildi trägt diese dann an der GV vor. Wir sind in fünf Jahren zu einem gut eingespielten Gespann geworden.
Wenn Betroffene, Vereine, Behörden und Interessengemeinschaften in dieselbe Zukunft blicken, werden Barrieren abgebaut und zuweilen unmögliches, möglich gemacht.
Für mich als Rollstuhlfahrerin und als Mensch mit mehrfacher Beeinträchtigung, ist es selbstverständlich, mich für eine Zukunft ohne Barrieren einzusetzen. Wie sieht es bei dir aus?
7. Habe heute leider keinen Beitrag für euch. Dafür ein Filmchen von einer Rolliausfahrt auf meiner Lieblingsstrecke. Das Filmchen endet ein wenig abrupt. Da müssen wir wohl noch etwas üben.
9. 6.45 Uhr. Vogelgezwitscher vor dem Fenster, Herz schlägt schneller, Lächeln im Gesicht, Frühling?
11. Wann beginnt der Frühling?
Dann, wenn mein Mann seine Motorradkluft überstreift, seine Harley zur Garage herausholt, sich in den Sattel schwingt, den Motor startet und losfährt.
Dann, wenn ich keine Jacke mehr anziehen muss und selbständig ins Freie kann.
Dann, wenn sich überall im Garten die Frühlingsblumen aus der Erde drängen.
Dann, wenn sich an den Ästen der Frühlingsblüher zarte grüne Blättchen zeigen.
Dann, wenn die Forsythien Sträucher und die Johannisbeere Ziersträucher, nur noch wenige Sonnentage brauchen, um ihre Knospen zu öffnen und ihre gelben und roten Blüten zeigen.
Dann, wenn der Dorfbach Schmelzwasser führt und ich ihn plätschern höre.
Dann, wenn sich mir im Garten der erste Schmetterling nach dem Winter zeigt. Er war übrigens Schneeweiss.
Dann, wenn ich mich aufmache, um unsere wunderschöne Natur auf vier Rädern zu erkunden.
Dann, wenn ich meine Freiheit zurückbekomme.
Wann beginnt der Frühling? Heute.
15. R.I.P. Stephen Hawking. Ich verneige mich.....
Wie alle ALS-Betroffenen konnte auch Stephen Hawking das Fortschreiten der Krankheit nicht verhindern. Die Geschwindigkeit, mit der die Krankheit voranschreitet, ist kaum beeinflussbar. Entweder hat man einen raschen, mittleren oder einen langsamen Krankheitsverlauf.
Beeinflussen kann man hingegen die Einstellung zur Krankheit und zum Leben. Zur Verbesserung der Lebensqualität können z.B. auch angepasste Hilfsmittel eingesetzt werden.
Stephan Hawking hat bewiesen, dass mit guter Unterstützung vieles möglich ist. Zumal unser Hirn bis zum Schluss von der Krankheit verschont bleibt.
17. Ich weiss, ich bin unmöglich. Immer diese Blüemä-Föteli. Doch ich musste diese Farbenpracht einfach festhalten, bevor sich der Schnee über sie legt und sie womöglich niedergedrückt werden. Da ich wegen meiner starken Erkältung das Haus die ganze Woche nicht verlassen durfte, haben mir mein Mann und Assistentin Hildi den Frühling mittels Fotos, in mein Zimmer gebracht.
Zu sagen ist noch, ich liebe unseren Garten. Bei uns wird man nie auf einem englischen Rasen laufen können. Auf den Grünflächen dürfen sich auch sogenannte Unkräuter entfalten. Schliesslich sind sie der Ursprung unserer "Edelblumen". Und mal ehrlich, viele sind so wunderschön. Gäbe es sie nicht, würde man sie sicher züchten.
20. Anhand meiner Beiträge, stellt sich so manch einer, einen grossen Garten vor. Dabei ist unser Garten, wenn es um Quadratmeter geht, gar nicht mal gross. Wir haben Glück, dass das Grundstück unseres Sohnes direkt an unseres grenzt. Und da wir vor Jahren die Grenzzäune entfernt haben, entstand eine grosse Gemeinschaftsfläche. So gesehen hat «unser» Garten schon eine ansehnliche Fläche. Bei uns gibt es ausser den Grünflächen, Säulenobstbäume, viele Ziersträucher, Gemüsebeete und einige Blumenrabatten. Die Grösse des Gartens ist jedoch Nebensache. Eine einzelne Blume kann so anmutig, so wunderschön sein, dass es keine zweite ihrer Art braucht. Ich mag die Vielfallt, das Durch- und Nebeneinander in unserem Garten. Das Summen, Zirpen und Gezwitscher im Garten. Egal wie gross dein Garten ist, gib ihm die Chance, dir zu gefallen.
Auch Menschen können als Garten fungieren. Im Laufe meines Lebens habe ich schon viele Menschen in meinen Garten gelassen. Manche bleiben nur kurz und andere für immer. Sie wachsen, blühen und werden auch mit mir welken. Sie sind die Farben in meinem Garten. Manchmal muss auch jemand den Garten verlassen, um die Reise zum Garten Eden anzutreten. Es gibt aber leider auch Momente, in denen ich jemandem höflich bitte, meinen wunderschönen Garten zu verlassen. Manchmal verweigere ich auch den Zutritt. Mein Garten braucht die Sonne mehr als den Schatten. Zuviel trübe Tage schaden meinem Garten und erschweren das Blühen.
Deshalb sehne ich mich nach der Frühlingssonne.
25. Yes, ich habe sie wieder, meine Freiheit. Gestern hat die Sonne die Luft soweit erwärmt, dass ich endlich wieder eine Rollirunde ums Dorf drehen konnte. Was ich da wieder alles gesehen und gerochen habe. Der duftende Bärlauch im Unterholz des Waldes, blühende Weidenkätzchen an der Reussböschung, der Ruf eines Tannenhäher ganz oben im Tannenbaumwipfel, beobachten wie ein Baumläufer auf der Suche nach einer Leckerei, immer wieder den Baum hochläuft, Eidechsen die sich rasch in die die Zwischenräume der Natursteinmauern verkriechen, Schmetterlinge die sich suchen und im Tanz finden, Möwen und Krähen die über mir ihre Runden drehen, ein Taubenpaar, welches auf unserm Nussbaum ein Schwätzchen hält, Einheimische Vögel die am Nestbau werkeln, und natürlich, überall Frühlingsblumen.
Selbstverständlich wurde gestern auch gleich die Grillsaison eröffnet.
Ich mag den Frühling, ich mag meine Freiheit.
26. Wahrscheinlich denkt jeder Mensch irgendwann über den Tod nach. Wie wird es wohl sein, wenn ich sterbe. Bekomme ich plötzlich Angst vor dem Nichts. Zumal ich nicht an ein Leben nach dem Tod glaube. Besinne ich mich plötzlich wieder auf Gott? Ich kann mir gut vorstellen, dass Jesus tatsächlich gelebt hat. Ich denke, er war ein sehr gütiger und weiser Mann. Der uns seine Ideen und Ansichten weitergeben wollte, für ein friedliches Zusammenleben aller Menschen.
Da jeder Mensch, so auch Jesus, einen Vater hat, zwinkere ich ihm, sowie auch der Taube, welche symbolisch um mein Seelenheil besorgt ist, ab und an zu. Alle drei sitzen täglich ganz legere auf meinem PC-Monitor und schauen mir bei der Arbeit zu. Ebenfalls dazu gesellen könnte sich ein Schmetterling, eine Blume, die Sonne oder eine andere spirituelle Figur.
Ich finde es schön, wenn Menschen auf Gott vertrauen können. Dies ist eine Kostbarkeit, die ich Niemandem jemals streitig machen werde.
Wir sollten aufeinander besser achtgeben. Eine Umgebung schaffen, in der alle Menschen ein Leben in Liebe, Gesundheit und Frieden leben können.
Manchmal wünschte ich mir auch, einfach auf Gott vertrauen zu können. Wie gerne gäbe ich mich der Illusion hin, nach dem Tod weiterleben zu können. Es wäre dann einmal sicher weniger schmerzvoll, diese wunderschöne Welt verlassen zu müssen oder sich von geliebten Menschen zu verabschieden.
Doch, obwohl ich mich gerne in die Traumwelt flüchte, so bin ich doch zu sehr Realist und schaue dem wahren Geschehen ins Auge.
Aber, wer weiss schon, was nachher wirklich passiert. Es bleibt mir also nichts anderes übrig, als mich überraschen zu lassen. Bin ja mal gespannt.
Wie unser Leben beginnt, liegt nicht in unserer Hand. Auf welchem Kontinent, in welchem Land oder in welcher Gegend wir geboren werden, auch nicht. Ob wir in Armut oder Wohlstand aufwachsen, ist ebenfalls gegeben. Nicht allen ist es vergönnt, ein Dach über dem Kopf zu haben oder jeden Tag an Essen zu kommen. Nicht alle von uns dürfen in einer friedvollen Umgebung leben. Manche von uns sind krank und kommen an keine Medikamente. Dies und vieles mehr, hat grossen Einfluss auf unseren Lebensweg. Eigentlich gäbe es auf unserem Planeten genug Platz. Wir alle könnten an einem schönen, friedlichen Ort mit fruchtbarem Boden leben. Leider gibt es Menschen, die nicht gerne teilen und viel zu viel für sich beanspruchen. Diese werden immer reicher und mächtiger und meinen, wir müssten nach ihrer Pfeife tanzen. Sie spielen sich als Herrscher auf und führen dafür Kriege. Dabei werden rücksichtslos Leben geopfert.
Und wir, wir stehen rat- und tatenlos daneben.
28. Ich weiss, ich jammere jetzt auf hohem Niveau. Doch ich hatte so gehofft, der Frühling sei nun definitiv ins Land gezogen. Ich hatte mich so gefreut, wieder jeden Tag nach Draussen gehen zu können. Aber nein, das schöne Wetter lässt auf sich warten. Und ich, ich bin nicht so gut im Warten. Ich kann es nicht ab, wenn etwas ins Stocken gerät. Dann werde ich schonmal ungeduldig und meine Laune geht kellerwärts. Abwarten und nichts dagegen tun zu können, verstärkt mein Gefühl der Hilflosigkeit.
Ich kann jetzt nur auf den Föhn hoffen, der die Wolken wegbläst und der Sonne den Weg freimacht. Wie schon erwähnt, es ist Jammern auf hohem Niveau. Trotzdem, wer hätte nicht gerne Sonne und Wärme an Ostern.
Ich denke, es wäre wiedermal Zeit für Ferien im Süden.
APRIL
1. Ich wünsche euch Allen wunderschöne Ostern. Vielleicht taucht die Sonne ja von alleine auf, ohne dass wir sie suchen gehen müssen.
4. Das war wieder eine stürmische Nacht. Der älteste Urner (starker Südwind) musste mal wieder seine Kraft demonstrieren. Er hat so heftig an den Zimmerfenstern gerüttelt, als wollte er sich zutritt verschaffen. An einen ruhigen Schlaf war da nicht zu denken. Am Wochenende Schnee, jetzt der Föhn (starker Südwind), was folgt wohl als nächstes? Regen, Blitz und Donner? Oder doch ein hundskommuner Frühling? Wäre uns doch bald zu gönnen.
Eigentlich hätte mir der Föhn letzte Woche den Schlaf rauben können. Dann hätte ich meine vierteljährlich stattfindende Zahnreinigung schlafend über mich ergehen lassen können. Es ist ja immer so eine Sache mit den Zahnärzten. Bis man nur einen findet, der einem passt. Als ich keine Treppen mehr steigen konnte, musste ich mich ja auch nach einem anderen Zahnarzt umsehen. Bei den Anfragen beschrieb ich jeweils mein Krankheitsbild. Dabei fand ich eine moderne und kompetente Praxis. Vor kurzem hat nun mein Zahnarzt diese Praxis an einem anderen Zahnarzt übergeben. Ich hatte schon bedenken deswegen. Doch diese waren unbegründet. Als die Dentalhygienikerin (die gleiche wie vorher) mit der Zahnreinigung fertig war und der neue Zahnarzt zur Kontrolle kam, fragte er mich, wie lange ich schon ALS habe. Ich war erstaunt und als ich ihn fragte, ob er diese Krankheit denn kenne, antwortete er: «Ja natürlich». Da bekam ich sofort ein gutes Gefühl. Als er dann auch noch sehen wollte, wie wir den Transfer Zahnarztliege und Rollstuhl bewerkstelligen, dann erst recht. Hier bin ich nach wie vor in der richtigen Praxis.
8. Elly, ein Schipperke-Mädchen kam vor ein paar Wochen als Zweithund zu Nives. Die Frau mit dem wunderschönen Namen ist die Partnerin meines Sohnes. Nives arbeitet als schulische Heilpädagogin und Elly wird dabei bereits als Unterstützung eingesetzt. Und weil ich Hunde auch sehr mag, habe ich vergangene Woche auch bei mir im Büro ein Hundebett für Elly eingerichtet. Ich hoffe, dass Elly der süsse Fratz bald mal für eine Stunde zu mir kommen darf. Sieht sie nicht allerliebst aus?
9. Liebe Leser, ich habe zurzeit viel um die Ohren und lege deshalb eine kurze Schreibpause ein. Melde mich bald wieder.
12. Müde aber glücklich bin ich soeben von der Sitzung der Selbstvertretung Uri Nachhause gekehrt. Sie hat zwar länger gedauert als ich eingeplant hatte, doch die Sitzung war jede Stunde wert.
13. Eigentlich wollte ich eine längere Schreibpause einlegen um möglichst viele Dinge vor den Ferien erledigen zu können. Eine Schreibpause auch deswegen, weil mein Schreibfinger etwas schwächelt und Erholung nötig hat. Doch Gestern Abend war ich so glücklich, ich musste meine Schreibpause einfach unterbrechen. Seit 2016 bin ich mit dem Aufbau der Selbstvertretung Uri beschäftigt. Es lief äusserst harzig an. Ich allein, mit einer Stimme, welche ab und an kaum zu verstehen ist, versuchte ich Menschen mit einer Beeinträchtigung zu motivieren, in der Gruppe mitzumachen. Nur weil ich zu 100 Prozent überzeugt bin, dass diese Art der Gruppe, wichtig für Menschen mit Beeinträchtigung ist, habe ich nicht aufgegeben. Letztes Jahr stellte sich eine erste Power-Frau an meine Seite. Und bei der gestrigen Sitzung durfte ich drei weitere Personen mit Beeinträchtigungen begrüssen. Ich weiss, jetzt kommt die Gruppe in Fahrt und es werden sich noch weitere Personen mit Beeinträchtigung unserer Gruppe anschliessen. Unter dem Motto:
«Nichts über uns, ohne uns!».
Es war bis anhin harte Arbeit und wird es auch weiter bleiben. Doch es lohnt sich und macht irgendwie auch Spass. Erstes Etappenziel von 5 Personen ist schon mal erreicht.
19. Auf meinen Touren sehe ich immer so viel Schönes und ich möchte alles in Bild festhalten. Meine Begleitpersonen sind deshalb ständig für mich am Knipsen. Also überlegt es euch gut, ob ihr mich auf meinen Rollitouren begleiten möchtet. Heute wurde ich von Assistentin Hildi begleitet. Sie hat für mich die Kamera betätigt.
20. Nachdem ich nun schon mehrmals als Freigeist tituliert wurde und ich nicht genau wusste, was damit gemeint ist, habe ich mal im Netz gestöbert. Ich las viele interessante Artikel. Ich muss zugeben, in manch Geschriebenem finde ich mich. Ob ich deswegen ein Freigeist bin, weiss ich nicht. War jedenfalls sehr spannend darüber zu lesen.
Freigeist zu sein ist die Erkenntnis um das eigene Sein in einer Welt die als Wahrheit so absolut ist, dass sie in ihrem Umfang und ihrer Wirkung weder benennbar noch erfassbar ist.
Freigeist zu sein ist das Bekenntnis zur Realität, die unser einziges Sein ist und doch nicht Wahrheit sein kann.
Freigeist zu sein, ist das Wissen um die eigene Schwäche, die das fehlende Wissen um das absolute und Ganze, mit Vorstellungen ersetzt, die keiner Wahrheit aber unseren Wünschen geschuldet sind.
Freigeist zu sein, bedeutet keinen Widerspruch in sich, aber einen Widerspruch an sich, in der Gemeinschaft.
Der Link dazu
Ob nun Freigeist oder nicht. Folgende Aussage gefällt mir ohnehin am besten: "Ich bin der, der ich bin".
26. Nachdem mein Mann gestern unsere Hochbeete mit torffreier Erde aufgefüllt hat, wurden heute die Beete mit Setzlingen bestückt. Eichblatt- und Kopfsalat, Kohlraben, Fenchel und Randen haben Platz gefunden. Nun benötigen sie viel Sonne und ab und an einen warmen Regenguss und in ca. 5 Wochen können wir den ersten Salat ernten. Mit der Salatsauce, hergestellt von meinem Mann, und mit viel frischem Schnittlauch, ebenfalls aus dem eigenen Garten, so liebe ich den Salat.
Diese Woche haben wir auch unsere neu angelegte Blumenwiese bearbeitet. Unteranderem fanden zwei Mohnblumenpflanzen ihren Platz in der Wiese. Wenn ich mich zurzeit im Garten aufhalte, steigt mir der feine Duft von unseren beiden Fliedersträuchern mit den weissen und violetten Blüten in die Nase. Ich liebe den Frühling mit all den Düften, den Farben und den immer wärmer werdenden Sonnenstrahlen. Ich bin natürlich auch wieder viel mit dem Rollstuhl auf Tour. Manchmal hole ich meinen Offroader aus dem Keller um längere und anspruchsvollere Routen fahren zu können. Dann gehts schon mal über Stock und Stein. Würden die Batterien des Rollis weiter reichen, wäre ich des öfters den ganzen Tag unterwegs. Alleine durch die Natur zu fahren, zu schauen, zu riechen, ist eines der höchsten Gefühle für mich. Hier fühle ich mich frei und doch behütet. Ich liebe es zu leben, trotz all meinen körperlichen Beeinträchtigungen.
27. Die Löhne meiner Assistentinnen habe ich gemacht. Die Rechnungen wurden beglichen. Korrespondenzen habe ich abgearbeitet. Die Koffer sind bis auf ein paar Kleinigkeiten gepackt. Mein Offroader im Bus verankert. Noch einmal schlafen und dann geht’s ab in die Ferien. Judihui, ich freue mich so. Bis bald.
Am Himmelszelt leuchtet ein weiterer "ALS-Stern".
MAI
5. Mein Mann und ich lieben Rundreisen. Wir übernachten dann höchstens 2 Nächte am gleichen Ort. Bei der Planung einer solchen Reise fällt mir die Streckenplanung / Tagesstreckenplanung und die Hotelbuchungen zu. Dieses Jahr wären wir gerne in die Provence gefahren. So zu Reisen verlangt gute Kondition und rasche Anpassungsfähigkeit. Dies konnten wir zurzeit Beide nicht aufbringen. Also habe ich uns eine Woche Ferien in Meran (Südtirol) gebucht. Natürlich in unserem gewohnten Hotel mit behindertengerechter Ausstattung. Was uns sehr gut gefällt, sind die vielen langjährigen Mitarbeiter, die in diesem Hotel anzutreffen sind. Da leistet die Führungsriege gute Arbeit. Wir fühlen uns hier immer sehr wohl. So verbrachten wir auch dieses Mal wieder wunderschöne und erholsame Ferien hier. Am Tage haben wir Altstädte in der Umgebung besucht und uns an alten Gemäuern erfreut. Wir haben in Verkaufsgeschäften gestöbert und sind durch Märkte geschlendert. Natürlich durfte auch der Besuch von wunderschönen Parkanlagen und das Rollstuhlwandern auf den vielen Wanderwegen nicht fehlen. Auch wenn wir Meran schon mehr als 10-mal besucht haben, entdecken wir immer noch Neues. Wir werden sicher noch öfters den Weg ins Südtirol finden.
6. Wie jedes Jahr am 1. Sonntag im Mai, fand heute der Love Ride Switzerland statt. Es ist die grösste Benefizveranstaltung der Schweizer Biker-Szene. Der erzielte Gewinn kommt vollumfänglich muskelkranken und behinderten Menschen zugute. Am europaweit grössten Anlass seiner Art sind Gäste mit Motorrädern aller Marken, sowie Besucherinnen und Besucher ohne Motorrad und Familien herzlich willkommen. Früher nahmen mein Mann und ich selbst mit unserer Harley an dieser Veranstaltung teil. Die gemeinsame Ausfahrt mit Menschen mit Beeinträchtigungen fand ich immer etwas ganz Besonderes. Wie sollten wir auch ahnen, dass mich bald eine Krankheit (ALS) ebenfalls zur Rollstuhlfahrerin machen würde. Mittlerweile ist es mir nicht mehr möglich, auf die Harley zu steigen. Heute, als ich wieder die vielen Motorräder sah, den Motorensound hörte und der Spritgeruch in die Nase stieg, musste ich kurz ein, zwei Tränchen verdrücken. Kurz durchgeatmet und schon bin ich mittendrinn. Habe mir einen Spass erlaubt und mich zwischen die wartenden Biker geschmuggelt. (Foto). Einer meinte, wo ich denn meinen Helm gelassen hätte. Ich: Alles nur weich.......! Bei meinem harten Kopf reicht ein Cap.
Es war wieder ein schöner Tag, mit fröhlichen Menschen, mit Essen und Trinken und guter Musik. Vielmehr brauche ich nicht.
13. Muttertag
Meine Mutter hat mir die Liebe zu den Blumen und Pflanzen weitergegeben. Ich bin ihr so dankbar dafür.
Ob ich mich in unserem Garten aufhalte oder Unterwegs bin, ich freue mich ab jeder Blume, die ich sehe.
Ich danke meiner Mutter, dass Sie mir die Schönheit unserer Natur gezeigt hat.
20. Meine Hand ist mit zwei Klettbändern auf der PC-Maus fixiert. Der Mittelfinger liegt auf der linken, der kleine Finger auf der rechten Maustaste. Auf dem PC-Monitor ist die Bildschirmtastatur aufgeschaltet. Ein schneeweisses Worddokument ist geöffnet und wartet darauf, mit Geschichten aus meinem Leben gefüllt zu werden. Nun überlege ich, was ich euch berichten könnte.
Über die Ferien habe ich bereits geschrieben. Die erste Ferienwoche haben mein Mann und ich, wie schon erwähnt, in Meran und Umgebung verbrach. Die zweite Woche genossen wir Zuhause. Wobei sich mein Mann bei schönem Wetter auf die Harley schwang, um sich den langgezogenen Strassenkurven zu widmen. Währenddessen nutzte ich die Zeit und genoss die Ruhe in unserem Garten.
Diesen Montag musste mein Mann wieder zur Arbeit und auch meine Assistentinnen nahmen ihre Arbeit bei mir wieder auf.
Manchmal verspüre ich grosse Lust, mich in eine Blumenwiese zu setzen, um die Blumen näher betrachten und riechen zu können. Das Problem dabei, ich komme selber nicht vom Boden hoch. Es bräuchte mindestens zwei starke Männer, die mich vom Boden hochheben würden, um mich in den Rollstuhl zu setzen. Im Wissen dessen, passen wir bei meinen Transfers besonders gut auf. Einen Sturz kann ich mir nicht erlauben. Trotzdem hatte ich in meiner ALS Laufbahn schon Bodenkontakte. So leider auch diesen Montag. Meine Pflegeperson musste meinen Mann von der Arbeit zu Hilfe holen. Und da ist es passiert. Mein Mann hat sich beim Versuch mich aufzustellen, am Arm verletzt. Ich habe gehört, wie etwas in seinem Arm riss. Ich bin darüber sehr traurig. Es darf nicht sein, dass sich Jemand wegen mir wehtut. Mein Mann musste zur Untersuchung ins Spital. Ergebnis, Sehnenabriss in der Armbeuge.
Ich habe danach sofort reagiert und bei der IV einen Patientenlifter beantragt.
Mein Mann wird Ende Mai operiert und darf danach den Arm für 5 - 6 Wochen nicht gross belasten. Leider darf er dann auch nicht auf seine Harley steigen. Aber vielleicht gefällt es ihm ja, sich in unserem Garten zu erholen. Ist doch auch gut, oder?
Jetzt bin ich dabei, unsere Unterstützung für die kommende Zeit zu organisieren. Jemand wird die Stunden, welche ansonsten mein Mann für mich aufwendet, abdecken müssen. Auch am Arbeitsplatz meines Mannes gibt es einiges zu organisieren. Ausser in den Ferien, ist mein Mann 24 Stunden für "seine" Mieter der 150 Wohnungen erreichbar. Das ist eben mein Mann.
So, das Blatt ist für heute voll.
Wir hatten diese Woche aber nicht nur Pech. Im Kanton Uri sind dieses Wochenende, wie so oft an Feiertagen, viele Strassen verstopft. Am Donnerstag wurde am Klausenpass die Wintersperre aufgehoben. Wir nahmen diese Möglichkeit wahr und fuhren Heute über den Pass. Als wir am späteren Nachmittag von unserem Ausflug nach Hause kamen, hörten wir in den Nachrichten, dass am Klausenpass eine Lawine niedergegangen ist und zwei Autos mitgerissen hat. Eine halbe Stunde vor dem Lawinenniedergang, hatten wir mit dem Auto diese Stelle passiert. Glück und Pech liegen oft so nah beisammen.
21. Am Freitagnachmittag war ich mit meinem Rollstuhl in der Permobil-Werkstatt. Diesen Termin hatte ich bereits vor den Ferien abgemacht. Also chauffierte mich Regula, eine meiner Assistentinnen, in die 30 Minuten entfernte Werkstatt. Dort angekommen wurde gleich losgelegt. Meine zugesandte Reparatur-Liste war lang.
Batterien / Neu
Vorderlichter / leicht beschädigt
Tuning auf 15 kmh
Hosenträgergurte - Brustgurte / an Rolli anbringbar und abnehmbar / fehlende Rumpfstabilität
Es wurde alles was möglich war repariert oder ausgetauscht. Sie konnten meinen Stuhl zwar nicht auf 15 kmh aufbohren, dafür wurden brandschwarze Reifen aufgezogen. Auf Wunsch hätte man mir sogar mit weisser Farbe 15 kmh auf die Reifen geschrieben.
Eigentlich schade, dass die Permobil-Rollstühle so robust gebaut sind und selten in die Reparatur müssen. Einen Nachmittag mit dem Permobil-Team von Alpnach zu verbringen, ist immer mit lebhaften Gesprächen und viel Lachen verbunden. Danke Erich, du hast ein super Team am Start.
25. Was für ein schönes Erwachen. Ich öffne die Augen und muss sie auch gleich wieder schliessen. Die Sonne scheint mir mitten ins Gesicht. Es dauert eine Weile, bis sich meine Augen an die Helligkeit der von Sonne durchflutenden Raum gewöhnen. Kaum wach, klopft es auch schon an der Tür. Regula, eine von meinen drei Assistenzperson tritt ins Zimmer, Sie lächelt mich an und ich strahle zurück. Schöner kann doch ein Tag kaum beginnen. Vielleicht liegt meine gute Stimmung auch daran, dass ich mit dem gestrigen Tag, alles Wichtige erledigen konnte. Meine Woche war reichlich gefüllt mit Terminen. Sehr gefreut hat mich der überraschende Besuch aus Canada. Eveline, eine meiner Nichten zog es kurz nach dem Teenageralter nach Canada. Wir sehen uns daher nicht oft. Umso schöner war es, dass meine Schwester Bernadette mit Eveline und Nichte Daniela bei mir vorbeikam. Am Mittwoch nahm ich dann auch noch an einer Filmvorführung von look&roll teil. Die Kurzfilme zeigen Geschichten von Menschen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen. Die Filme sind vertont und mit Untertiteln versehen. Eine Gebärden Dolmetscherin war ebenfalls anwesend und für Blinde und Menschen mit einer Sehbehinderung standen speziell besprochene Kopfhörer zur Verfügung. Manche Filme liessen mich verstummen und manche brachten mich so zum Lachen, dass mir die Tränen nur so herunterliefen. Zum Glück überlies mir eine Besucherin im Rollstuhl ihre Assistentin, um meine Augen und Backen von den Lachtränen zu befreien. Schön, hilft man sich gegenseitig aus. An diesem Filmabend ergab sich auch gleich die Gelegenheit, mich im Interesse von Selbstvertretung Uri, mit der zuständigen Person von Procap Uri - Fachstelle Hindernisfreies Bauen Kanton Uri, zu unterhalten. Lange hielt meine Stimme im Stimmengewirr jedoch nicht durch. Habe dann am Tag darauf nochmal schriftlich mit ihr kommuniziert. Da unsere Haushaltführung auch in meiner Verantwortung liegt, stand auch der Wocheneinkauf auf der Liste. Ebenfalls durften wir für den ALS-Familie-Stammtisch, welcher Morgen stattfindet, Kuchen backen. Aber am meisten Zeit und Organisationsgeschick benötigte ich für die Planung meiner «Betreuung» für die Zeit, nach der Arm OP meines Mannes. Die Abdeckung steht jetzt vorerst mal für einen Monat.
Da ich bis gestern alles erledigen konnte, durfte ich den heutigen Nachmittag auch im Garten verbringen. Sobald ich mich im Freien aufhalte, kehrt die Ruhe zu mir zurück.
Und jetzt freue ich mich riesig, meine Gspänli, meine Freunde, meine Familie beim morgigen Stammtisch zu treffen.
27. Ich komme gerade aus dem Garten. Die Wärme da draussen hat mich durstig gemacht. In der Küche steht ein Glas Wasser mit Strohhalm auf dem Tisch. Piet, mein Mann, hat mir dies, bevor er auf seine Harley stieg, hingestellt. Auch mein Sohn und seine Partnerin, welche im Nachbarhaus wohnen, sind auf Tour. Ab und an bekomme ich von ihnen Fotos auf mein Handy. So hatte ich den ganzen Garten für mich allein. Ich liebe diese einsamen Stunden im Garten. Ich kann meinen Gedanken freien Lauf lassen und bekomme den Kopf frei. Das heisst, da gab es die junge Amsel im Garten, die einen Wurm aus dem Rasen zog. Grosse und kleine Eidechsen, welche in altem Mauerwerk Verstecken spielten. Maikäfer, die auf dem Nussbaum auf die Abenddämmerung warten. Wildbienen und Hummeln, auf der Suche nach Nektar. Schmetterlinge, welche mit einer Leichtigkeit im Garten herumfliegen. Man ist eben doch nie ganz allein.
Gestern Nachmittag fand bereits der 8. ALS-Familie-Stammtisch statt. Bei wunderschönem Wetter trafen wir uns wieder bei den lieben Schwestern im Kloster Ingenbohl in Brunnen. Dort haben wir Rollifahrenden genügend Platz, sodass wir uns in den Räumlichkeiten gut fortbewegen können.
Dank schönem Wetter kamen wir in den Genuss einer Führung im Garten und eine Führung in der wunderschönen, auf das Wesentliche reduzierte Klosterkirche. So ein Rundgang - Rundfahrt macht ja auch hungrig. So sorgten die herzensguten Schwestern wieder für Speis und Trank. Und ein bisschen Seelenbalsam gabs noch obendrauf. Sehr gerührt haben mich die Worte einer Schwester; dass die Klosterschwestern und die ALS-Familie eine Gemeinschaft bilden. Ich habe die Liebe in diesen Worten gespürt und es berührt mich heute noch. Wir können so viel bewegen, so viel Leid lindern, wenn wir das was wir tun, mit Liebe tun. Auch wenn es manchmal nur für einen Nachmittag reicht.
29. ALS-BETROFFENE WISSEN WAS LEBEN HEISST
JUNI
1. Am Mittwoch wurde meinem Mann, die komplett abgerissene untere Bizepssehne, in einer anderthalb stündigen OP, wieder am Knochen befestigt. Heute durfte er das Spital verlassen. Auch wenn ich durch meinen Sohn, meine Assistentinnen und die Spitex gut umsorgt werde, bin ich doch froh, ist mein Mann wieder Zuhause. Er darf den rechten Arm vorerst nicht belasten. Mit der linken Hand kann er mir doch ab und zu eine lästige Haarsträhne aus dem Gesicht streichen oder Lachtränen von den Augen wischen. Jetzt heisst es für meinen Mann Geduld aufbringen, damit alles gut heilen kann. Und ich freue mich auf schönes Wetter, um die Auszeit meines Mannes, gemeinsam mit ihm, im Garten zu verbringen.
4. Ich bin zurzeit stark beschäftigt. Ich verbringe gerade viel Zeit mit meinem Mann. Sein Arm befindet sich in der Genesungsphase und er darf mindestens 4 Wochen nicht arbeiten. Gestern besuchten wir zusammen das Urner Kantonale Schwingfest in Attinghausen. Und Heute genossen wir das schöne Wetter im Garten. Meine Physiotherapie hat deshalb auch gleich meine Physiostunde ins Frei verlegt. Bei dem vorherrschenden schwülwarmen Wetter hätte ich allerdings Wassergymnastik vorgezogen. Vielleicht versuchen wir es am Mittwoch erstmal mit Fussgymnastik in einem Zuber, gefüllt mit kaltem Wasser. Zur weiteren Abkühlung behelfen wir uns mit feiner Glace und eisgekühlte Getränke. Wir Beide lassen es uns gutgehen.
5. Bei uns im Garten halten sich Mensch und Tier gerne auf.
Die Raupe eines Schwalbenschwanzes hat ihr Quartier in unserem Insektenhotel bezogen. Und ein Vogelpaar hat das Nest für ihren baldigen Nachwuchs, hinter unserer "Harley* versteckt. Die Fauna und Flora unserer geliebten Erde, hält so viel Schönes für uns bereit. Ich sitze oft still und betrachte mit Ehrfurcht die Wunder unserer Natur.
7. ICH MUSS VERSTEHEN UM ZU VERSTEHEN
13. Leute, es geht mir gut. Ich denke, ihr habt die Aussage oben nun oft genug gelesen. Ich hoffe, ihr habt sie auch verstanden. Ich wollte euch nicht so lange warten lassen. Es fehlte mir schlichtweg an Zeit und Kraft, mein Tagebuch noch zusätzlich zu aktualisieren. Ich investierte viel Zeit in eine Sache, die mir sehr am Herzen liegt. Ich habe viel kommuniziert. Das war mit meiner Sprech- und Schreibbeeinträchtigung, verursacht durch die Krankheit ALS, nicht immer so einfach. Habe ich mich einmal entschieden, für eine Sache einzustehen, setze ich viel Kraft dafür ein. Schade, nagt die Krankheit ALS immer mehr an meinen Nerven und schwächt damit meine Muskeln. Aber aufgeben ist für mich noch keine Option.
14. Nachdem meinem Mann vor zwei Wochen die abgerissene Bizepssehne operativ befestigt wurde, durfte er seinen Arm nicht gross belasten. So durfte er mich im Bett auch nicht umlagern. Ich musste als passionierte Seitenschläferin, all die Nächte auf dem Rücken verbringen. Dabei musste ich froh sein, wenn ich mal vor 2.00 Uhr einschlafen konnte. Solange mein Mann bei meiner Abendpflege ausfällt, übernimmt die Spitex. Blöd ist, dass ich ab 19.00 Uhr für die Spitex im Zimmer sein muss. Und das auch an gemütlichen Grill-Abenden. Funktioniert mal besser, mal schlechter. Wenn es mal gar nicht geht, springt mein Sohn ein. Meine Assistentinnen decken den Tag ab. Langsam gehts mit dem Arm meines Mannes aufwärts. So konnte er mich gestern Abend, mit dem gesunden Arm umlagern und ich durfte endlich mal wieder eine Nacht in Seitenlage geniessen. Mir wurde dabei wieder mal bewusst, wie stark ich im Alltag auf die Hilfe meines Mannes angewiesen bin.
Er stützt meine gebrochenen Flügel und hilft mir zu Fliegen. Danke ❤️
16. Manchmal komme ich nicht daran vorbei, schmutzige Wege zu befahren. Dass ich dabei Schmutz abbekomme, ist unvermeidlich. Dabei muss ich aufpassen, nicht noch zusätzlichen Schmutz zu produzieren. Das ist aber nicht so ganz einfach. Am liebsten würde ich mich mehrere Stunden unter die Dusche stellen, um mich wieder sauber zu fühlen.
Heute muss ich mal wieder runterfahren und zu mir selber finden. Darum verbringe ich den heutigen Tag mit meinem Mann im Garten. Dort finde ich hoffentlich wieder mein Gleichgewicht.
18. Jetzt ist einer meiner Flügel tatsächlich gebrochen. Beim zweiten Sturz innerhalb drei Wochen bin ich nicht so glimpflich davongekommen. Beim Transfer mit der Spitex habe ich das Gleichgewicht verloren und bin seitlich zu Boden gefallen. Dabei brach ich mir den Oberarmknochen. Durch die jahrelange ALS-Erkrankung und die Unbeweglichkeit haben meine Knochen an Substanz verloren. Sie sind zerbrechlicher geworden. Da es ein glatter Bruch ist und ich den linken Arm vorher schon kaum mehr benutzen konnte, haben wir uns vorerst gegen eine Operation entschieden. Ich muss den Arm einfach körpernah tragen. Die Sanitäter, welche mich Zuhause abgeholt haben und mich gleich mit Schmerzmittel versorgt haben, konnten mir die Angst nehmen. Dann auf dem Notfall nahm uns ein Herr in Empfang, der sich mit ALS auskennt. Bis vor kurzem arbeitete er in der Klinik im Tessin, in welcher wir jährlich die ALS-Gruppe-Ferien verbringen. Er hat meinen Mann und mich sofort wiedererkannt. Da soll mal einer sagen, ich sei nicht gut aufgehoben.
Wenn der Wind der Veränderung weht, bauen einige Menschen Mauern und andere Windmühlen. – Chinesisches Sprichwort
25. Mein Arm macht mir leider ein bisschen Probleme. Die Schmerzen sind mitunter doch recht stark und ohne Schmerzmittel geht noch gar nichts. Heute hatten mein Mann und ich gleich zusammen einen Kontrolltermin bei unserem Hausarzt. Auch der Arm meines Mannes braucht noch einige Zeit, bis er wieder heil ist. Wir beide haben diese Woche noch zusätzlich je einen Termin in der Spital-Chirurgie. Hoffe einfach, dass die Bizepssehne meines Mannes gut anwächst und das Taubheitsgefühl im Arm nachlässt. Für mich hoffe ich, dass mein Bruch im Oberarm gerade zusammenwächst. Schauen wir mal, was das erneute Röntgen am Freitag ergibt.
Mehr Schreiben lässt mein Arm nicht zu. Ich weiss nicht, warum ich die halbe Nacht mit Schmerzen wachliegen musste. Am Samstag besuchten wir trotz meinen Schmerzen das Country- und Trucker Festival in Interlaken. Wir wollten unsere VIP-Billette nicht verfallen lassen. Ob es an den Vibrationen der Musik liegt? Ist aber eigentlich auch egal. Menschen Mauern und andere Windmühlen. Der Tag hat Spass gemacht.
JULI
2. Laut Arzt und Röntgenbild heilt mein Bruch schön gerade zusammen. Auch die Bizepssehne meines Mannes wächst gut am Knochen an. Wir sind beide froh, dass es langsam, aber sicher aufwärts geht. Vorerst benötige ich für meine Transfers immer noch zwei Personen. Einerseits zur Entlastung meines Armes und andererseits wegen meiner Angst vor einem weiteren Sturz. Heute wurde zu meiner Sicherheit auch gleich noch eine feste Wand im Badezimmer montiert. Es wird so vieles für mein Wohl unternommen. In dieser stressigen Zeit haben sich meine Assistentinnen, die Spitex, mein Sohn, mein Mann und ich, als sehr gut funktionierendes Team bewiesen. Ihre Geduld, ihr einfühlsames Handeln und ihre Flexibilität schätze ich sehr. Ohne sie, hätte ich wohl vorübergehend in ein Pflegeheim ziehen müssen. Da ist mir der Aufenthalt in unserem Garten dann doch viel lieber.
3. Amselkückenfütterung. Es sind vier Küken, die mittlerweile lautstark nach Futter rufen und ihre Schnäbel nicht weit genug aufsperren können, um bei der Fütterung ja nicht zu kurz zu kommen. Wir können von unserem Wohnzimmerfenster direkt auf das Nest blicken.
4. ALS-Ferien-Woche vom 16.8.18 - 23.8.18 in Locarno
Ich durfte schon einige Male an der ALS-Ferien-Woche teilnehmen. Jedesmal war ich aufs Neue begeistert. Trotz unserer Krankheit unterscheidet sich unsere Gruppe nicht gross von anderen Urlaubern. Wir lachen, quatschen, kommunizieren übers iPad oder hören der Unterhaltung zu. Wir haben Spass zusammen und vergessen mal für eine Woche unseren Alltag. Freundschaften entwickeln sich, welche über die FEWO hinaus bestehen bleiben. Liebe ALS-Betroffene, liebe Angehörige, wenn ihr für eine Woche dem Alltagstrott entfliehen wollt, dann kommt mit uns in die Ferien ins Tessin. Ich freue mich auf euch.
5. Weil mir grad so zu Mute ist, könnt ihr euch den vollständigen Text anhören, welcher auf der Startseite meiner HP steht. "Wer Schmetterlinge lachen hört, der weiss, wie Wolken schmecken".
Wer Schmetterlinge lachen hört,
der weiß, wie Wolken schmecken.
Der wird im Mondschein, ungestört
von Furcht, die Nacht entdecken.
Der wird zur Pflanze, wenn er will,
zum Stier, zum Narr, zum Weisen.
Und kann in einer Stunde
durchs ganze Weltall reisen.
Der weiß, dass er nichts weiß,
wie alle anderen auch nichts wissen.
Nur weiß er, was die andern
und auch er selbst noch lernen müssen.
Wer Schmetterlinge lachen hört,
der weiß, wie Wolken schmecken.
Der wird im Mondschein, ungestört
von Furcht, die Nacht entdecken.
Wer mit sich selbst in Frieden lebt,
der wird genauso sterben
und ist selbst dann lebendiger
als alle seine Erben
Carlo Karges (1951-2002), war ein Gründungsmitglied der deutschen Rockband Novalis, der ihr von 1971 bis 1975 als Gitarrist und Keyboarder angehörte und für die er 1973 den Songtext „Wer Schmetterlinge lachen hört“ schrieb.
7. Dieses Wochenende findet das Eröffnungsfest der ViaUrschweiz statt. Zum Rahmenprogramm gehörend, fand heute Vormittag eine Führung speziell für Rollstuhlfahrende durchs Urner Reussdelta statt. Obwohl ich mich mindestens einmal in der Woche im Reussdelta aufhalte lies ich mich nicht davon abhalten, an der Führung teilzunehmen. Bei schönem Wetter machten wir uns mit Rollstühlen und zu Fuss auf die Erkundungstour. Fachkundig wurde uns während der Tour die Fauna und Flora nähergebracht. Sehr spannend zu hören, wie sich das Reussdelta während Jahren immer weiterentwickelt hat. Das Reussdelta ist zu einem wunderschönen Naturschutzparadies geworden. Für mich, eines der schönsten Orte nebst meinem Garten.
9. Nun sind sie flügge geworden, unsere vier Amselkinder. Auch das letzte hat sich aufgemacht, die Welt zu erkunden. Es spannte seine Flügel aus, flog los, um sogleich auf dem Boden zu landen. Es braucht noch ein wenig Übung. Die Flügel müssen wohl auch noch etwas kräftiger werden, um weite Strecken fliegen zu können. Bis sie soweit sind, werden sie weiterhin von der Amselmama am Boden gefüttert. Doch unsere vier Kleinen schaffen das schon.
Unsere Flügel sind auch wieder fast heil. Mein Mann hat heute seine Arbeit wieder aufgenommen und mein Knochenbruch ist so gut verheilt, dass ich für meine jeweiligen Transfers, nur noch eine Pflegeperson benötige. Ich bin froh, wenn dann mal wieder der normale Alltag einzieht. Doch, gibt's das bei einer ALS-Erkrankung überhaupt?
14. Ja ich weiss, ihr möchtet wieder etwas von mir lesen. Ich kommuniziere ja eigentlich auch sehr gerne. Sei es nun mündlich oder schriftlich. Ich weiss jetzt nicht, ob’s nur an meiner Krankheit liegt, dass meine Aussprache immer undeutlicher wird oder ob mir meine Stimme einfach zu verstehen geben will, vermehrt den Mund zu halten. Wenn es um Ungerechtigkeiten geht, konnte ich dies jedoch noch nie. Mein Vater meinte mal; mit meinem grossen Maul käme ich wohl nicht weit. Ich denke, er wäre heute trotzdem stolz auf seine Tochter. Ich habe schon als Teenager die Stimme für Andere erhoben. So stellte ich mich in der Handelsschule vor eine Mitschülerin, welche wegen ihrer fehlenden Englischkenntnis, ständig von der Lehrerin kritisiert wurde. Den Unmut der Lehrerin entlud sich danach über mich, sodass es mir nicht mehr möglich war, die Englisch-Lektionen zu besuchen. So habe ich in Englisch auch keinen Abschluss. Aber was solls, kann ja nicht mal fehlerfrei Deutsch schreiben. Später, im Arbeitsleben, musste ich als Abteilungsleiterin das Arbeitsverhältnis einer sehr guten Mitarbeiterin auflösen. Und dies nur, weil sie der Direktion nicht ins Konzept passte. Hab dann gleich meine Kündigung hinterhergeschickt. Ich wusste, ich finde wieder einen Job. Und so war es dann auch. Auch bei Streitigkeiten in unserer Grossfamilie, welche 12 Personen umfasste, stand ich denen bei, welche es gerade am nötigsten hatten. Schon oft bekam ich wegen meinem Einsatz auf den Deckel. Vielleicht habe ich gerade deswegen einen harten Kopf. Unlängst meinte Jemand, ich hätte wie alle Urner einen «Stiärägrind». Vielleicht ist es gerade diese "Sturheit" die in mir den Kampfgeist weckt, mich seit nunmehr 17 Jahren der Krankheit ALS entgegenzusetzen. Womöglich fliesst gar Stierblut in meinen Adern, welches mir Kraft verleit, mich für uns Menschen und auch für andere Lebewesen einzusetzen. Ich bin stolz auf den Stier im Urner-Wappen.
Aber egal woher ich komme oder von wem ich abstamme. In erster Linie bin ich Mensch. Und als solcher ist mir wichtig, für Menschen, die mich brauchen, da zu sein. Im Laufe der Jahre haben viele Menschen in meinem Herzen Platz gefunden. Ich nenne sie Freunde und manche bezeichne ich als meine Familie. Von meinen Freunden erwarte ich das gleiche, was sie auch von mir erwarten dürften. So akzeptiere ich weder Unwahrheiten noch dessen nicht Benennung. Ich verabscheue Falschheit. Freunde stehen füreinander ein und fallen sich niemals in den Rücken.
Freunde denunzieren sich gegenseitig schon gar nicht. Das ist aber ohnehin keine schweizerische Eigenschaft. Menschen, in deren Abwesenheit vorzuführen und anzuklagen, ist feige. Wenn das noch unter rechtlicher Aufsicht passiert, kann es unwürdiger kaum noch sein. Wer die Freundschaftsregeln verletzt, wird sich erklären müssen und der Verbleib in meinem Herzen wird ungewiss. Mir ist es sehr wichtig, meinen Freunden beizustehen und für sie einzutreten. Da mich meine Stimme immer mehr im Stich lässt, gelingt mir dies nicht mehr so gut. Früher konnte ich Menschen, mit vielen Worten und guten Argumentation, für eine Sache begeistern. Früher konnte ich auch diplomatischer agieren. Heute fehlt mir schlichtweg die Puste, um ausgeschmückte Sätze bilden zu können.
Beispiel Früher: Wärst du bitte so nett, mir ein Stück von dem so wohlriechenden Apfelkuchen abzuschneiden, welcher aus den süssen, kleinkernigen, mittelgrossen, rotgelben Äpfeln hergestellt wurde, die von unseren niedrigstämmigen, alten Apfelbäumen aus unserem paradiesisch grossen Garten stammen? Danke.
Beispiel Heute: Könnte ich bitte ein Stück Apfelkuchen haben? Danke.
Beispiel Später: Bitte Apfelkuchen. Danke
Beispiel noch Später: Apfelkuchen
Beispiel nochmal Später: ......... kann nicht mehr reden und auch nicht mehr essen
Dasselbe passiert bei der schriftlichen Kommunikation. Je mehr die Finger an Kraft verlieren, desto mühsamer wird es mit dem Schreiben. Wo früher Sätze mit poetischen Wörtern gespickt wurden, kommen die Sätze heute eher kalt, abstrakt und aufs wesentliche reduziert daher.
15. Es ist nicht nur die Kurzatmigkeit, welche uns daran hindert, deutlich zu sprechen. Vielmehr noch wirkt sich die Muskelschwäche in Mund und Rachen aus. Die Zunge wird unbeweglicher und schwerer. Das Artikulieren wird mit der Zeit immer schwieriger. Buchstaben können nicht mehr ausgesprochen werden. Ich z.B. kann mittlerweile weder ein K noch ein R artikulieren. Aus Rita wird Lita. Klinkt doch aber auch ganz schön. Nicht nur das Verpacken der Wörter spielt bei der Kommunikation eine Rolle. Die Tonlagen, die Emotionen, die Mimik, die Gestik und der Augenausdruck geben der Stimme die nötige Wirkung.
Es ist oft frustrierend, nicht verstanden zu werden. Man wiederholt und wiederholt und wird oft trotzdem nicht verstanden. Besonders frustrierend ist es, wenn über ein Thema diskutiert wird, in dem man selber gut bewandert ist, sich aber nur bescheiden einbringen kann. Manchmal habe ich sogar das Gefühl, nicht als Voll genommen zu werden. Es gibt Kommunikationsgeräte, welche die eigene Stimme ersetzen. Da aber Buchstabe für Buchstabe entweder von Hand, mit einer Kopfmaus, einer Augensteuerung oder einem externen Schalter angesteuert werden muss, dauert es oft lange, bis ein Satz zustande kommt. Im Alltag ist diese Art der Kommunikation unentbehrlich. In einer Diskussionsrunde ohne Vorbereitung eher ungeeignet.
16. Obwohl es sehr viel Kraft fordert, ist es wichtig, sich mitzuteilen und einzubringen. Für mich war es schon immer eine Selbstverständlichkeit, selbstbestimmt durchs Leben zu gehen. Das werde ich trotz meiner mehrfachen Beeinträchtigung, verursacht durch die Krankheit ALS, weiterhin tun. Ich werde so lange für mich selber einstehen und meine Angelegenheiten selber regeln, wie es meine Gesundheit eben zulässt. Ich animiere auch andere Menschen, die wie ich, ihr Leben mit Beeinträchtigungen bewältigen müssen, dasselbe zu tun.
Selbstvertreterinnen und Selbstvertreter sind grundsätzlich Einzelkämpferinnen und Einzelkäpfer. Um gemeinsam ein Ziel zu verfolgen und um Kräfte zu bündeln, schliessen sie sich in Gruppen zusammen. Vor zwei Jahren habe ich deshalb auch mit dem Aufbau der Gruppe Selbstvertretung Uri angefangen. Mittlerweile steht ein stabiles Fundament und der "Betrieb" läuft. Wir konnten auch schon einiges in Bewegung setzen. Doch es gibt noch vieles zu tun. Was Selbstvertretung bedeutet, könnt ihr auf unserer Homepage lesen. Es ist uns sehr wichtig, mitreden und mitbestimmen zu können, wenn es um unsere Belange geht. Viel zu lange schon, werden über unsere Köpfe hinweg, Entscheidungen gefällt. Ohne uns als Experten in eigener Sache, beizuziehen. Auch Patientenorganisationen sind hier nicht ausgenommen. Es kann und darf nicht sein, dass in einem Patientenverein, Nichtbetroffene anhand ihrer Überzahl, die Betroffenen überstimmen können. Einige Organisationen haben dies erkannt und haben gehandelt. Die Uneinsichtigen hingegen haben eine Ablauffrist.
Nun also steht die Selbstvertretung Uri und es wird Zeit, das Führungszepter weiter zu reichen. Aufgrund meiner kommunikativen Schwierigkeiten rücke ich gerne etwas in den Hintergrund. Ich werde von dort aus weiter an der Weiterentwicklung der Selbstvertretung Uri mitarbeiten. Ich bin froh um diese Entlastung. Danach werde ich wieder mehr Zeit für mich haben und auch um meine Freunde zu besuchen.
22. Nachdem ich beim Transfer, innerhalb drei Wochen, den 2. Bodenkontakt hatte, beantragte ich bei der IV (Invalidenversicherung) einen Patientenheber. Sollte ich wiedermal auf dem Boden landen, so kann mich eine Person alleine, mit dem Patientenheber hochnehmen. Ich will solange wie eben möglich, stehend transferiert werden. Sollten meine Beine mal zu schwach sein, um mich mit dem Drehteller zu transferieren, kommt der Patientenheber zum Einsatz. Diese Woche wurde nun der Patientenheber aus dem IV-Depot geliefert. Die Instruktion wurde gleich 1:1 durchgeführt. Hätte ich das vorher gewusst, hätte ich am Morgen sicher kein Kleid angezogen. Doch was soll's. Bei der ALS kommt man mit Geziere ohnehin nicht weit. Hauptsache es hat funktioniert. Ich überlege bereits, ob ich mit dem Patientenheber auf die Harley gesetzt werden könnte. Ich vermisse die Töfftouren mit meinem Mann schon sehr. Wie oft haben wir unser grünes Iglu-Zelt und zwei Schlafsäcke auf die Harley gebunden und die Saccochen mit dem nötigsten gefüllt und sind einfach losgefahren. Diese Freiheit, diese Unabhängigkeit vermisse ich schon sehr.
23. Auch wenn ich mich nicht mehr hinter meinen Mann in den Sattel schwingen kann, so freut es mich doch, dass Piet das Töfffahren nicht aufgeben muss. Wegen meiner Krankheit kann er sicher nicht mehr so oft mit der Harley unterwegs sein wie früher. Es reicht jedoch nach wie vor für zwei, drei Ausfahrten die Woche. So wie gerade eben, kann ich eins, zwei Stunden auch getrost allein verbringen. Da ich den ganzen Tag von Spitex-Mitarbeitern, Assistentinnen und Therapeuten umgeben bin, schätze ich das allein sein sehr. Das kommt uns beiden zu gute. Ich möchte nicht, dass mein Mann sein Leben nur nach mir ausrichtet. Jeder von uns braucht seine Freiräume. Die geben wir einander. Ich denke, sonst würde es nicht funktionieren. Unsere Gemeinschaft hält nunmehr 41 Jahre. Und ich stelle gerade fest, ich werde alt. Zum Glück kann ich nur sagen. Bei meiner Krankheit ist das nicht selbstverständlich.
Dieses Jahr werde ich mit je einer meiner Assistentinnen an den ALS-Gruppe-Ferien im Tessin teilnehmen. Mein Mann kann somit wieder mal eine grössere Töfftour unternehmen. Ich freue mich auf die Ferien mit Gleich-Betroffenen.
25. Als mein Mann und ich gleichzeitig Unfall hatten, konnten sich meine Assistenten nicht auch noch um unseren Garten kümmern. Ich musste einsehen, dass ich unseren Garten pflegeleichter gestalten muss. Letzte Woche nahm ich mit einer Gartenbaufirma Kontakt auf und besprach mit einem Landschaftsgärtner meine Vorstellungen.
Der Termin für die Realisierung wurde auf Heute gesetzt. Da ich am Mittwochmorgen ohne Assistenten auskomme und mein Mann zur Arbeit muss, hiess es für mich heute, 6.15 Uhr Tagwache. Eine Stunde später standen zwei Gärtner bereits auf der Matte. Sie legten nach ein paar klärenden Worten gleich los. Später habe ich die Beiden mit einem zünftigen Znüni-Brot vom Dorfladen versorgt. Es macht mir unheimlich Spass, solche Dinge eigenständig durchzuziehen. Und weil ich ohnehin vor Ort sein musste, kam gleich noch ein Mitglied von der Selbstvertretung Uri auf einen Besuch vorbei. Bei der letzten Selbstvertreter-Sitzung hat sie von der Gruppe den Auftrag gefasst, die Einkaufswagen für Rollstuhlfahrende zu testen. So konnte ich heute gleich zwei Termine miteinander verbinden. Und dies erst noch bei der Hitze
30. In einer sehr langen Sitzung, der Mond hat bereits auf unsere Notizen und Agenden gelächelt, konnte ich letzten Donnerstag einen Teil der Arbeit von Selbstvertretung Uri, an die zukünftige Gruppenleiterin übergeben. Sie wird für die mündliche, wie schriftliche Kommunikation zuständig sein. Ich selbst werde weiterhin für die Internetauftritte wie Homepage und Facebook zuständig sein. Auch werde ich die Gruppe mit meinem Sachwissen unterstützen. Weiter möchte ich mich an Infoveranstaltungen und mit Kursen weiterbilden. Mich interessierten vor allem die Pflege, Betreuung und Begleitung von Menschen mit Beeinträchtigungen und von betagten Menschen. Hierzu gehört die Weiterentwicklung des Assistenz Budgets, die Lebenspraktische Begleitung und die Subjektfinanzierung. Dafür brauche ich vorwiegend meine Ohren und Augen und die sind von der ALS nicht betroffen. Also langweilig wird es mir bestimmt nicht.
Aber jetzt geniesse ich vorerst mal den Sommer.
31. Eine wunderschöne Reise liebe Irène. Die Erinnerungen an dich bleiben hier.
AUGUST
4. Ich weiss, der August ist bereits vier Tage alt. Ausser meiner HP wiedermal ein neues Outfit zu verpassen, konnte ich in den letzten Tagen nicht viel tun. Eine sehr schmerzhafte Magengrippe hat mich flachgelegt. Hinzu kamen starke Kopfschmerzen, wahrscheinlich verursacht durch den niedrigen Sauerstoffgehalt im Blut. Mit 91 liegt der Wert an der unteren Grenze. Die momentane Hitzewelle ist für den Kreislauf auch nicht so förderlich. Ich bin ja eigentlich ein Sonnenfan, doch jetzt übertreibt sie eindeutig. Obwohl es mir wieder besser geht, sehe ich mich gezwungen, die Sonnenauftritte etwas zu meiden. Damit ich es in meinem Zimmer aushalte, hat mir mein Mann ein Klimagerät installiert. Das hält die Raumtemperatur auf normalem Mass und lässt mich schlafen. Nicht gerade umweltfreundlich, doch jetzt geht's nicht anders. Werde irgendeine Möglichkeit finden, der Umwelt eine Gegenleistung zu erbringen.
10. Endlich habe ich mein Magen-Bauch-Darm-Problem gelöst. Es hat einige Zeit gedauert, bis sich die Drei beruhigt haben. Ich kann mir gut vorstellen, dass dies Nachwirkungen von den starken Schmerzmitteln sind, welche ich beim Armbruch nehmen musste. Vollgepumpt mit diesen Drogen konnten die Drei schön Party feiern. Um ja nicht gestört zu werden, verbarrikadierten sie gleich noch die Hintertür. Mit Kamillentee, Knäckebrot und Suppe setzte ich sie ein paar Tage auf Entzug. Und Gestern haben sie endlich die Party abgebrochen und die Tür geöffnet.
Bauchschmerzen kommen bei ALS-Betroffenen, welche den ganzen Tag im Rollstuhl oder im Bett verbringen, oft vor. Die Unfähigkeit sich bewegen zu können, führt zur Darmträgheit. Dies kann zu einer Obstipation (Verstopfung) führen, was vielfach mit Bauchschmerzen einhergeht. In einem solchen Moment würde man sich die Arme auf den Bauch pressen, die Beine hochziehen oder sich zusammenrollen. Als ALS-Betroffener kannst du dies wegen der Bewegungsunfähigkeit, verursacht durch Muskelschwäche, nicht tun.
Was weiterhin niedrig bleibt, ist die Sauerstoffsättigung im Blut. Dies ist eine der vielen Dinge, welche die Krankheit ALS mit sich bringt. Da die Kopfschmerzen ebenfalls das Weite gesucht haben, muss ich noch nichts unternehmen. Ich benötige zurzeit noch keine Sauerstoff-Unterstützung.
Was habe ich aus dem Ganzen gelernt. Trinken, auch wenn ich keinen Durst habe. Mich ab und zu, so gut es eben geht, im Rollstuhl bewegen. Und, das Wichtigste, nie wieder soweit kommen zu lassen.
12. Jetzt haben auch wir Ferien. Das heisst, mein Mann muss nicht zur Arbeit, doch die Arbeit mit mir bleibt. Richtig Ferien beginnen für ihn am Donnerstag. Da fahre ich für eine Woche in die ALS-Gruppeferien ins Tessin. Die vom Verein ALS-Schweiz organisierte Ferienwoche für ALS-Betroffene und deren Angehörige, wird dieses Jahr bereits zum 6. Mal durchgeführt. Ich selbst darf schon zum 5. Mal dabei sein. Ich werde von zwei meiner Assistentinnen begleitet. Sie werden jeweils eine halbe Woche anwesend sein. Mich so gut begleitet zu wissen, kann sich mein Mann wiedermal auf eine grössere Töff-Tour begeben.
Wegen gewissen Spannungen und Vorkommnissen, welche ich bis heute nicht und wohl auch nie gutheissen kann, war ich mir lange unschlüssig, ob ich überhaupt noch mal an den ALS-Gruppen-Ferien teilnehmen soll. Die Liebe zu meinen Betroffenen ALS Kolleginnen und Kollegen, deren Angehörigen, den Pflegenden und Begleitern, lies es jedoch nicht zu, der Ferienwoche fernzubleiben.
Es wird dieses Jahr sicher nicht gleich sein wie andere Jahre. Schon daher, dass ich mich seit den letzten ALS-Ferien von vielen ALS-Kolleginnen und Kollegen verabschieden musste. Darunter sind langjährige, treue Freunde. Wiederum andere können wegen Fortschreiten der Krankheit nicht mehr teilnehmen.
Ich bin aber zuversichtlich, dass wir trotz allem eine wunderschöne Woche im Tessin erleben werden. Ich freue mich jetzt jedenfalls darauf.
13. Am Samstag erhielt ich von einer langjährigen Freundin über WhatsApp einen Text zugeschickt. Da er sehr lang war, mochte ich diesen nicht gleich lesen. Dies holte ich heute nach. Was ich da lesen durfte, spricht mir aus der Seele und ich möchte euch den Text nicht vorenthalten.
Meine Seele hat es eilig
Ich habe meine Jahre gezählt und festgestellt, dass ich weniger Zeit habe, zu leben, als ich bisher gelebt habe.
Ich fühle mich wie dieses Kind, das eine Schachtel Bonbons gewonnen hat: die ersten isst sie mit Vergnügen, aber als es merkt, dass nur noch wenige übrig sind, begann es, sie wirklich zu genießen.
Ich habe keine Zeit für endlose Konferenzen, bei denen die Statuten, Regeln, Verfahren und internen Vorschriften besprochen werden, in dem Wissen, dass nichts erreicht wird.
Ich habe keine Zeit mehr, absurde Menschen zu ertragen, die ungeachtet ihres Alters nicht gewachsen sind.
Ich habe keine Zeit mehr, mit Mittelmässigkeit zu kämpfen.
Ich will nicht in Besprechungen sein, in denen aufgeblasene Egos aufmarschieren.
Ich vertrage keine Manipulierer und Opportunisten.
Mich stören die Neider, die versuchen, Fähigere in Verruf zu bringen, um sich ihrer Positionen, Talente und Erfolge zu bemächtigen.
Meine Zeit ist zu kurz, um Überschriften zu diskutieren. Ich will das Wesentliche, denn meine Seele ist in Eile. Ohne viele Süssigkeiten in der Packung.
Ich möchte mit Menschen leben, die sehr menschlich sind.
Menschen, die über ihre Fehler lachen können, die sich nichts auf ihre Erfolge einbilden.
Die sich nicht vorzeitig berufen fühlen und die nicht vor ihrer Verantwortung fliehen.
Die die menschliche Würde verteidigen und die nur an der Seite der Wahrheit und Rechtschaffenheit gehen möchten.
Es ist das, was das Leben lebenswert macht.
Ich möchte mich mit Menschen umgeben, die es verstehen, die Herzen anderer zu berühren.
Menschen, die durch die harten Schläge des Lebens lernten, durch sanfte Berührungen der Seele zu wachsen.
Ja, ich habe es eilig, ich habe es eilig, mit der Intensität zu leben, die nur die Reife geben kann.
Ich versuche, keine der Süßigkeiten, die mir noch bleiben, zu verschwenden.
Ich bin mir sicher, dass sie köstlicher sein werden als die, die ich bereits gegessen habe.
Mein Ziel ist es, das Ende zufrieden zu erreichen, in Frieden mit mir, meinen Lieben und meinem Gewissen.
Wir haben zwei Leben und das zweite beginnt, wenn du erkennst, dass du nur eins hast.
Gedicht von Mario de Andrade (San Paolo 1893-1945) Dichter, Schriftsteller, Essayist und Musikwissenschaftler.
Einer der Gründer der brasilianischen Moderne.
14. Jetzt sind sie gepackt, meine siebentausend Sachen. Eigentlich könnte ich jetzt schon losfahren. In anderthalb Stunden könnte ich schon auf der Piazza Grande in Locarno sitzen und mir einen Hugo gönnen. Dass es dieses Getränk auch ohne Alkohol gibt, habe ich erst am letzten Samstag erfahren. Es ergab sich spontan, dass ich mit einem Teil meiner Geschwister und deren Partnern, auswärts zum Nachtessen fuhr. Wie so üblich, wurde mit einem Aperitif gestartet. Die meisten von den Neun Anwesenden bestellten einen Hugo. Doch ich wusste von der Piazza Grande, dass ich dieses Getränk, wie viele andere Aperitif mit Alkohol, nicht mag. Da flüstert mir eine meiner Schwägerinnen zu; Rita, den Hugo kannst du auch ohne Alkohol haben. Er sieht genau gleich aus und merkt kein Mensch. Also, dieses Jahr trinke ich auf der Piazza Grande auch meine Hugos. Vielleicht schon am Donnerstagabend.
Den morgigen Tag werde ich noch mit meinem Mann geniessen. Am Donnerstag heisst es für mich, ab in den Süden. Und mein Mann wird auf seine Harley steigen und auf Tour gehen. Wir hoffen beide auf schönes Wetter und einfach eine schöne Zeit.
15. Liebe Hildegard, Kurz vor den ALS-Ferien im Tessin, hast du dich auf eine andere Reise begeben. Ich denke, diese Reise wird nicht weniger interessant sein als die ins Tessin. Ich wünsche dir eine wunderschöne Reise und hoffe, dass es so sein wird, wie du es dir erträumt hast.
Es ist nicht so einfach, immer wieder von lieben Menschen Abschied nehmen zu müssen. Trotz der Trauer dürfen wir uns darin nicht verlieren. Unser aller Leben ist kurz. Behalten wir die schönen Erinnerungen und freuen uns am Leben.
Die ALS-Familie wird in den Ferien eine Gelegenheit finden, unseren Lieben zu gedenken. Ich denke, es ist in ihrem Sinne, dass wir miteinander Spass haben und eine schöne Zeit miteinander verbringen.
16. Gleich fahren wir los in die Ferienwoche. Wann immer ich Zeit finde, werde ich euch von den Ferienereignissen berichten. Wenn es mir die Ferienteilnehmer erlauben auch gerne mit Fotos untermalen. Das Ferientagebuch findet ihr oben unter TGB ALS-Gruppe-Ferien-Woche 18. (Das Ferientagebuch wird Ende September wieder gelöscht. Ein einfacher Ferienbericht ohne Fotos werde ich Ende August unten anhängen.)
Also nun geht's los. Ich freue mich, die Teilnehmer zu treffen. Piazza Grande, wir kommen.
21. Wie jedes Jahr in der ALS-Ferien-Woche jährt sich auch heute wieder meine ALS-Diagnose und das zum 17 Mal.
23. Leute, ich bin zurück aus den Ferien. Sobald ich mich etwas ausgeruht habe, werde ich den Ferienbericht fertigstellen. Aber nicht mehr Heute. Heute brauche ich mal wieder kräftig laute Musik auf meine Ohren. Mit ihr kann ich von den vielen Ferienerlebnissen runterfahren.
24. Das Ausschlafen heute hat gutgetan. Ich war doch recht müde. Später habe ich die Ferienfotos aussortiert und bearbeitet. Natürlich machte ich auch heute eine Rollirunde. Ich fuhr zum Bauernhof meines Bruders. Dort wurde ich geboren und dort bin aufgewachsen. Ich verlies mein Elternhaus erst bei meiner Heirat. Auf dem Bauernhof wurde ich gleich mit frischen Eiern, Mirabellen und direkt vom Baum gepflückte Zwetschen eingedeckt. Piet wird die Früchte am Sonntag gerne verarbeiten. Morgen haben wir wieder das Familien-Treffen von Piets Familie. Und ich habe soeben das Ferientagebuch fertig gestellt. Jetzt muss ich schlafen gehen. Der morgige Tag wird wieder ein aktiver Tag sein.
26. Gestern fand wieder das Familien-Treffen von Piets Familie statt. Alle zwei Jahre treffen wir uns im August in Wilen bei Wollerau. Elias, ein Neffe von Piet, organisiert die Treffen jeweils mit Unterstützung von Frau und Sohn. Als wir ankamen, wurde der Grill bereits eingeheizt. Es braucht schon eine Menge gutes Holz, um genügend Glut zu erzeugen, für so viele Würste und Grilladen. Walti, ein Bruder von Piet, stellte auch wieder das Dreibein auf und bereitete uns wieder das Beste Safran-Risotto zu. Das Essen mit den vielen mitgebrachten Salaten hat hervorragend geschmeckt. Später bedienten wir uns an den selbergemachten und mitgebrachten Kuchen, Torten, Pasteten, Krapfen. Natürlich durfte ein feiner Kaffee dazu nicht fehlen. Ein schöner, gemütlicher und gesprächsreicher Nachmittag bleibt in Erinnerung. Ich liebe solche Zusammenkünfte!
27. Heute hat auch bei uns der Alltag wieder Einzug gehalten. Piet musste wieder zur Arbeit und meine Pflege und Unterstützung übernahmen wieder meine Assistenzpersonen. Auch hatte ich heute bereits wieder 1 Stunde Physiotherapie bei mir Zuhause. Einen Teil des Nachmittags verbrachte ich am PC. In nächster Zeit habe ich einige Termine, die ich vorbereiten und wahrnehmen muss. Zudem bin ich für den reibungslosen Ablauf vom nächsten ALS-Familie-Stammtisch verantwortlich. Auch stehen noch einige Zusammenkünfte der Gruppe Selbstvertretung Uri auf dem Programm. Bis Ende Jahr habe ich, wenn man meine Krankheit in Betracht zieht, reichlich zu tun. Nächstes Jahr will ich es ein bisschen gemütlicher angehen. Mein Mann und meine Assistentinnen glauben noch nicht recht daran. Fragt sich einfach, ob ich das überhaupt kann und ob mich diese Tätigkeiten womöglich am Leben halten. Mit meinen körperlichen Einschränkungen kann ich nur einen winzig kleinen Bruchteil von dem tun, was ich eigentlich möchte. Ich weiss, vielen meiner ALS-Kollegen geht es ähnlich. Man möchte so viel tun, soviel bewegen, doch die Krankheit ALS bremst jeden von uns aus. Den Einten früher, den Andern später. Trotzdem, wir kämpfen solange, wie es eben geht.
Am späteren Nachmittag habe ich mich dann im Garten gemütlich eingerichtet. Den Rolli natürlich Richtung Sonne gerichtet. Schliesslich ist es um einige Grade kühler als letzte Woche in Locarno.
29. Ich komme nochmal auf meine Aktivitäten zurück. Meine Assistenzpersonen und mein Mann unterstützen mich bei vielen Tätigkeiten. Ohne ihre Hilfe könnte ich die meisten meiner Aktivitäten nicht ausüben. Sie fahren mich zu Terminen und übernehmen ab und an meine Stimme. Damit ich möglichst vieles über den PC erledigen kann, habe ich viele Dokumente in Ordnern auf dem PC gespeichert. Sobald ein Schreiben oder ein anderes wichtiges Dokument per Post kommt, wird mir dies auf den Drucker zum Einscannen gelegt. In den entsprechenden Ordnern abgelegt, habe ich jederzeit alle Dokumente griffbereit und muss niemanden bitten, für mich in einem Ordner zu blättern. Wegen meinen körperlichen Einschränkungen benötige ich für alles viel mehr Zeit, um Sachen zu erledigen. Darum sieht es auch nach mehr Arbeit aus, als es in Wirklichkeit ist. Müsste ich ein A4 Blatt vollschreiben, wäre ich wahrscheinlich fast einen ganzen Tag damit beschäftigt. Ich muss auch immer wieder Pausen dazwischen einlegen. Meine Arme kann ich im Sitzen noch etwa 10 cm hochnehmen. Gerademal um den Joystick am Rollstuhl zu erreichen oder die Hände auf den PC-Tisch zu legen. Meine Fingerfertigkeit, die es braucht, um mit einer Tastatur schreiben zu können, habe ich schon lange verloren. Ich benütze deswegen eine Bildschirmtastatur. Diese bediene ich je nach Kraft und Ort mit der Maus oder mit der Augensteuerung. Ich kommuniziere ebenfalls schriftlich über das Natel. Dieses bediene ich über den Rollstuhl-Joystick. Ich bin sehr froh um diese Hilfsmittel. Sie ermöglichen mir, mich doch noch an Einem oder anderen Ort zu engagieren und meine Interessen eigenständig zu vertreten.
Ich habe nur noch in drei Fingern genügend Kraft, um die PC-Maus zu bedienen. Der linke Zeigefinger, der rechte Mittelfinger, sowie der rechte Ringfinger. Wenn ich mich fest konzentriere, schaffe ich es sogar, den rechten kleinen Finger für einen Rechtsklick zu begeistern. Ansonsten drückt der linke Zeigefinger auf den rechten Zeigefinger, welcher auf der linken Maustaste liegt und gemeinsam lösen sie den linken Mausklick aus. Der rechte Mittelfinger bedient das Mausrad und der rechte Ringfinger drückt die rechte Maustaste. Verspannungen vorprogrammiert. Wenn ich den PC im Bett benutze, was öfters vorkommt, wird mir die Maus mit Klettbändern an die rechte Hand befestigt. Der Mittelfinger bedient dann die linke Maustaste und der kleine Finger die rechte Maustaste. Kompliziert?... einfach mal ausprobieren.
Und jetzt mache ich Pause und fahre endlich zu "meinem" See. Ich liebe diese Fahrten.
31. Wie angekündigt werde ich das ALS-Ferien-Tagebuch 18 mit den Teilnehmer-Fotos Ende September löschen. Den Ferienbericht selbst, werde ich nun hier unten anhängen.
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SEPTEMBER
4. Nachdem ich nun mit Bettflasche an den Füssen und einem Kirschsteinkissen auf der Brust die kühlen Nächte verbrachte, war ich heute um die Sonne sehr froh. Obwohl ich diese Woche eigentlich noch vieles erledigen möchte, lies ich es mir bei dem schönen Wetter nicht nehmen, zusammen mit meiner Assistentin Hildi an den See zu fahren und meine Lieblingsplätze aufzusuchen. Ich glaube, ich konnte Hildi die Schönheit des Reussdeltas näherbringen. Sie hat für mich jedenfalls fleissig auf den Auslöser der Fotokamera gedrückt. Ab all dem Staunen lief uns die Zeit davon. Doch der verlängerte Nachmittag hat mir und sicher auch meiner Assistentin gutgetan.
So und jetzt will ich noch etwas worken.
6. Liebe Kollegen, die ihr wie ich, jeden Tag mit der Krankheit ALS zu kämpfen habt, verliert nicht die Hoffnung und die Freude am Leben.
8. Diese Woche hatte es in sich. Langeweile gehörte bestimmt nicht dazu. Am Donnerstag startete die UR 18 – Urner Wirtschafts- und Erlebnismesse. Da durfte ich schon wegen der Musik, nicht fehlen. Doch nun reicht es auch. Nun bin ich müde. Für den morgigen Sonntag nehme ich mir vor, mal nichts anderes tun, als mich in den Garten zu setzen und die Sonne zu geniessen.
Schön wars halt schon. Ich liebe Live-Konzerte. Vor allem wenn Rock- Blues- Folk- oder Country-Musik gespielt wird. Ich mag auch die Irish-Musik und den Bluegrass. Ich liebe es einfach der Musik zuzuhören. Wenn möglich sehr laut. So können die Vibrationen des Basses auf meinen Körper übergehen. "I like this"
12. Wie vom Wetterbericht für diese Woche angekündigt, gibt der Sommer nochmals zünftig Gas. Mein Mann und ich haben daher beschlossen, diese Tage nicht einfach so an uns und unseren Leidenschaften vorbeiziehen zu lassen. So schwang sich mein Mann gestern schon früh auf seine Harley und machte sich auf zum Schwarzwald. Ich selber wollte eigentlich mit meiner Assistentin Hildi in die Berge. Mit ÖV, Seilbahn und einer Wanderung an einen Bergsee, wollte ich den Tag verbringen. Trotz meinen auffallend roten Hosen habe ich mich dann kurzerhand umentschieden. Ich wollte den Jägern ein wenig Zeit lassen, ihre Augen zu schärfen. Am Montag war gerade erst Jagderöffnung.
Also begab ich mich mit Hildi an den Vierwaldstättersee und bestieg ein Schiff. Nach gut zwei Stunden Fahrt, verliessen wir das Schiff und machten uns zu Fuss und mit Rolli auf den Rückweg. Es war so herrlich, auf dem Uferweg zu wandern. Ich mag den Duft des Sees. Hildi meinte zwar manchmal, es rieche ihr zu sehr nach Fisch. Die Blumen und den blühenden Sträuchern am Wegesrand, vermöchten jedoch immer wieder, die Luft mit wohlriechenden Aromen zu verzaubern.
Ganz weit öffnete ich meine Nasenflügel, sobald wir ein Waldstück mit Nadelbäumen passierten. Dieser Duft geht sehr tief. Er gibt mir das Gefühl von Reinheit, Ehrlichkeit, Beständigkeit, von Schutz.
Nach dreistündiger Wanderzeit bestiegen wir wieder ein Schiff. Dieses brachte uns dann sicher in den Heimathafen zurück.
Wir waren kaum fünf Minuten Zuhause, kehrte auch schon mein Mann wohlbehalten von seiner Töfftour im Schwarzwald zurück.
Es war ein schöner Tag.
16. Juhui, wir haben es geschafft. Die Fotostick von den ALS-Gruppe-Ferien vom August 18, stecken nun in den adressierten Couverts und werden am Montag an die Ferienteilnehmer versandt. Ich habe über 900 zugesandte
Ferien-Fotos gesichtet und diese dann dem Ferienverlauf endsprechend eingereiht. Mein Mann hat daraus eine Dia-Show erstellt und diese mit Musik unterlegt. Wer sich die Dia-Show anschauen will, muss sich Zeit nehmen. Es ist eine einstündige Präsentation entstanden.
Ich bin immer wieder froh, wenn ich wieder eine Sache als zufrieden erledigt abhaken kann. Dank Unterstützung von meinem Mann natürlich. Allein kann ich sowas gar nicht mehr machen.
Wenn ich anderen Betroffenen damit ein wenig Freude in ihren bescheidenen Alltag bringen darf, lohnt sich dieser Aufwand allemal.
20.
Nun – wenn Umkehren unmöglich und Stehenbleiben unerträglich ist, so bleibt kein anderer Ausweg als: Vorwärtsschreiten.
Das ist auch kein so trauriger Ausweg.
(Alessandro Graf Manzoni)
22. Ihr habt vielleicht bemerkt, dass ich den Titel meiner Homepage gewechselt habe. Aus gebrochenem Flügel wurde gestutzte Flügel. Warum der Wechsel. Als ich vor 9 Jahren die Homepage erstellte, suchte ich einen Namen, der meine Situation mit der Krankheit ALS beschreibt? Ich habe mich aber immer wieder am Wort "gebrochene" gestört. Denn ich lasse mich von Nichts und Niemandem brechen. Die Flügel wurden mir allerdings gestutzt. Doch ich warte darauf, dass die Federn irgendwann nachwachsen. In der Zwischenzeit versuche ich einfach, so gut wie eben möglich, mit gestutzten Flügeln zu fliegen.
24. Eigentlich wollte ich den heutigen Nachmittag im Garten verbringen. Schliesslich schien Draussen wunderschön die Sonne. Also öffnete ich mit meiner Rollstuhlsteuerung die Türe zum Garten und fuhr hinaus. Ich erschrak ab der Kälte, die sich sogleich meines Körpers bemächtigte. Trotzdem fuhr ich weiter in den Garten. Plötzlich knackte es unter dem Rollstuhl. Der Weg zum Sitzplatz, so auch der Sitzplatz selbst, war bedeckt mit Baumnüssen. Ein Durchkommen war unmöglich, ohne die Nüsse zu zermalmen. Der Wind in der Nacht muss den Nussbaum kräftig geschüttelt haben. Ich machte dann kehrt. Mein Rolli sollte nicht als Nussknacker fungieren. Dabei erfasste mein Blick die Berge und ich wusste um die Kälte. Ich sah bereits weisse Bergspitzen. Nun ist die Kurze-Hosen-Saison definitiv vorbei. Auf alle Fälle habe ich dann den Nachmittag im warmen Haus verbracht. Langeweile kenne ich auch im Haus nicht. Ich habe immer etwas zu tun. Zurzeit bin ich wieder vermehrt mit der Selbstvertretung Uri beschäftigt. Bis Ende Jahr stehen noch einige wichtige Termine an. Einer davon ist unser Stand am Tag der offenen Tür der SBU, Stiftung Behindertenbetriebe Uri. Da unsere Gruppe noch kein Geld für Equipment hat, wird unser Auftritt klein gehalten. Trotzdem habe ich letzte Woche die Beschriftung für ein Banner entworfen und das Banner auch gleich bestellt. Wahrscheinlich beteiligt sich eine Organisation für Menschen mit Beeinträchtigung, an den Bannerkosten. Nun hoffe ich einfach, dass das Banner gut aussieht und aussagekräftig ist. Diese Woche werde ich weiter Bild und Text für die Flyer zusammenstellen und in Druck geben. Solche Dinge mache ich mit Freude. Ich habe sicher viel länger als andere ohne Beeinträchtigung. Doch spielt das eine Rolle? Hauptsache das Produkt stimmt am Schluss und es kommt beim Publikum an. Wir werden sehen. Wir freuen uns auf alle Fälle auf unseren ersten offiziellen Auftritt. Reden muss ich bei solchen Anlässen zum Glück nicht mehr selbst. Menschen, welche mich nicht kennen, verstehen mich kaum noch. Für die Kommunikation ist neu Jemand anders aus der Gruppe zuständig. Für mich eine grosse Entlastung.
Lieber René, ich weiss nicht wo du dich jetzt aufhältst. Sollte ich mal in deine Nähe kommen, wird mich dein herzhaftes Lachen aber sicher zu dir führen. Mein lieber Freund, ich werde dich vermissen.
OKTOBER
1. Eigentlich wäre ich heute Morgen am liebsten im warmen Bett geblieben. Die nebelverhangenen Berge und die kühlen Temperaturen, haben meine Lust aufzustehen, etwas gebremst. Ich muss mich zuerst mal wieder an die neue Jahreszeit gewöhnen. Ich weiss um die Schönheit des Herbstes. Die warmen Farben der Blätter und die immer noch wunderschön blühenden Blumen, inspirieren mich zum Malen. Es lohnt sich also immer, aufzustehen.
Ich mag Blumen sehr. Am liebsten mag ich jene,
welche am Wegesrande stehen.
Darum pflücke sie nicht und lasse sie stehen.
10. Wie soll ich wieder mit Schreiben beginnen? Mit dem Wetter, wie bei einer unverfänglichen Konversation? Ich schaue nämlich gerade den Wolken zu, wie sie sich aufbauschen und wieder zusammenfallen. Gleichzeitig werden sie vom Luftzug des Föhns über den Himmel gejagt. Da die Sonne den Wolken nicht ausweichen kann, findet ein steter Wechsel von Licht und Schatten statt. Spannend für mich ist es, den Möwen zuzuschauen, wie sie im Flug gegen den Föhn ankämpfen. Hinter der Fensterscheibe lässt sich das alles wind frei beobachten. Ich kann nicht nach Draussen. Die durch den Föhn verursachten Staubpartikel in der Luft, lassen meine Augen tränen und hindern mich daran, im Garten zu sitzen. Dies gibt mir Gelegenheit, wieder mal ein paar Zeilen in mein TGB zu schreiben.
Nicht nur die schönen Herbsttage haben mich vom Schreiben abgehalten. Ich war wiedermal selbstverschuldet, leicht überlastet. Also musste ich Prioritäten setzen und das TGB Schreiben viel der Unwichtigkeit zum Opfer. Besuche bei ALS-Betroffenen sind mir wichtig. Durch diese Kontakte und durch die Gespräche, erfahre ich oft, wo der Schuh drückt. Manchmal kann ich ein wenig helfen oder etwas in die Wege leiten. Aber meistens muss einfach mein Besuch reichen. Zwischendurch finden ALS-Betroffene auch den Weg zu mir. Dies geniesse ich dann auch sehr. Manchmal treffen wir uns auch zu einem Ausflug. Die Kontakte in schriftlicher Form, nehmen durch meine zunehmenden Schreibbehinderung, vermehrt Zeit in Anspruch. Ist aber auch sehr wertvoll, so Kontakt zu halten.
In letzter Zeit stand ich als Selbstvertreterin für die Selbstvertretung Uri vermehrt im Einsatz. Mich für die Interessen und Belange von Menschen mit Beeinträchtigungen einzusetzen, ist für mich eine weitere Herzensangelegenheit.
Ich möchte noch so vieles machen. Doch meine Krankheit ALS bremst mich immer mehr aus. Oft merke ich zu spät, dass ich eine Aufgabe, mit meinen vielen Beeinträchtigungen, gar nicht bewältigen kann. Es frustriert mich, wenn ich meine Ideen, Anregungen, meine Ansichten nicht verständlich wiedergeben kann. Durch meine unverständliche und leiser werdende Lautsprache habe ich an Überzeugungskraft verloren.
Solche Erkenntnisse lassen mich tauchen und ich brauche Zeit, dies wegstecken zu können. Wenn dann noch mein Mann und meine Assistenten meinen, ich hätte zu viel um die Uhren, muss ich wohl einen Gang runterschalten. Eigentlich merke ich es ja selbst, wenn ich mich überfordere. Ich bin dann reizbarer und fange an, an allem und jedem herum zu nörgeln. Und das haben meine Liebsten am wenigsten verdient. Also heisst es für mich runterfahren und Ferien buchen.
15. Ich bin zurzeit auf Kurzurlaub in der Toskana.
18. Er war kurz, aber wunderschön mein Urlaub. Bevor ich euch etwas über die Ferien erzähle, muss ich erstmal meine Ohren mit Musik verwöhnen.
19. Der Ferienbericht: Ich hatte nicht gerade viel Zeit unsere Ferien zu planen. Mein Mann konnte mir wegen seiner Arbeitsstelle, erst eine Woche vor Ferienbeginn das ok geben. Früher stellten diese kurzfristigen Entscheidungen auch kein Problem dar. Wir wären einfach mit der Harley oder mit dem Auto losgefahren. Mit unseren minimalen Ansprüchen hätten wir schon irgendeine Unterkunft gefunden. Heute, unterwegs mit E-Rollstuhl, ist das doch etwas komplizierter. Da reicht eine einfache Unterkunft selten. Ich will ja, dass es mein Mann bei meiner Pflege und meinen Transfers auch bequem hat. Er soll die Ferien genauso geniessen können, wie ich. Das Zimmer und das Bad müssen barrierefrei und genügend gross sein. Für den Süden heisst das für mich, ein vier Stern Hotel zu buchen. Und ich wollte ja nochmals in die Wärme.
Also, das Datum stand fest. Nun ging es darum wie lange. Ganze sechs Tage konnte ich Piet abringen. Für mein Reiseziel die Toskana, eigentlich zu kurz.
Also fing ich an im Netz nach barrierefreien Hotels zu suchen. In Florenz schien mir ein Hotel unseren Anforderungen an Barrierefreiheit, Zentrumsnähe, Parkplatz, guter Ausgangspunkt für Ausflüge, zu entsprechen. Also buchte ich das Hotel mit dem Vermerk, mir die Barrierefreiheit des Zimmers zu bestätigen. Nach vielen Mails und durch das telefonische Eingreifen eines italienisch sprechenden Freundes, bekam ich einen Tag vor Anreise die Bestätigung des Hotels.
Dann am Samstag, die Ankunft beim Hotel. Ein grosses Hotel, eine grosse Treppe, ein kleiner zugedeckter Treppenlift. Hilfsbereites Personal war sogleich zur Stelle und machte für mich den Lift fahrbereit. Ich fahre auf die Plattform, der Lift fährt los, um gleich wieder zu stoppen. Ich bin zu schwer, die Plattform bleibt an der ersten Stufe hängen. Was jetzt? Ich komme weder vorwärts noch rückwärts. Das Personal vermehrt sich, viel Palaver. Wisst ihr was, sag ich zu mir, und fahre einfach seitlich von der Plattform runter.
Nun stehe ich mit dem Rolli aber immer noch unten an der Treppe. Wir werden zum Aufzug beim Hintereingang geleitet. Dieser Aufzug ist jedoch zu klein für meinen E-Rollstuhl. Nun gehts über den Keller zu einem anderen Aufzug. Dort komme ich mit biegen und brechen in den Aufzug. Der fährt aber nur bis zur Lobby. Also, wieder aussteigen und wieder in einen weiteren sehr engen Lift umsteigen. Dann endlich, im 4. Stock angekommen. Leider hatten wir noch keine Zimmerkarte. Piet, den Lift meidend und die Treppe nehmend zur Rezeption und wieder zurück. Endlich im Zimmer. Das Zimmer ist genügend gross, ebenso das neu renovierte Bad. Dann meine Frage zu Piet: "Willst du heute noch in die Altstadt. Seine Antwort: "Nein, ich hatte für Heute genug Action." Er konnte ja nicht ahnen, dass das noch nicht alles gewesen ist.
An den folgenden Tagen führte uns jeweils ein Page über den Keller nach Draussen und später auch wieder ins Hotel.
Am nächsten Tag besuchten wir Museen, Kathedralen und andere Sehenswürdigkeiten, von denen es zuhauf in Florenz gibt. Ein imposanter Ort.
Wieder zurück im Hotelzimmer, mussten wir mit Erstaunen feststellen, dass all unsere Sachen weg waren. Piet wieder zur Rezeption. Die konnten sich das nicht erklären. Nach einigen Telefonaten wurden unsere Sachen in einem Zimmer im ersten Stock gefunden. Irgendwer von der Rezeption wollte uns wegen dem engen Lift, etwas Gutes tun und dachte, es wäre für uns weniger schlimm, im engen Lift nur ein Stockwerk hochzufahren. Sie dachten nicht daran, dass, wenn ich einmal im Lift bin, die Stockwerkanzahl nun gar keine Rolle spielt. Leider hat sie es versäumt, ihren Kollegen über den Zimmerwechsel zu informieren. Nach einer geschlagenen Stunde brachten gleich vier Pagen unsere Sachen wieder ins alte Zimmer zurück. Diese Nacht war für uns wenigsten gratis.
Das Hotel mit der grossen Lobby war sehr schön. Am Morgen war sie allerdings von Asiatischen Touristen überfüllt. Gruppenweise wurden sie zu den geführten Touren abgeholt. Am ersten Tag haben wir uns einfach solchen Fähnchen-Gruppen angehängt. Als Rollstuhlfahrende Person und als Begleitperson hat man sehr viele Privilegien in Italien. So auch in Florenz. So mussten wir bei den Museen, Kathedralen usw. nie Anstehen. Wir durften an den langen Kolonen vorbeifahren und uns die gratis Billette abholen. Das hat die wartende Menge nicht mal gestört. Nein, sie waren sogar hilfsbereit und freundlich.
An zwei Tagen unternahmen wir Ausflüge aufs Land. Einmal fuhren wir in die Gegend wo Ackerbau betrieben wird und einmal folgten wir der Chianti-Strasse. Die eine Gegend staubtrocken, die andere mit grünen Oasen. Beide haben ihren ganz besonderen Reiz. Unglaublich schön. Ich weiss jetzt schon, ich komme wieder.
Trotz einigen Anfangsschwierigkeiten waren die Ferien wunderschön und ich werde den ganzen Winter davonziehen können.
21. Die Meteorologen haben den Wintereinbruch für nächste Woche prophezeit. Deshalb haben mein Mann und ich heute beschlossen, nochmals eine Ausfahrt über den Sustenpass zu machen. Der Sustenpass mit seinen 2260 m.ü.M ist einer der ersten Pässe in Uri, welcher geschlossen wird. Die meisten Leitplanken wurden bereits entfernt und die Schneefräsen stehen in Startposition. Die Passlandschaft präsentierte sich heute in ihrem prächtigsten Herbstkleid und die Berge strahlten durch die Sonne.
23. Ich glaube bald, die Aufzüge haben sich gegen mich verschworen. Gestern nahm ich als Vertreterin der Selbstvertretung Uri an der Sitzung von KoBUR (Konferenz für Behindertenfragen Uri) teil. Als ich am späteren Abend nach Hause komme, fahre ich ins Haus und fahre mit dem Plattformlift zum ersten Stock hoch. Kurz bevor ich oben ankomme, knallt es laut und der Lift stoppt aprupt. Ich erschrecke mich so, beinahe hätte ich die Balance im Rollstuhl verloren. Piet hat den Knall natürlich auch gehört und sieht sofort das Problem, welches nun auf uns zu kommt. Wie bringt er mich mit dem Rollstuhl vom Lift runter. Es geht nämlich gar nichts mehr. Weder vorwärts noch rückwährts. Kommt mir irgendwie bekannt vor und ich muss loslachen. Piet findet das hingegen weniger lustig. Er muss über mich, den Rollstuhl und den Lift klettern, um Werkzeug aus dem Keller zu holen. Bewaffnet mit diversem Werkzeug, Brett und Rampe, muss er wieder über alles rüber klettern. Irgendwann gelingt es meinem Mann, den Lift soweit zu bringen, dass ich mittels Rampe von der Plattform fahren kann. Damit wars aber noch nicht gelöst. Mein Schlafzimmer befindet sich im zweiten Stock. Das heisst, zwei Treppen höher. Das ist auch mit dem Manual-Rollstuhl nicht zu schaffen. Also muss ich mir einen anderen Schlafplatz suchen. Zum Glück haben wir vor Jahren einen bequemen Fernsehsessel zugelegt. Der muss für diese Nacht als Schlaflager dienen.
Heute und auch Morgen werde ich das Haus nicht verlassen können. Die Reparatur an den Seilen dauert bis Mittwochabend. Ich hoffe schon, ich kann nochmal raus, bevor der Schnee kommt. Auf alle Fälle gibt’s wieder eine Nacht im Fernsehsessel. Hoffentlich kommt wenigstens ein guter Krimi.
Ich hoffe, die Aufzüge hatten jetzt dann genug Spass mit mir und befördern mich bald wieder ordnungsgemäss.
28. Jetzt ist mir klar, warum mir gestern bei einer Veranstaltung den ganzen Tag kalt war. Pünktlich zur Winterzeit Umstellung hielt der Winter Einzug.
NOVEMBER
4. Liebe Leserinnen und Leser meiner Tagebucheinträge
Zuerst die Mitteilung, dass es mir immer noch sehr gut geht. Auch nach 17 Jahren ALS auf dem Buckel. Trotz all den Einschränkungen, welche diese Krankheit mit sich bringt, liebe und geniesse ich mein Leben nach wie vor.
Vor etwas mehr als 9 Jahren habe ich angefangen, meine Homepage aufzubauen. Der Grund, meine ALS-Erkrankung. Ich wollte dieser Krankheit ein Gesicht geben, mein Gesicht. Seither habe ich in Tagebuchform über meinen Alltag mit der Krankheit ALS berichtet.
In letzter Zeit viel es mir immer schwerer, Beiträge zu verfassen. Einerseits bereitet mir das Schreiben auf dem PC immer mehr Mühe und andererseits haben mir Ereignisse in diesem Jahr, sehr zugesetzt.
Ich musste in der letzten Zeit viele langjährige ALS-Freunde ziehen lassen. Wir waren eine richtig gute Gruppe.
Ich habe mich immer gerne für ALS-Betroffene und ihre Angehörigen eingesetzt. Warum, weil ich ihre Verzweiflung, ihre Ängste spüre. Ich fühle mit ihnen, sie sind wie ich.
Es hat mich immer mehr frustriert, sie nicht besser unterstützen zu können. Ich bin müde geworden, auf taube Ohren zu treffen. Die Mühlen zur Verbesserung der Lebensqualität von ALS-Betroffenen laufen viel zu langsam.
ALS-Betroffene und ihr Umfeld brauchen Personen, die voller Zuversicht voranschreiten und das gelingt mir nicht mehr so recht.
Ich möchte mich etwas aus der Öffentlichkeit zurückziehen. Ich lege Ende Jahr eine Schreibpause ein. Wie lange und ob ich die HP gar ganz schliesse, weiss ich jetzt noch nicht. Aber, so wie ich mich kenne, werde ich sicher wieder etwas von mir hören lassen. Irgendwie, irgendwo, irgendwann. Vorerst noch hier und weiterhin auf FB.
Ich danke euch für all die vielen liebenswerten und positiven Feedbacks, welche ihr mir auf irgendeine Weise in all den Jahren, zukommen lassen habt.
7. Wie könnte ich anders als mich über die Sonne zu freuen, die mir heute wieder einen warmen Herbsttag gebracht hat. Der Nebel, der die Sicht zu den Bergen trübte und der Föhn, der die Blätter tanzen lies, haben sich verabschiedet. Zurück bleiben wunderschön bunte Blätterhaufen. Interessant, so einen Haufen näher zu betrachten. So unterschiedlich die Formen der Blätter sind, so auch ihre Farben sind. Ich entdecke in den Haufen auch Blätter, die meinem Garten fremd sind. Sie liegen entspannt in den Haufen. Das nennt sich wohl Inklusion.
8. Wie wunderschön doch "unsere" Natur auf Erden ist. Ich schaue und staune.
Herbstwald
Sommerabschied Farbentraum,
Augenweide jeder Baum.
Herbstfarben leuchten bunt im Sonnenschein
und die letzten Sonnentage leiten sanft den Winter ein.
Der Wind noch mild, wird langsam kalt, Wintertage kommen bald.
Mit freundlicher Genehmigung der Autorin“ © Elvira Christina Westphal
15. Nun ist wieder die Jahreszeit, in der ich es etwas ruhiger nehme. Die Sonnenstrahlen sind nicht mehr so warm und können mich nicht mehr jeden Tag aus dem Haus locken. Seit meiner ALS-Erkrankung habe ich schnell kalt. Also muss ich mich in den Kältemonaten dick anziehen. Das mag ich gar nicht. Ich fühl mich dabei so eingeengt, so unfrei. So bleibe ich lieber in der warmen Stube. Der Schein der brennenden Kerzen vermittelt mir die Wärme von Sonnenstrahlen. Ich bemerke jedoch bereits den Sonnenentzug. Ich bin müder als sonst und schlafe mehr. Nun habe ich wieder mit der Einnahme von Vitamin D3 Tropfen begonnen. Ausserdem habe ich letzte Woche auch wieder die Grippeimpfung gemacht. So hoffe ich, komme ich gut durch den Winter.
Nun, da ich nicht mehr hinter jedem Sonnenstrahl nachfahre, habe ich wieder mehr Zeit für andere Dinge. So z.B. für Besuche. Heute hatte ich gleich zweimal Besuch und für Morgen hat sich auch schon Besuch angemeldet. Ich mag es, liebe Menschen um mich zu haben. Das kommt vielleicht daher, dass ich in einer Grossfamilie aufwachsen durfte. Die meisten meiner 8 Geschwister (4 Schwestern + 4 Brüder) wohnen bei mir in der Nähe. Auch mein Mann kennt das Leben in einer Grossfamilie. Auch er hat 8 Geschwister (6 Schwestern + 2 Brüder). Die meisten leben heute in der Ostschweiz. Da bieten Familienfeste, wie vor zwei Wochen, eine gute Gelegenheit, mal wieder alle zu sehen.
16. Wenn ich am PC sitze läuft immer Musik im ......... nein eben nicht im Hintergrund, sondern im Vordergrund. Der Lautstärkenregler steht bei mir schon recht weit oben. So höre ich weder die Hausglocke noch das Öffnen der Türe. Umso mehr erschrecke ich, wenn plötzlich Jemand im Zimmer steht. Dann rufe ich erstmal aus. "Gades diär eigentlich nu, mich so z'verchlipfä". / Geht es dir eigentlich noch, mich so zu erschrecken. Mein Mann macht sich zwischendurch mit Lichtzeichen bemerkbar, indem er Licht ein und ausschaltet. Ja, das Leben mit mir ist eine Herausforderung.
Halte ich mich hingegen im Freien auf, gibt es für mich nichts Schöneres, als der Musik der Natur zu lauschen. In unterschiedlichen Tonlagen, Lautstärken und Tempi singen Vögel Lieder. Je nach Bewegung in der Luft, rauscht es in den Bäumen oder es raschelt im Unterholz. Es sind so viele Laute in der Natur. Es lohnt sich, einfach mal still zu sein und sich auf die Musik der Natur zu konzentrieren.
17. Jetzt muss ich euch, zum gestrigen Thema Musiklautstärke, schnell was berichten. Ich muss immer noch schmunzeln, wenn ich dies vor Augen habe.
Damit es mein Mann am Samstagmorgen gemütlich nehmen kann, kommt bei mir die Spitex für die Pflege vorbei. Demzufolge stehe ich auch früher auf und vertreibe mir die Zeit am PC. Und ja natürlich mit Musik in meiner gewohnten Lautstärke. Plötzlich bemerke ich an der Türzarge, wie sich ein Arm langsam ins Zimmer vorarbeitet. Dann erscheint mein Mann im Ganzen. Mit den Fingern zeigt er zuerst zum geöffneten Mund und danach umkreisen sich die beiden Arme. Natürlich habe ich verstanden und nicke ihm lachend zu. Wer hätte keine Freude, wenn der Mann Gipfeli holen geht. Aber warum Zeichensprache. War mein Sound etwa wieder mal zu laut?
18. Wir sind etwas Wunderbares, das unsere Erde hervorgebracht hat. Ich bin so dankbar, auf dieser Erde leben zu dürfen.
20. Liebe Brige, ich wünsche dir, dass deine Reise zum Ort des Friedens wunderschön sein wird.
Brige hat dem Leben, trotz der Krankheit ALS, noch so viel Schönes abgewinnen können. Sie hatte viele Flausen im Kopf. Wenn wir uns trafen, blieben unsere Augen nie lange trocken. Wir haben so oft zusammen gelacht.
Ich werde dich vermissen liebe Freundin.
Wenn auch die Menschen sterblich sind, die ich liebe, es ist doch das Unsterbliche, was ich an Ihnen vor allem liebte.
Franz von Sales 1567-1622
23. Und immer wieder stehe ich auf und mache weiter.
24. Mit grossen Schritten gehen wir auf Weihnachten zu. Die Nachbarshäuser sind bereits festlich geschmückt. Doch bei mir lässt die Freude auf das Lichtermeer auf sich warten.
Früher, als ich im Verkauf tätig war, musste ich mich schon im Frühling mit Weihnachten beschäftigen. Bei der Frühlingspräsentation wurde uns in der Zentrale, die jeweiligen Weihnachtsthemen und das entsprechende Warensortiment vorgestellt. Im September wurde die Ware an die Warenhäuser ausgeliefert. Ich kann mich noch gut an die vollgestellte Annahme und die vollgestopften Lager erinnern. Jede noch so kleine Ecke war ausgefüllt. Besser wurde es um den 10. Oktober. Da wurde mit dem Papeterie-Weihnachtsaufbau auf der Verkaufsfläche begonnen. «Gschänkpapier, Gschänkschachtlä und Schächtäli, Gschänkbändäli i unterschiedlichä Breitänä und unterschiedlichä Farbä». Papeterie- und Wohnaccesoires in Geschenkverpackung, wurden gekonnt arrangiert, um Kunden zum Kauf zu animieren.
Eine Woche später, an einem Sonntag, wurde dann der Baumschmuck aufgezogen. Das war die Promotion des Jahres, welche mir am meisten Freude bereitet hat. «Chugäli, Stärnli, Cherzli, Lämpli, Latärnli, Chripä und Chrippäfigürä. Am Abend haben wir jeweills alle irgendwie gefunkelt. Sei es vom Glimmer, welchen wir von der Ware abbekommen haben, oder von der Vorfreude auf Weihnachten.
Das war jedoch noch nicht der vollständige Aufbau. Als Abteilungsleiterin trug ich die Verantwortung über viele unterschiedliche Rayons. So kamen mit den Damen- Herren- Kinder- Baby- Lingerie- Accessoires- Reise- Papeterie- Bijouterie- Parfümerie Rayons, jeweils noch weitere Aufbauten hinzu. Während sich die Lingerie mit verführerischer Unterwäsche präsentierte, versuchte die Parfümerie die Kundschaft mit Schwämmchen, Cremchen und Wässerchen zu betören.
Ich habe diese Zeit geliebt. Ich habe das Arbeiten geliebt.
Vielleicht kommt bei mir in ein, zwei Wochen doch noch Weihnachtsstimmung auf.
Piet hat nun heute auch bei uns die Aussendekoration installiert. Wenn sie dann am 1. Advent eingeschaltet wird, wird es mir vielleicht doch noch warm ums Herz.
25. In der Schweiz ist heute wieder ein Abstimmungssonntag. Unteranderem wird darüber abgestimmt, ob Versicherungen Spione einsetzen dürfen, um Bezüger von Versicherungsleistungen zu observieren, ob diese Leistung, z.B. Invaliden-Renten, zu Unrecht beziehen. Klar muss Versicherungsbetrug aufgedeckt werden. Jedoch nicht auf die Weise, wie es im Abstimmungsbüchlein steht.
Inzwischen dürften die Abstimmungslokale geschlossen sein. Ich bin sehr gespannt auf das Abstimmungsresultat, welches am späteren Nachmittag zu erwarten ist.
Ich bin sehr froh, dass in «unserem» Land, die Bürger über solche Entscheidungen abstimmen und somit bestimmen können.
Nun warte ich gespannt auf zwei Abstimmungsresultate, welche mir sehr am Herzen liegen.
Das Schweizervolk hat sich für die Versicherungsspione entschieden. Es ist ein demokratisch gefällter Entscheid, den ich akzeptieren muss. Ich bin nun gespannt, wie lange es dauert, bis auch die Krankenkassen ihre Spione einsetzen werden. Wir bleiben jedenfalls dran und BEOBACHTEN!
27. Der Schnee hat sich in der vergangenen Nacht weit ins Tal vorgearbeitet. Die Bäume im Tal tragen aber noch immer einige Fetzen ihres wunderschönen Herbstkleides. Ich selbst spüre den Winter nahen. Trotz der Einnahme der Vitamin D 3 Tropfen hinterlässt der Sonnenentzug, spuren. Ich bin mitunter derart müde, dass ich gleich im Rollstuhl einschlafen könnte. Was ich gestern und heute auch gemacht habe. Ich bin es eigentlich nicht gewohnt, unter Tag zu schlafen. Ich brauche dieses Jahr wohl etwas länger, mich mit dem Winter einzulassen. Ich weiss, wenn die ersten Schneeflocken vor meinem Fenster auftauchen, kommt auch bei mir Winterfreude auf.
30. Heute In Gedanken bei all meinen lieben verstorbenen ALS-Freunden und ihren lieben Angehörigen. Ihr seid in meinem Herzen.
DEZEMBER
1. Es war ein emotionaler Monat. Es war eine anstrengende Woche.
Auch wenn ich kräftemässig an meine Grenzen gestossen bin, so bin ich über mein Engagement, für andere Menschen da zu sein und für sie zu kämpfen, froh. Es gibt mir das Gefühl, trotz meinen vielen körperlichen, wie lautsprachlichen Beeinträchtigungen, etwas Sinnvolles zu tun.
Heute konnte ich zu mir sagen: Rita, dein Mantel mag einfach gestrickt sein und Geschehnisse in deinem Leben haben Spuren auf ihm hinterlassen. Durch viele gelebte Erfahrungen ist dein Mantel inzwischen bunt und facettenreich geworden. Ausserdem wärmt und schützt er dein Herz, deine Seele. Trage deinen Mantel mit Stolz. Nur du passt hinein. Er gehört dir. Das bist du und das ist gut so.
Ja, wenn das so ist, brauche ich mir vorläufig keinen neuen Mantel zuzulegen. Der Alte erfüllt meine Ansprüche.
Der Winter und die Weihnacht können kommen. Ich bin bereit.
2. Heute am 1. Advent brennt nicht nur die erste Kerze auf dem wunderschönen, von meiner Schwester Bernadette kreierten Adventsgesteck, auch die Aussendekoration haben wir heute, zum Einzug des Nikolaus, eingeschaltet. Jetzt fehlt im Tal nur noch der Schnee. Erst dann wird es richtig "heimelig". Der Anfang ist jedenfalls schon mal geglückt.
6. Eigendlich wollte ich wieder einen Tagebucheintrag machen. Nur, meine Finger zicken Heute so herum, dass ich nur mit viel Geduld, die ungewollten Doppel-, und Falschbuchstaben löschen kann. Die Augensteuerung bereitet mir noch Mühe, auf meiner Homepage zu navigieren. Ich habe Gestern, so auch heute Vormittag, so viel schriftlich kommuniziert, dass die Kraft in den Fingern fast aufgebraucht ist und Ruhe brauchen.
Also, bald könnt ihr wieder etwas von mir lesen.
23.00 Da heute der Samichläusabig / Abend des Nikolaus ist, will ich versuchen, trotz meinen noch immer kribbeligen Fingern, ein paar Sätze zum heutigen Tag zu schreiben.
Heute Morgen habe ich mich unbewusst für einen feuerroten Pullover entschieden. Mir ist erst ein Licht aufgegangen, als mich meine Assistentin nach einer Nikolausmütze fragte.
Bei der Pflege fragte sie dann, ob bei mir der Nikolaus auch vorbeikommen würde. Worauf ich erwiderte: Bin ich ein Kind? Sie: Nein aber… Pause. Ich: Bin ich alt? Sie: Nein aber … Pause. Ich: Nein ich bin auch nicht krank.
Später, als sie den Deckel auf die Tagescremetube schraubt und mich dabei betrachtet, meint sie zu mir: Siehst gleich fünf Jahre jünger aus. Ich, blitzschnell, fange an zu rechnen. Ich zu ihr: Dreh die Tube wieder auf und sag mir, bis zu welchem Kindesalter kommt nochmal der Nikolaus vorbei? Alt konnte ich mich ja jetzt nicht mehr machen.
Lachanfall auf beiden Seiten. Und wenn ich mal in Fahrt bin, ist der Transfer in den Rollstuhl schwierig. Meine Assistentin zu mir: Ich transferiere dich erst, wenn du aufgehört hast zu lachen. Einfach gesagt, schwierig zu befolgen. Schlussendlich schaffte ich es dann doch, böse Miene zum lustigen Spiel zu machen.
8. Ja, mein Lachen, es hat mich schon in unmögliche Situationen gebracht. So auch vor anderthalb Wochen bei einem Kinobesuch. Der gezeigte Film, handelt von Beziehungen / Liebesbeziehungen zwischen Menschen mit und ohne körperliche oder geistige Behinderung und wie das Umfeld darauf reagiert. Trotz aller Tragik kamen der schwarze Humor und die lustigen Szenen nicht zu kurz. Mitunter musste ich wieder so lachen, dass mir meine Physiotherapeutin, meine Begleitperson an diesem Abend, die herunterkullernden Tränen wegwischen musste. Auch eine Kollegin aus der Selbstvertretergruppe, welche sich mit ihrem Rollstuhl neben mich gestellt hat, hat mich mit ihrem Lachen angesteckt. Ich durfte eine Zeitlang nicht mal mehr in ihre Richtung schauen, sonst hätte ich mit dem Lachen gar nicht mehr aufhören können. Ich hatte mir auch schon einen Fluchtweg ausgesucht, konnte mich dann aber doch beruhigen. Nach der Vorstellung klopfte mir doch prompt Jemand auf die Schulter und meinte; sie hätte mich schon Lachen gehört. Dabei hatte ich mich doch so zusammengerissen.
Ich liebe Komiker. Leider ist es mir nicht möglich, an ihren Vorstellungen teilzunehmen. Ich muss über manche Szenen so lachen, ich kriege mich kaum noch ein. Für mich nicht lustig, denn ich bekomme dann kaum noch Luft. Für die anderen Besucher nicht lustig, denn sie werden durch mich abgelenkt.
Also gibt’s bei mir die Komiker nur über TV und mit einer Person, die mit Taschentüchern in der Hand, neben mir sitzt.
Auch wenn mich Ereignisse im Leben traurig stimmen, so habe ich mein Lachen nie verloren.
9. Gestern schwelgte ich in früheren Zeiten. An Zeiten, in denen ich an Wochenenden noch öfters im "Ausgang"
war. In Discotheken tanzte und Rock - Veranstaltungen besuchte. Die Musik von Jethro Tull habe ich aus dieser Zeit mitgenommen. Gestern Abend besuchte ich nun ihr Konzert zum 50. -jährigen Bestehen. Im Laufe der Jahre, gab es immer mal Wechsel bei den Bandmitgliedern. Ian Anderson, der Kopf der Band, steht aber nach wie vor wie eine Eins auf einem Bein. Das Konzert war der Hammer. Das Bühnenbild, die Videos, die während der Show gezeigt wurden, waren sehr gut gemacht. Die Lichtshow, mal hell und grell, mal warm und bunt wie zur Zeit der Joints. Irgendwoher kam dann auch prompt ein Duft von Gras daher. Kurz mal eine Nase voll nehmen und die alten Zeiten sind wieder präsent. Das Durchschnittsalter der Konzertbesucher schätze ich mal auf 55 Jahre. Auch die zahlreichen rollstuhlfahrenden Konzertbesucher waren plus, minus in meinem Alter. Wir Rollstuhlfahrenden wurden an diesem Abend vorbildlich betreut. Kaum betraten wir das Foyer, kam auch schon eine Frau auf uns zu und stellte sich als Betreuerin der rollstuhlfahrenden Konzertbesucher vor. Sie hat uns alles gezeigt, wie Lift, Essen- und Getränkestände, Lift, Toiletten und begleite uns an den Sitzplatz. Während dem Konzert kam sie des Öftern vorbei, um zu fragen, ob alles gut sei, ob wir etwas benötigen. Ich glaube, ich war noch nie an einer Veranstaltung, wo so viel Wert, auf die optimale Betreuung von Menschen mit Beeinträchtigungen gelegt wurde.
Kompliment an den Veranstalter. Kompliment an Samsung Hall Zürich. Ich komme wieder, auch wenn ich beim Einlass, wie viele andere Besucher ebenfalls, gefilzt wurde. Ich bin jedoch froh, um die erhöhten Sicherheitsmassnahmen. Der nächste Konzertbesuch - Boss Hoss - ist schon gebucht.
Beim letzten Stück "Locomotive Breath" stand auch der letzte Konzertbesucher auf. Die Menge tobte und wir, die Rollstuhlfahrenden, standen ihnen in nichts nach. Während die grosse Masse die Beine bewegte, bewegten wir unsere Köpfe. Spastik vorprogrammiert. Doch das wars wert.
13. Seit meiner eigenen chronischen Erkrankungen, die mich zwingt, meinen Lebensweg mit einem Rollstuhl zu bewältigen, musste ich mich vielen Herausforderungen stellen. Zuerst aus eigenen Bewegründen, fing ich an, mich über Belange von Menschen mit Beeinträchtigungen zu interessieren. In dieser Zeit kam ich mit Menschen in Kontakt, welche sich tagtäglich, gleichen oder ähnlichen Herausforderungen stellen müssen.
Vor gut zwei Jahren, wählten zwei Absolventinnen der HSLU - Soziale Arbeit, für ihre Projektarbeit, das Thema Selbstvertretung. Die Idee; im Kanton Uri eine Gruppe von Selbstvertreterinnen und Selbstvertreter aufzubauen. Hierfür wurde ein Informationsveranstaltung durchgeführt. Menschen mit Beeinträchtigungen, Organisationen und Behördenmitglieder nahmen daran teil. Das Interesse war da, doch niemand war bereit, eine solche Gruppe aufzubauen. Ich, als bisherige Einzelkämpferin, erkannte sogleich den Sinn und Nutzen einer solchen Gruppe. Ich erklärte mich bereit, den Versuch zu wagen, eine solche Gruppe aufzubauen.
Von den zwei Absolventinnen wurde ich an sechs Nachmittagen mit dem Thema Selbstvertretung vertraut gemacht. Zusammen erarbeiteten wir einen Leidfaden.
Seit zwei Jahren bin ich, inzwischen WIR, mit dem Aufbau der Gruppe Selbstvertretung Uri beschäftigt. Wir sind immer noch Wenige, trotzdem konnten wir schon einiges in Bewegung setzen. Ich freue mich immer, wenn wir wieder kleine Schritte erzielen können.
Wir wollen Menschen mit Beeinträchtigungen ermutigen, sich, im Rahmen ihrer Möglichkeiten, für ein selbstbestimmtes Leben einzusetzen. Wir fordern sie auf, ihre Ideen und Wünsche in die Gesellschaft einzubringen.
Selbstvertretung soll weiter, auch in Institutionen zur Selbstverständlichkeit werden.
Eigentlich wollte ich mich im nächsten Jahr etwas zurücklehnen. Doch nun steht wieder ein spannendes Projekt an. Bei diesem anspruchsvollen Unterfangen helfe ich mit meinen Selbstvertreter Kolleginnen und Kollegen natürlich gerne mit.
15. Eine flockig weisse Schicht hat sich über Nacht über die Landschaft gelegt. Was für ein wunderschönes Bild. Die Sonne scheint auf die Berge und lässt den Schnee leuchten. Wie schön doch unsere Jahreszeiten sind. Ich liebe diese Erde. Ich bin so glücklich, hier sein zu dürfen. Ich liebe das Leben.
18. Wenn ich auch viel mehr lache als weine, so bin auch ich traurig und es kullern Tränen über meine Wangen. Manchmal lösen Erinnerungen an verstorbene Menschen und Freunde, diese Traurigkeit aus. Dieses Jahr musste ich mich auch wieder von einigen von ALS-Betroffenen Freunden verabschieden. Das Gefühl, von ihnen verlassen worden zu sein, lässt Leere zurück. Ich weiss aber, wie gerne sie länger gelebt hätten. Die Krankheit ALS lies ihnen jedoch keine Chance.
Liebe Freunde, ich weiss nicht wo ihr jetzt seid. Ich wünsche mir zum Jahresende, dass ihr dort seid, wo ihr immer mal hinwolltet.
20. Mein Mann, ein überaus geschickter Handwerker, hat in den vergangenen Jahren schon einige Hilfsmittel für mich hergestellt. So hat er z.B. einige Hausinnentüren für mich bedienbar gemacht. Er hat sie mit Rollschlössern versehen. Damit kann ich mit den Rollstuhlrasten die Türen von aussen aufstossen und von innen zustossen. Damit ich die Türe von innen öffnen kann, hat mir mein Mann je eine Lederlasche an der Innentür befestigt. So kann ich mit meinem noch aktiveren Fuss, die Türe aufziehen. Warum haben wir die Türen nicht automatisiert? Das Haus, das wir bewohnen, ist das Elternhaus meines Mannes. Es wird auf ca. 120 Jahre geschätzt. Das Baujahr ist leider nirgends verzeichnet. Die echten Stuckaturen, welche in einigen Zimmern die Decken zieren, sind zeitzeugen. Wir wollten dem Haus sein Innenleben lassen. Das und finanzielle Aspekte haben uns in jungen Jahren bewogen, das Haus nicht auszuhölen, sondern nur sanft zu renovieren. Das heisst, bei uns gibt es leicht schiefe Böden und Wände. Der Einbau von automatisierten Türen wäre aufwändig und teuer gewesen. Wie so oft suchte mein Mann nach einer Alternative. Bis jetzt hat sich dieser Türmechanismus jedenfalls bewährt.
Ich roch es schon gestern Abend durch meine Zimmertür und erst recht heute Morgen, als ich meine Zimmertüre mit dem Fuss aufzog. Das ganze Treppenhaus roch nach Weihnachten. Tannenduft lag in der Luft.
Bevor ich jedoch mit dem Treppenlift eine Etage tiefer fahren konnte, musste ich mich für die Morgenpflege, in die Hände meiner Assistentin begeben. Dabei war heute zusätzlich Haare tönen angesagt. Schliesslich gehört Silber Lametta an den Weihnachtsbaum und nicht auf meinen Kopf. Und für Engelshaare reicht es leider noch nicht.
Nach einer Ewigkeit konnte ich endlich mit dem Fuss die Wohnzimmertüre aufstossen. Und da stand er, ein Hüne eines Baums. An die 2 Meter hoch, mit einem riesigen Durchmesser. Mein Mann bringt jedes Jahr einen schönen Tannenbaum nach Hause. Doch dieses Jahr... ich habe noch nie einen schöneren Weihnachtsbaum gesehen. Und wie er geschmückt ist, einfach wunderschön. Mein Mann hat sich selbst übertroffen, als er gestern Abend, als ich schon im Bett lag, den Tannenbaum in einen Weihnachtsbaum verwandelte. Diesen Baum und diesen Mann gebe ich nicht so schnell her.
24. Meine Lieben Homepagebesucher. Heute, am 24. Dezember habe ich im letzte Adventsfenster eine kleine Überraschung für euch hinterlegt. Wenn ihr Wissen wollt, was sich hinter dem Fenster verbirgt, dann drückt einfach auf den Fensteröffner und schaut was passiert. Ich hoffe, ich kann euch mit diesem Weihnachtsgeschenk eine kleine Freude bereiten. Schöne Weihnachten!
F E N S T E R Ö F F N E R
26. Neben meinem vielen, kaum zu stillenden Lachen und neben meinem wenigen, aber intensiven Weinen, wäre da noch meine immer unverständlichere und leise werdende Stimme. Mir war bereits im Frühen Krankheitsstadium bewusst, sollte sich die Krankheit meiner Stimme bemächtigen, hätte ich zu kämpfen. Nun ist es soweit. Ich werde immer weniger gut verstanden und was ich noch schlimmer finde, ich werde falsch verstanden. Ich habe so gerne über alles Mögliche diskutiert. Ich habe mich nicht versteckt und meine Ansichten offen mitgeteilt. Durch gute Argumentation konnte ich ab und an Menschen zum Nachdenken bewegen. Ich habe es geliebt, mit klug gewählten Worten, Menschen friedlich zu stimmen. Das Gesprochene mit Beiwörtern auszuschmücken, liebte ich. Die Worte erwachen erst richtig zum Leben, wenn sie mit den entsprechenden Tonlagen, Tempi und Lautstärken untermalt werden. Dies immer weniger zu können, macht traurig,
Bei meinem Weihnachtsclip wollte ich eigentlich mit meiner eigenen Stimme sprechen. Als ich mir den ersten Videoclip ansah, erschrak ich selbst ab meiner Stimme. Durch das häufige Nachfragen durch mein Gegenüber, wusste ich, wie es um meine Aussprache steht. Ich wusste jedoch nicht, wie sich der Ton meiner Stimme verändert hat. Mich so sprechen zu hören, war schlimm für mich. Ich dachte, das bin nicht mehr ich. So will ich nicht gehört werden. So sage ich lieber nichts mehr und bleibe von jetzt an stumm.
Ich hatte mir jedoch vorgenommen, mich weiter für die Belange der Menschen mit Beeinträchtigungen und insbesondere für ALS-Betroffene zu engagieren. Am andern Tag haben wir dann erneut einen Clip mit meiner eigenen Stimme und meiner elektronischen Stimme aufgenommen. Dabei habe ich mich für die Bündner-Dialekt-Stimme entschieden. Zu Testzwecken wurde mir diese Stimme von der Firma Slowsoft auf meinen Sprachcomputer installiert. So macht das Sprechen auch wieder mehr Spaß. Gerne würde ich natürlich mit meinem eigenen, dem Urner-Dialekt sprechen. Ob ich mit diesem Dialekt auch verstanden würde, ist dann wieder etwas anderes.
Also, tief Luft holen - das kann ich ja noch gut - und weiter im Text
28. Heute gabs keinen Ausflug in den Schnee. Ich hatte zu arbeiten. Als Assistenznehmerin bin ich zur Arbeitgeberin mit Pflichten und Rechten geworden. Als ehemalige Abteilungsleiterin weiss ich um die Aufgaben eines Vorgesetzten. Mitarbeitergespräche, Audit usw. gehörten zu meiner Arbeit. Umsatzbudget von mehreren Millionen erstellen und die Zielvorgaben im Auge halten, Kosten dem Umsatz anpassen, Statistiken lesen und darauf reagieren, gehörten ebenfalls zu meinem Job. Als Vertreterin der Direktion hatte ich guten Einblick in Geschäftsabläufe. Eine eher weniger schöne Aufgabe war die Behandlung von Kundendiebstahl. Meine Arbeit war sehr vielfältig und ich habe meine Arbeit geliebt. Am meisten liebte ich das Arbeiten auf der Verkaufsfläche und die Verkaufsgespräche mit den Kunden. Wenn die Kundschaft mit einem Produkt zufrieden das Geschäft verlässt, hat man als Verkäufer alles richtig gemacht. Ich durfte bei meinem ehemaligen Arbeitgeber sehr gute interne Ausbildungen geniessen. So wurde mir unteranderem auch etwas sehr Wichtiges eingetrichtert. Als Vorgesetzter stehts ein Vorbild zu sein. Lange ist es her. Einiges ist aber geblieben. Das hilft mir heute bei meinen kleinen, aber wichtigen Arbeiten. Dazu gehört auch jeden Monat Lohnabrechnungen zu machen. Einmal in der Exel-Datei eingerichtet, ist es auch keine Hexerei. Ich bin sehr froh, dass ich dies noch immer selbständig machen kann. Wie bei jedem Arbeitgeber, fällt auch bei mir Ende Jahr etwas mehr Arbeit an. Ich muss unteranderem der AHV-Stelle die Sozialleistungsabzüge meiner Assistentinnen einreichen. Weiter müssen Formulare neu datiert und Ordner auf den neuesten Stand gebracht werden. Für mich heisst das, Büroarbeit auf dem PC. Und wenn ich schon mal dabei bin, wird auch gleich im ganzen PC aufgeräumt. Es hat den ganzen Nachmittag gedauert. Doch jetzt bin ich soweit. Ich kann jetzt aufgeräumt und positiv ins neue Jahr blicken.
29. Wenn Menschen wie ich, wegen körperlichen Einschränkungen nicht mehr die gewollten und gekonnten Leistungen erbringen vermögen, tut es ab und an gut, auf vergangene Zeiten zurückzublicken, wie ich es im Beitrag von Gestern gemacht habe. Als Mensch im Rollstuhl werde ich immer noch zu oft auf meine Beeinträchtigungen reduziert. Seit meine unklare Aussprache dazu gekommen ist, denkt manch einer, auch in meinem Kopf sei nicht mehr viel los. Da hilft ein Zurückblicken, ein Schulterklopfen und das Selbstwertgefühl kehrt zurück. Dies gibt mir auch Mut, neues anzupacken. Ich will mich wieder vermehrt auf mich selbst besinnen und so agieren, wie es meinem Wesen entspricht. Selbstbestimmt statt Fremdbestimmt.
Für ein selbstbestimmtes Leben für Menschen mit Beeinträchtigungen, will ich mich auch im Jahr 2019 einsetzen. Zusammen mit meinen Selbstvertreterkolleginnen und Kollegen, will ich Menschen mit Beeinträchtigungen ermutigen, ihr Leben, nach Möglichkeit, selbst in die Hand zu nehmen. Ich will mich weiter für die Vernetzung von Menschen mit Beeinträchtigungen in Uri einsetzen. Wir müssen uns gegenseitig unterstützen, uns gegenseitig ermutigen, sich für ein selbstbestimmtes Leben einzusetzen.
Mehr darüber könnt ihr aber gerne nach meiner Schreibpause lesen.
30. Ich denke, man darf zurückblicken und stolz sein, auf das, was man in der Vergangenheit geleistet hat. Sich damit brüsten sollte man jedoch nicht. Titel und Auszeichnung bringen gar nichts, wenn sie nicht laufend durch Taten untermauert werden. Wichtig ist, was man im hier und jetzt bewegt. Manche Menschen sind mit einem wachen Kopf gesegnet, bei andern liegt das Talent in den Händen und da gibt es noch die Herz-Menschen. Alle drei sind wichtig. Jeder Mensch hat Fähigkeiten. Manchmal weiss man gar nicht um seine Gabe. So unterschiedlich wir Menschen auch sind, so brauchen wir doch alle einander. Was könnten wir alles bewegen, wenn wir mehr aufeinander zugehen würden und einander zuhören würden. Wir Menschen sind so was Wunderbares und Liebenswertes, das unsere Erde hervorgebracht hat. Tragen wir Sorge zueinander.
Beim Zurückblicken freue ich mich, auf meine lieben verstorbenen
ALS Freunde zu treffen. Mit vielen war ich in den Tessiner ALS-Ferien.
Heute war ich im Tessin und habe zu "unserer Insel* hinübergeschaut. Meine Gedanken waren bei meinen Freunden. Ich werde euch nie vergessen. Ihr seid immer in meinem Herzen.
Ich habe heute auch an meine lieben verstorbenen Eltern gedacht. Auf ihrer Hochzeitsreise besuchten sie ebenfalls die Isole di Brissago.
Diese Insel wird für mich immer etwas Besonderes bleiben.
31. Nun sitze ich vor dem letzten leeren Blatt in meinem Tagebuch 2018. Jetzt sollte ich wohl noch etwas Gescheites schreiben. Aber was? Vielleicht Erfreuliches aus dem ablaufenden Jahr? Da gab es doch einiges. Da ist z.B. eine liebe Freundin, welche ich durch meine Krankheit im Internet kennenlernen durfte. Sie wohnt in Vorarlberg und geht dort auch einer Arbeit nach. Obwohl sie seit Geburt an blind ist, meistert sie ihr Leben hervorragend. Bei den ersten Korrespondenzen mit ihr, war ich sehr verunsichert. Ich wollte ja nicht in ein Fettnäpfchen treten. Wie oft kommen in Gesprächen z.B. Farben vor. Eine echte, aber interessante Herausforderung. Sie hat es mir jedoch leicht gemacht, indem ich sie einfach alles Fragen durfte. Über mein sprechendes Adventsfenster hat sie sich sehr gefreut und ich, weil ich ihr damit eine Freude machen konnte. Je mehr ich den Kontakt mit Menschen mit Beeinträchtigungen suche, je mehr lerne ich über die Verschiedenheit der Beeinträchtigungen. Je mehr ich darüber weiss, desto besser kann ich auf mein Gegenüber eingehen. Ich möchte, dass auf meiner HP auch andere Menschen mit Beeinträchtigungen zu Wort kommen. Und dies in einem zukünftigen Blog.
Wer überrascht mich immer wieder? Natürlich mein Mann. Ich bin wahrlich keine einfache Lebensgefährtin mit all den vielen Ideen, welche in meinem Kopf herumschwirren. Gerne möchte ich meine Ideen auch umgesetzt wissen. Kaum ausgesprochen, sollten diese auch schon verwirklicht sein. Ich bin von Natur aus, ein Mensch voller Tatendrang und zudem sehr ungeduldig. Mit mir Schritt zu halten, ist wahrscheinlich eine echte Herausforderung. Wie oft wäre ich schon übers Ziel hinausgeschossen, hätte mein Mann mich nicht mit seiner überlegenen, ruhigen Art zum Stoppen gebracht. Er ist seit über 38 Jahren mein Fels in der Brandung.
Zum Lachen gebracht, hat mich letzte Woche der Komiker Kayan mit seinem Programm aus dem Jahre 2017 über die Schweiz. Ich befand mich schon im Bett, als er auf dem Bildschirm erschien. Ich würde ihn ja gerne mal hautnah erleben, doch das geht nicht. Warum? Da wäre wieder mein Lachen. Ich würde alle Zuhörer mit meinem Gekicher übertönen und das Publikum könnte dem Programm nicht mehr folgen. Es ist besser, ich schaue mir sowas ganz allein Zuhause an. So muss ich auch nicht versuchen mich zurückzuhalten, was ohnehin selten gelingt. Ich kann aus vollem Herzen lachen und die Tränen können an meinen Wangen ungehemmt hinunterlaufen. Dieses Mal hat mir der Brustkorb wegen dem Lachen, zwei Tage lang wehgetan. Trotzdem, lachen soll ja gesund sein.
Ich glaube, ich habe nun vieles gesagt und die letzte Seite in diesem Jahr ist ohnehin bald vollgeschrieben.
Was kommt jetzt noch? Was will ich noch sagen, bevor ich in die Schreibpause gehe?....................
Vielleicht noch dies?
"Wenn du das Leben begreifen willst, glaube nicht, was man sagt, und was man schreibt, sondern beobachte selbst, und denke nach"
Anton Tschechow 1860 - 1904
Ich halte es nun kurz und sage euch D A N K E, für das Interesse an meinem Leben.
1. Ich sitze mit meinem Mann ganz gemütlich am Morgentisch. Wir geniessen den frisch aufgebrühten Kaffee und die frischen, knusprigen Brötchen mit selbstgemachter Konfitüre. Plötzlich zieht etwas vor dem Küchenfenster meine Aufmerksamkeit auf sich. An der Böschung des Dorfbaches werden Blätter bewegt. Zuerst halte ich nach Vögeln und Katzen Ausschau. Doch dann entdecke ich das graue, stachelige Etwas. Was hätte mir zum Jahresanfang Schöneres passieren können, als von der Natur, in Form eines Igeljungen, überrascht zu werden. Wahrlich ein guter Start.
Meine lieben Leser, ich wünsche auch euch einen wunderschönen Start ins neue Jahr. Und immer schön wachsam bleiben. Das Schöne, das Glück ist manchmal ganz nah bei dir. Du musst es nur als Solches erkennen. Ich wünsche euch viel Spass auf eurer Jahresentdeckungsreise
9. Ich kann mich noch gut erinnern, als du, Laurent, zum ersten Mal die ALS-Selbsthilfegruppe besuchtest. Damals warst du noch sehr selbständig und ein Rollstuhl war für dich noch kein Thema. Die Jahre vergingen und die Beeinträchtigungen durch die Krankheit Amyotrophe Lateralsklerose nahmen langsam, doch stetig zu. Dein Unbehagen, deine Selbstständigkeit ganz zu verlieren, machten dir seit geraumer Zeit sehr zu schaffen. Du hast dich jedoch immer wieder aufgerappelt, um an freudigen Ereignissen teilnehmen zu können. Nun, nach all den kräftezehrenden Jahren, hat die Kraft nicht mehr gereicht und du hast losgelassen.
Lieber Laurent, so vieles haben wir gemeinsam erlebt. Du warst mein längster ALS-Weggefährte und ich werde dich immer wieder irgendwo vermissen. Ich danke dir vielmal für deine langjährige Freundschaft. Nun wünsche ich dir eine wunderschöne Reise, mein lieber Freund.
Tagesmusik: Miles Davis - Time after time
18. Beim durchgehen meiner Tagebücher, bin ich ab und zu auf Beiträge und Bilder gestossen, welche Erinnerungen wachriefen. Manche zauberten erneut ein Lächeln auf mein Gesicht. Andere liesen mich still werden. Da lese ich von Begegnungen, von Freundschaften, von Lebenskünstlern und Weggefährten. Ich lese von Entbehrungen, von Kämpfen, von Enttäuschungen, von Trauer und Abschied. Ich kann mich noch gut an meinen allerersten Kontakt mit einem ALS-Betroffenen erinnern. Walti erhielt die schreckliche ALS-Diagnose im gleichen Monat und im gleichen Jahr wie ich. Mit Walter Stahl und seiner Frau Susi, konnte sich mein Mann und ich über den Alltag mit der Krankheit ALS austauschen. Wir trafen uns privat und nahmen gemeinsam an den Selbsthilfetreffen teil. Das unerbittliche Fortschreiten der Krankheit ging auch an uns nicht spurlos vorbei. So mussten wir Walti im Jahr 2009 ziehen lassen.
Beim Durchgehen der Tagebücher blieb mein Blick so oft an Fotos hängen. Die Geschichten dazu kamen mir dann auch gleich wieder in den Sinn. Seit ich von der Krankheit ALS betroffen bin, durfte ich viele Menschen kennenlernen, welche das gleiche Schicksal zu meistern haben wie ich.
Für mich sind sie allesamt Helden. Es braucht enorme Kraft, sich der Krankheit zu stellen.
Stell dir vor, du wirst in absehbarer Zeit weder deine Beine noch die Arme benutzen können. Du verlierst dein Sprechen und deine Mimik. Du kannst nicht mehr über den Mund essen und trinken ohne dass du dich ständig verschluckst. Oder der Schleim ist so zähflüssig, dass es dir die Atmung blockiert und du Angst hast, zu ersticken. Dein Lungenmuskel, das Zwerchfell, ist so geschwächt, dass du kaum abhusten kannst. Du kannst nichts dagegen tun, ausser entsprechende Hilfsmittel einzusetzen, die dich eine Zeitlang über Wasser halten. Du fühlst, wie dein Körper immer schwächer wird. Du erlebst in vollem Bewusstsein, wie sich deine Lebensgeister mehr und mehr verabschieden.
So viele Betroffene und Angehörige stellen sich tagtäglich der Herausforderung ALS. Und das im Wissen, dass der Kampf mit der ALS nicht zu gewinnen ist.
Schon so oft musste ich von lieben Menschen Abschied nehmen. Ich möchte meine Freunde nicht dauernd an die ALS verlieren. Ich hoffe so sehr, dass die Krankheit Amyotrophe Lateralsklerose bald heilbar ist.
19. Es heisst nicht, dass ein Leben nach der Diagnose ALS, nicht mehr lebenswert sein wird. Die Herausforderung, sich jeden Tag aufs Neue zu motivieren, sich den stetig fortschreitenden Beeinträchtigungen anzupassen, wird nicht einfach. Aber es lohnt sich. Die Welt ist immer noch wunderschön und hat so viel Schönes zu bieten. Wenn ich bereit bin, Schönes wie Gutes wahrzunehmen, wird auch die Lebensfreude zurückkehren. Die Krankheit wird deswegen nicht weniger, doch das Leben mit ihr wird etwas erträglicher. Öffne deine Augen und lebe.
20. Die Guggenmusik "Gassäjüüzer Ättighüüsä" feiert dieses Wochenende ihr 35.-jähriges Bestehen. Zum Fest organisierte sie für heute Nachmittag einen kleinen Umzug durchs Dorf. Obwohl ein kalter Wind blies, lies ich mir dieses Spektakel nicht entgehen. Ausgerüstet mit Umhang, dicker Schärpe, Handschuhen und mit einer heissen Wärmflasche, stellte ich mich an den Strassenrand. Ich musste nicht lange warten, da wurde ich schon mit heissen Schnapskaffee versorgt. Da ich viele der Teilnehmer kenne, wie auch sie mich, wurde der Trinkhalm gleich mitgeliefert. Auch der Orangenwagen war mir wohlgesonnen. Damit er mich besser erreichen konnte, fuhr er direkt auf mich zu. Ich finde es immer so schön, wenn sich Vereine für solche Anlässe engagieren. Das ist Dorfleben. Trotzdem überlasse ich das Festen und Tanzen heute anderen.
23. He Leute, die Sonne ist im Anzug. Die Schnee- und Regenwolken lösen sich immer mehr auf und blaue Flecken erscheinen am Himmel. Es dauert nicht mehr lange und die Sonne schickt die ersten Strahlen auf die Erde. Ich freue mich so, meine geliebte Sonne nach langer Zeit wiederzusehen. Sie ist also doch nicht kaputt. Ihr Lachen wird dazu beitragen unsere Lebensgeister zu wecken.
27. Ach, war ich heute Morgen müde. Ich hätte so gerne länger geschlafen. Da am Mittwoch und am Samstag die Spitex meine Morgenpflege übernimmt, konnte ich nicht einfach liegenbleiben. Also, raus aus den Federn. Als ich dann am Vormittag beim Musikhören immer wieder eingenickt bin, hat mich mein Mann auf die Sonne im Garten aufmerksam gemacht. Dieser Weckruf hat seine Wirkung nicht verfehlt. Also, ab nach Draussen. In eine warme Decke gehüllt und mit Sonnenstrahlen auf dem Gesicht, konnte ich im Garten wunderbar vor mich hindösen. Wintersonne oder doch schon Frühlingssonne? Ach, ist doch eigentlich egal. Hauptsache Sonne.
29. Was war das für ein schöner Tag. Für mich der schönste in diesem jungen Jahr. Die Sonne von früh morgens bis abends spät. Es war so warm, dass wir meine Physiotherapie-Stunde gleich im Garten abhielten. Die Sonne, die Wärme tun mir so gut. Ich merke, wie an Energie gewinne und meine Freiheit zurückkehrt.
Es wird aber auch langsam Zeit, dass es wärmer wird. Ich habe diesen Winter nämlich bereits zwei Wärmeflaschen gebodigt. Wenigsten hatte ich weder die Grippe noch war ich erkältet. Ich hoffe sehr, das bleibt auch so. Ein Infekt generiert bei uns ALS-Betroffenen schnellmal Atemprobleme. Darum habe ich auch die Weisung herausgegeben, dass Niemand mit Erkältung besuchen darf. Ganz Schützen kann ich mich nicht, ansonsten müsste ich in einem Isolationszimmer im Haus bleiben. Und das wäre für mich kein Leben mehr.
Also liebe Sonne, bleibe noch ein Weilchen.
30. Ich hatte heute lieben Besuch. Da die Sonne genauso schön wie gestern vom Himmel lächelte, hielten wir den Schwatz natürlich im Garten ab. Mittlerweile kann ich schon bis 14.30 Uhr auf meinem Gartensitzplätzchen verweilen. Sobald aber die Berge der Sonne die Sicht versperren und der Schatten sich über den Garten legt, muss ich ins Haus.
FEBRUAR
1. Gestern Abend konnte ich vom Bett aus beobachten, wie der Mond hinter den Bergen aufsteigt, um sich sogleich in voller Pracht am Himmel zu zeigen. Die Wolken umgarnten ihn oder wichen ehrfurchtsvoll beiseite. Welch schönes Bild am Himmelszelt. Sieht einfach wunderschön aus. Ich liebe den Mond genauso wie die Sonne.
3. Manchmal bin ich der Worte leer und kann nicht schreiben. Viele Ereignisse lassen mich verstummen. Bilder oder Musik lasse ich dann für mich sprechen.
Ich werde die Gespräche und die Zusammenkünfte mit Laurent und Dorette vermissen. Ich wünsche den Beiden eine wunderschöne Reise auf dem Regenbogen.
4. .....immer wieder muss ich Abschied nehmen.
Ja, die ALS hat unsere ALS-Familie diesen Winter wieder arg gebeutelt. Grosse Lücken hat sie in unsere Familie gerissen. Nicht, dass diese Lücken nicht gefüllt werden. Für Nachwuchs sorgt die ALS schon selbst. Das Schicksal unserer Familie, die Familienmitglieder ändern stetig. Es ist ein Kommen und Gehen. Wir alle wissen, unsere Verweildauer in der Familie ist begrenzt. Unsere Verbundenheit, unsere Freundschaften innerhalb der Familie, sind angesichts der Zeit, desto tiefer und intensiver. Wir unterstützen einander, wir trauern gemeinsam und lachen miteinander. Wir haben eine schöne Zeit zusammen.
7. Heute schafft es die Sonne wohl nicht, die Wolkendecke zu durchbrechen. Der Nebel hängt tief im Tal und es ist kalt. So kalt, dass ich mich mit Wärmflasche und Hirsekissen ins Bett verzogen habe. Ob ich mich heute nochmal aufraffe und am Abend bei der Fasnachtseröffnung dabei sein werde, weiss ich jetzt noch nicht. Die "Ytrummletä" im Kantonshauptort ist, mit den vielen Bläsern, Trommlern und den Paukenschlagenden Fasnächter, schon eindrücklich. Die Gassen und Strassen sind gefüllt mit Maskeraden und Menschen, welche am Fasnachtstreiben Gefallen finden. Bei denen wäre ich auch. Stecke schön in der Zwickmühle. Muss mich zwischen einem Fernsehabend in der Wärme und dem Fasnachtstrubel in der Kälte entscheiden. Eine Erkältung kann ich mir aber nicht erlauben, habe momentan reichlich zu tun. Warum kann es nicht auch so warm sein, wie beim Karneval in Rio.
Ihr fragt euch sicher, wie ich dies alles schreiben kann, wenn ich mich doch im Bett aufhalte. Mein Umweltgerät Tobii, mit dem ich auch das SMS und WhatsApp bedienen kann, ist am Bettgalgen befestigt. Ich habe mit dem Tobii auch Zugriff aufs Internet. Schreiben kann ich entweder mit der Augensteuerung oder mit der PC-Maus und der Bildschirmtastatur. Das Schreiben im Liegen strengt meinen Arm sogar weniger an als im Sitzen.
11. Gestern fand wieder ein Stammtisch unserer ALS-Familie statt. Seit Herbst 2016 trifft sich die ALS-Familie 4-mal im Jahr, um einen gemütlichen Nachmittag zusammen zu verbringen. Die ersten fanden in diversen Restaurants statt. Je grösser die Familie wurde, desto schwieriger wurde es, ein geeignetes Lokal zu finden. Zudem sollte die Örtlichkeit zentral sein und mit ÖV erreichbar sein. Dass die Barrierefreiheit gewährleistet sein muss, versteht sich von selbst. Dorette, ein Familienmitglied von uns, hat dann im Kloster Ingenbohl den idealen Ort für die zukünftigen Stammtisch-Treffen gefunden. Im Kloster haben wir einen grossen Raum nur für uns. Keine Nebengeräusche die unsere Unterhaltung stören. Für unser leibliches Wohl sorgen 3 - 4 Schwestern. Da einige von uns Mühe haben mit Schlucken, offeriert die Küche inzwischen sehr fein pürierte Suppe und belegte Brote ohne Rinde. Die Herzliche und weltoffene Art der Schwestern, mit welcher sie uns begegnen, hinterlassen wunderbare Spuren in unseren Herzen.
Auch Gestern wurden wir wieder mir einer wunderschönen Tischdekoration überrascht. Die heutigen Smileys wurden, wie die vorangegangene Dekoration auch, von einer 90- jährigen Schwester, eigens für uns hergestellt. Dafür ein herzliches Dankeschön. Wir nehmen die Deko jeweils gerne zur Erinnerung nach Hause. Gestern wurde noch die Gedenkkerze der ALS-Familie eingeweiht. Sie wird nun bei jedem Stammtisch angezündet und in die Mitte der Tische gestellt. Sie steht symbolisch für unsere vorausgegangenen Familienmitglieder
Die Gemeinschaft Ingenbohler Schwestern und ALS-Familie bewährt sich.
16. Ich vermisse die wärmenden Sonnenstrahlen. Mir fehlen die Farben der Blumen und die blühenden Sträucher. Mir fehlt das grün der Blätter und der Wiesen. Ich vermisse das Pfeifen der Vögel, das Summen der Bienen, der Flügelschlag der Schmetterlinge. Mir fehlen die Gewitter mit Blitz und Donner. Ich vermisse den Wind und das Rauschen des Wassers. Ich brauche die Erde unter meinen Füssen. Die Natur ist die Nabelschnur zu meinem Leben. Sie liefert mir die Energie, immer wieder aufzustehen und weiter zu machen.
19. Gestern Morgen habe ich zu meinem Mann gesagt «Ich brüchä Sunnä, ich müäss dr Friälig gspürä». Kurz darauf waren wir schon auf der Autobahn richtung Süden. Da es mal keinen Stau vor dem Gotthard-Tunnel gab, kamen wir zügig vorwärts. In Airolo erwartete uns ein stahlblauer Himmel und die lachende Sonne strahlte auf uns herunter. Als wir Richtung Lugano fuhren, stieg das Thermometer auf beachtliche 14°C. Einfach wunderschön. Am See entlang, fuhren wir dann nach Italien. Es gab ausser den Wilden Erika-Stauden noch nichts Blühendes zu sehen. Das Nahen des Frühlings habe ich jedoch trotzdem gespürt. Der Nachhauseweg führte uns dann wieder durch tiefsten Winter. Wir überquerten den Malojapass 1815 m und den Julierpass 2284 m. Wobei die Temperaturen mit -7°C schön in den Keller sausten. Auch wenn wir erst spät am Abend Nachhause kamen, war diese Tour genau das Richtige. Dies habe ich gebraucht.
20. Am Samstag montierte Nives, die Partnerin meines Sohnes, an unserem Grizzly-Haus (Gartenhaus) ein Wildbienenhäuschen. Ab Mitte März wird dann das Häuschen mit einer Startpopulation von circa 25 Mauerbienenkokons bestückt. Ich freue mich jetzt schon, das Treiben der Bienen zu beobachten. Angst vor den Mauerbienen brauche ich keine zu haben. Sie sind völlig harmlos. Ihr weicher, kleiner Stachel wäre kaum in der Lage, schmerzende Stiche zu versetzen. Sobald es ein wenig wärmer wird, werden wir die geplante Wildblumenwiese sähen. Die Bienen werden dereinst diese Wiese besuchen und für die Vermehrung der Blumen sorgen. Als Belohnung können die Mauerbienen den geliebten Nektar ernten.
Mit der Aussaat müssen wir definitiv noch einige Zeit warten. Draussen herrschen arktische Temperaturen. Ich bin heute nur kurz mit dem Rolli ums Haus gefahren und schon läuft mir die Nase.
Muss mich wohl noch ein wenig gedulden. Ich weiss ja, der Frühling naht.
21. Nun weiss ich es definitiv. Der Frühling kommt. Ich sehe, wie sich die Farbe der Sonne verändert. Während der Winterzeit zeigt sie sich in heller, greller Farbe am Himmel. Auf der Reise in den Frühling verwandelt sich ihre Farbe in einen zarten, warmen Ton. Auch wenn es immer noch bitterkalt ist, so habe ich heute die Veränderung bemerkt, als ich aus dem Fenster schaute. Ich konnte die Veränderung nicht nur sehen, ich habe sie ebenfalls sehr stark gespürt. Das befreiende Gefühl, welches sich in meiner Brust ausbreitete, war zwei, drei Tränchen wert.
Tränchen, weil mit dem nahenden Frühling mein Bewegungsradius zunimmt. Ich kann bald wieder selbständig das Haus verlassen. Wenn die Wärme zurückkehrt, brauche ich Niemanden, der mir die Jacke anzieht. Ich bekomme meine Freiheit zurück. Zu fahren, wann und wohin ich will, das liebe ich. Während der Winterzeit bin ich doch vorwiegend ans Haus gebunden. Ein Grund sind die Strassenverhältnisse, ein anderer ist die Kälte. Ich darf mir keine Erkältung einfangen. Ich nehme deshalb und wegen des Sonnenmangels, von November bis Februar täglich Vitami-D3-Tropfen ein. Und das schon seit vielen Jahren.
Ich mag den Schnee mit den wunderschönen glitzernden Kristallsternchen. Aber irgendwann habe ich genug Weisses gesehen und sehne mich nach Farbe. Farben, welche zuhauf im Frühling vorkommen. In der Natur hole ich mir immer wieder die Energie, den Kampf mit meiner Krankheit, der ALS, aufzunehmen. Sie gibt mir immer wieder das Ja zum Leben.
23. Ich musste schon viele ALS-Gspänli ziehen lassen. Ich dachte, die vielen Abschiede hätten mich hart werden lassen. Ich dachte, ich könnte nicht mehr weinen. Das war wohl lediglich zum Eigenschutz. Heute ist dieser Schutz eingestürzt und die Trauer hat mich eingeholt. Die Tränen fliessen und ich bin sehr aufgewühlt. Ich muss jetzt erstmal ein Timeout einlegen. Aber keine Angst, ich muss einfach meine Kräfte wieder neu bündeln. Ihr hört bald wieder etwas von mir. Vielleicht mache ich, der Eiseskälte wegen, auch einen Winterschlaf. Ihr könnt mich dann wecken, wenn es wieder wärmer wird.
MÄRZ
3. Es dauert noch etwas, bis ich mich aus der Schockstarre gelöst habe. Ich hoffe, ich kann euch mit den eingefügten Musiktiteln auf meiner Tagesmusikseite ein wenig Unterhaltung bieten. Bis bald und haltet euch von der Grippe fern.
5. Am Samstag habe ich gerne die Wärme meines Hauses verlassen. Mit meiner Assistentin Hildi besuchte ich die GV von Procap Uri. Als Vereinsmitglied und als geladener Gast der Selbstvertretung Uri, war es für mich selbstverständlich der GV beizuwohnen. An solchen Zusammenkünften darf ich immer wieder neue Menschen und andere Schicksale kennenlernen. Ich knüpfe neue Kontakte und es entstehen zusätzliche Freundschaften. Ich liebe es, mich in diesen Kreisen zu bewegen. Hier spielt es keine Rolle, welche Beeinträchtigungen meinen Alltag prägen. Wir alle haben ähnliche Hürden zu meistern.
Unter den geladenen Gästen sind nebst weiteren Organisationen, welche sich den Belangen von Menschen mit Beeinträchtigungen widmen, auch Behördenmitglieder aus Gemeinden und des Kantons. Die Diskussionen mit den Behörden sind wichtig und tragen zur Verständigung und Klärung bei. Es war eine sehr lebhafte und aufschlussreiche GV. Ich denke, nun ist auch allen Strassenbauverantwortlichen klar, dass die Menschen mit Rollstuhl, mit Rollatoren und Menschen mit einer Gehbehinderung, keine neuen Pflastersteinwege mehr befahren / begehen wollen. Ausser, die Steine werden so geglättet, dass es kaum mehr «holperer» gibt.
Es ist üblich, dass die geladenen Gäste vor Schluss der GV ein paar Worte an die Versammlungsteilnehmer richten. Wie schon im letzten Jahr, wurde ich auch diesmal wieder, von meiner Assistentin Hildi stimmlich unterstützt. Ich schreibe die Rede jeweils auf dem PC und Hildi trägt diese dann an der GV vor. Wir sind in fünf Jahren zu einem gut eingespielten Gespann geworden.
Wenn Betroffene, Vereine, Behörden und Interessengemeinschaften in dieselbe Zukunft blicken, werden Barrieren abgebaut und zuweilen unmögliches, möglich gemacht.
Für mich als Rollstuhlfahrerin und als Mensch mit mehrfacher Beeinträchtigung, ist es selbstverständlich, mich für eine Zukunft ohne Barrieren einzusetzen. Wie sieht es bei dir aus?
7. Habe heute leider keinen Beitrag für euch. Dafür ein Filmchen von einer Rolliausfahrt auf meiner Lieblingsstrecke. Das Filmchen endet ein wenig abrupt. Da müssen wir wohl noch etwas üben.
9. 6.45 Uhr. Vogelgezwitscher vor dem Fenster, Herz schlägt schneller, Lächeln im Gesicht, Frühling?
11. Wann beginnt der Frühling?
Dann, wenn mein Mann seine Motorradkluft überstreift, seine Harley zur Garage herausholt, sich in den Sattel schwingt, den Motor startet und losfährt.
Dann, wenn ich keine Jacke mehr anziehen muss und selbständig ins Freie kann.
Dann, wenn sich überall im Garten die Frühlingsblumen aus der Erde drängen.
Dann, wenn sich an den Ästen der Frühlingsblüher zarte grüne Blättchen zeigen.
Dann, wenn die Forsythien Sträucher und die Johannisbeere Ziersträucher, nur noch wenige Sonnentage brauchen, um ihre Knospen zu öffnen und ihre gelben und roten Blüten zeigen.
Dann, wenn der Dorfbach Schmelzwasser führt und ich ihn plätschern höre.
Dann, wenn sich mir im Garten der erste Schmetterling nach dem Winter zeigt. Er war übrigens Schneeweiss.
Dann, wenn ich mich aufmache, um unsere wunderschöne Natur auf vier Rädern zu erkunden.
Dann, wenn ich meine Freiheit zurückbekomme.
Wann beginnt der Frühling? Heute.
15. R.I.P. Stephen Hawking. Ich verneige mich.....
Wie alle ALS-Betroffenen konnte auch Stephen Hawking das Fortschreiten der Krankheit nicht verhindern. Die Geschwindigkeit, mit der die Krankheit voranschreitet, ist kaum beeinflussbar. Entweder hat man einen raschen, mittleren oder einen langsamen Krankheitsverlauf.
Beeinflussen kann man hingegen die Einstellung zur Krankheit und zum Leben. Zur Verbesserung der Lebensqualität können z.B. auch angepasste Hilfsmittel eingesetzt werden.
Stephan Hawking hat bewiesen, dass mit guter Unterstützung vieles möglich ist. Zumal unser Hirn bis zum Schluss von der Krankheit verschont bleibt.
17. Ich weiss, ich bin unmöglich. Immer diese Blüemä-Föteli. Doch ich musste diese Farbenpracht einfach festhalten, bevor sich der Schnee über sie legt und sie womöglich niedergedrückt werden. Da ich wegen meiner starken Erkältung das Haus die ganze Woche nicht verlassen durfte, haben mir mein Mann und Assistentin Hildi den Frühling mittels Fotos, in mein Zimmer gebracht.
Zu sagen ist noch, ich liebe unseren Garten. Bei uns wird man nie auf einem englischen Rasen laufen können. Auf den Grünflächen dürfen sich auch sogenannte Unkräuter entfalten. Schliesslich sind sie der Ursprung unserer "Edelblumen". Und mal ehrlich, viele sind so wunderschön. Gäbe es sie nicht, würde man sie sicher züchten.
20. Anhand meiner Beiträge, stellt sich so manch einer, einen grossen Garten vor. Dabei ist unser Garten, wenn es um Quadratmeter geht, gar nicht mal gross. Wir haben Glück, dass das Grundstück unseres Sohnes direkt an unseres grenzt. Und da wir vor Jahren die Grenzzäune entfernt haben, entstand eine grosse Gemeinschaftsfläche. So gesehen hat «unser» Garten schon eine ansehnliche Fläche. Bei uns gibt es ausser den Grünflächen, Säulenobstbäume, viele Ziersträucher, Gemüsebeete und einige Blumenrabatten. Die Grösse des Gartens ist jedoch Nebensache. Eine einzelne Blume kann so anmutig, so wunderschön sein, dass es keine zweite ihrer Art braucht. Ich mag die Vielfallt, das Durch- und Nebeneinander in unserem Garten. Das Summen, Zirpen und Gezwitscher im Garten. Egal wie gross dein Garten ist, gib ihm die Chance, dir zu gefallen.
Auch Menschen können als Garten fungieren. Im Laufe meines Lebens habe ich schon viele Menschen in meinen Garten gelassen. Manche bleiben nur kurz und andere für immer. Sie wachsen, blühen und werden auch mit mir welken. Sie sind die Farben in meinem Garten. Manchmal muss auch jemand den Garten verlassen, um die Reise zum Garten Eden anzutreten. Es gibt aber leider auch Momente, in denen ich jemandem höflich bitte, meinen wunderschönen Garten zu verlassen. Manchmal verweigere ich auch den Zutritt. Mein Garten braucht die Sonne mehr als den Schatten. Zuviel trübe Tage schaden meinem Garten und erschweren das Blühen.
Deshalb sehne ich mich nach der Frühlingssonne.
25. Yes, ich habe sie wieder, meine Freiheit. Gestern hat die Sonne die Luft soweit erwärmt, dass ich endlich wieder eine Rollirunde ums Dorf drehen konnte. Was ich da wieder alles gesehen und gerochen habe. Der duftende Bärlauch im Unterholz des Waldes, blühende Weidenkätzchen an der Reussböschung, der Ruf eines Tannenhäher ganz oben im Tannenbaumwipfel, beobachten wie ein Baumläufer auf der Suche nach einer Leckerei, immer wieder den Baum hochläuft, Eidechsen die sich rasch in die die Zwischenräume der Natursteinmauern verkriechen, Schmetterlinge die sich suchen und im Tanz finden, Möwen und Krähen die über mir ihre Runden drehen, ein Taubenpaar, welches auf unserm Nussbaum ein Schwätzchen hält, Einheimische Vögel die am Nestbau werkeln, und natürlich, überall Frühlingsblumen.
Selbstverständlich wurde gestern auch gleich die Grillsaison eröffnet.
Ich mag den Frühling, ich mag meine Freiheit.
26. Wahrscheinlich denkt jeder Mensch irgendwann über den Tod nach. Wie wird es wohl sein, wenn ich sterbe. Bekomme ich plötzlich Angst vor dem Nichts. Zumal ich nicht an ein Leben nach dem Tod glaube. Besinne ich mich plötzlich wieder auf Gott? Ich kann mir gut vorstellen, dass Jesus tatsächlich gelebt hat. Ich denke, er war ein sehr gütiger und weiser Mann. Der uns seine Ideen und Ansichten weitergeben wollte, für ein friedliches Zusammenleben aller Menschen.
Da jeder Mensch, so auch Jesus, einen Vater hat, zwinkere ich ihm, sowie auch der Taube, welche symbolisch um mein Seelenheil besorgt ist, ab und an zu. Alle drei sitzen täglich ganz legere auf meinem PC-Monitor und schauen mir bei der Arbeit zu. Ebenfalls dazu gesellen könnte sich ein Schmetterling, eine Blume, die Sonne oder eine andere spirituelle Figur.
Ich finde es schön, wenn Menschen auf Gott vertrauen können. Dies ist eine Kostbarkeit, die ich Niemandem jemals streitig machen werde.
Wir sollten aufeinander besser achtgeben. Eine Umgebung schaffen, in der alle Menschen ein Leben in Liebe, Gesundheit und Frieden leben können.
Manchmal wünschte ich mir auch, einfach auf Gott vertrauen zu können. Wie gerne gäbe ich mich der Illusion hin, nach dem Tod weiterleben zu können. Es wäre dann einmal sicher weniger schmerzvoll, diese wunderschöne Welt verlassen zu müssen oder sich von geliebten Menschen zu verabschieden.
Doch, obwohl ich mich gerne in die Traumwelt flüchte, so bin ich doch zu sehr Realist und schaue dem wahren Geschehen ins Auge.
Aber, wer weiss schon, was nachher wirklich passiert. Es bleibt mir also nichts anderes übrig, als mich überraschen zu lassen. Bin ja mal gespannt.
Wie unser Leben beginnt, liegt nicht in unserer Hand. Auf welchem Kontinent, in welchem Land oder in welcher Gegend wir geboren werden, auch nicht. Ob wir in Armut oder Wohlstand aufwachsen, ist ebenfalls gegeben. Nicht allen ist es vergönnt, ein Dach über dem Kopf zu haben oder jeden Tag an Essen zu kommen. Nicht alle von uns dürfen in einer friedvollen Umgebung leben. Manche von uns sind krank und kommen an keine Medikamente. Dies und vieles mehr, hat grossen Einfluss auf unseren Lebensweg. Eigentlich gäbe es auf unserem Planeten genug Platz. Wir alle könnten an einem schönen, friedlichen Ort mit fruchtbarem Boden leben. Leider gibt es Menschen, die nicht gerne teilen und viel zu viel für sich beanspruchen. Diese werden immer reicher und mächtiger und meinen, wir müssten nach ihrer Pfeife tanzen. Sie spielen sich als Herrscher auf und führen dafür Kriege. Dabei werden rücksichtslos Leben geopfert.
Und wir, wir stehen rat- und tatenlos daneben.
28. Ich weiss, ich jammere jetzt auf hohem Niveau. Doch ich hatte so gehofft, der Frühling sei nun definitiv ins Land gezogen. Ich hatte mich so gefreut, wieder jeden Tag nach Draussen gehen zu können. Aber nein, das schöne Wetter lässt auf sich warten. Und ich, ich bin nicht so gut im Warten. Ich kann es nicht ab, wenn etwas ins Stocken gerät. Dann werde ich schonmal ungeduldig und meine Laune geht kellerwärts. Abwarten und nichts dagegen tun zu können, verstärkt mein Gefühl der Hilflosigkeit.
Ich kann jetzt nur auf den Föhn hoffen, der die Wolken wegbläst und der Sonne den Weg freimacht. Wie schon erwähnt, es ist Jammern auf hohem Niveau. Trotzdem, wer hätte nicht gerne Sonne und Wärme an Ostern.
Ich denke, es wäre wiedermal Zeit für Ferien im Süden.
APRIL
1. Ich wünsche euch Allen wunderschöne Ostern. Vielleicht taucht die Sonne ja von alleine auf, ohne dass wir sie suchen gehen müssen.
4. Das war wieder eine stürmische Nacht. Der älteste Urner (starker Südwind) musste mal wieder seine Kraft demonstrieren. Er hat so heftig an den Zimmerfenstern gerüttelt, als wollte er sich zutritt verschaffen. An einen ruhigen Schlaf war da nicht zu denken. Am Wochenende Schnee, jetzt der Föhn (starker Südwind), was folgt wohl als nächstes? Regen, Blitz und Donner? Oder doch ein hundskommuner Frühling? Wäre uns doch bald zu gönnen.
Eigentlich hätte mir der Föhn letzte Woche den Schlaf rauben können. Dann hätte ich meine vierteljährlich stattfindende Zahnreinigung schlafend über mich ergehen lassen können. Es ist ja immer so eine Sache mit den Zahnärzten. Bis man nur einen findet, der einem passt. Als ich keine Treppen mehr steigen konnte, musste ich mich ja auch nach einem anderen Zahnarzt umsehen. Bei den Anfragen beschrieb ich jeweils mein Krankheitsbild. Dabei fand ich eine moderne und kompetente Praxis. Vor kurzem hat nun mein Zahnarzt diese Praxis an einem anderen Zahnarzt übergeben. Ich hatte schon bedenken deswegen. Doch diese waren unbegründet. Als die Dentalhygienikerin (die gleiche wie vorher) mit der Zahnreinigung fertig war und der neue Zahnarzt zur Kontrolle kam, fragte er mich, wie lange ich schon ALS habe. Ich war erstaunt und als ich ihn fragte, ob er diese Krankheit denn kenne, antwortete er: «Ja natürlich». Da bekam ich sofort ein gutes Gefühl. Als er dann auch noch sehen wollte, wie wir den Transfer Zahnarztliege und Rollstuhl bewerkstelligen, dann erst recht. Hier bin ich nach wie vor in der richtigen Praxis.
8. Elly, ein Schipperke-Mädchen kam vor ein paar Wochen als Zweithund zu Nives. Die Frau mit dem wunderschönen Namen ist die Partnerin meines Sohnes. Nives arbeitet als schulische Heilpädagogin und Elly wird dabei bereits als Unterstützung eingesetzt. Und weil ich Hunde auch sehr mag, habe ich vergangene Woche auch bei mir im Büro ein Hundebett für Elly eingerichtet. Ich hoffe, dass Elly der süsse Fratz bald mal für eine Stunde zu mir kommen darf. Sieht sie nicht allerliebst aus?
9. Liebe Leser, ich habe zurzeit viel um die Ohren und lege deshalb eine kurze Schreibpause ein. Melde mich bald wieder.
12. Müde aber glücklich bin ich soeben von der Sitzung der Selbstvertretung Uri Nachhause gekehrt. Sie hat zwar länger gedauert als ich eingeplant hatte, doch die Sitzung war jede Stunde wert.
13. Eigentlich wollte ich eine längere Schreibpause einlegen um möglichst viele Dinge vor den Ferien erledigen zu können. Eine Schreibpause auch deswegen, weil mein Schreibfinger etwas schwächelt und Erholung nötig hat. Doch Gestern Abend war ich so glücklich, ich musste meine Schreibpause einfach unterbrechen. Seit 2016 bin ich mit dem Aufbau der Selbstvertretung Uri beschäftigt. Es lief äusserst harzig an. Ich allein, mit einer Stimme, welche ab und an kaum zu verstehen ist, versuchte ich Menschen mit einer Beeinträchtigung zu motivieren, in der Gruppe mitzumachen. Nur weil ich zu 100 Prozent überzeugt bin, dass diese Art der Gruppe, wichtig für Menschen mit Beeinträchtigung ist, habe ich nicht aufgegeben. Letztes Jahr stellte sich eine erste Power-Frau an meine Seite. Und bei der gestrigen Sitzung durfte ich drei weitere Personen mit Beeinträchtigungen begrüssen. Ich weiss, jetzt kommt die Gruppe in Fahrt und es werden sich noch weitere Personen mit Beeinträchtigung unserer Gruppe anschliessen. Unter dem Motto:
«Nichts über uns, ohne uns!».
Es war bis anhin harte Arbeit und wird es auch weiter bleiben. Doch es lohnt sich und macht irgendwie auch Spass. Erstes Etappenziel von 5 Personen ist schon mal erreicht.
19. Auf meinen Touren sehe ich immer so viel Schönes und ich möchte alles in Bild festhalten. Meine Begleitpersonen sind deshalb ständig für mich am Knipsen. Also überlegt es euch gut, ob ihr mich auf meinen Rollitouren begleiten möchtet. Heute wurde ich von Assistentin Hildi begleitet. Sie hat für mich die Kamera betätigt.
20. Nachdem ich nun schon mehrmals als Freigeist tituliert wurde und ich nicht genau wusste, was damit gemeint ist, habe ich mal im Netz gestöbert. Ich las viele interessante Artikel. Ich muss zugeben, in manch Geschriebenem finde ich mich. Ob ich deswegen ein Freigeist bin, weiss ich nicht. War jedenfalls sehr spannend darüber zu lesen.
Freigeist zu sein ist die Erkenntnis um das eigene Sein in einer Welt die als Wahrheit so absolut ist, dass sie in ihrem Umfang und ihrer Wirkung weder benennbar noch erfassbar ist.
Freigeist zu sein ist das Bekenntnis zur Realität, die unser einziges Sein ist und doch nicht Wahrheit sein kann.
Freigeist zu sein, ist das Wissen um die eigene Schwäche, die das fehlende Wissen um das absolute und Ganze, mit Vorstellungen ersetzt, die keiner Wahrheit aber unseren Wünschen geschuldet sind.
Freigeist zu sein, bedeutet keinen Widerspruch in sich, aber einen Widerspruch an sich, in der Gemeinschaft.
Der Link dazu
Ob nun Freigeist oder nicht. Folgende Aussage gefällt mir ohnehin am besten: "Ich bin der, der ich bin".
26. Nachdem mein Mann gestern unsere Hochbeete mit torffreier Erde aufgefüllt hat, wurden heute die Beete mit Setzlingen bestückt. Eichblatt- und Kopfsalat, Kohlraben, Fenchel und Randen haben Platz gefunden. Nun benötigen sie viel Sonne und ab und an einen warmen Regenguss und in ca. 5 Wochen können wir den ersten Salat ernten. Mit der Salatsauce, hergestellt von meinem Mann, und mit viel frischem Schnittlauch, ebenfalls aus dem eigenen Garten, so liebe ich den Salat.
Diese Woche haben wir auch unsere neu angelegte Blumenwiese bearbeitet. Unteranderem fanden zwei Mohnblumenpflanzen ihren Platz in der Wiese. Wenn ich mich zurzeit im Garten aufhalte, steigt mir der feine Duft von unseren beiden Fliedersträuchern mit den weissen und violetten Blüten in die Nase. Ich liebe den Frühling mit all den Düften, den Farben und den immer wärmer werdenden Sonnenstrahlen. Ich bin natürlich auch wieder viel mit dem Rollstuhl auf Tour. Manchmal hole ich meinen Offroader aus dem Keller um längere und anspruchsvollere Routen fahren zu können. Dann gehts schon mal über Stock und Stein. Würden die Batterien des Rollis weiter reichen, wäre ich des öfters den ganzen Tag unterwegs. Alleine durch die Natur zu fahren, zu schauen, zu riechen, ist eines der höchsten Gefühle für mich. Hier fühle ich mich frei und doch behütet. Ich liebe es zu leben, trotz all meinen körperlichen Beeinträchtigungen.
27. Die Löhne meiner Assistentinnen habe ich gemacht. Die Rechnungen wurden beglichen. Korrespondenzen habe ich abgearbeitet. Die Koffer sind bis auf ein paar Kleinigkeiten gepackt. Mein Offroader im Bus verankert. Noch einmal schlafen und dann geht’s ab in die Ferien. Judihui, ich freue mich so. Bis bald.
Am Himmelszelt leuchtet ein weiterer "ALS-Stern".
MAI
5. Mein Mann und ich lieben Rundreisen. Wir übernachten dann höchstens 2 Nächte am gleichen Ort. Bei der Planung einer solchen Reise fällt mir die Streckenplanung / Tagesstreckenplanung und die Hotelbuchungen zu. Dieses Jahr wären wir gerne in die Provence gefahren. So zu Reisen verlangt gute Kondition und rasche Anpassungsfähigkeit. Dies konnten wir zurzeit Beide nicht aufbringen. Also habe ich uns eine Woche Ferien in Meran (Südtirol) gebucht. Natürlich in unserem gewohnten Hotel mit behindertengerechter Ausstattung. Was uns sehr gut gefällt, sind die vielen langjährigen Mitarbeiter, die in diesem Hotel anzutreffen sind. Da leistet die Führungsriege gute Arbeit. Wir fühlen uns hier immer sehr wohl. So verbrachten wir auch dieses Mal wieder wunderschöne und erholsame Ferien hier. Am Tage haben wir Altstädte in der Umgebung besucht und uns an alten Gemäuern erfreut. Wir haben in Verkaufsgeschäften gestöbert und sind durch Märkte geschlendert. Natürlich durfte auch der Besuch von wunderschönen Parkanlagen und das Rollstuhlwandern auf den vielen Wanderwegen nicht fehlen. Auch wenn wir Meran schon mehr als 10-mal besucht haben, entdecken wir immer noch Neues. Wir werden sicher noch öfters den Weg ins Südtirol finden.
6. Wie jedes Jahr am 1. Sonntag im Mai, fand heute der Love Ride Switzerland statt. Es ist die grösste Benefizveranstaltung der Schweizer Biker-Szene. Der erzielte Gewinn kommt vollumfänglich muskelkranken und behinderten Menschen zugute. Am europaweit grössten Anlass seiner Art sind Gäste mit Motorrädern aller Marken, sowie Besucherinnen und Besucher ohne Motorrad und Familien herzlich willkommen. Früher nahmen mein Mann und ich selbst mit unserer Harley an dieser Veranstaltung teil. Die gemeinsame Ausfahrt mit Menschen mit Beeinträchtigungen fand ich immer etwas ganz Besonderes. Wie sollten wir auch ahnen, dass mich bald eine Krankheit (ALS) ebenfalls zur Rollstuhlfahrerin machen würde. Mittlerweile ist es mir nicht mehr möglich, auf die Harley zu steigen. Heute, als ich wieder die vielen Motorräder sah, den Motorensound hörte und der Spritgeruch in die Nase stieg, musste ich kurz ein, zwei Tränchen verdrücken. Kurz durchgeatmet und schon bin ich mittendrinn. Habe mir einen Spass erlaubt und mich zwischen die wartenden Biker geschmuggelt. (Foto). Einer meinte, wo ich denn meinen Helm gelassen hätte. Ich: Alles nur weich.......! Bei meinem harten Kopf reicht ein Cap.
Es war wieder ein schöner Tag, mit fröhlichen Menschen, mit Essen und Trinken und guter Musik. Vielmehr brauche ich nicht.
13. Muttertag
Meine Mutter hat mir die Liebe zu den Blumen und Pflanzen weitergegeben. Ich bin ihr so dankbar dafür.
Ob ich mich in unserem Garten aufhalte oder Unterwegs bin, ich freue mich ab jeder Blume, die ich sehe.
Ich danke meiner Mutter, dass Sie mir die Schönheit unserer Natur gezeigt hat.
20. Meine Hand ist mit zwei Klettbändern auf der PC-Maus fixiert. Der Mittelfinger liegt auf der linken, der kleine Finger auf der rechten Maustaste. Auf dem PC-Monitor ist die Bildschirmtastatur aufgeschaltet. Ein schneeweisses Worddokument ist geöffnet und wartet darauf, mit Geschichten aus meinem Leben gefüllt zu werden. Nun überlege ich, was ich euch berichten könnte.
Über die Ferien habe ich bereits geschrieben. Die erste Ferienwoche haben mein Mann und ich, wie schon erwähnt, in Meran und Umgebung verbrach. Die zweite Woche genossen wir Zuhause. Wobei sich mein Mann bei schönem Wetter auf die Harley schwang, um sich den langgezogenen Strassenkurven zu widmen. Währenddessen nutzte ich die Zeit und genoss die Ruhe in unserem Garten.
Diesen Montag musste mein Mann wieder zur Arbeit und auch meine Assistentinnen nahmen ihre Arbeit bei mir wieder auf.
Manchmal verspüre ich grosse Lust, mich in eine Blumenwiese zu setzen, um die Blumen näher betrachten und riechen zu können. Das Problem dabei, ich komme selber nicht vom Boden hoch. Es bräuchte mindestens zwei starke Männer, die mich vom Boden hochheben würden, um mich in den Rollstuhl zu setzen. Im Wissen dessen, passen wir bei meinen Transfers besonders gut auf. Einen Sturz kann ich mir nicht erlauben. Trotzdem hatte ich in meiner ALS Laufbahn schon Bodenkontakte. So leider auch diesen Montag. Meine Pflegeperson musste meinen Mann von der Arbeit zu Hilfe holen. Und da ist es passiert. Mein Mann hat sich beim Versuch mich aufzustellen, am Arm verletzt. Ich habe gehört, wie etwas in seinem Arm riss. Ich bin darüber sehr traurig. Es darf nicht sein, dass sich Jemand wegen mir wehtut. Mein Mann musste zur Untersuchung ins Spital. Ergebnis, Sehnenabriss in der Armbeuge.
Ich habe danach sofort reagiert und bei der IV einen Patientenlifter beantragt.
Mein Mann wird Ende Mai operiert und darf danach den Arm für 5 - 6 Wochen nicht gross belasten. Leider darf er dann auch nicht auf seine Harley steigen. Aber vielleicht gefällt es ihm ja, sich in unserem Garten zu erholen. Ist doch auch gut, oder?
Jetzt bin ich dabei, unsere Unterstützung für die kommende Zeit zu organisieren. Jemand wird die Stunden, welche ansonsten mein Mann für mich aufwendet, abdecken müssen. Auch am Arbeitsplatz meines Mannes gibt es einiges zu organisieren. Ausser in den Ferien, ist mein Mann 24 Stunden für "seine" Mieter der 150 Wohnungen erreichbar. Das ist eben mein Mann.
So, das Blatt ist für heute voll.
Wir hatten diese Woche aber nicht nur Pech. Im Kanton Uri sind dieses Wochenende, wie so oft an Feiertagen, viele Strassen verstopft. Am Donnerstag wurde am Klausenpass die Wintersperre aufgehoben. Wir nahmen diese Möglichkeit wahr und fuhren Heute über den Pass. Als wir am späteren Nachmittag von unserem Ausflug nach Hause kamen, hörten wir in den Nachrichten, dass am Klausenpass eine Lawine niedergegangen ist und zwei Autos mitgerissen hat. Eine halbe Stunde vor dem Lawinenniedergang, hatten wir mit dem Auto diese Stelle passiert. Glück und Pech liegen oft so nah beisammen.
21. Am Freitagnachmittag war ich mit meinem Rollstuhl in der Permobil-Werkstatt. Diesen Termin hatte ich bereits vor den Ferien abgemacht. Also chauffierte mich Regula, eine meiner Assistentinnen, in die 30 Minuten entfernte Werkstatt. Dort angekommen wurde gleich losgelegt. Meine zugesandte Reparatur-Liste war lang.
Batterien / Neu
Vorderlichter / leicht beschädigt
Tuning auf 15 kmh
Hosenträgergurte - Brustgurte / an Rolli anbringbar und abnehmbar / fehlende Rumpfstabilität
Es wurde alles was möglich war repariert oder ausgetauscht. Sie konnten meinen Stuhl zwar nicht auf 15 kmh aufbohren, dafür wurden brandschwarze Reifen aufgezogen. Auf Wunsch hätte man mir sogar mit weisser Farbe 15 kmh auf die Reifen geschrieben.
Eigentlich schade, dass die Permobil-Rollstühle so robust gebaut sind und selten in die Reparatur müssen. Einen Nachmittag mit dem Permobil-Team von Alpnach zu verbringen, ist immer mit lebhaften Gesprächen und viel Lachen verbunden. Danke Erich, du hast ein super Team am Start.
25. Was für ein schönes Erwachen. Ich öffne die Augen und muss sie auch gleich wieder schliessen. Die Sonne scheint mir mitten ins Gesicht. Es dauert eine Weile, bis sich meine Augen an die Helligkeit der von Sonne durchflutenden Raum gewöhnen. Kaum wach, klopft es auch schon an der Tür. Regula, eine von meinen drei Assistenzperson tritt ins Zimmer, Sie lächelt mich an und ich strahle zurück. Schöner kann doch ein Tag kaum beginnen. Vielleicht liegt meine gute Stimmung auch daran, dass ich mit dem gestrigen Tag, alles Wichtige erledigen konnte. Meine Woche war reichlich gefüllt mit Terminen. Sehr gefreut hat mich der überraschende Besuch aus Canada. Eveline, eine meiner Nichten zog es kurz nach dem Teenageralter nach Canada. Wir sehen uns daher nicht oft. Umso schöner war es, dass meine Schwester Bernadette mit Eveline und Nichte Daniela bei mir vorbeikam. Am Mittwoch nahm ich dann auch noch an einer Filmvorführung von look&roll teil. Die Kurzfilme zeigen Geschichten von Menschen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen. Die Filme sind vertont und mit Untertiteln versehen. Eine Gebärden Dolmetscherin war ebenfalls anwesend und für Blinde und Menschen mit einer Sehbehinderung standen speziell besprochene Kopfhörer zur Verfügung. Manche Filme liessen mich verstummen und manche brachten mich so zum Lachen, dass mir die Tränen nur so herunterliefen. Zum Glück überlies mir eine Besucherin im Rollstuhl ihre Assistentin, um meine Augen und Backen von den Lachtränen zu befreien. Schön, hilft man sich gegenseitig aus. An diesem Filmabend ergab sich auch gleich die Gelegenheit, mich im Interesse von Selbstvertretung Uri, mit der zuständigen Person von Procap Uri - Fachstelle Hindernisfreies Bauen Kanton Uri, zu unterhalten. Lange hielt meine Stimme im Stimmengewirr jedoch nicht durch. Habe dann am Tag darauf nochmal schriftlich mit ihr kommuniziert. Da unsere Haushaltführung auch in meiner Verantwortung liegt, stand auch der Wocheneinkauf auf der Liste. Ebenfalls durften wir für den ALS-Familie-Stammtisch, welcher Morgen stattfindet, Kuchen backen. Aber am meisten Zeit und Organisationsgeschick benötigte ich für die Planung meiner «Betreuung» für die Zeit, nach der Arm OP meines Mannes. Die Abdeckung steht jetzt vorerst mal für einen Monat.
Da ich bis gestern alles erledigen konnte, durfte ich den heutigen Nachmittag auch im Garten verbringen. Sobald ich mich im Freien aufhalte, kehrt die Ruhe zu mir zurück.
Und jetzt freue ich mich riesig, meine Gspänli, meine Freunde, meine Familie beim morgigen Stammtisch zu treffen.
27. Ich komme gerade aus dem Garten. Die Wärme da draussen hat mich durstig gemacht. In der Küche steht ein Glas Wasser mit Strohhalm auf dem Tisch. Piet, mein Mann, hat mir dies, bevor er auf seine Harley stieg, hingestellt. Auch mein Sohn und seine Partnerin, welche im Nachbarhaus wohnen, sind auf Tour. Ab und an bekomme ich von ihnen Fotos auf mein Handy. So hatte ich den ganzen Garten für mich allein. Ich liebe diese einsamen Stunden im Garten. Ich kann meinen Gedanken freien Lauf lassen und bekomme den Kopf frei. Das heisst, da gab es die junge Amsel im Garten, die einen Wurm aus dem Rasen zog. Grosse und kleine Eidechsen, welche in altem Mauerwerk Verstecken spielten. Maikäfer, die auf dem Nussbaum auf die Abenddämmerung warten. Wildbienen und Hummeln, auf der Suche nach Nektar. Schmetterlinge, welche mit einer Leichtigkeit im Garten herumfliegen. Man ist eben doch nie ganz allein.
Gestern Nachmittag fand bereits der 8. ALS-Familie-Stammtisch statt. Bei wunderschönem Wetter trafen wir uns wieder bei den lieben Schwestern im Kloster Ingenbohl in Brunnen. Dort haben wir Rollifahrenden genügend Platz, sodass wir uns in den Räumlichkeiten gut fortbewegen können.
Dank schönem Wetter kamen wir in den Genuss einer Führung im Garten und eine Führung in der wunderschönen, auf das Wesentliche reduzierte Klosterkirche. So ein Rundgang - Rundfahrt macht ja auch hungrig. So sorgten die herzensguten Schwestern wieder für Speis und Trank. Und ein bisschen Seelenbalsam gabs noch obendrauf. Sehr gerührt haben mich die Worte einer Schwester; dass die Klosterschwestern und die ALS-Familie eine Gemeinschaft bilden. Ich habe die Liebe in diesen Worten gespürt und es berührt mich heute noch. Wir können so viel bewegen, so viel Leid lindern, wenn wir das was wir tun, mit Liebe tun. Auch wenn es manchmal nur für einen Nachmittag reicht.
29. ALS-BETROFFENE WISSEN WAS LEBEN HEISST
JUNI
1. Am Mittwoch wurde meinem Mann, die komplett abgerissene untere Bizepssehne, in einer anderthalb stündigen OP, wieder am Knochen befestigt. Heute durfte er das Spital verlassen. Auch wenn ich durch meinen Sohn, meine Assistentinnen und die Spitex gut umsorgt werde, bin ich doch froh, ist mein Mann wieder Zuhause. Er darf den rechten Arm vorerst nicht belasten. Mit der linken Hand kann er mir doch ab und zu eine lästige Haarsträhne aus dem Gesicht streichen oder Lachtränen von den Augen wischen. Jetzt heisst es für meinen Mann Geduld aufbringen, damit alles gut heilen kann. Und ich freue mich auf schönes Wetter, um die Auszeit meines Mannes, gemeinsam mit ihm, im Garten zu verbringen.
4. Ich bin zurzeit stark beschäftigt. Ich verbringe gerade viel Zeit mit meinem Mann. Sein Arm befindet sich in der Genesungsphase und er darf mindestens 4 Wochen nicht arbeiten. Gestern besuchten wir zusammen das Urner Kantonale Schwingfest in Attinghausen. Und Heute genossen wir das schöne Wetter im Garten. Meine Physiotherapie hat deshalb auch gleich meine Physiostunde ins Frei verlegt. Bei dem vorherrschenden schwülwarmen Wetter hätte ich allerdings Wassergymnastik vorgezogen. Vielleicht versuchen wir es am Mittwoch erstmal mit Fussgymnastik in einem Zuber, gefüllt mit kaltem Wasser. Zur weiteren Abkühlung behelfen wir uns mit feiner Glace und eisgekühlte Getränke. Wir Beide lassen es uns gutgehen.
5. Bei uns im Garten halten sich Mensch und Tier gerne auf.
Die Raupe eines Schwalbenschwanzes hat ihr Quartier in unserem Insektenhotel bezogen. Und ein Vogelpaar hat das Nest für ihren baldigen Nachwuchs, hinter unserer "Harley* versteckt. Die Fauna und Flora unserer geliebten Erde, hält so viel Schönes für uns bereit. Ich sitze oft still und betrachte mit Ehrfurcht die Wunder unserer Natur.
7. ICH MUSS VERSTEHEN UM ZU VERSTEHEN
13. Leute, es geht mir gut. Ich denke, ihr habt die Aussage oben nun oft genug gelesen. Ich hoffe, ihr habt sie auch verstanden. Ich wollte euch nicht so lange warten lassen. Es fehlte mir schlichtweg an Zeit und Kraft, mein Tagebuch noch zusätzlich zu aktualisieren. Ich investierte viel Zeit in eine Sache, die mir sehr am Herzen liegt. Ich habe viel kommuniziert. Das war mit meiner Sprech- und Schreibbeeinträchtigung, verursacht durch die Krankheit ALS, nicht immer so einfach. Habe ich mich einmal entschieden, für eine Sache einzustehen, setze ich viel Kraft dafür ein. Schade, nagt die Krankheit ALS immer mehr an meinen Nerven und schwächt damit meine Muskeln. Aber aufgeben ist für mich noch keine Option.
14. Nachdem meinem Mann vor zwei Wochen die abgerissene Bizepssehne operativ befestigt wurde, durfte er seinen Arm nicht gross belasten. So durfte er mich im Bett auch nicht umlagern. Ich musste als passionierte Seitenschläferin, all die Nächte auf dem Rücken verbringen. Dabei musste ich froh sein, wenn ich mal vor 2.00 Uhr einschlafen konnte. Solange mein Mann bei meiner Abendpflege ausfällt, übernimmt die Spitex. Blöd ist, dass ich ab 19.00 Uhr für die Spitex im Zimmer sein muss. Und das auch an gemütlichen Grill-Abenden. Funktioniert mal besser, mal schlechter. Wenn es mal gar nicht geht, springt mein Sohn ein. Meine Assistentinnen decken den Tag ab. Langsam gehts mit dem Arm meines Mannes aufwärts. So konnte er mich gestern Abend, mit dem gesunden Arm umlagern und ich durfte endlich mal wieder eine Nacht in Seitenlage geniessen. Mir wurde dabei wieder mal bewusst, wie stark ich im Alltag auf die Hilfe meines Mannes angewiesen bin.
Er stützt meine gebrochenen Flügel und hilft mir zu Fliegen. Danke ❤️
16. Manchmal komme ich nicht daran vorbei, schmutzige Wege zu befahren. Dass ich dabei Schmutz abbekomme, ist unvermeidlich. Dabei muss ich aufpassen, nicht noch zusätzlichen Schmutz zu produzieren. Das ist aber nicht so ganz einfach. Am liebsten würde ich mich mehrere Stunden unter die Dusche stellen, um mich wieder sauber zu fühlen.
Heute muss ich mal wieder runterfahren und zu mir selber finden. Darum verbringe ich den heutigen Tag mit meinem Mann im Garten. Dort finde ich hoffentlich wieder mein Gleichgewicht.
18. Jetzt ist einer meiner Flügel tatsächlich gebrochen. Beim zweiten Sturz innerhalb drei Wochen bin ich nicht so glimpflich davongekommen. Beim Transfer mit der Spitex habe ich das Gleichgewicht verloren und bin seitlich zu Boden gefallen. Dabei brach ich mir den Oberarmknochen. Durch die jahrelange ALS-Erkrankung und die Unbeweglichkeit haben meine Knochen an Substanz verloren. Sie sind zerbrechlicher geworden. Da es ein glatter Bruch ist und ich den linken Arm vorher schon kaum mehr benutzen konnte, haben wir uns vorerst gegen eine Operation entschieden. Ich muss den Arm einfach körpernah tragen. Die Sanitäter, welche mich Zuhause abgeholt haben und mich gleich mit Schmerzmittel versorgt haben, konnten mir die Angst nehmen. Dann auf dem Notfall nahm uns ein Herr in Empfang, der sich mit ALS auskennt. Bis vor kurzem arbeitete er in der Klinik im Tessin, in welcher wir jährlich die ALS-Gruppe-Ferien verbringen. Er hat meinen Mann und mich sofort wiedererkannt. Da soll mal einer sagen, ich sei nicht gut aufgehoben.
Wenn der Wind der Veränderung weht, bauen einige Menschen Mauern und andere Windmühlen. – Chinesisches Sprichwort
25. Mein Arm macht mir leider ein bisschen Probleme. Die Schmerzen sind mitunter doch recht stark und ohne Schmerzmittel geht noch gar nichts. Heute hatten mein Mann und ich gleich zusammen einen Kontrolltermin bei unserem Hausarzt. Auch der Arm meines Mannes braucht noch einige Zeit, bis er wieder heil ist. Wir beide haben diese Woche noch zusätzlich je einen Termin in der Spital-Chirurgie. Hoffe einfach, dass die Bizepssehne meines Mannes gut anwächst und das Taubheitsgefühl im Arm nachlässt. Für mich hoffe ich, dass mein Bruch im Oberarm gerade zusammenwächst. Schauen wir mal, was das erneute Röntgen am Freitag ergibt.
Mehr Schreiben lässt mein Arm nicht zu. Ich weiss nicht, warum ich die halbe Nacht mit Schmerzen wachliegen musste. Am Samstag besuchten wir trotz meinen Schmerzen das Country- und Trucker Festival in Interlaken. Wir wollten unsere VIP-Billette nicht verfallen lassen. Ob es an den Vibrationen der Musik liegt? Ist aber eigentlich auch egal. Menschen Mauern und andere Windmühlen. Der Tag hat Spass gemacht.
JULI
2. Laut Arzt und Röntgenbild heilt mein Bruch schön gerade zusammen. Auch die Bizepssehne meines Mannes wächst gut am Knochen an. Wir sind beide froh, dass es langsam, aber sicher aufwärts geht. Vorerst benötige ich für meine Transfers immer noch zwei Personen. Einerseits zur Entlastung meines Armes und andererseits wegen meiner Angst vor einem weiteren Sturz. Heute wurde zu meiner Sicherheit auch gleich noch eine feste Wand im Badezimmer montiert. Es wird so vieles für mein Wohl unternommen. In dieser stressigen Zeit haben sich meine Assistentinnen, die Spitex, mein Sohn, mein Mann und ich, als sehr gut funktionierendes Team bewiesen. Ihre Geduld, ihr einfühlsames Handeln und ihre Flexibilität schätze ich sehr. Ohne sie, hätte ich wohl vorübergehend in ein Pflegeheim ziehen müssen. Da ist mir der Aufenthalt in unserem Garten dann doch viel lieber.
3. Amselkückenfütterung. Es sind vier Küken, die mittlerweile lautstark nach Futter rufen und ihre Schnäbel nicht weit genug aufsperren können, um bei der Fütterung ja nicht zu kurz zu kommen. Wir können von unserem Wohnzimmerfenster direkt auf das Nest blicken.
4. ALS-Ferien-Woche vom 16.8.18 - 23.8.18 in Locarno
Ich durfte schon einige Male an der ALS-Ferien-Woche teilnehmen. Jedesmal war ich aufs Neue begeistert. Trotz unserer Krankheit unterscheidet sich unsere Gruppe nicht gross von anderen Urlaubern. Wir lachen, quatschen, kommunizieren übers iPad oder hören der Unterhaltung zu. Wir haben Spass zusammen und vergessen mal für eine Woche unseren Alltag. Freundschaften entwickeln sich, welche über die FEWO hinaus bestehen bleiben. Liebe ALS-Betroffene, liebe Angehörige, wenn ihr für eine Woche dem Alltagstrott entfliehen wollt, dann kommt mit uns in die Ferien ins Tessin. Ich freue mich auf euch.
5. Weil mir grad so zu Mute ist, könnt ihr euch den vollständigen Text anhören, welcher auf der Startseite meiner HP steht. "Wer Schmetterlinge lachen hört, der weiss, wie Wolken schmecken".
Wer Schmetterlinge lachen hört,
der weiß, wie Wolken schmecken.
Der wird im Mondschein, ungestört
von Furcht, die Nacht entdecken.
Der wird zur Pflanze, wenn er will,
zum Stier, zum Narr, zum Weisen.
Und kann in einer Stunde
durchs ganze Weltall reisen.
Der weiß, dass er nichts weiß,
wie alle anderen auch nichts wissen.
Nur weiß er, was die andern
und auch er selbst noch lernen müssen.
Wer Schmetterlinge lachen hört,
der weiß, wie Wolken schmecken.
Der wird im Mondschein, ungestört
von Furcht, die Nacht entdecken.
Wer mit sich selbst in Frieden lebt,
der wird genauso sterben
und ist selbst dann lebendiger
als alle seine Erben
Carlo Karges (1951-2002), war ein Gründungsmitglied der deutschen Rockband Novalis, der ihr von 1971 bis 1975 als Gitarrist und Keyboarder angehörte und für die er 1973 den Songtext „Wer Schmetterlinge lachen hört“ schrieb.
7. Dieses Wochenende findet das Eröffnungsfest der ViaUrschweiz statt. Zum Rahmenprogramm gehörend, fand heute Vormittag eine Führung speziell für Rollstuhlfahrende durchs Urner Reussdelta statt. Obwohl ich mich mindestens einmal in der Woche im Reussdelta aufhalte lies ich mich nicht davon abhalten, an der Führung teilzunehmen. Bei schönem Wetter machten wir uns mit Rollstühlen und zu Fuss auf die Erkundungstour. Fachkundig wurde uns während der Tour die Fauna und Flora nähergebracht. Sehr spannend zu hören, wie sich das Reussdelta während Jahren immer weiterentwickelt hat. Das Reussdelta ist zu einem wunderschönen Naturschutzparadies geworden. Für mich, eines der schönsten Orte nebst meinem Garten.
9. Nun sind sie flügge geworden, unsere vier Amselkinder. Auch das letzte hat sich aufgemacht, die Welt zu erkunden. Es spannte seine Flügel aus, flog los, um sogleich auf dem Boden zu landen. Es braucht noch ein wenig Übung. Die Flügel müssen wohl auch noch etwas kräftiger werden, um weite Strecken fliegen zu können. Bis sie soweit sind, werden sie weiterhin von der Amselmama am Boden gefüttert. Doch unsere vier Kleinen schaffen das schon.
Unsere Flügel sind auch wieder fast heil. Mein Mann hat heute seine Arbeit wieder aufgenommen und mein Knochenbruch ist so gut verheilt, dass ich für meine jeweiligen Transfers, nur noch eine Pflegeperson benötige. Ich bin froh, wenn dann mal wieder der normale Alltag einzieht. Doch, gibt's das bei einer ALS-Erkrankung überhaupt?
14. Ja ich weiss, ihr möchtet wieder etwas von mir lesen. Ich kommuniziere ja eigentlich auch sehr gerne. Sei es nun mündlich oder schriftlich. Ich weiss jetzt nicht, ob’s nur an meiner Krankheit liegt, dass meine Aussprache immer undeutlicher wird oder ob mir meine Stimme einfach zu verstehen geben will, vermehrt den Mund zu halten. Wenn es um Ungerechtigkeiten geht, konnte ich dies jedoch noch nie. Mein Vater meinte mal; mit meinem grossen Maul käme ich wohl nicht weit. Ich denke, er wäre heute trotzdem stolz auf seine Tochter. Ich habe schon als Teenager die Stimme für Andere erhoben. So stellte ich mich in der Handelsschule vor eine Mitschülerin, welche wegen ihrer fehlenden Englischkenntnis, ständig von der Lehrerin kritisiert wurde. Den Unmut der Lehrerin entlud sich danach über mich, sodass es mir nicht mehr möglich war, die Englisch-Lektionen zu besuchen. So habe ich in Englisch auch keinen Abschluss. Aber was solls, kann ja nicht mal fehlerfrei Deutsch schreiben. Später, im Arbeitsleben, musste ich als Abteilungsleiterin das Arbeitsverhältnis einer sehr guten Mitarbeiterin auflösen. Und dies nur, weil sie der Direktion nicht ins Konzept passte. Hab dann gleich meine Kündigung hinterhergeschickt. Ich wusste, ich finde wieder einen Job. Und so war es dann auch. Auch bei Streitigkeiten in unserer Grossfamilie, welche 12 Personen umfasste, stand ich denen bei, welche es gerade am nötigsten hatten. Schon oft bekam ich wegen meinem Einsatz auf den Deckel. Vielleicht habe ich gerade deswegen einen harten Kopf. Unlängst meinte Jemand, ich hätte wie alle Urner einen «Stiärägrind». Vielleicht ist es gerade diese "Sturheit" die in mir den Kampfgeist weckt, mich seit nunmehr 17 Jahren der Krankheit ALS entgegenzusetzen. Womöglich fliesst gar Stierblut in meinen Adern, welches mir Kraft verleit, mich für uns Menschen und auch für andere Lebewesen einzusetzen. Ich bin stolz auf den Stier im Urner-Wappen.
Aber egal woher ich komme oder von wem ich abstamme. In erster Linie bin ich Mensch. Und als solcher ist mir wichtig, für Menschen, die mich brauchen, da zu sein. Im Laufe der Jahre haben viele Menschen in meinem Herzen Platz gefunden. Ich nenne sie Freunde und manche bezeichne ich als meine Familie. Von meinen Freunden erwarte ich das gleiche, was sie auch von mir erwarten dürften. So akzeptiere ich weder Unwahrheiten noch dessen nicht Benennung. Ich verabscheue Falschheit. Freunde stehen füreinander ein und fallen sich niemals in den Rücken.
Freunde denunzieren sich gegenseitig schon gar nicht. Das ist aber ohnehin keine schweizerische Eigenschaft. Menschen, in deren Abwesenheit vorzuführen und anzuklagen, ist feige. Wenn das noch unter rechtlicher Aufsicht passiert, kann es unwürdiger kaum noch sein. Wer die Freundschaftsregeln verletzt, wird sich erklären müssen und der Verbleib in meinem Herzen wird ungewiss. Mir ist es sehr wichtig, meinen Freunden beizustehen und für sie einzutreten. Da mich meine Stimme immer mehr im Stich lässt, gelingt mir dies nicht mehr so gut. Früher konnte ich Menschen, mit vielen Worten und guten Argumentation, für eine Sache begeistern. Früher konnte ich auch diplomatischer agieren. Heute fehlt mir schlichtweg die Puste, um ausgeschmückte Sätze bilden zu können.
Beispiel Früher: Wärst du bitte so nett, mir ein Stück von dem so wohlriechenden Apfelkuchen abzuschneiden, welcher aus den süssen, kleinkernigen, mittelgrossen, rotgelben Äpfeln hergestellt wurde, die von unseren niedrigstämmigen, alten Apfelbäumen aus unserem paradiesisch grossen Garten stammen? Danke.
Beispiel Heute: Könnte ich bitte ein Stück Apfelkuchen haben? Danke.
Beispiel Später: Bitte Apfelkuchen. Danke
Beispiel noch Später: Apfelkuchen
Beispiel nochmal Später: ......... kann nicht mehr reden und auch nicht mehr essen
Dasselbe passiert bei der schriftlichen Kommunikation. Je mehr die Finger an Kraft verlieren, desto mühsamer wird es mit dem Schreiben. Wo früher Sätze mit poetischen Wörtern gespickt wurden, kommen die Sätze heute eher kalt, abstrakt und aufs wesentliche reduziert daher.
15. Es ist nicht nur die Kurzatmigkeit, welche uns daran hindert, deutlich zu sprechen. Vielmehr noch wirkt sich die Muskelschwäche in Mund und Rachen aus. Die Zunge wird unbeweglicher und schwerer. Das Artikulieren wird mit der Zeit immer schwieriger. Buchstaben können nicht mehr ausgesprochen werden. Ich z.B. kann mittlerweile weder ein K noch ein R artikulieren. Aus Rita wird Lita. Klinkt doch aber auch ganz schön. Nicht nur das Verpacken der Wörter spielt bei der Kommunikation eine Rolle. Die Tonlagen, die Emotionen, die Mimik, die Gestik und der Augenausdruck geben der Stimme die nötige Wirkung.
Es ist oft frustrierend, nicht verstanden zu werden. Man wiederholt und wiederholt und wird oft trotzdem nicht verstanden. Besonders frustrierend ist es, wenn über ein Thema diskutiert wird, in dem man selber gut bewandert ist, sich aber nur bescheiden einbringen kann. Manchmal habe ich sogar das Gefühl, nicht als Voll genommen zu werden. Es gibt Kommunikationsgeräte, welche die eigene Stimme ersetzen. Da aber Buchstabe für Buchstabe entweder von Hand, mit einer Kopfmaus, einer Augensteuerung oder einem externen Schalter angesteuert werden muss, dauert es oft lange, bis ein Satz zustande kommt. Im Alltag ist diese Art der Kommunikation unentbehrlich. In einer Diskussionsrunde ohne Vorbereitung eher ungeeignet.
16. Obwohl es sehr viel Kraft fordert, ist es wichtig, sich mitzuteilen und einzubringen. Für mich war es schon immer eine Selbstverständlichkeit, selbstbestimmt durchs Leben zu gehen. Das werde ich trotz meiner mehrfachen Beeinträchtigung, verursacht durch die Krankheit ALS, weiterhin tun. Ich werde so lange für mich selber einstehen und meine Angelegenheiten selber regeln, wie es meine Gesundheit eben zulässt. Ich animiere auch andere Menschen, die wie ich, ihr Leben mit Beeinträchtigungen bewältigen müssen, dasselbe zu tun.
Selbstvertreterinnen und Selbstvertreter sind grundsätzlich Einzelkämpferinnen und Einzelkäpfer. Um gemeinsam ein Ziel zu verfolgen und um Kräfte zu bündeln, schliessen sie sich in Gruppen zusammen. Vor zwei Jahren habe ich deshalb auch mit dem Aufbau der Gruppe Selbstvertretung Uri angefangen. Mittlerweile steht ein stabiles Fundament und der "Betrieb" läuft. Wir konnten auch schon einiges in Bewegung setzen. Doch es gibt noch vieles zu tun. Was Selbstvertretung bedeutet, könnt ihr auf unserer Homepage lesen. Es ist uns sehr wichtig, mitreden und mitbestimmen zu können, wenn es um unsere Belange geht. Viel zu lange schon, werden über unsere Köpfe hinweg, Entscheidungen gefällt. Ohne uns als Experten in eigener Sache, beizuziehen. Auch Patientenorganisationen sind hier nicht ausgenommen. Es kann und darf nicht sein, dass in einem Patientenverein, Nichtbetroffene anhand ihrer Überzahl, die Betroffenen überstimmen können. Einige Organisationen haben dies erkannt und haben gehandelt. Die Uneinsichtigen hingegen haben eine Ablauffrist.
Nun also steht die Selbstvertretung Uri und es wird Zeit, das Führungszepter weiter zu reichen. Aufgrund meiner kommunikativen Schwierigkeiten rücke ich gerne etwas in den Hintergrund. Ich werde von dort aus weiter an der Weiterentwicklung der Selbstvertretung Uri mitarbeiten. Ich bin froh um diese Entlastung. Danach werde ich wieder mehr Zeit für mich haben und auch um meine Freunde zu besuchen.
22. Nachdem ich beim Transfer, innerhalb drei Wochen, den 2. Bodenkontakt hatte, beantragte ich bei der IV (Invalidenversicherung) einen Patientenheber. Sollte ich wiedermal auf dem Boden landen, so kann mich eine Person alleine, mit dem Patientenheber hochnehmen. Ich will solange wie eben möglich, stehend transferiert werden. Sollten meine Beine mal zu schwach sein, um mich mit dem Drehteller zu transferieren, kommt der Patientenheber zum Einsatz. Diese Woche wurde nun der Patientenheber aus dem IV-Depot geliefert. Die Instruktion wurde gleich 1:1 durchgeführt. Hätte ich das vorher gewusst, hätte ich am Morgen sicher kein Kleid angezogen. Doch was soll's. Bei der ALS kommt man mit Geziere ohnehin nicht weit. Hauptsache es hat funktioniert. Ich überlege bereits, ob ich mit dem Patientenheber auf die Harley gesetzt werden könnte. Ich vermisse die Töfftouren mit meinem Mann schon sehr. Wie oft haben wir unser grünes Iglu-Zelt und zwei Schlafsäcke auf die Harley gebunden und die Saccochen mit dem nötigsten gefüllt und sind einfach losgefahren. Diese Freiheit, diese Unabhängigkeit vermisse ich schon sehr.
23. Auch wenn ich mich nicht mehr hinter meinen Mann in den Sattel schwingen kann, so freut es mich doch, dass Piet das Töfffahren nicht aufgeben muss. Wegen meiner Krankheit kann er sicher nicht mehr so oft mit der Harley unterwegs sein wie früher. Es reicht jedoch nach wie vor für zwei, drei Ausfahrten die Woche. So wie gerade eben, kann ich eins, zwei Stunden auch getrost allein verbringen. Da ich den ganzen Tag von Spitex-Mitarbeitern, Assistentinnen und Therapeuten umgeben bin, schätze ich das allein sein sehr. Das kommt uns beiden zu gute. Ich möchte nicht, dass mein Mann sein Leben nur nach mir ausrichtet. Jeder von uns braucht seine Freiräume. Die geben wir einander. Ich denke, sonst würde es nicht funktionieren. Unsere Gemeinschaft hält nunmehr 41 Jahre. Und ich stelle gerade fest, ich werde alt. Zum Glück kann ich nur sagen. Bei meiner Krankheit ist das nicht selbstverständlich.
Dieses Jahr werde ich mit je einer meiner Assistentinnen an den ALS-Gruppe-Ferien im Tessin teilnehmen. Mein Mann kann somit wieder mal eine grössere Töfftour unternehmen. Ich freue mich auf die Ferien mit Gleich-Betroffenen.
25. Als mein Mann und ich gleichzeitig Unfall hatten, konnten sich meine Assistenten nicht auch noch um unseren Garten kümmern. Ich musste einsehen, dass ich unseren Garten pflegeleichter gestalten muss. Letzte Woche nahm ich mit einer Gartenbaufirma Kontakt auf und besprach mit einem Landschaftsgärtner meine Vorstellungen.
Der Termin für die Realisierung wurde auf Heute gesetzt. Da ich am Mittwochmorgen ohne Assistenten auskomme und mein Mann zur Arbeit muss, hiess es für mich heute, 6.15 Uhr Tagwache. Eine Stunde später standen zwei Gärtner bereits auf der Matte. Sie legten nach ein paar klärenden Worten gleich los. Später habe ich die Beiden mit einem zünftigen Znüni-Brot vom Dorfladen versorgt. Es macht mir unheimlich Spass, solche Dinge eigenständig durchzuziehen. Und weil ich ohnehin vor Ort sein musste, kam gleich noch ein Mitglied von der Selbstvertretung Uri auf einen Besuch vorbei. Bei der letzten Selbstvertreter-Sitzung hat sie von der Gruppe den Auftrag gefasst, die Einkaufswagen für Rollstuhlfahrende zu testen. So konnte ich heute gleich zwei Termine miteinander verbinden. Und dies erst noch bei der Hitze
30. In einer sehr langen Sitzung, der Mond hat bereits auf unsere Notizen und Agenden gelächelt, konnte ich letzten Donnerstag einen Teil der Arbeit von Selbstvertretung Uri, an die zukünftige Gruppenleiterin übergeben. Sie wird für die mündliche, wie schriftliche Kommunikation zuständig sein. Ich selbst werde weiterhin für die Internetauftritte wie Homepage und Facebook zuständig sein. Auch werde ich die Gruppe mit meinem Sachwissen unterstützen. Weiter möchte ich mich an Infoveranstaltungen und mit Kursen weiterbilden. Mich interessierten vor allem die Pflege, Betreuung und Begleitung von Menschen mit Beeinträchtigungen und von betagten Menschen. Hierzu gehört die Weiterentwicklung des Assistenz Budgets, die Lebenspraktische Begleitung und die Subjektfinanzierung. Dafür brauche ich vorwiegend meine Ohren und Augen und die sind von der ALS nicht betroffen. Also langweilig wird es mir bestimmt nicht.
Aber jetzt geniesse ich vorerst mal den Sommer.
31. Eine wunderschöne Reise liebe Irène. Die Erinnerungen an dich bleiben hier.
AUGUST
4. Ich weiss, der August ist bereits vier Tage alt. Ausser meiner HP wiedermal ein neues Outfit zu verpassen, konnte ich in den letzten Tagen nicht viel tun. Eine sehr schmerzhafte Magengrippe hat mich flachgelegt. Hinzu kamen starke Kopfschmerzen, wahrscheinlich verursacht durch den niedrigen Sauerstoffgehalt im Blut. Mit 91 liegt der Wert an der unteren Grenze. Die momentane Hitzewelle ist für den Kreislauf auch nicht so förderlich. Ich bin ja eigentlich ein Sonnenfan, doch jetzt übertreibt sie eindeutig. Obwohl es mir wieder besser geht, sehe ich mich gezwungen, die Sonnenauftritte etwas zu meiden. Damit ich es in meinem Zimmer aushalte, hat mir mein Mann ein Klimagerät installiert. Das hält die Raumtemperatur auf normalem Mass und lässt mich schlafen. Nicht gerade umweltfreundlich, doch jetzt geht's nicht anders. Werde irgendeine Möglichkeit finden, der Umwelt eine Gegenleistung zu erbringen.
10. Endlich habe ich mein Magen-Bauch-Darm-Problem gelöst. Es hat einige Zeit gedauert, bis sich die Drei beruhigt haben. Ich kann mir gut vorstellen, dass dies Nachwirkungen von den starken Schmerzmitteln sind, welche ich beim Armbruch nehmen musste. Vollgepumpt mit diesen Drogen konnten die Drei schön Party feiern. Um ja nicht gestört zu werden, verbarrikadierten sie gleich noch die Hintertür. Mit Kamillentee, Knäckebrot und Suppe setzte ich sie ein paar Tage auf Entzug. Und Gestern haben sie endlich die Party abgebrochen und die Tür geöffnet.
Bauchschmerzen kommen bei ALS-Betroffenen, welche den ganzen Tag im Rollstuhl oder im Bett verbringen, oft vor. Die Unfähigkeit sich bewegen zu können, führt zur Darmträgheit. Dies kann zu einer Obstipation (Verstopfung) führen, was vielfach mit Bauchschmerzen einhergeht. In einem solchen Moment würde man sich die Arme auf den Bauch pressen, die Beine hochziehen oder sich zusammenrollen. Als ALS-Betroffener kannst du dies wegen der Bewegungsunfähigkeit, verursacht durch Muskelschwäche, nicht tun.
Was weiterhin niedrig bleibt, ist die Sauerstoffsättigung im Blut. Dies ist eine der vielen Dinge, welche die Krankheit ALS mit sich bringt. Da die Kopfschmerzen ebenfalls das Weite gesucht haben, muss ich noch nichts unternehmen. Ich benötige zurzeit noch keine Sauerstoff-Unterstützung.
Was habe ich aus dem Ganzen gelernt. Trinken, auch wenn ich keinen Durst habe. Mich ab und zu, so gut es eben geht, im Rollstuhl bewegen. Und, das Wichtigste, nie wieder soweit kommen zu lassen.
12. Jetzt haben auch wir Ferien. Das heisst, mein Mann muss nicht zur Arbeit, doch die Arbeit mit mir bleibt. Richtig Ferien beginnen für ihn am Donnerstag. Da fahre ich für eine Woche in die ALS-Gruppeferien ins Tessin. Die vom Verein ALS-Schweiz organisierte Ferienwoche für ALS-Betroffene und deren Angehörige, wird dieses Jahr bereits zum 6. Mal durchgeführt. Ich selbst darf schon zum 5. Mal dabei sein. Ich werde von zwei meiner Assistentinnen begleitet. Sie werden jeweils eine halbe Woche anwesend sein. Mich so gut begleitet zu wissen, kann sich mein Mann wiedermal auf eine grössere Töff-Tour begeben.
Wegen gewissen Spannungen und Vorkommnissen, welche ich bis heute nicht und wohl auch nie gutheissen kann, war ich mir lange unschlüssig, ob ich überhaupt noch mal an den ALS-Gruppen-Ferien teilnehmen soll. Die Liebe zu meinen Betroffenen ALS Kolleginnen und Kollegen, deren Angehörigen, den Pflegenden und Begleitern, lies es jedoch nicht zu, der Ferienwoche fernzubleiben.
Es wird dieses Jahr sicher nicht gleich sein wie andere Jahre. Schon daher, dass ich mich seit den letzten ALS-Ferien von vielen ALS-Kolleginnen und Kollegen verabschieden musste. Darunter sind langjährige, treue Freunde. Wiederum andere können wegen Fortschreiten der Krankheit nicht mehr teilnehmen.
Ich bin aber zuversichtlich, dass wir trotz allem eine wunderschöne Woche im Tessin erleben werden. Ich freue mich jetzt jedenfalls darauf.
13. Am Samstag erhielt ich von einer langjährigen Freundin über WhatsApp einen Text zugeschickt. Da er sehr lang war, mochte ich diesen nicht gleich lesen. Dies holte ich heute nach. Was ich da lesen durfte, spricht mir aus der Seele und ich möchte euch den Text nicht vorenthalten.
Meine Seele hat es eilig
Ich habe meine Jahre gezählt und festgestellt, dass ich weniger Zeit habe, zu leben, als ich bisher gelebt habe.
Ich fühle mich wie dieses Kind, das eine Schachtel Bonbons gewonnen hat: die ersten isst sie mit Vergnügen, aber als es merkt, dass nur noch wenige übrig sind, begann es, sie wirklich zu genießen.
Ich habe keine Zeit für endlose Konferenzen, bei denen die Statuten, Regeln, Verfahren und internen Vorschriften besprochen werden, in dem Wissen, dass nichts erreicht wird.
Ich habe keine Zeit mehr, absurde Menschen zu ertragen, die ungeachtet ihres Alters nicht gewachsen sind.
Ich habe keine Zeit mehr, mit Mittelmässigkeit zu kämpfen.
Ich will nicht in Besprechungen sein, in denen aufgeblasene Egos aufmarschieren.
Ich vertrage keine Manipulierer und Opportunisten.
Mich stören die Neider, die versuchen, Fähigere in Verruf zu bringen, um sich ihrer Positionen, Talente und Erfolge zu bemächtigen.
Meine Zeit ist zu kurz, um Überschriften zu diskutieren. Ich will das Wesentliche, denn meine Seele ist in Eile. Ohne viele Süssigkeiten in der Packung.
Ich möchte mit Menschen leben, die sehr menschlich sind.
Menschen, die über ihre Fehler lachen können, die sich nichts auf ihre Erfolge einbilden.
Die sich nicht vorzeitig berufen fühlen und die nicht vor ihrer Verantwortung fliehen.
Die die menschliche Würde verteidigen und die nur an der Seite der Wahrheit und Rechtschaffenheit gehen möchten.
Es ist das, was das Leben lebenswert macht.
Ich möchte mich mit Menschen umgeben, die es verstehen, die Herzen anderer zu berühren.
Menschen, die durch die harten Schläge des Lebens lernten, durch sanfte Berührungen der Seele zu wachsen.
Ja, ich habe es eilig, ich habe es eilig, mit der Intensität zu leben, die nur die Reife geben kann.
Ich versuche, keine der Süßigkeiten, die mir noch bleiben, zu verschwenden.
Ich bin mir sicher, dass sie köstlicher sein werden als die, die ich bereits gegessen habe.
Mein Ziel ist es, das Ende zufrieden zu erreichen, in Frieden mit mir, meinen Lieben und meinem Gewissen.
Wir haben zwei Leben und das zweite beginnt, wenn du erkennst, dass du nur eins hast.
Gedicht von Mario de Andrade (San Paolo 1893-1945) Dichter, Schriftsteller, Essayist und Musikwissenschaftler.
Einer der Gründer der brasilianischen Moderne.
14. Jetzt sind sie gepackt, meine siebentausend Sachen. Eigentlich könnte ich jetzt schon losfahren. In anderthalb Stunden könnte ich schon auf der Piazza Grande in Locarno sitzen und mir einen Hugo gönnen. Dass es dieses Getränk auch ohne Alkohol gibt, habe ich erst am letzten Samstag erfahren. Es ergab sich spontan, dass ich mit einem Teil meiner Geschwister und deren Partnern, auswärts zum Nachtessen fuhr. Wie so üblich, wurde mit einem Aperitif gestartet. Die meisten von den Neun Anwesenden bestellten einen Hugo. Doch ich wusste von der Piazza Grande, dass ich dieses Getränk, wie viele andere Aperitif mit Alkohol, nicht mag. Da flüstert mir eine meiner Schwägerinnen zu; Rita, den Hugo kannst du auch ohne Alkohol haben. Er sieht genau gleich aus und merkt kein Mensch. Also, dieses Jahr trinke ich auf der Piazza Grande auch meine Hugos. Vielleicht schon am Donnerstagabend.
Den morgigen Tag werde ich noch mit meinem Mann geniessen. Am Donnerstag heisst es für mich, ab in den Süden. Und mein Mann wird auf seine Harley steigen und auf Tour gehen. Wir hoffen beide auf schönes Wetter und einfach eine schöne Zeit.
15. Liebe Hildegard, Kurz vor den ALS-Ferien im Tessin, hast du dich auf eine andere Reise begeben. Ich denke, diese Reise wird nicht weniger interessant sein als die ins Tessin. Ich wünsche dir eine wunderschöne Reise und hoffe, dass es so sein wird, wie du es dir erträumt hast.
Es ist nicht so einfach, immer wieder von lieben Menschen Abschied nehmen zu müssen. Trotz der Trauer dürfen wir uns darin nicht verlieren. Unser aller Leben ist kurz. Behalten wir die schönen Erinnerungen und freuen uns am Leben.
Die ALS-Familie wird in den Ferien eine Gelegenheit finden, unseren Lieben zu gedenken. Ich denke, es ist in ihrem Sinne, dass wir miteinander Spass haben und eine schöne Zeit miteinander verbringen.
16. Gleich fahren wir los in die Ferienwoche. Wann immer ich Zeit finde, werde ich euch von den Ferienereignissen berichten. Wenn es mir die Ferienteilnehmer erlauben auch gerne mit Fotos untermalen. Das Ferientagebuch findet ihr oben unter TGB ALS-Gruppe-Ferien-Woche 18. (Das Ferientagebuch wird Ende September wieder gelöscht. Ein einfacher Ferienbericht ohne Fotos werde ich Ende August unten anhängen.)
Also nun geht's los. Ich freue mich, die Teilnehmer zu treffen. Piazza Grande, wir kommen.
21. Wie jedes Jahr in der ALS-Ferien-Woche jährt sich auch heute wieder meine ALS-Diagnose und das zum 17 Mal.
23. Leute, ich bin zurück aus den Ferien. Sobald ich mich etwas ausgeruht habe, werde ich den Ferienbericht fertigstellen. Aber nicht mehr Heute. Heute brauche ich mal wieder kräftig laute Musik auf meine Ohren. Mit ihr kann ich von den vielen Ferienerlebnissen runterfahren.
24. Das Ausschlafen heute hat gutgetan. Ich war doch recht müde. Später habe ich die Ferienfotos aussortiert und bearbeitet. Natürlich machte ich auch heute eine Rollirunde. Ich fuhr zum Bauernhof meines Bruders. Dort wurde ich geboren und dort bin aufgewachsen. Ich verlies mein Elternhaus erst bei meiner Heirat. Auf dem Bauernhof wurde ich gleich mit frischen Eiern, Mirabellen und direkt vom Baum gepflückte Zwetschen eingedeckt. Piet wird die Früchte am Sonntag gerne verarbeiten. Morgen haben wir wieder das Familien-Treffen von Piets Familie. Und ich habe soeben das Ferientagebuch fertig gestellt. Jetzt muss ich schlafen gehen. Der morgige Tag wird wieder ein aktiver Tag sein.
26. Gestern fand wieder das Familien-Treffen von Piets Familie statt. Alle zwei Jahre treffen wir uns im August in Wilen bei Wollerau. Elias, ein Neffe von Piet, organisiert die Treffen jeweils mit Unterstützung von Frau und Sohn. Als wir ankamen, wurde der Grill bereits eingeheizt. Es braucht schon eine Menge gutes Holz, um genügend Glut zu erzeugen, für so viele Würste und Grilladen. Walti, ein Bruder von Piet, stellte auch wieder das Dreibein auf und bereitete uns wieder das Beste Safran-Risotto zu. Das Essen mit den vielen mitgebrachten Salaten hat hervorragend geschmeckt. Später bedienten wir uns an den selbergemachten und mitgebrachten Kuchen, Torten, Pasteten, Krapfen. Natürlich durfte ein feiner Kaffee dazu nicht fehlen. Ein schöner, gemütlicher und gesprächsreicher Nachmittag bleibt in Erinnerung. Ich liebe solche Zusammenkünfte!
27. Heute hat auch bei uns der Alltag wieder Einzug gehalten. Piet musste wieder zur Arbeit und meine Pflege und Unterstützung übernahmen wieder meine Assistenzpersonen. Auch hatte ich heute bereits wieder 1 Stunde Physiotherapie bei mir Zuhause. Einen Teil des Nachmittags verbrachte ich am PC. In nächster Zeit habe ich einige Termine, die ich vorbereiten und wahrnehmen muss. Zudem bin ich für den reibungslosen Ablauf vom nächsten ALS-Familie-Stammtisch verantwortlich. Auch stehen noch einige Zusammenkünfte der Gruppe Selbstvertretung Uri auf dem Programm. Bis Ende Jahr habe ich, wenn man meine Krankheit in Betracht zieht, reichlich zu tun. Nächstes Jahr will ich es ein bisschen gemütlicher angehen. Mein Mann und meine Assistentinnen glauben noch nicht recht daran. Fragt sich einfach, ob ich das überhaupt kann und ob mich diese Tätigkeiten womöglich am Leben halten. Mit meinen körperlichen Einschränkungen kann ich nur einen winzig kleinen Bruchteil von dem tun, was ich eigentlich möchte. Ich weiss, vielen meiner ALS-Kollegen geht es ähnlich. Man möchte so viel tun, soviel bewegen, doch die Krankheit ALS bremst jeden von uns aus. Den Einten früher, den Andern später. Trotzdem, wir kämpfen solange, wie es eben geht.
Am späteren Nachmittag habe ich mich dann im Garten gemütlich eingerichtet. Den Rolli natürlich Richtung Sonne gerichtet. Schliesslich ist es um einige Grade kühler als letzte Woche in Locarno.
29. Ich komme nochmal auf meine Aktivitäten zurück. Meine Assistenzpersonen und mein Mann unterstützen mich bei vielen Tätigkeiten. Ohne ihre Hilfe könnte ich die meisten meiner Aktivitäten nicht ausüben. Sie fahren mich zu Terminen und übernehmen ab und an meine Stimme. Damit ich möglichst vieles über den PC erledigen kann, habe ich viele Dokumente in Ordnern auf dem PC gespeichert. Sobald ein Schreiben oder ein anderes wichtiges Dokument per Post kommt, wird mir dies auf den Drucker zum Einscannen gelegt. In den entsprechenden Ordnern abgelegt, habe ich jederzeit alle Dokumente griffbereit und muss niemanden bitten, für mich in einem Ordner zu blättern. Wegen meinen körperlichen Einschränkungen benötige ich für alles viel mehr Zeit, um Sachen zu erledigen. Darum sieht es auch nach mehr Arbeit aus, als es in Wirklichkeit ist. Müsste ich ein A4 Blatt vollschreiben, wäre ich wahrscheinlich fast einen ganzen Tag damit beschäftigt. Ich muss auch immer wieder Pausen dazwischen einlegen. Meine Arme kann ich im Sitzen noch etwa 10 cm hochnehmen. Gerademal um den Joystick am Rollstuhl zu erreichen oder die Hände auf den PC-Tisch zu legen. Meine Fingerfertigkeit, die es braucht, um mit einer Tastatur schreiben zu können, habe ich schon lange verloren. Ich benütze deswegen eine Bildschirmtastatur. Diese bediene ich je nach Kraft und Ort mit der Maus oder mit der Augensteuerung. Ich kommuniziere ebenfalls schriftlich über das Natel. Dieses bediene ich über den Rollstuhl-Joystick. Ich bin sehr froh um diese Hilfsmittel. Sie ermöglichen mir, mich doch noch an Einem oder anderen Ort zu engagieren und meine Interessen eigenständig zu vertreten.
Ich habe nur noch in drei Fingern genügend Kraft, um die PC-Maus zu bedienen. Der linke Zeigefinger, der rechte Mittelfinger, sowie der rechte Ringfinger. Wenn ich mich fest konzentriere, schaffe ich es sogar, den rechten kleinen Finger für einen Rechtsklick zu begeistern. Ansonsten drückt der linke Zeigefinger auf den rechten Zeigefinger, welcher auf der linken Maustaste liegt und gemeinsam lösen sie den linken Mausklick aus. Der rechte Mittelfinger bedient das Mausrad und der rechte Ringfinger drückt die rechte Maustaste. Verspannungen vorprogrammiert. Wenn ich den PC im Bett benutze, was öfters vorkommt, wird mir die Maus mit Klettbändern an die rechte Hand befestigt. Der Mittelfinger bedient dann die linke Maustaste und der kleine Finger die rechte Maustaste. Kompliziert?... einfach mal ausprobieren.
Und jetzt mache ich Pause und fahre endlich zu "meinem" See. Ich liebe diese Fahrten.
31. Wie angekündigt werde ich das ALS-Ferien-Tagebuch 18 mit den Teilnehmer-Fotos Ende September löschen. Den Ferienbericht selbst, werde ich nun hier unten anhängen.
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SEPTEMBER
4. Nachdem ich nun mit Bettflasche an den Füssen und einem Kirschsteinkissen auf der Brust die kühlen Nächte verbrachte, war ich heute um die Sonne sehr froh. Obwohl ich diese Woche eigentlich noch vieles erledigen möchte, lies ich es mir bei dem schönen Wetter nicht nehmen, zusammen mit meiner Assistentin Hildi an den See zu fahren und meine Lieblingsplätze aufzusuchen. Ich glaube, ich konnte Hildi die Schönheit des Reussdeltas näherbringen. Sie hat für mich jedenfalls fleissig auf den Auslöser der Fotokamera gedrückt. Ab all dem Staunen lief uns die Zeit davon. Doch der verlängerte Nachmittag hat mir und sicher auch meiner Assistentin gutgetan.
So und jetzt will ich noch etwas worken.
6. Liebe Kollegen, die ihr wie ich, jeden Tag mit der Krankheit ALS zu kämpfen habt, verliert nicht die Hoffnung und die Freude am Leben.
8. Diese Woche hatte es in sich. Langeweile gehörte bestimmt nicht dazu. Am Donnerstag startete die UR 18 – Urner Wirtschafts- und Erlebnismesse. Da durfte ich schon wegen der Musik, nicht fehlen. Doch nun reicht es auch. Nun bin ich müde. Für den morgigen Sonntag nehme ich mir vor, mal nichts anderes tun, als mich in den Garten zu setzen und die Sonne zu geniessen.
Schön wars halt schon. Ich liebe Live-Konzerte. Vor allem wenn Rock- Blues- Folk- oder Country-Musik gespielt wird. Ich mag auch die Irish-Musik und den Bluegrass. Ich liebe es einfach der Musik zuzuhören. Wenn möglich sehr laut. So können die Vibrationen des Basses auf meinen Körper übergehen. "I like this"
12. Wie vom Wetterbericht für diese Woche angekündigt, gibt der Sommer nochmals zünftig Gas. Mein Mann und ich haben daher beschlossen, diese Tage nicht einfach so an uns und unseren Leidenschaften vorbeiziehen zu lassen. So schwang sich mein Mann gestern schon früh auf seine Harley und machte sich auf zum Schwarzwald. Ich selber wollte eigentlich mit meiner Assistentin Hildi in die Berge. Mit ÖV, Seilbahn und einer Wanderung an einen Bergsee, wollte ich den Tag verbringen. Trotz meinen auffallend roten Hosen habe ich mich dann kurzerhand umentschieden. Ich wollte den Jägern ein wenig Zeit lassen, ihre Augen zu schärfen. Am Montag war gerade erst Jagderöffnung.
Also begab ich mich mit Hildi an den Vierwaldstättersee und bestieg ein Schiff. Nach gut zwei Stunden Fahrt, verliessen wir das Schiff und machten uns zu Fuss und mit Rolli auf den Rückweg. Es war so herrlich, auf dem Uferweg zu wandern. Ich mag den Duft des Sees. Hildi meinte zwar manchmal, es rieche ihr zu sehr nach Fisch. Die Blumen und den blühenden Sträuchern am Wegesrand, vermöchten jedoch immer wieder, die Luft mit wohlriechenden Aromen zu verzaubern.
Ganz weit öffnete ich meine Nasenflügel, sobald wir ein Waldstück mit Nadelbäumen passierten. Dieser Duft geht sehr tief. Er gibt mir das Gefühl von Reinheit, Ehrlichkeit, Beständigkeit, von Schutz.
Nach dreistündiger Wanderzeit bestiegen wir wieder ein Schiff. Dieses brachte uns dann sicher in den Heimathafen zurück.
Wir waren kaum fünf Minuten Zuhause, kehrte auch schon mein Mann wohlbehalten von seiner Töfftour im Schwarzwald zurück.
Es war ein schöner Tag.
16. Juhui, wir haben es geschafft. Die Fotostick von den ALS-Gruppe-Ferien vom August 18, stecken nun in den adressierten Couverts und werden am Montag an die Ferienteilnehmer versandt. Ich habe über 900 zugesandte
Ferien-Fotos gesichtet und diese dann dem Ferienverlauf endsprechend eingereiht. Mein Mann hat daraus eine Dia-Show erstellt und diese mit Musik unterlegt. Wer sich die Dia-Show anschauen will, muss sich Zeit nehmen. Es ist eine einstündige Präsentation entstanden.
Ich bin immer wieder froh, wenn ich wieder eine Sache als zufrieden erledigt abhaken kann. Dank Unterstützung von meinem Mann natürlich. Allein kann ich sowas gar nicht mehr machen.
Wenn ich anderen Betroffenen damit ein wenig Freude in ihren bescheidenen Alltag bringen darf, lohnt sich dieser Aufwand allemal.
20.
Nun – wenn Umkehren unmöglich und Stehenbleiben unerträglich ist, so bleibt kein anderer Ausweg als: Vorwärtsschreiten.
Das ist auch kein so trauriger Ausweg.
(Alessandro Graf Manzoni)
22. Ihr habt vielleicht bemerkt, dass ich den Titel meiner Homepage gewechselt habe. Aus gebrochenem Flügel wurde gestutzte Flügel. Warum der Wechsel. Als ich vor 9 Jahren die Homepage erstellte, suchte ich einen Namen, der meine Situation mit der Krankheit ALS beschreibt? Ich habe mich aber immer wieder am Wort "gebrochene" gestört. Denn ich lasse mich von Nichts und Niemandem brechen. Die Flügel wurden mir allerdings gestutzt. Doch ich warte darauf, dass die Federn irgendwann nachwachsen. In der Zwischenzeit versuche ich einfach, so gut wie eben möglich, mit gestutzten Flügeln zu fliegen.
24. Eigentlich wollte ich den heutigen Nachmittag im Garten verbringen. Schliesslich schien Draussen wunderschön die Sonne. Also öffnete ich mit meiner Rollstuhlsteuerung die Türe zum Garten und fuhr hinaus. Ich erschrak ab der Kälte, die sich sogleich meines Körpers bemächtigte. Trotzdem fuhr ich weiter in den Garten. Plötzlich knackte es unter dem Rollstuhl. Der Weg zum Sitzplatz, so auch der Sitzplatz selbst, war bedeckt mit Baumnüssen. Ein Durchkommen war unmöglich, ohne die Nüsse zu zermalmen. Der Wind in der Nacht muss den Nussbaum kräftig geschüttelt haben. Ich machte dann kehrt. Mein Rolli sollte nicht als Nussknacker fungieren. Dabei erfasste mein Blick die Berge und ich wusste um die Kälte. Ich sah bereits weisse Bergspitzen. Nun ist die Kurze-Hosen-Saison definitiv vorbei. Auf alle Fälle habe ich dann den Nachmittag im warmen Haus verbracht. Langeweile kenne ich auch im Haus nicht. Ich habe immer etwas zu tun. Zurzeit bin ich wieder vermehrt mit der Selbstvertretung Uri beschäftigt. Bis Ende Jahr stehen noch einige wichtige Termine an. Einer davon ist unser Stand am Tag der offenen Tür der SBU, Stiftung Behindertenbetriebe Uri. Da unsere Gruppe noch kein Geld für Equipment hat, wird unser Auftritt klein gehalten. Trotzdem habe ich letzte Woche die Beschriftung für ein Banner entworfen und das Banner auch gleich bestellt. Wahrscheinlich beteiligt sich eine Organisation für Menschen mit Beeinträchtigung, an den Bannerkosten. Nun hoffe ich einfach, dass das Banner gut aussieht und aussagekräftig ist. Diese Woche werde ich weiter Bild und Text für die Flyer zusammenstellen und in Druck geben. Solche Dinge mache ich mit Freude. Ich habe sicher viel länger als andere ohne Beeinträchtigung. Doch spielt das eine Rolle? Hauptsache das Produkt stimmt am Schluss und es kommt beim Publikum an. Wir werden sehen. Wir freuen uns auf alle Fälle auf unseren ersten offiziellen Auftritt. Reden muss ich bei solchen Anlässen zum Glück nicht mehr selbst. Menschen, welche mich nicht kennen, verstehen mich kaum noch. Für die Kommunikation ist neu Jemand anders aus der Gruppe zuständig. Für mich eine grosse Entlastung.
Lieber René, ich weiss nicht wo du dich jetzt aufhältst. Sollte ich mal in deine Nähe kommen, wird mich dein herzhaftes Lachen aber sicher zu dir führen. Mein lieber Freund, ich werde dich vermissen.
OKTOBER
1. Eigentlich wäre ich heute Morgen am liebsten im warmen Bett geblieben. Die nebelverhangenen Berge und die kühlen Temperaturen, haben meine Lust aufzustehen, etwas gebremst. Ich muss mich zuerst mal wieder an die neue Jahreszeit gewöhnen. Ich weiss um die Schönheit des Herbstes. Die warmen Farben der Blätter und die immer noch wunderschön blühenden Blumen, inspirieren mich zum Malen. Es lohnt sich also immer, aufzustehen.
Ich mag Blumen sehr. Am liebsten mag ich jene,
welche am Wegesrande stehen.
Darum pflücke sie nicht und lasse sie stehen.
10. Wie soll ich wieder mit Schreiben beginnen? Mit dem Wetter, wie bei einer unverfänglichen Konversation? Ich schaue nämlich gerade den Wolken zu, wie sie sich aufbauschen und wieder zusammenfallen. Gleichzeitig werden sie vom Luftzug des Föhns über den Himmel gejagt. Da die Sonne den Wolken nicht ausweichen kann, findet ein steter Wechsel von Licht und Schatten statt. Spannend für mich ist es, den Möwen zuzuschauen, wie sie im Flug gegen den Föhn ankämpfen. Hinter der Fensterscheibe lässt sich das alles wind frei beobachten. Ich kann nicht nach Draussen. Die durch den Föhn verursachten Staubpartikel in der Luft, lassen meine Augen tränen und hindern mich daran, im Garten zu sitzen. Dies gibt mir Gelegenheit, wieder mal ein paar Zeilen in mein TGB zu schreiben.
Nicht nur die schönen Herbsttage haben mich vom Schreiben abgehalten. Ich war wiedermal selbstverschuldet, leicht überlastet. Also musste ich Prioritäten setzen und das TGB Schreiben viel der Unwichtigkeit zum Opfer. Besuche bei ALS-Betroffenen sind mir wichtig. Durch diese Kontakte und durch die Gespräche, erfahre ich oft, wo der Schuh drückt. Manchmal kann ich ein wenig helfen oder etwas in die Wege leiten. Aber meistens muss einfach mein Besuch reichen. Zwischendurch finden ALS-Betroffene auch den Weg zu mir. Dies geniesse ich dann auch sehr. Manchmal treffen wir uns auch zu einem Ausflug. Die Kontakte in schriftlicher Form, nehmen durch meine zunehmenden Schreibbehinderung, vermehrt Zeit in Anspruch. Ist aber auch sehr wertvoll, so Kontakt zu halten.
In letzter Zeit stand ich als Selbstvertreterin für die Selbstvertretung Uri vermehrt im Einsatz. Mich für die Interessen und Belange von Menschen mit Beeinträchtigungen einzusetzen, ist für mich eine weitere Herzensangelegenheit.
Ich möchte noch so vieles machen. Doch meine Krankheit ALS bremst mich immer mehr aus. Oft merke ich zu spät, dass ich eine Aufgabe, mit meinen vielen Beeinträchtigungen, gar nicht bewältigen kann. Es frustriert mich, wenn ich meine Ideen, Anregungen, meine Ansichten nicht verständlich wiedergeben kann. Durch meine unverständliche und leiser werdende Lautsprache habe ich an Überzeugungskraft verloren.
Solche Erkenntnisse lassen mich tauchen und ich brauche Zeit, dies wegstecken zu können. Wenn dann noch mein Mann und meine Assistenten meinen, ich hätte zu viel um die Uhren, muss ich wohl einen Gang runterschalten. Eigentlich merke ich es ja selbst, wenn ich mich überfordere. Ich bin dann reizbarer und fange an, an allem und jedem herum zu nörgeln. Und das haben meine Liebsten am wenigsten verdient. Also heisst es für mich runterfahren und Ferien buchen.
15. Ich bin zurzeit auf Kurzurlaub in der Toskana.
18. Er war kurz, aber wunderschön mein Urlaub. Bevor ich euch etwas über die Ferien erzähle, muss ich erstmal meine Ohren mit Musik verwöhnen.
19. Der Ferienbericht: Ich hatte nicht gerade viel Zeit unsere Ferien zu planen. Mein Mann konnte mir wegen seiner Arbeitsstelle, erst eine Woche vor Ferienbeginn das ok geben. Früher stellten diese kurzfristigen Entscheidungen auch kein Problem dar. Wir wären einfach mit der Harley oder mit dem Auto losgefahren. Mit unseren minimalen Ansprüchen hätten wir schon irgendeine Unterkunft gefunden. Heute, unterwegs mit E-Rollstuhl, ist das doch etwas komplizierter. Da reicht eine einfache Unterkunft selten. Ich will ja, dass es mein Mann bei meiner Pflege und meinen Transfers auch bequem hat. Er soll die Ferien genauso geniessen können, wie ich. Das Zimmer und das Bad müssen barrierefrei und genügend gross sein. Für den Süden heisst das für mich, ein vier Stern Hotel zu buchen. Und ich wollte ja nochmals in die Wärme.
Also, das Datum stand fest. Nun ging es darum wie lange. Ganze sechs Tage konnte ich Piet abringen. Für mein Reiseziel die Toskana, eigentlich zu kurz.
Also fing ich an im Netz nach barrierefreien Hotels zu suchen. In Florenz schien mir ein Hotel unseren Anforderungen an Barrierefreiheit, Zentrumsnähe, Parkplatz, guter Ausgangspunkt für Ausflüge, zu entsprechen. Also buchte ich das Hotel mit dem Vermerk, mir die Barrierefreiheit des Zimmers zu bestätigen. Nach vielen Mails und durch das telefonische Eingreifen eines italienisch sprechenden Freundes, bekam ich einen Tag vor Anreise die Bestätigung des Hotels.
Dann am Samstag, die Ankunft beim Hotel. Ein grosses Hotel, eine grosse Treppe, ein kleiner zugedeckter Treppenlift. Hilfsbereites Personal war sogleich zur Stelle und machte für mich den Lift fahrbereit. Ich fahre auf die Plattform, der Lift fährt los, um gleich wieder zu stoppen. Ich bin zu schwer, die Plattform bleibt an der ersten Stufe hängen. Was jetzt? Ich komme weder vorwärts noch rückwärts. Das Personal vermehrt sich, viel Palaver. Wisst ihr was, sag ich zu mir, und fahre einfach seitlich von der Plattform runter.
Nun stehe ich mit dem Rolli aber immer noch unten an der Treppe. Wir werden zum Aufzug beim Hintereingang geleitet. Dieser Aufzug ist jedoch zu klein für meinen E-Rollstuhl. Nun gehts über den Keller zu einem anderen Aufzug. Dort komme ich mit biegen und brechen in den Aufzug. Der fährt aber nur bis zur Lobby. Also, wieder aussteigen und wieder in einen weiteren sehr engen Lift umsteigen. Dann endlich, im 4. Stock angekommen. Leider hatten wir noch keine Zimmerkarte. Piet, den Lift meidend und die Treppe nehmend zur Rezeption und wieder zurück. Endlich im Zimmer. Das Zimmer ist genügend gross, ebenso das neu renovierte Bad. Dann meine Frage zu Piet: "Willst du heute noch in die Altstadt. Seine Antwort: "Nein, ich hatte für Heute genug Action." Er konnte ja nicht ahnen, dass das noch nicht alles gewesen ist.
An den folgenden Tagen führte uns jeweils ein Page über den Keller nach Draussen und später auch wieder ins Hotel.
Am nächsten Tag besuchten wir Museen, Kathedralen und andere Sehenswürdigkeiten, von denen es zuhauf in Florenz gibt. Ein imposanter Ort.
Wieder zurück im Hotelzimmer, mussten wir mit Erstaunen feststellen, dass all unsere Sachen weg waren. Piet wieder zur Rezeption. Die konnten sich das nicht erklären. Nach einigen Telefonaten wurden unsere Sachen in einem Zimmer im ersten Stock gefunden. Irgendwer von der Rezeption wollte uns wegen dem engen Lift, etwas Gutes tun und dachte, es wäre für uns weniger schlimm, im engen Lift nur ein Stockwerk hochzufahren. Sie dachten nicht daran, dass, wenn ich einmal im Lift bin, die Stockwerkanzahl nun gar keine Rolle spielt. Leider hat sie es versäumt, ihren Kollegen über den Zimmerwechsel zu informieren. Nach einer geschlagenen Stunde brachten gleich vier Pagen unsere Sachen wieder ins alte Zimmer zurück. Diese Nacht war für uns wenigsten gratis.
Das Hotel mit der grossen Lobby war sehr schön. Am Morgen war sie allerdings von Asiatischen Touristen überfüllt. Gruppenweise wurden sie zu den geführten Touren abgeholt. Am ersten Tag haben wir uns einfach solchen Fähnchen-Gruppen angehängt. Als Rollstuhlfahrende Person und als Begleitperson hat man sehr viele Privilegien in Italien. So auch in Florenz. So mussten wir bei den Museen, Kathedralen usw. nie Anstehen. Wir durften an den langen Kolonen vorbeifahren und uns die gratis Billette abholen. Das hat die wartende Menge nicht mal gestört. Nein, sie waren sogar hilfsbereit und freundlich.
An zwei Tagen unternahmen wir Ausflüge aufs Land. Einmal fuhren wir in die Gegend wo Ackerbau betrieben wird und einmal folgten wir der Chianti-Strasse. Die eine Gegend staubtrocken, die andere mit grünen Oasen. Beide haben ihren ganz besonderen Reiz. Unglaublich schön. Ich weiss jetzt schon, ich komme wieder.
Trotz einigen Anfangsschwierigkeiten waren die Ferien wunderschön und ich werde den ganzen Winter davonziehen können.
21. Die Meteorologen haben den Wintereinbruch für nächste Woche prophezeit. Deshalb haben mein Mann und ich heute beschlossen, nochmals eine Ausfahrt über den Sustenpass zu machen. Der Sustenpass mit seinen 2260 m.ü.M ist einer der ersten Pässe in Uri, welcher geschlossen wird. Die meisten Leitplanken wurden bereits entfernt und die Schneefräsen stehen in Startposition. Die Passlandschaft präsentierte sich heute in ihrem prächtigsten Herbstkleid und die Berge strahlten durch die Sonne.
23. Ich glaube bald, die Aufzüge haben sich gegen mich verschworen. Gestern nahm ich als Vertreterin der Selbstvertretung Uri an der Sitzung von KoBUR (Konferenz für Behindertenfragen Uri) teil. Als ich am späteren Abend nach Hause komme, fahre ich ins Haus und fahre mit dem Plattformlift zum ersten Stock hoch. Kurz bevor ich oben ankomme, knallt es laut und der Lift stoppt aprupt. Ich erschrecke mich so, beinahe hätte ich die Balance im Rollstuhl verloren. Piet hat den Knall natürlich auch gehört und sieht sofort das Problem, welches nun auf uns zu kommt. Wie bringt er mich mit dem Rollstuhl vom Lift runter. Es geht nämlich gar nichts mehr. Weder vorwärts noch rückwährts. Kommt mir irgendwie bekannt vor und ich muss loslachen. Piet findet das hingegen weniger lustig. Er muss über mich, den Rollstuhl und den Lift klettern, um Werkzeug aus dem Keller zu holen. Bewaffnet mit diversem Werkzeug, Brett und Rampe, muss er wieder über alles rüber klettern. Irgendwann gelingt es meinem Mann, den Lift soweit zu bringen, dass ich mittels Rampe von der Plattform fahren kann. Damit wars aber noch nicht gelöst. Mein Schlafzimmer befindet sich im zweiten Stock. Das heisst, zwei Treppen höher. Das ist auch mit dem Manual-Rollstuhl nicht zu schaffen. Also muss ich mir einen anderen Schlafplatz suchen. Zum Glück haben wir vor Jahren einen bequemen Fernsehsessel zugelegt. Der muss für diese Nacht als Schlaflager dienen.
Heute und auch Morgen werde ich das Haus nicht verlassen können. Die Reparatur an den Seilen dauert bis Mittwochabend. Ich hoffe schon, ich kann nochmal raus, bevor der Schnee kommt. Auf alle Fälle gibt’s wieder eine Nacht im Fernsehsessel. Hoffentlich kommt wenigstens ein guter Krimi.
Ich hoffe, die Aufzüge hatten jetzt dann genug Spass mit mir und befördern mich bald wieder ordnungsgemäss.
28. Jetzt ist mir klar, warum mir gestern bei einer Veranstaltung den ganzen Tag kalt war. Pünktlich zur Winterzeit Umstellung hielt der Winter Einzug.
NOVEMBER
4. Liebe Leserinnen und Leser meiner Tagebucheinträge
Zuerst die Mitteilung, dass es mir immer noch sehr gut geht. Auch nach 17 Jahren ALS auf dem Buckel. Trotz all den Einschränkungen, welche diese Krankheit mit sich bringt, liebe und geniesse ich mein Leben nach wie vor.
Vor etwas mehr als 9 Jahren habe ich angefangen, meine Homepage aufzubauen. Der Grund, meine ALS-Erkrankung. Ich wollte dieser Krankheit ein Gesicht geben, mein Gesicht. Seither habe ich in Tagebuchform über meinen Alltag mit der Krankheit ALS berichtet.
In letzter Zeit viel es mir immer schwerer, Beiträge zu verfassen. Einerseits bereitet mir das Schreiben auf dem PC immer mehr Mühe und andererseits haben mir Ereignisse in diesem Jahr, sehr zugesetzt.
Ich musste in der letzten Zeit viele langjährige ALS-Freunde ziehen lassen. Wir waren eine richtig gute Gruppe.
Ich habe mich immer gerne für ALS-Betroffene und ihre Angehörigen eingesetzt. Warum, weil ich ihre Verzweiflung, ihre Ängste spüre. Ich fühle mit ihnen, sie sind wie ich.
Es hat mich immer mehr frustriert, sie nicht besser unterstützen zu können. Ich bin müde geworden, auf taube Ohren zu treffen. Die Mühlen zur Verbesserung der Lebensqualität von ALS-Betroffenen laufen viel zu langsam.
ALS-Betroffene und ihr Umfeld brauchen Personen, die voller Zuversicht voranschreiten und das gelingt mir nicht mehr so recht.
Ich möchte mich etwas aus der Öffentlichkeit zurückziehen. Ich lege Ende Jahr eine Schreibpause ein. Wie lange und ob ich die HP gar ganz schliesse, weiss ich jetzt noch nicht. Aber, so wie ich mich kenne, werde ich sicher wieder etwas von mir hören lassen. Irgendwie, irgendwo, irgendwann. Vorerst noch hier und weiterhin auf FB.
Ich danke euch für all die vielen liebenswerten und positiven Feedbacks, welche ihr mir auf irgendeine Weise in all den Jahren, zukommen lassen habt.
7. Wie könnte ich anders als mich über die Sonne zu freuen, die mir heute wieder einen warmen Herbsttag gebracht hat. Der Nebel, der die Sicht zu den Bergen trübte und der Föhn, der die Blätter tanzen lies, haben sich verabschiedet. Zurück bleiben wunderschön bunte Blätterhaufen. Interessant, so einen Haufen näher zu betrachten. So unterschiedlich die Formen der Blätter sind, so auch ihre Farben sind. Ich entdecke in den Haufen auch Blätter, die meinem Garten fremd sind. Sie liegen entspannt in den Haufen. Das nennt sich wohl Inklusion.
8. Wie wunderschön doch "unsere" Natur auf Erden ist. Ich schaue und staune.
Herbstwald
Sommerabschied Farbentraum,
Augenweide jeder Baum.
Herbstfarben leuchten bunt im Sonnenschein
und die letzten Sonnentage leiten sanft den Winter ein.
Der Wind noch mild, wird langsam kalt, Wintertage kommen bald.
Mit freundlicher Genehmigung der Autorin“ © Elvira Christina Westphal
15. Nun ist wieder die Jahreszeit, in der ich es etwas ruhiger nehme. Die Sonnenstrahlen sind nicht mehr so warm und können mich nicht mehr jeden Tag aus dem Haus locken. Seit meiner ALS-Erkrankung habe ich schnell kalt. Also muss ich mich in den Kältemonaten dick anziehen. Das mag ich gar nicht. Ich fühl mich dabei so eingeengt, so unfrei. So bleibe ich lieber in der warmen Stube. Der Schein der brennenden Kerzen vermittelt mir die Wärme von Sonnenstrahlen. Ich bemerke jedoch bereits den Sonnenentzug. Ich bin müder als sonst und schlafe mehr. Nun habe ich wieder mit der Einnahme von Vitamin D3 Tropfen begonnen. Ausserdem habe ich letzte Woche auch wieder die Grippeimpfung gemacht. So hoffe ich, komme ich gut durch den Winter.
Nun, da ich nicht mehr hinter jedem Sonnenstrahl nachfahre, habe ich wieder mehr Zeit für andere Dinge. So z.B. für Besuche. Heute hatte ich gleich zweimal Besuch und für Morgen hat sich auch schon Besuch angemeldet. Ich mag es, liebe Menschen um mich zu haben. Das kommt vielleicht daher, dass ich in einer Grossfamilie aufwachsen durfte. Die meisten meiner 8 Geschwister (4 Schwestern + 4 Brüder) wohnen bei mir in der Nähe. Auch mein Mann kennt das Leben in einer Grossfamilie. Auch er hat 8 Geschwister (6 Schwestern + 2 Brüder). Die meisten leben heute in der Ostschweiz. Da bieten Familienfeste, wie vor zwei Wochen, eine gute Gelegenheit, mal wieder alle zu sehen.
16. Wenn ich am PC sitze läuft immer Musik im ......... nein eben nicht im Hintergrund, sondern im Vordergrund. Der Lautstärkenregler steht bei mir schon recht weit oben. So höre ich weder die Hausglocke noch das Öffnen der Türe. Umso mehr erschrecke ich, wenn plötzlich Jemand im Zimmer steht. Dann rufe ich erstmal aus. "Gades diär eigentlich nu, mich so z'verchlipfä". / Geht es dir eigentlich noch, mich so zu erschrecken. Mein Mann macht sich zwischendurch mit Lichtzeichen bemerkbar, indem er Licht ein und ausschaltet. Ja, das Leben mit mir ist eine Herausforderung.
Halte ich mich hingegen im Freien auf, gibt es für mich nichts Schöneres, als der Musik der Natur zu lauschen. In unterschiedlichen Tonlagen, Lautstärken und Tempi singen Vögel Lieder. Je nach Bewegung in der Luft, rauscht es in den Bäumen oder es raschelt im Unterholz. Es sind so viele Laute in der Natur. Es lohnt sich, einfach mal still zu sein und sich auf die Musik der Natur zu konzentrieren.
17. Jetzt muss ich euch, zum gestrigen Thema Musiklautstärke, schnell was berichten. Ich muss immer noch schmunzeln, wenn ich dies vor Augen habe.
Damit es mein Mann am Samstagmorgen gemütlich nehmen kann, kommt bei mir die Spitex für die Pflege vorbei. Demzufolge stehe ich auch früher auf und vertreibe mir die Zeit am PC. Und ja natürlich mit Musik in meiner gewohnten Lautstärke. Plötzlich bemerke ich an der Türzarge, wie sich ein Arm langsam ins Zimmer vorarbeitet. Dann erscheint mein Mann im Ganzen. Mit den Fingern zeigt er zuerst zum geöffneten Mund und danach umkreisen sich die beiden Arme. Natürlich habe ich verstanden und nicke ihm lachend zu. Wer hätte keine Freude, wenn der Mann Gipfeli holen geht. Aber warum Zeichensprache. War mein Sound etwa wieder mal zu laut?
18. Wir sind etwas Wunderbares, das unsere Erde hervorgebracht hat. Ich bin so dankbar, auf dieser Erde leben zu dürfen.
20. Liebe Brige, ich wünsche dir, dass deine Reise zum Ort des Friedens wunderschön sein wird.
Brige hat dem Leben, trotz der Krankheit ALS, noch so viel Schönes abgewinnen können. Sie hatte viele Flausen im Kopf. Wenn wir uns trafen, blieben unsere Augen nie lange trocken. Wir haben so oft zusammen gelacht.
Ich werde dich vermissen liebe Freundin.
Wenn auch die Menschen sterblich sind, die ich liebe, es ist doch das Unsterbliche, was ich an Ihnen vor allem liebte.
Franz von Sales 1567-1622
23. Und immer wieder stehe ich auf und mache weiter.
24. Mit grossen Schritten gehen wir auf Weihnachten zu. Die Nachbarshäuser sind bereits festlich geschmückt. Doch bei mir lässt die Freude auf das Lichtermeer auf sich warten.
Früher, als ich im Verkauf tätig war, musste ich mich schon im Frühling mit Weihnachten beschäftigen. Bei der Frühlingspräsentation wurde uns in der Zentrale, die jeweiligen Weihnachtsthemen und das entsprechende Warensortiment vorgestellt. Im September wurde die Ware an die Warenhäuser ausgeliefert. Ich kann mich noch gut an die vollgestellte Annahme und die vollgestopften Lager erinnern. Jede noch so kleine Ecke war ausgefüllt. Besser wurde es um den 10. Oktober. Da wurde mit dem Papeterie-Weihnachtsaufbau auf der Verkaufsfläche begonnen. «Gschänkpapier, Gschänkschachtlä und Schächtäli, Gschänkbändäli i unterschiedlichä Breitänä und unterschiedlichä Farbä». Papeterie- und Wohnaccesoires in Geschenkverpackung, wurden gekonnt arrangiert, um Kunden zum Kauf zu animieren.
Eine Woche später, an einem Sonntag, wurde dann der Baumschmuck aufgezogen. Das war die Promotion des Jahres, welche mir am meisten Freude bereitet hat. «Chugäli, Stärnli, Cherzli, Lämpli, Latärnli, Chripä und Chrippäfigürä. Am Abend haben wir jeweills alle irgendwie gefunkelt. Sei es vom Glimmer, welchen wir von der Ware abbekommen haben, oder von der Vorfreude auf Weihnachten.
Das war jedoch noch nicht der vollständige Aufbau. Als Abteilungsleiterin trug ich die Verantwortung über viele unterschiedliche Rayons. So kamen mit den Damen- Herren- Kinder- Baby- Lingerie- Accessoires- Reise- Papeterie- Bijouterie- Parfümerie Rayons, jeweils noch weitere Aufbauten hinzu. Während sich die Lingerie mit verführerischer Unterwäsche präsentierte, versuchte die Parfümerie die Kundschaft mit Schwämmchen, Cremchen und Wässerchen zu betören.
Ich habe diese Zeit geliebt. Ich habe das Arbeiten geliebt.
Vielleicht kommt bei mir in ein, zwei Wochen doch noch Weihnachtsstimmung auf.
Piet hat nun heute auch bei uns die Aussendekoration installiert. Wenn sie dann am 1. Advent eingeschaltet wird, wird es mir vielleicht doch noch warm ums Herz.
25. In der Schweiz ist heute wieder ein Abstimmungssonntag. Unteranderem wird darüber abgestimmt, ob Versicherungen Spione einsetzen dürfen, um Bezüger von Versicherungsleistungen zu observieren, ob diese Leistung, z.B. Invaliden-Renten, zu Unrecht beziehen. Klar muss Versicherungsbetrug aufgedeckt werden. Jedoch nicht auf die Weise, wie es im Abstimmungsbüchlein steht.
Inzwischen dürften die Abstimmungslokale geschlossen sein. Ich bin sehr gespannt auf das Abstimmungsresultat, welches am späteren Nachmittag zu erwarten ist.
Ich bin sehr froh, dass in «unserem» Land, die Bürger über solche Entscheidungen abstimmen und somit bestimmen können.
Nun warte ich gespannt auf zwei Abstimmungsresultate, welche mir sehr am Herzen liegen.
Das Schweizervolk hat sich für die Versicherungsspione entschieden. Es ist ein demokratisch gefällter Entscheid, den ich akzeptieren muss. Ich bin nun gespannt, wie lange es dauert, bis auch die Krankenkassen ihre Spione einsetzen werden. Wir bleiben jedenfalls dran und BEOBACHTEN!
27. Der Schnee hat sich in der vergangenen Nacht weit ins Tal vorgearbeitet. Die Bäume im Tal tragen aber noch immer einige Fetzen ihres wunderschönen Herbstkleides. Ich selbst spüre den Winter nahen. Trotz der Einnahme der Vitamin D 3 Tropfen hinterlässt der Sonnenentzug, spuren. Ich bin mitunter derart müde, dass ich gleich im Rollstuhl einschlafen könnte. Was ich gestern und heute auch gemacht habe. Ich bin es eigentlich nicht gewohnt, unter Tag zu schlafen. Ich brauche dieses Jahr wohl etwas länger, mich mit dem Winter einzulassen. Ich weiss, wenn die ersten Schneeflocken vor meinem Fenster auftauchen, kommt auch bei mir Winterfreude auf.
30. Heute In Gedanken bei all meinen lieben verstorbenen ALS-Freunden und ihren lieben Angehörigen. Ihr seid in meinem Herzen.
DEZEMBER
1. Es war ein emotionaler Monat. Es war eine anstrengende Woche.
Auch wenn ich kräftemässig an meine Grenzen gestossen bin, so bin ich über mein Engagement, für andere Menschen da zu sein und für sie zu kämpfen, froh. Es gibt mir das Gefühl, trotz meinen vielen körperlichen, wie lautsprachlichen Beeinträchtigungen, etwas Sinnvolles zu tun.
Heute konnte ich zu mir sagen: Rita, dein Mantel mag einfach gestrickt sein und Geschehnisse in deinem Leben haben Spuren auf ihm hinterlassen. Durch viele gelebte Erfahrungen ist dein Mantel inzwischen bunt und facettenreich geworden. Ausserdem wärmt und schützt er dein Herz, deine Seele. Trage deinen Mantel mit Stolz. Nur du passt hinein. Er gehört dir. Das bist du und das ist gut so.
Ja, wenn das so ist, brauche ich mir vorläufig keinen neuen Mantel zuzulegen. Der Alte erfüllt meine Ansprüche.
Der Winter und die Weihnacht können kommen. Ich bin bereit.
2. Heute am 1. Advent brennt nicht nur die erste Kerze auf dem wunderschönen, von meiner Schwester Bernadette kreierten Adventsgesteck, auch die Aussendekoration haben wir heute, zum Einzug des Nikolaus, eingeschaltet. Jetzt fehlt im Tal nur noch der Schnee. Erst dann wird es richtig "heimelig". Der Anfang ist jedenfalls schon mal geglückt.
6. Eigendlich wollte ich wieder einen Tagebucheintrag machen. Nur, meine Finger zicken Heute so herum, dass ich nur mit viel Geduld, die ungewollten Doppel-, und Falschbuchstaben löschen kann. Die Augensteuerung bereitet mir noch Mühe, auf meiner Homepage zu navigieren. Ich habe Gestern, so auch heute Vormittag, so viel schriftlich kommuniziert, dass die Kraft in den Fingern fast aufgebraucht ist und Ruhe brauchen.
Also, bald könnt ihr wieder etwas von mir lesen.
23.00 Da heute der Samichläusabig / Abend des Nikolaus ist, will ich versuchen, trotz meinen noch immer kribbeligen Fingern, ein paar Sätze zum heutigen Tag zu schreiben.
Heute Morgen habe ich mich unbewusst für einen feuerroten Pullover entschieden. Mir ist erst ein Licht aufgegangen, als mich meine Assistentin nach einer Nikolausmütze fragte.
Bei der Pflege fragte sie dann, ob bei mir der Nikolaus auch vorbeikommen würde. Worauf ich erwiderte: Bin ich ein Kind? Sie: Nein aber… Pause. Ich: Bin ich alt? Sie: Nein aber … Pause. Ich: Nein ich bin auch nicht krank.
Später, als sie den Deckel auf die Tagescremetube schraubt und mich dabei betrachtet, meint sie zu mir: Siehst gleich fünf Jahre jünger aus. Ich, blitzschnell, fange an zu rechnen. Ich zu ihr: Dreh die Tube wieder auf und sag mir, bis zu welchem Kindesalter kommt nochmal der Nikolaus vorbei? Alt konnte ich mich ja jetzt nicht mehr machen.
Lachanfall auf beiden Seiten. Und wenn ich mal in Fahrt bin, ist der Transfer in den Rollstuhl schwierig. Meine Assistentin zu mir: Ich transferiere dich erst, wenn du aufgehört hast zu lachen. Einfach gesagt, schwierig zu befolgen. Schlussendlich schaffte ich es dann doch, böse Miene zum lustigen Spiel zu machen.
8. Ja, mein Lachen, es hat mich schon in unmögliche Situationen gebracht. So auch vor anderthalb Wochen bei einem Kinobesuch. Der gezeigte Film, handelt von Beziehungen / Liebesbeziehungen zwischen Menschen mit und ohne körperliche oder geistige Behinderung und wie das Umfeld darauf reagiert. Trotz aller Tragik kamen der schwarze Humor und die lustigen Szenen nicht zu kurz. Mitunter musste ich wieder so lachen, dass mir meine Physiotherapeutin, meine Begleitperson an diesem Abend, die herunterkullernden Tränen wegwischen musste. Auch eine Kollegin aus der Selbstvertretergruppe, welche sich mit ihrem Rollstuhl neben mich gestellt hat, hat mich mit ihrem Lachen angesteckt. Ich durfte eine Zeitlang nicht mal mehr in ihre Richtung schauen, sonst hätte ich mit dem Lachen gar nicht mehr aufhören können. Ich hatte mir auch schon einen Fluchtweg ausgesucht, konnte mich dann aber doch beruhigen. Nach der Vorstellung klopfte mir doch prompt Jemand auf die Schulter und meinte; sie hätte mich schon Lachen gehört. Dabei hatte ich mich doch so zusammengerissen.
Ich liebe Komiker. Leider ist es mir nicht möglich, an ihren Vorstellungen teilzunehmen. Ich muss über manche Szenen so lachen, ich kriege mich kaum noch ein. Für mich nicht lustig, denn ich bekomme dann kaum noch Luft. Für die anderen Besucher nicht lustig, denn sie werden durch mich abgelenkt.
Also gibt’s bei mir die Komiker nur über TV und mit einer Person, die mit Taschentüchern in der Hand, neben mir sitzt.
Auch wenn mich Ereignisse im Leben traurig stimmen, so habe ich mein Lachen nie verloren.
9. Gestern schwelgte ich in früheren Zeiten. An Zeiten, in denen ich an Wochenenden noch öfters im "Ausgang"
war. In Discotheken tanzte und Rock - Veranstaltungen besuchte. Die Musik von Jethro Tull habe ich aus dieser Zeit mitgenommen. Gestern Abend besuchte ich nun ihr Konzert zum 50. -jährigen Bestehen. Im Laufe der Jahre, gab es immer mal Wechsel bei den Bandmitgliedern. Ian Anderson, der Kopf der Band, steht aber nach wie vor wie eine Eins auf einem Bein. Das Konzert war der Hammer. Das Bühnenbild, die Videos, die während der Show gezeigt wurden, waren sehr gut gemacht. Die Lichtshow, mal hell und grell, mal warm und bunt wie zur Zeit der Joints. Irgendwoher kam dann auch prompt ein Duft von Gras daher. Kurz mal eine Nase voll nehmen und die alten Zeiten sind wieder präsent. Das Durchschnittsalter der Konzertbesucher schätze ich mal auf 55 Jahre. Auch die zahlreichen rollstuhlfahrenden Konzertbesucher waren plus, minus in meinem Alter. Wir Rollstuhlfahrenden wurden an diesem Abend vorbildlich betreut. Kaum betraten wir das Foyer, kam auch schon eine Frau auf uns zu und stellte sich als Betreuerin der rollstuhlfahrenden Konzertbesucher vor. Sie hat uns alles gezeigt, wie Lift, Essen- und Getränkestände, Lift, Toiletten und begleite uns an den Sitzplatz. Während dem Konzert kam sie des Öftern vorbei, um zu fragen, ob alles gut sei, ob wir etwas benötigen. Ich glaube, ich war noch nie an einer Veranstaltung, wo so viel Wert, auf die optimale Betreuung von Menschen mit Beeinträchtigungen gelegt wurde.
Kompliment an den Veranstalter. Kompliment an Samsung Hall Zürich. Ich komme wieder, auch wenn ich beim Einlass, wie viele andere Besucher ebenfalls, gefilzt wurde. Ich bin jedoch froh, um die erhöhten Sicherheitsmassnahmen. Der nächste Konzertbesuch - Boss Hoss - ist schon gebucht.
Beim letzten Stück "Locomotive Breath" stand auch der letzte Konzertbesucher auf. Die Menge tobte und wir, die Rollstuhlfahrenden, standen ihnen in nichts nach. Während die grosse Masse die Beine bewegte, bewegten wir unsere Köpfe. Spastik vorprogrammiert. Doch das wars wert.
13. Seit meiner eigenen chronischen Erkrankungen, die mich zwingt, meinen Lebensweg mit einem Rollstuhl zu bewältigen, musste ich mich vielen Herausforderungen stellen. Zuerst aus eigenen Bewegründen, fing ich an, mich über Belange von Menschen mit Beeinträchtigungen zu interessieren. In dieser Zeit kam ich mit Menschen in Kontakt, welche sich tagtäglich, gleichen oder ähnlichen Herausforderungen stellen müssen.
Vor gut zwei Jahren, wählten zwei Absolventinnen der HSLU - Soziale Arbeit, für ihre Projektarbeit, das Thema Selbstvertretung. Die Idee; im Kanton Uri eine Gruppe von Selbstvertreterinnen und Selbstvertreter aufzubauen. Hierfür wurde ein Informationsveranstaltung durchgeführt. Menschen mit Beeinträchtigungen, Organisationen und Behördenmitglieder nahmen daran teil. Das Interesse war da, doch niemand war bereit, eine solche Gruppe aufzubauen. Ich, als bisherige Einzelkämpferin, erkannte sogleich den Sinn und Nutzen einer solchen Gruppe. Ich erklärte mich bereit, den Versuch zu wagen, eine solche Gruppe aufzubauen.
Von den zwei Absolventinnen wurde ich an sechs Nachmittagen mit dem Thema Selbstvertretung vertraut gemacht. Zusammen erarbeiteten wir einen Leidfaden.
Seit zwei Jahren bin ich, inzwischen WIR, mit dem Aufbau der Gruppe Selbstvertretung Uri beschäftigt. Wir sind immer noch Wenige, trotzdem konnten wir schon einiges in Bewegung setzen. Ich freue mich immer, wenn wir wieder kleine Schritte erzielen können.
Wir wollen Menschen mit Beeinträchtigungen ermutigen, sich, im Rahmen ihrer Möglichkeiten, für ein selbstbestimmtes Leben einzusetzen. Wir fordern sie auf, ihre Ideen und Wünsche in die Gesellschaft einzubringen.
Selbstvertretung soll weiter, auch in Institutionen zur Selbstverständlichkeit werden.
Eigentlich wollte ich mich im nächsten Jahr etwas zurücklehnen. Doch nun steht wieder ein spannendes Projekt an. Bei diesem anspruchsvollen Unterfangen helfe ich mit meinen Selbstvertreter Kolleginnen und Kollegen natürlich gerne mit.
15. Eine flockig weisse Schicht hat sich über Nacht über die Landschaft gelegt. Was für ein wunderschönes Bild. Die Sonne scheint auf die Berge und lässt den Schnee leuchten. Wie schön doch unsere Jahreszeiten sind. Ich liebe diese Erde. Ich bin so glücklich, hier sein zu dürfen. Ich liebe das Leben.
18. Wenn ich auch viel mehr lache als weine, so bin auch ich traurig und es kullern Tränen über meine Wangen. Manchmal lösen Erinnerungen an verstorbene Menschen und Freunde, diese Traurigkeit aus. Dieses Jahr musste ich mich auch wieder von einigen von ALS-Betroffenen Freunden verabschieden. Das Gefühl, von ihnen verlassen worden zu sein, lässt Leere zurück. Ich weiss aber, wie gerne sie länger gelebt hätten. Die Krankheit ALS lies ihnen jedoch keine Chance.
Liebe Freunde, ich weiss nicht wo ihr jetzt seid. Ich wünsche mir zum Jahresende, dass ihr dort seid, wo ihr immer mal hinwolltet.
20. Mein Mann, ein überaus geschickter Handwerker, hat in den vergangenen Jahren schon einige Hilfsmittel für mich hergestellt. So hat er z.B. einige Hausinnentüren für mich bedienbar gemacht. Er hat sie mit Rollschlössern versehen. Damit kann ich mit den Rollstuhlrasten die Türen von aussen aufstossen und von innen zustossen. Damit ich die Türe von innen öffnen kann, hat mir mein Mann je eine Lederlasche an der Innentür befestigt. So kann ich mit meinem noch aktiveren Fuss, die Türe aufziehen. Warum haben wir die Türen nicht automatisiert? Das Haus, das wir bewohnen, ist das Elternhaus meines Mannes. Es wird auf ca. 120 Jahre geschätzt. Das Baujahr ist leider nirgends verzeichnet. Die echten Stuckaturen, welche in einigen Zimmern die Decken zieren, sind zeitzeugen. Wir wollten dem Haus sein Innenleben lassen. Das und finanzielle Aspekte haben uns in jungen Jahren bewogen, das Haus nicht auszuhölen, sondern nur sanft zu renovieren. Das heisst, bei uns gibt es leicht schiefe Böden und Wände. Der Einbau von automatisierten Türen wäre aufwändig und teuer gewesen. Wie so oft suchte mein Mann nach einer Alternative. Bis jetzt hat sich dieser Türmechanismus jedenfalls bewährt.
Ich roch es schon gestern Abend durch meine Zimmertür und erst recht heute Morgen, als ich meine Zimmertüre mit dem Fuss aufzog. Das ganze Treppenhaus roch nach Weihnachten. Tannenduft lag in der Luft.
Bevor ich jedoch mit dem Treppenlift eine Etage tiefer fahren konnte, musste ich mich für die Morgenpflege, in die Hände meiner Assistentin begeben. Dabei war heute zusätzlich Haare tönen angesagt. Schliesslich gehört Silber Lametta an den Weihnachtsbaum und nicht auf meinen Kopf. Und für Engelshaare reicht es leider noch nicht.
Nach einer Ewigkeit konnte ich endlich mit dem Fuss die Wohnzimmertüre aufstossen. Und da stand er, ein Hüne eines Baums. An die 2 Meter hoch, mit einem riesigen Durchmesser. Mein Mann bringt jedes Jahr einen schönen Tannenbaum nach Hause. Doch dieses Jahr... ich habe noch nie einen schöneren Weihnachtsbaum gesehen. Und wie er geschmückt ist, einfach wunderschön. Mein Mann hat sich selbst übertroffen, als er gestern Abend, als ich schon im Bett lag, den Tannenbaum in einen Weihnachtsbaum verwandelte. Diesen Baum und diesen Mann gebe ich nicht so schnell her.
24. Meine Lieben Homepagebesucher. Heute, am 24. Dezember habe ich im letzte Adventsfenster eine kleine Überraschung für euch hinterlegt. Wenn ihr Wissen wollt, was sich hinter dem Fenster verbirgt, dann drückt einfach auf den Fensteröffner und schaut was passiert. Ich hoffe, ich kann euch mit diesem Weihnachtsgeschenk eine kleine Freude bereiten. Schöne Weihnachten!
F E N S T E R Ö F F N E R
26. Neben meinem vielen, kaum zu stillenden Lachen und neben meinem wenigen, aber intensiven Weinen, wäre da noch meine immer unverständlichere und leise werdende Stimme. Mir war bereits im Frühen Krankheitsstadium bewusst, sollte sich die Krankheit meiner Stimme bemächtigen, hätte ich zu kämpfen. Nun ist es soweit. Ich werde immer weniger gut verstanden und was ich noch schlimmer finde, ich werde falsch verstanden. Ich habe so gerne über alles Mögliche diskutiert. Ich habe mich nicht versteckt und meine Ansichten offen mitgeteilt. Durch gute Argumentation konnte ich ab und an Menschen zum Nachdenken bewegen. Ich habe es geliebt, mit klug gewählten Worten, Menschen friedlich zu stimmen. Das Gesprochene mit Beiwörtern auszuschmücken, liebte ich. Die Worte erwachen erst richtig zum Leben, wenn sie mit den entsprechenden Tonlagen, Tempi und Lautstärken untermalt werden. Dies immer weniger zu können, macht traurig,
Bei meinem Weihnachtsclip wollte ich eigentlich mit meiner eigenen Stimme sprechen. Als ich mir den ersten Videoclip ansah, erschrak ich selbst ab meiner Stimme. Durch das häufige Nachfragen durch mein Gegenüber, wusste ich, wie es um meine Aussprache steht. Ich wusste jedoch nicht, wie sich der Ton meiner Stimme verändert hat. Mich so sprechen zu hören, war schlimm für mich. Ich dachte, das bin nicht mehr ich. So will ich nicht gehört werden. So sage ich lieber nichts mehr und bleibe von jetzt an stumm.
Ich hatte mir jedoch vorgenommen, mich weiter für die Belange der Menschen mit Beeinträchtigungen und insbesondere für ALS-Betroffene zu engagieren. Am andern Tag haben wir dann erneut einen Clip mit meiner eigenen Stimme und meiner elektronischen Stimme aufgenommen. Dabei habe ich mich für die Bündner-Dialekt-Stimme entschieden. Zu Testzwecken wurde mir diese Stimme von der Firma Slowsoft auf meinen Sprachcomputer installiert. So macht das Sprechen auch wieder mehr Spaß. Gerne würde ich natürlich mit meinem eigenen, dem Urner-Dialekt sprechen. Ob ich mit diesem Dialekt auch verstanden würde, ist dann wieder etwas anderes.
Also, tief Luft holen - das kann ich ja noch gut - und weiter im Text
28. Heute gabs keinen Ausflug in den Schnee. Ich hatte zu arbeiten. Als Assistenznehmerin bin ich zur Arbeitgeberin mit Pflichten und Rechten geworden. Als ehemalige Abteilungsleiterin weiss ich um die Aufgaben eines Vorgesetzten. Mitarbeitergespräche, Audit usw. gehörten zu meiner Arbeit. Umsatzbudget von mehreren Millionen erstellen und die Zielvorgaben im Auge halten, Kosten dem Umsatz anpassen, Statistiken lesen und darauf reagieren, gehörten ebenfalls zu meinem Job. Als Vertreterin der Direktion hatte ich guten Einblick in Geschäftsabläufe. Eine eher weniger schöne Aufgabe war die Behandlung von Kundendiebstahl. Meine Arbeit war sehr vielfältig und ich habe meine Arbeit geliebt. Am meisten liebte ich das Arbeiten auf der Verkaufsfläche und die Verkaufsgespräche mit den Kunden. Wenn die Kundschaft mit einem Produkt zufrieden das Geschäft verlässt, hat man als Verkäufer alles richtig gemacht. Ich durfte bei meinem ehemaligen Arbeitgeber sehr gute interne Ausbildungen geniessen. So wurde mir unteranderem auch etwas sehr Wichtiges eingetrichtert. Als Vorgesetzter stehts ein Vorbild zu sein. Lange ist es her. Einiges ist aber geblieben. Das hilft mir heute bei meinen kleinen, aber wichtigen Arbeiten. Dazu gehört auch jeden Monat Lohnabrechnungen zu machen. Einmal in der Exel-Datei eingerichtet, ist es auch keine Hexerei. Ich bin sehr froh, dass ich dies noch immer selbständig machen kann. Wie bei jedem Arbeitgeber, fällt auch bei mir Ende Jahr etwas mehr Arbeit an. Ich muss unteranderem der AHV-Stelle die Sozialleistungsabzüge meiner Assistentinnen einreichen. Weiter müssen Formulare neu datiert und Ordner auf den neuesten Stand gebracht werden. Für mich heisst das, Büroarbeit auf dem PC. Und wenn ich schon mal dabei bin, wird auch gleich im ganzen PC aufgeräumt. Es hat den ganzen Nachmittag gedauert. Doch jetzt bin ich soweit. Ich kann jetzt aufgeräumt und positiv ins neue Jahr blicken.
29. Wenn Menschen wie ich, wegen körperlichen Einschränkungen nicht mehr die gewollten und gekonnten Leistungen erbringen vermögen, tut es ab und an gut, auf vergangene Zeiten zurückzublicken, wie ich es im Beitrag von Gestern gemacht habe. Als Mensch im Rollstuhl werde ich immer noch zu oft auf meine Beeinträchtigungen reduziert. Seit meine unklare Aussprache dazu gekommen ist, denkt manch einer, auch in meinem Kopf sei nicht mehr viel los. Da hilft ein Zurückblicken, ein Schulterklopfen und das Selbstwertgefühl kehrt zurück. Dies gibt mir auch Mut, neues anzupacken. Ich will mich wieder vermehrt auf mich selbst besinnen und so agieren, wie es meinem Wesen entspricht. Selbstbestimmt statt Fremdbestimmt.
Für ein selbstbestimmtes Leben für Menschen mit Beeinträchtigungen, will ich mich auch im Jahr 2019 einsetzen. Zusammen mit meinen Selbstvertreterkolleginnen und Kollegen, will ich Menschen mit Beeinträchtigungen ermutigen, ihr Leben, nach Möglichkeit, selbst in die Hand zu nehmen. Ich will mich weiter für die Vernetzung von Menschen mit Beeinträchtigungen in Uri einsetzen. Wir müssen uns gegenseitig unterstützen, uns gegenseitig ermutigen, sich für ein selbstbestimmtes Leben einzusetzen.
Mehr darüber könnt ihr aber gerne nach meiner Schreibpause lesen.
30. Ich denke, man darf zurückblicken und stolz sein, auf das, was man in der Vergangenheit geleistet hat. Sich damit brüsten sollte man jedoch nicht. Titel und Auszeichnung bringen gar nichts, wenn sie nicht laufend durch Taten untermauert werden. Wichtig ist, was man im hier und jetzt bewegt. Manche Menschen sind mit einem wachen Kopf gesegnet, bei andern liegt das Talent in den Händen und da gibt es noch die Herz-Menschen. Alle drei sind wichtig. Jeder Mensch hat Fähigkeiten. Manchmal weiss man gar nicht um seine Gabe. So unterschiedlich wir Menschen auch sind, so brauchen wir doch alle einander. Was könnten wir alles bewegen, wenn wir mehr aufeinander zugehen würden und einander zuhören würden. Wir Menschen sind so was Wunderbares und Liebenswertes, das unsere Erde hervorgebracht hat. Tragen wir Sorge zueinander.
Beim Zurückblicken freue ich mich, auf meine lieben verstorbenen
ALS Freunde zu treffen. Mit vielen war ich in den Tessiner ALS-Ferien.
Heute war ich im Tessin und habe zu "unserer Insel* hinübergeschaut. Meine Gedanken waren bei meinen Freunden. Ich werde euch nie vergessen. Ihr seid immer in meinem Herzen.
Ich habe heute auch an meine lieben verstorbenen Eltern gedacht. Auf ihrer Hochzeitsreise besuchten sie ebenfalls die Isole di Brissago.
Diese Insel wird für mich immer etwas Besonderes bleiben.
31. Nun sitze ich vor dem letzten leeren Blatt in meinem Tagebuch 2018. Jetzt sollte ich wohl noch etwas Gescheites schreiben. Aber was? Vielleicht Erfreuliches aus dem ablaufenden Jahr? Da gab es doch einiges. Da ist z.B. eine liebe Freundin, welche ich durch meine Krankheit im Internet kennenlernen durfte. Sie wohnt in Vorarlberg und geht dort auch einer Arbeit nach. Obwohl sie seit Geburt an blind ist, meistert sie ihr Leben hervorragend. Bei den ersten Korrespondenzen mit ihr, war ich sehr verunsichert. Ich wollte ja nicht in ein Fettnäpfchen treten. Wie oft kommen in Gesprächen z.B. Farben vor. Eine echte, aber interessante Herausforderung. Sie hat es mir jedoch leicht gemacht, indem ich sie einfach alles Fragen durfte. Über mein sprechendes Adventsfenster hat sie sich sehr gefreut und ich, weil ich ihr damit eine Freude machen konnte. Je mehr ich den Kontakt mit Menschen mit Beeinträchtigungen suche, je mehr lerne ich über die Verschiedenheit der Beeinträchtigungen. Je mehr ich darüber weiss, desto besser kann ich auf mein Gegenüber eingehen. Ich möchte, dass auf meiner HP auch andere Menschen mit Beeinträchtigungen zu Wort kommen. Und dies in einem zukünftigen Blog.
Wer überrascht mich immer wieder? Natürlich mein Mann. Ich bin wahrlich keine einfache Lebensgefährtin mit all den vielen Ideen, welche in meinem Kopf herumschwirren. Gerne möchte ich meine Ideen auch umgesetzt wissen. Kaum ausgesprochen, sollten diese auch schon verwirklicht sein. Ich bin von Natur aus, ein Mensch voller Tatendrang und zudem sehr ungeduldig. Mit mir Schritt zu halten, ist wahrscheinlich eine echte Herausforderung. Wie oft wäre ich schon übers Ziel hinausgeschossen, hätte mein Mann mich nicht mit seiner überlegenen, ruhigen Art zum Stoppen gebracht. Er ist seit über 38 Jahren mein Fels in der Brandung.
Zum Lachen gebracht, hat mich letzte Woche der Komiker Kayan mit seinem Programm aus dem Jahre 2017 über die Schweiz. Ich befand mich schon im Bett, als er auf dem Bildschirm erschien. Ich würde ihn ja gerne mal hautnah erleben, doch das geht nicht. Warum? Da wäre wieder mein Lachen. Ich würde alle Zuhörer mit meinem Gekicher übertönen und das Publikum könnte dem Programm nicht mehr folgen. Es ist besser, ich schaue mir sowas ganz allein Zuhause an. So muss ich auch nicht versuchen mich zurückzuhalten, was ohnehin selten gelingt. Ich kann aus vollem Herzen lachen und die Tränen können an meinen Wangen ungehemmt hinunterlaufen. Dieses Mal hat mir der Brustkorb wegen dem Lachen, zwei Tage lang wehgetan. Trotzdem, lachen soll ja gesund sein.
Ich glaube, ich habe nun vieles gesagt und die letzte Seite in diesem Jahr ist ohnehin bald vollgeschrieben.
Was kommt jetzt noch? Was will ich noch sagen, bevor ich in die Schreibpause gehe?....................
Vielleicht noch dies?
"Wenn du das Leben begreifen willst, glaube nicht, was man sagt, und was man schreibt, sondern beobachte selbst, und denke nach"
Anton Tschechow 1860 - 1904
Ich halte es nun kurz und sage euch D A N K E, für das Interesse an meinem Leben.