MÄRZ 2019
1. Hallo, hier bin ich wieder. Ich hoffe, es geht euch allen gut und ihr freut euch wie ich, auf den Frühling. Nicht, dass ich den Winter missen möchte. Ich liebe es, mit dem Rollstuhl durch verschneite Landschaften zu fahren. Ich mag es, wenn herabfallende Schneeflocken sanft mein Gesicht berühren. Was mir zu schaffen macht, ist die Kälte. Ich kann mir zwar wärmende Winterkleider anziehen lassen, doch das eingepackt sein, mag ich nicht. Ich fühle mich dabei noch unbeweglicher als ich es sonst schon bin. Deshalb halte ich mich in den Wintermonaten sehr oft in der Wohnung auf. Dabei vermisse ich oft meine Freiheit. Der Winter hat viel und guten Schnee gebracht, aber jetzt ist es Zeit für die Frühlingspracht. Dank dem wunderschönen Wetter durfte ich auch schon mehrere schöne Sonnennachmittage im Garten verbringen. Auch zwei- drei Rollitouren durfte ich bereits unternehmen. Jetzt fühle ich mich wieder freier und unabhängiger. Jetzt will ich wieder durchstarten und einiges in Bewegung bringen. Beginnen will ich gleich bei mir. Ich gehe bald für 3 – 4 Wochen in eine REHA. Dort hoffe ich, wieder mehr Beweglichkeit zurückzuerhalten. Ich möchte wieder mal ein paar Schritte laufen und mich im Wasser bewegen. Das ist meine allererste REHA seit meiner ALS Erkrankung vor 18 Jahren. Gerne hätte ich die REHA in den Wintermonaten gemacht, doch sie sind so ausgebucht, dass ich bis heute noch immer kein Eintrittsdatum habe. Ich bin deshalb in meiner Aktivitäten Planung sehr eingeschränkt. Aber ich bin es gewohnt, auf Dinge warten zu müssen, wenn es um die ALS-Erkrankung geht. Die Mühlen zur Lebensverbesserung von ALS-Betroffenen und deren Umfeld, mahlen weiterhin zu langsam. Die Lebenszeit der Betroffenen schreitet hingegen schnell voran. Es gibt also noch viel zu tun. Ich hoffe, ich kann etwas zur Verbesserung der Lebenssituation und Lebensqualität von ALS Betroffenen und Angehörigen beitragen. Vielleicht bringt mir ja die REHA die nötige Kraft und Energie.
Liebe Leser meiner Tagebücher, ich freue mich, wieder bei euch zu sein.
4. Ihr fragt euch sicher, was ich in den Wintermonaten mache, wenn ich mich wegen der Kälte nicht gross im Freien aufhalten will oder darf. Darf, ein starkes Wort für eine eigensinnige, selbstbewusste Frau, wie ich wohl eine bin. Eine, die ihr Leben, soweit es eben beeinflussbar ist, selbst in der Hand hält und selbstbestimmt ihren Weg geht. Darf, steht für die Fürsorge meines Mannes, mich lieber von der Kälte und somit von Erkältungen fernzuhalten. Obwohl um mich herum die Grippe, der Schnupfen und Husten Einzug hielt, blieb ich von all dem verschont. Die vier Wintermonate sind lang und für mich heisst das, diese Zeit zu füllen. Ich habe mir ja bewusst eine Schreibpause auferlegt. Ich wollte mir klarwerden, ob diese Art von Homepage zur Bekanntmachung der Krankheit ALS noch zeitgemäss ist. Ich wollte mich etwas zurückziehen und meinen eigenen Weg gehen. Doch das Schicksal anderer ALS-Betroffener lässt mich dann doch wieder agieren. Auch Anfragen für das Testen von Hilfsmitteln lehne ich natürlich nicht ab. Für Interviews sei es für die Zeitung oder für die Vertiefungsarbeiten von Schülern, stehe ich natürlich nach wie vor zur Verfügung. Da meine Aussprache, wie schon erwähnt, unaufhaltsam unverständlicher wird, muss ich vermehrt mit dem Sprachcomputer kommunizieren. Mit der Augensteuerung einen Satz in angemessener Geschwindigkeit zu schreiben und danach vom Sprachcomputer vorlesen zu lassen, braucht Übung und Geduld. Ich bin jedoch sehr froh um diese Möglichkeit. Nun hat mein Sprachcomputer vor einiger Zeit den Geist aufgegeben und auch mein Natel musste altershalber ausgewechselt werden. Ich musste mich über neue Geräte erkundigen und wieder alles neu installieren lassen. Mein Sprachcomputer ist jetzt ein Surface mit Augensteuerung. Und meine Umfeldsteuerung läuft jetzt über mein Natel Samsung S8. Es läuft noch nicht alles Rund aber es wird. Dank der Beratung und Installation von Activecommunication, bin ich bald wieder auf dem zweckmässig neuesten Stand.
Diesen Winter habe ich viel Zeit mit zeichnen am PC verbracht. Wahrscheinlich suche ich nach einer weiteren Möglichlichkeit, meinen Sprechverlust zu kompensieren. Durch das Zeichnen kann ich Gefühle ausdrücken, die durch Worte so nicht mehr möglich sind. Da meine Arme, Hände und Finger ebenfalls geschwächt sind, werde ich wohl nie mit Picasso und Co. konkurrieren können. Eines kann ich hingegen versichern. Meine Bilder spiegeln genauso meine Empfindungen, meine Sehnsucht und meine Träume.
5. Ich organisiere meinen Alltag nach wie vor selbst. Das fängt bei der Einsatzplanung der Assistenzpersonen an und geht über die Aktivitäten Planung hinaus. Mir ist es wichtig, dass mein Mann das Mittagessen mit mir zusammen einnehmen kann und nicht auswärts einkehren muss. Das bedingt, dass ich Menüpläne und die wöchentliche Einkaufsliste erstelle. Eigentlich Arbeiten, wie sie jede Hausfrau, jeder Hausmann erledigt. Nur, dass bei mir meine Assistenzpersonen die Handarbeiten übernehmen. Ich bin quasi der Planer und meine Assistenzpersonen die ausführenden Hände. Natürlich bin ich auch im Winter beim Einkauf dabei. So muss ich wenigstens einmal die Woche hinaus. Nein, stimmt nicht ganz. An Sonntagen entführt mich mein Mann regelmässig zu Ausfahrten in verschiedene Gegenden. So waren wir vor zwei Wochen im Jura. Wir haben so viele wunderschöne Flecken in und um unser Land. Es gibt so vieles zu entdecken, auszuprobieren, zu fühlen, zu berühren, zu riechen und zu schmecken. Unser Planet ist ein geheimnisvolles Schlaraffenland. Schon deshalb sollte ein Menschenleben lange dauern. Ich finde, auch ein Leben mit Gesundheit ist viel zu kurz. Ja, ihr habt es richtig verstanden. Ich möchte sehr alt werden. Vielleicht ein kühner Wunsch, in Anbetracht meiner ALS Erkrankung.
6. Ich bin mir bewusst, je länger ich lebe, desto mehr körperliche Beeinträchtigungen kommen hinzu. Eine Herausforderung nicht nur für mich, vielmehr noch für meine Familie und mein Pflegeteam. Bis jetzt hatte ich / hatten wir mehr Glück als viele andere. Durch meinen langsamen Krankheitsverlauf, mittlerweile im 18. Jahr, haben wir Zeit, uns aufkommende Beeinträchtigungen einzustellen. Meine bereits jetzt schon vorhandenen körperlichen Beeinträchtigungen sind nicht ohne. Trotzdem stehe ich meistens positiv zu meinem Leben. Wie oben geschrieben, würde ich gerne alt werden. Sollten meine Beeinträchtigung mich derart Einschränken und mir meine Lebensfreude rauben, würde ich wohl doch früher die Reissleine ziehen. Da ich immer noch ohne Peg-Sonde (Ernährungs-Sonde), Cystofix (Blasenkatheter), Absaug- und Abhust-Apparate (Cough -Assist) und ohne Atmungsunterstützung auskomme, macht mir das Leben immer noch so viel Spass.
Ich würde mich aber schon wieder gerne mehr bewegen können. Früher wollte ich immer mal wieder die ganze Sporthalle für mich alleine haben. Ich wollte tanzen, springen und mich zur Musik frei bewegen. Hätte ich das nur mal gemacht. Heute trösten mich Tanzvideos etwas über meine Unbeweglichkeit hinweg.
9. Ein Kämpferherz hat aufgehört zu schlagen. Die Krankheit ALS hat sich mit allen Facetten gezeigt. Du hattest keine Chance gegen sie zu gewinnen. Du hast ihr aber einen unglaublich harten Fight geliefert. Chapeau!
14. 0bwohl ich schon von so vielen ALS-Betroffenen Freunden Abschied nehmen musste, fällt es mir nach wie vor schwer, einfach zur Tagesordnung zurück zu kehren. Es fällt mir auch schwer Tagebuch zu schreiben. Irgendwie bin ich dieser Tage auch etwas schlapper als sonst. Das kann aber auch eine Auswirkung auf das wechselhafte Wetter sein. Ich habe mich zwar an den wiederkehrenden, wunderschön tanzenden Schneeflocken gefreut. Ich denke aber, mein Körper und meine Seele brauchen Sonne und Wärme. Wir wollen raus in die Pflanzenwelt. Eigentlich wäre es an der Zeit, einige Tage in südlicheren Gefilden zu verbringen. Leider kann ich nichts buchen. Ich weiss nicht, wann ich zur Reha aufgeboten werde. Aber was soll eigentlich das Gejammer, ich lebe und das in Anbetracht meiner langjährigen Krankheit, sehr gut. Hänge ich halt, wie das Wetter auch, kurz mal durch und blicke mit Freude dem Frühling entgegen.
16. Schade, kann ich die Szene, welche sich gerade am Himmel abspielt, nicht festhalten. Ich müsste dafür schon eine Filmkamera bedienen können. Also versuche ich es mal, das, was gerade am Himmelszelt abgeht, von meinem Bett aus zu beschreiben. Langsam neigt sich die Nacht dem Ende zu. Zuerst sind es nur die Silhouetten der Berge, welche sich vom Himmel abheben. Es wird heller und schwere dunkle Wolken werden sichtbar. Die Wolkendecke wird immer mehr auseinandergerissen. So unterschiedlich die Wolken Formen nun sind, so unterschiedlich sind ihre Farben. Dunkelgrau über Hellgrau zu Weiss ist vertreten. Langsam zeigen sich blaue Flecken am Himmel. Kurz wird das Bild akustisch unterbrochen. Ein Vogel kündigt zaghaft den Morgen an. Zwei rötlich eingefärbte gerade Linien zeigen sich am Himmel. Mein Gedanke, ich möchte auch in die Ferien. Nun schmücken sich auch immer mehr Wolken mit Rot- Orange- und Gelbtönen. Gleichzeitig werden die Wolken immer kleiner und der Himmel immer blauer. Die Helligkeit nimmt zu, die Vogelstimmen auch. Der Morgen ist da und verheisst uns einen wunderschönen, sonnigen Tag. Sun, Sun, Sun
20. Ich will euch doch kurz einen schönen Frühlingsanfang wünschen. Ich sehe durchs Zimmerfenster, dass es Draussen wunderschön ist. Leider muss ich im Haus, genauer gesagt im Bett bleiben, um nicht noch mehr zu verschlimmern. Seit einer Woche liege ich immer wieder flach. Mal geht ein Tag gut, dann kommt wieder etwas anderes dazu. Momenten spielt mein Körper verrückt. Der Winter will mir wohl doch noch ein Souvenir mit auf den Weg geben. Ich bin es einfach nicht gewohnt, krank zu sein. Sogar mein Sohn sagt zu mir "Du und krank?". Vielleicht bin ich es aber auch einfach nicht gewöhnt zu warten und herumzusitzen. Mein Körper hat sich vielleicht deswegen eine neue Beschäftigung gesucht. Ich werde jedoch sicher schon bald wieder, den Frühling geniessen können. Schliesslich habe ich diese Woche noch Termine, welche ich wahrnehmen möchte. Also nehme ich weiterhin brav Nasenspray, Hustensaft, Vicks, Teelis usw. zu mir, und hoffe, es wird langsam aber sicher besser.
23. .... und es ist besser geworden. Eine ganze Nacht ohne Husten-Attacken durchschlafen zu können, ist viel wert. Auch wenn der Schnupfen und der Husten noch nicht ganz weg sind, so fühle ich mich heute viel, viel besser. Ich denke, ich kann es heute auch wagen, für ein- zwei Stunden Draussen an einem geschützten Ort, an die Sonne zu sitzen. Ich muss nämlich unbedingt noch Urner-Sonne tanken, bevor es am Montag in die Reha geht. Am Donnerstag habe ich das Aufgebot erhalten. Ja, manchmal kommt alles auf einmal und dann heisst es rasch reagieren zu können. Da ist es von Vorteil, ein gut funktionierendes und flexibles Team, um sich zu haben. Genauso eines habe ich. Leute, ich danke euch. Ihr macht mir mein Leben um einiges leichter.
Ich bin sehr gespannt was mich in der Reha erwartet. Wie komme ich mit der Pflege- Betreuung zurecht? Werde ich die Ziele erreichen, welche ich mir gesteckt habe? Sicher eine neue Herausforderung für mich. Und das brauche ich ja. Aber jetzt geht es ab an die Sonne.
24. Gestern wie auch Heute konnte ich in den Garten, um etwas Sonne zu tanken. Den Schnupfen und den Husten bin ich noch nicht ganz losgeworden. Ich fühle mich jedoch fit genug, um Morgen die Reha anzutreten. Ich habe mir auf GoogleMap mal vorsorglich die Gegend um die Reha angeschaut. Viele grüne Flecken konnte ich nicht entdecken, dafür einen Fluss. Den könnte ich mit dem Rolli so in 30 Minuten erreichen. Kann aber auch sein, dass ich so "geschlaucht" werde, dass ich gar keine Kraft habe, um auszubüxen. Schau wir mal. Wenn ich dazu komme, werde ich zwischendurch hier im Tagebuch berichten.
Zum Glück ist die Sonne nicht ortgebunden. Ansonsten würde ich sie jetzt gleich miteinpacken.
26. Was war ich überrascht, als ich gestern in mein Reha-Zimmer geführt wurde. Als die letzte Türe des Ganges geöffnet wurde, traf ich auf einen grossen, lichtdurchfluteten Raum. Eine Zimmerfront ist komplett verglast und ist zugleich der Zugang zum grossen, zimmereigenen Balkon. Dann schaue ich zur Decke um zu sehen, was für eine Lampe noch zusätzlich Licht spendet. Ich konnte kaum glauben, was ich da sah. An der Decke ist ein grosses, rundes Dachfenster, welches mich direkt in den Himmel blicken lässt. Einfach nur wunderschön. Gleichzeitig realisiere ich, dass ich das Privileg habe, ein Einzelzimmer zu bewohnen. Ich habe mir das im Geheimen sehr gewünscht, jedoch nicht gewagt zu hoffen. Auch das Bad mit seinen roten Wänden und dem Bullauge in der Decke muss sich nicht verstecken. Die Unterkunft und der ganze Hauskomplex sind sehr grosszügig und behindertengerecht ausgelegt. Hier lässt es sich einige Zeit leben.
27. Eigendlich wäre jetzt Mittagsruhe und Zeit zum Abliegen. Wenn jetzt die Sonne gross scheinen würde, könnte ich mir überlegen, mich Draussen in den Garten zu legen und den Vögeln im Tiergarten zu lauschen. Da ich aber auch Zuhause kaum Mittagsschlaf mache, kann ich gerademal etwas über meine Reha schreiben. Am Eintrittstag wurde ich mehr oder weniger von allen für mich zuständigen Therapeuten und Ärzten und Pflegeverantwortlichen besucht. Ziel dieser Besuche; mich kennenzulernen, um sich ein Bild über meinen Gesundheitszustand zu machen. Weiter wurden Blutentnahmen und diverse weitere Abnahmen und Untersuchungen getätigt. So wurde diese Nacht meine Atmung gemessen. Erfreulich, heute bei der Visite hat mir der Lungenspezialist mitgeteilt, dass meine Atmung soweit gut ist und ich keine Atemunterstützung benötige. Hingegen habe ich zu wenig Kraft, richtig abhusten zu können. Normalerweise habe ich nicht gross Schleim in der Lunge, ausser beim letzten Infekt, der immer noch schwach vorhanden ist. Ich werde also so ein Abhustgerät (Cough -Assist) ausprobieren. Ich hatte auch schon einige Therapien. In der Physiotherapie Stehtraining, in der Ergotherapie, die Handluftschiene ausprobiert, mit der Logopädin zusammen gegessen und noch einiges mehr. Und Morgen darf ich nach vielen, vielen Jahren ins Wasser. Mark Spitz und Michael Phelps lassen grüssen. An die Pflege muss ich mich noch etwas gewöhnen und muss mal die Fünfe gerade sein lassen. Einerseits steht mir mein Dialekt und die verwaschene Aussprache im Wege, andererseits die fehlenden Kenntnisse der Pflegenden, den Transfer über die Drehscheibe zu machen. Das Gute, es sind Alle bemüht, es zu versuchen und geben ihr Bestes. Das Pflegeteam ist freundlich und hilfsbereit.
29. Der gestrige Tag war gefüllt mit Therapien und ja, ich bin am Abend früher als sonst eingeschlafen. Gestern Morgen um 10.00 Uhr war es so weit, ich durfte ins Wasser. Zuvor bekam ich ein Luftgefüllter Halskragen angezogen und dann wurde ich mit dem Pool Lift langsam ins Schwimmbecken hinabgelassen. Ich spürte, je weiter ich ins Wasser eintauchte, desto leichter wurde mein Körper. Mit Unterstützung der Physiotherapeutin machte ich Steh- und Gehtraining am Beckenrand. Die Arme- und der Rumpf wurden ebenfalls in Aktion gebracht. Und dann wurde ich losgelassen und ich konnte mich eigenständig mit den Armen und Beinen im Wasser fortbewegen oder einfach auf dem Rücken liegend treiben lassen. Ein gutes Gefühl, mich im Wasser besser bewegen zu können.
Gestern durfte ich ebenfalls die tiergestützte Therapie besuchen. Mein linker Unterarm zeugt immer noch davon. Ein schwarzer kleiner Hahn hat es sich auf meinem Arm bequem gemacht und seine Krallen in mein Fleisch gebohrt. Wenn man, so wie ich Blutverdünnende Medis zu sich nehmen muss, siehst man jeden Kratzer.
Eines meiner Reha-Ziele ist, wieder ein paar Schritte laufen zu können. Ob das überhaupt machbar ist, durfte ich ebenfalls gestern auf der Floor Walking (Lauf-Maschine) ausprobieren. Ich konnte mit dem Walker einige Schritte gehen, doch eher passiv wie auf dem Motomed. Mein linker Fuss knickt trotz Stabilschuh zu fest nach aussen. Da mein Schuh schon 14 Jahre alt ist und die Stabilität nachlässt, warte ich schon einen Monat auf meinen neuen Schuh. Ich habe hingegen immer noch genügend Kraft in den Oberschenkeln, um meine Transfers übers Standing zu machen. Wir werden also intensiv das Stehen trainieren. Auch meine Rumpfstabilität ist soweit noch ganz gut in Ordnung.
Eben habe ich die Therapien für diese Woche mit einer Logopädie-Stunde abgeschlossen. Nun habe auch ich Wochenende und fahre die Sonne geniessen.
APRIL
1. Heue hatte ich nur 3 Therapien (Psycho-, Physio-, und Ergo-Therapie) auf dem Plan. So nutzte ich die Gelegenheit, die Gegend, um die Reha etwas weiträumiger zu erkunden. Bei meinem Orientierungssinn ist eine Rolli-Tour in einer unbekannten Gegend eine Herausforderung. Ich habe jedoch vor Reha-Beginn, vorsorglich die Telefonnummer der Reha in mein Natel eintippen lassen. Für den Fall, dass ich mich mal verfahren sollte und nicht mehr retour finde. Heute ist es jedenfalls gutgegangen. Es war schön, mal wieder völlig allein unterwegs zu sein. Die Sonne schien, die Bäume tragen Blüten, der Löwenzahn und viele weitere Frühlingsblumen wetteifern mit ihren satten Farben und verbreiten gute Gefühle.
Morgen darf ich wieder ins Wasser. Ich freue mich wieder sehr darauf.
2. ..... und das Schwimmen heute in der Früh, war wieder traumhaft. Zusammen mit der Physiotherapeutin bin ich in aufrechter Körperhaltung, im Therapiebecken vorwärts und rückwärts gelaufen. Da mein linkes Fussgelenk instabil ist und der Fuss nach aussen knickt ist das Gehen ausser Wasser, kaum mehr möglich. Ich hatte schon mal darüber nachgedacht, das Gelenk versteifen zu lassen. Hier in der Reha haben sie mir jedoch davon abgeraten. In den nächsten Tagen wird mir nun eine spezielle Schuheinlage angepasst. Mal schauen, wie es dann mit Stehen und Laufen aussieht. Ich profitiere sehr von den unterschiedlichen Therapien. Ich liebe es meinen Körper zu bewegen und Muskeln zu spüren. Muskeln, welche immer noch vorhanden sind und in mir schlummern. Es macht Freude, sie aus der Reserve zu locken und mit ihnen zu trainieren.
Inzwischen weiss ich auch, dass sich meine Blutwerte, mein Vitaminhaushalt auf einem guten Level befinden. Allerdings war meine Pneumokokken- Impfung (bakterielle Lungenentzündung) schon mehr als fünf Jahre her und musste erneuert werden. Ein Pick mehr oder weniger spielt nun auch keine Rolle.
3. Es läuft, nicht nur vom Himmel, auch bei den Therapien läuft es. Heute wurde ich bei der Physio ausgemessen. Mit 90 - 60 - 90 konnte ich da aber nicht aufwarten. Doch darum ging es ja zum Glück auch nicht. Mit einem Winkel wurde die Beuge-, Streckfähigkeit der Gelenke und Muskeln gemessen. Aua, für die Schmerzen, wenn man Gliedmassen bis zum Anschlag bewegen muss. Damit die Muskeln nicht wieder auf die Idee kommen, in Urlaubstimmung zu verfallen, habe ich mir gleich selbst, das Strampeln auf dem Motomed (Beintrainingsgerät) verschrieben. Also alles im grünen Bereich. Ich kann jetzt schon sagen, dass die Therapien mir sehr guttun und ich davon sehr profitiere. Der Cough Assist (Gerat für das Abhusten / Sekretmobilisation) kam heute auch zum Einsatz. Ich muss mich noch an das Fremd-Management gewöhnen. Ich weiss aber, um dessen nutzen. Bei vielen Therapien darf ich meinen Körper wieder fühlen und spüren und das fühlt sich sehr gut an.
5. Nun habe ich schon die zweite Reha-Woche mit Therapien und Untersuchungen hinter mir und das Wochenende ohne Therapien steht vor mir. Ich warte nun sehnsüchtig auf die Sonne, damit ich mich wieder länger im Freien aufhalten kann. Mir wird es aber auch an diesem Wochenende nicht langweilig. Für morgen Nachmittag habe ich mich spontan zum ALS-Parallel-Treffen (Selbsthilfe-Treffen) hier in Basel angemeldet. Ich freue mich, weitere ALS-Betroffene und ihr Umfeld kennenzulernen. Weiter muss ich mir übers Wochenende einige Gedanken machen und Entscheidungen treffen. Nicht ganz einfach für mich. Meine Blase funktioniert nach wie vor einwandfrei. Doch jeder WC-Transfer ist für mich und die Pflegenden mit Aufwand verbunden. Ausserdem sollte ich viel mehr Trinken. Ja, das wird eine schwierige Entscheidung werden, für oder gegen den Cystofix (Blasenkatheter über die Bauchdecke). Ich sehe die Vorteile, ich sehe aber auch meine "unversehrte" Aussenhülle. Vielleicht warte ich auch noch ein Jahr. Ich werde mich entscheiden und diese Entscheidung wird richtig sein.
Sorry, ihr glaubt mir das wahrscheinlich nicht. Soeben ist eine männliche Ente an meinem Zimmerfenster vorbei auf das Dach geflogen. Diese Woche turnte bereits ein wunderschönes, braunes Eichhörnchen auf meinem Balkon herum. Ab und zu setzen sich auch Amseln und Tauben auf mein Balkongeländer. Und jetzt besucht mich gerade die Sonne in meinem Zimmer.
Heute Morgen hatte ich die Schluck-Untersuchung. Eine Microkammera wird über die Nase in den Rachenraum geschoben, um den Schluckvorgang mit unterschiedlichen Konsistenzen zu filmen. Wegen meinem Brechreiz hatte ich bedenken aber keine Angst. Die Untersuchung lief dann problemlos ab. Es sieht bei mir immer noch ganz gut aus. Das Ergebnis und die eventuell erforderliche Massnahme dazu erfahre ich nächste Woche.
Seit gut einer Woche nehme ich 4 x täglich einen halben Kaffeelöffel Hanf-Öl zu mir. Ich erhoffe mir durch dieses Naturheilmittel, 1 - 2 meiner bisherigen chemischen Medikamente (Spastik) reduzieren zu können. Ob es meinen Tatendrang, meine Energie beeinflussen wird, werde ich sehen und entsprechend reagieren. Eine Schlaftablette will ich dann doch nicht werden. Ich lache ja gerne und oft und kann deshalb nicht sagen, ob das Hanf-Öl auch meine Psyche beeinflusst. Auf alle Fälle, ich fühle mich gut.
8. Ich durfte ein interessantes Wochenende verleben. Am Samstagnachmittag nahm ich wie schon erwähnt, am Basler ALS-Parallel-Treffen teil. Dabei durfte ich, neben anderen Teilnehmern, drei tolle Frauen kennen lernen. Wir befinden uns in unterschiedlichen Phasen der Krankheit ALS. Auch wenn ich schon vieles von dieser Krankheit weiss, so lerne ich doch immer wieder von Betroffenen dazu. Ich finde solche Treffen für den gegenseitigen Austausch, so wichtig. Man erhält Tipps und Ratschläge direkt von den Betroffenen und dessen Umfeld und jeder kann sich auch selbst einbringen. Ich werde auf jeden Fall mit diesen Frauen in Kontakt bleiben.
Am Sonntag besuchte ich mit meinem Mann den Zolli Basel. Sicher mache ich mir Gedanken, Tiere in Gehege zu stecken und ihrer natürlichen Umgebung zu entreissen. Schön finde ich, dass im Zolli, auch alte Gemäuer integriert wurden und nicht alles Kunstbauten sind. Ich mag alle Tiere, bin trotzdem froh, einige aus der Ferne betrachten zu dürfen. Im Aquarium-Haus fühlte ich mich gleich wohl. Diese verschiedenen Fischarten, Quallen, eine wunderschöne Unterwasserwelt. Die vielen Störche und auch die wilden Tiere haben ebenfalls mein Interesse geweckt.
Heute beginnt meine 3. Reha-Woche und am Freitag kehre ich wieder in den Alltag zurück. Und jetzt kommt die Sonne und ich kann für eine Stunde nach Draussen, bevor die nächste Therapiestunde beginnt.
9. Nach zwei Wochen Reha dürfte es nun bei allen Beteiligten angekommen sein, dass ich stehen kann und dass bei mir der Transfer über Standing bestens klappt. In der Physio legte ich heute beide Hände auf eine Stange, stand mit wenig Unterstützung vom Rollstuhl auf und stand, ohne irgendwo anzulehnen, ca. 1 Minute frei. Und dies mehre male. Ich profitiere sehr von den Therapien und mein körperliches Potential ist noch nicht ausgeschöpft. Es ist ein gutes Gefühl, zu spüren, dass da noch was geht.
Heute hatte ich beim Urologen die Untersuchung und die Aufklärung über den Cystofix. Ich habe mich entschlossen, trotz den Vorteilen noch zuzuwarten. Wir haben aber die Papiere soweit vorbereitet, sollte ich mich später für den Cystofix entscheiden, ist alles bereits vorbereitet.
Mit dem Abhust-Gerät (Cough Assist) muss ich noch zuwarten. Mein Brechreiz ist noch zu stark vorhanden.
10. Regen, Regen und wo bleibt die Sonne und die Wärme. Da nützt der grösste Balkon und der schöne Tiergarten nichts, wenn es zu nass und zu kalt ist, um nach draussen zu gehen. Aber ich bin ja nicht in der Reha, um Ferien zu machen.
Heute Morgen musste ich leider in ein Zweierzimmer wechseln. Meine Zimmergenossin ist aber eine coole, junge Frau und vom Balkon aus sehe ich auf den Tiergarten. Würde die Sonne mal wieder scheinen, hätte ich nun die Abendsonne auf dem Balkon.
In der Reha wird das Frühstück von den meisten Patienten im Zimmer eingenommen. Das Mittagessen und das Nachtessen kann wahlweise im Zimmer oder mit anderen Patienten im Essraum gegessen werden. Auch wenn ich zwischendurch das Allein sein brauche, so schätze ich das Zusammensein mit anderen Menschen sehr. Bei Tisch gibt es hier eine spezielle Sitzordnung. Jeder bekommt einen eigenen Platz zugeteilt, der eingehalten werden sollte. Aus meiner Sicht könnten sich die Patienten selbst organisieren. Wir alle sind erwachsene Menschen und die meisten hier können selbst Entscheidungen treffen. Als wenn es Jemand geahnt hätte, mir wurde kein Sitzplatz zugewiesen. Bei jeder Mahlzeit muss ich schauen, wo eine Ecke für mich frei ist. Ich mach mir mittlerweile ein Gaudi "Spass" daraus und fahre zwei- dreimal um den grossen Tisch. Kennt ihr das Spiel? Im Kreis stehen Stühle, die Musik fängt an zu spielen, Menschen laufen um die Stühle rum, sobald die Musik stoppt, setzt sich jeder auf einen Stuhl. Wer keine Sitzgelegenheit ergattern kann, ist raus aus dem Spiel. Die Auswahl der Mahlzeiten ist grossartig und auch gekocht wir gut. Ich komme sicher mit ein, zwei Kilo mehr an den Rippen nach Hause.
Ich sehe hier viele Abläufe. Einiges finde ich gut, anderes könnte verbessert werden. Ich betrachte das Ganze aus Sicht einer selbstbestimmenden und erwachsenen Frau. Wie ihr mich kennt, werde ich meine Anregungen auch weitergeben. Zwischendurch ist ein Feedback über die Wahrnehmung von aussen wertvoll. Wenn wir offenbleiben und nicht zu stolz sind von herkömmlichem abzuweichen, können wir alle nur voneinander profitieren.
11. Ich weiss jetzt nicht, ob ich jubeln oder betrübt sein soll. Soeben habe ich meine letzte Therapiestunde in der Reha absolviert. Die Therapien haben mir sehr gutgetan und einige Verbesserungen gebracht. Es tut gut, zu spüren, wie der Körper kämpft und der Psyche freudige Impulse sendet. Ich nehme viele Ideen und Anregungen mit nach Hause mit denen ich weiterfahren kann. Ich bin froh, dass ich meine Pflege ab Morgen wieder meinem eigenen Pflege-Team übergeben kann. Dann bestimme ich auch wieder selbst, wann ich ins Bett gehe. Sicher nicht um halb acht. Ich habe mir aber selbst bewiesen, dass ich durchaus mit fremdem Pflegepersonal zurechtkomme. Ich muss einfach meine Ansprüche an meine Pflege herunterschrauben und einige Abstriche in Kauf nehmen.
In der Umgebung der Reha gibt es ein paar schöne Flecken. Mit der Umgebung Zuhause, nicht zu vergleichen. Bei mir steht die Natur direkt vor der Tür. Und in dieses wunderschöne Zuhause werde ich morgen freudig zurückkehren.
Eines meiner ersten Dinge, die nach meiner Rückkehr getan habe, ist "Musik auf"!
13. Bevor ich Gestern die Musik aufdrehte, musste ich natürlich zu allererst rings ums Haus fahren. Ich musste doch sehen, wie sich unser Garten während meiner dreiwöchigen Abwesenheit entwickelt hat. Was ich da sah gefiel mir natürlich sehr. Hyazinthen, Narzissen, Polsterblumen, blühende Obstbäumchen, welche von Bienen und Hummeln besucht werden. Geisenblumen, Primeln und Löwenzahn, welche durch ihre Farben das grün des Rasens auflockern. Die jungen Bärlauchblätter, der Schnittlauch und die Petersilie, welche sich bereits zum Verzehr anbieten. Ich freue mich, nächste Woche mit dem Setzen von Salat und Gemüse zu beginnen. Es wird ja kaum mehr so viel Schnee geben, wie es letzte Woche gegeben hat.
16. Jetz müäss ich ych nu schnell ebbis verzellä. Wie schon erwähnt, teilte ich die zwei letzten Tage der Reha das Zimmer mit einer anderen Patientin. Sie ist ebenfalls Rollstuhlfahrerin und ist ähnlich bewegungseingeschränkt wie ich. Ausser, sie kann die Hände und Finger etwas mehr bewegen als ich. Als mir die PC-Maus herunterfällt und auf der Rollstuhlfussablage liegen bleibt, will ich der Pflege klingeln. Meine liebe Zimmerkollegin macht mir jedoch den Vorschlag, sie wolle versuchen meine Maus zu bergen. Wir fahren also unsere Rollis gegenverkehrt und ganz nahe zueinander. Dann fahre ich meine Fussablage auf die Höhe ihrer Hände. Mit grosser Anstrengung bekommt meine Zimmerkollegin meine Maus in die Hände und hebt diese hoch. Leider fällt ihr die Maus aus den Händen und liegt nun definitiv auf dem Boden. Also, der Pflege klingeln. Die Pflege kommt und hebt die Maus auf. Leider ist der Deckel vom Batteriefach abgefallen und ist nicht aufzufinden. Am Abend werden unsere Kleider und unsere Rollis abgesucht. Ohne Erfolg. Also muss meine Maus die letzten zwei Tage eben ohne Deckel klarkommen.
So, nun bin ich ja bereits wieder seit vier Tagen Zuhause und bin schon ein paarmal mit dem Rolli im Garten herumgefahren. Heute wollte ich nun zum Dorfladen fahren, um Brot zu kaufen. Ich fuhr also los. Auf halber Strecke höre ich etwas scheppern. Habe ich jetzt etwas verloren oder bin ich über einen Gegenstand gefahren? Ich drehe den Rolli und schaue mich um. Das was ich entdecke, kann ich kaum fassen. Da liegt er, der kleine, viereckige Deckel vom Batteriefach meiner PC Maus. Und nun? Alleine unterwegs und kein Mensch auf der Strasse. Also Schnellgang rein und wieder zurück nach Hause. Hildi, meine Assistentin, welche gerade dabei war, meine Wäsche von drei Wochen zu bügeln, verstand nur etwas von Maus und mitkommen. Ich konnte nicht lange erklären, ich wollte meinen Mausdeckel nicht nochmal verlieren. Hildi hatte gedacht, ich hätte eventuell eine Maus überfahren. Ich müsste so lachen, ich konnte ihr die Mausdeckel Geschichte erst viel später erzählen. Hildi und ich standen auf dem Trottoir und mussten so lachen. Ich will ja nicht wissen was die Autofahrer gedacht haben.
Übrigens, meine Zimmerkollegin in der Reha ist eine Tessinerin und wohnt dort, wo wir jeweils unsere ALS-Gruppe-Ferien verbringen. Locarno ist unsere Verbindung.
20. Ich sitze gerade im Garten. Der Sonnenschirm spendet mir und meinem Laptop Schatten. Der Föhn bläst und treibt die Temperaturen in die Höhe und die Biese bringt zwischendurch einen Hauch von Abkühlung. Neben dem Sitzplatz rauscht, durch die Schneeschmelze, der Dorfbach vorbei. Vögel lassen sich auf dem Nussbaum oberhalb von mir nieder und pfeifen fröhlich ihre Lieder. Bei den Eidechsen hat es bereits Nachwuchs gegeben und spielen jetzt Verstecken in den alten Grenzmauern. Die Obstbäume und Blütensträucher blühen und werden von Bienen und Hummeln besucht. Überall zeigen sich Blumen in unterschiedlichen Farben und Formen. Der Ahorn hat seine Blätter entfaltet und zeigt seine rote Farbe. Weiss-Gelb erheben sich die Gänseblumen auf dem grün des Rasens und die gelben Köpfe des Löwenzahns strahlen mit der Sonne. Ich liebe es, hier im Garten zu sitzen. Mit Hilfe habe ich mir hier mein eigenes Paradies gebaut. Ihr denkt jetzt wahrscheinlich, ich hätte einen riesigen, parkänlichen Umschwung ums Haus. Dem ist nicht so. Ich sehe einfach jede Pflanze im Garten. Jedes Pflänzchen ist etwas Besonderes für mich. Sei es auch "nur" ein sogenanntes blühendes Unkraut.
Diese Woche haben wir die ersten Setzlinge ins Hochbeet gepflanzt und auch die Ostern in den Garten gebracht.
Es braucht nicht viel, um seinen eigenen Ort zu schaffen
25. Am Mittwoch hat auch die Spitex ihren Einsatz bei mir wieder aufgenommen. Die Pflegefachpersonen der Spitex kommen jeweils Mittwoch- und Samstagmorgen bei mir vorbei. Kurz vor meiner Reha hatte eine neue Pflegefachperson bei mir Einführung. Wir verstehen uns sehr gut und das allerbeste, sie kommt jetzt jeden Mittwoch bei mir zum Einsatz. Weniger Wechsel, entspanntere Pflege. Natürlich wollte sie einiges über die Reha wissen. Gibt es Änderungen in der Pflege oder bei der Medikation.
Da meine Atmung noch keine Unterstützung benötigt und die Abhusthilfe wegen meinem Brechreiz noch nicht zum Einsatz kommt, gibt es in der Pflege keine Änderungen. Auch komme ich noch ohne PEG Sonde (Nahrungsaufnahme mit Schlauch durch die Bauchdecke in den Magen) und ohne Cystofix (Blasenkatheter über die Bauchdecke in die Blase) aus.
Obwohl ich in der Reha den Transfers auch mit dem Rutschbrett geübt habe, werden wir meinen Transfer nach wie vor über die Drehscheibe, also im Stehen durchführen. Meine Physiotherapeutin in der Reha hat das Kraftpotenzial in meinen Beinen und dem Rumpf erkannt und dementsprechend gefördert. Das Laufen konnten wir zwar nicht verbessern, das muss ich mir wohl endgültig abschminken. Doch beim Stehen geht noch einiges.
Das Schwimmen gehörte ebenfalls zur Physiotherapie. Ich war erstaunt, wie gut ich mich im Wasser bewegen konnte.
Da ich mit Hilfsmitteln gut versorgt bin, konnte sich die Ergotherapeutin auf meine Finger, Hände, Arme und Schultern konzentrieren. Die Verspannungen gelöst zu bekommen, hat gutgetan.
Verwundert hat mich die Logopädin. Ich musste nicht wie üblich Laute formen. Die Therapeutin ging anders vor. Sie massierte mein Gesicht, Kiefer, Hals und meine Schultern.
Einmal hätte ich von einer Masseurin eine Ganzkörpermassage erhalten sollen. Doch die Masseurin war nicht auf mich im Rollstuhl vorbereitet und so musste eine Arm-Schultermassage im Rollstuhl reichen.
Was sich bei der Medikation geändert hat, ist die Einnahme von Sativa-Öl. Meine Krankenkasse hat die Kosten vorerst für 3 Monate übernommen. Für die Spitex ändert sich nichts, da sie mir keine Medikamente verabreicht. Meine Assistentinnen und mein Mann werden die Medikation anpassen und auch verabreichen.
In der Reha erhielt ich alle nötigen Untersuchungen, Therapien und Informationen. Ich bin jetzt wieder auf dem neuesten Stand.
Auch wenn ich mich am Anfang mit der Pflege auseinandersetzen musste, ging es doch recht gut.
Ich bin sehr froh und dankbar, dass ich diese Reha machen durfte. Ich kann ALS-Betroffene nur ermutigen, sich um eine Reha zu bemühen. Ich erhielt meinen rundum Service im Rehab Basel.
30. Ein Sonnenstrahl lockt mich gerade nach Draussen. Später mehr :-)
Bin zurück von der Sonne. Also, es hätte schon einige Grad wärmer sein können. Der Wind ist halt schon immer noch kalt. Da ich aber "stärnä allei" Zuhause war, konnte mir auch niemand eine Jacke anziehen. Ich musste mich also zwischen der Sonne und der Wärme im Haus entscheiden. Nach dem Regen keine schwere Entscheidung. Zähne zusammenbeissen, das kann ich ja noch, und raus aus der warmen Stube in die Sonne. Auch wenn sich meine Nase ständig mit Nasentröpfchen beschäftigen musste, durfte ich den lieblichen Duft von Flieder wahrnehmen. Ich mag diesen Duft sehr. Das Blühen des Flieders kündigt den Wonne-Monat Mai an.
Bevor es jedoch soweit ist, will ich diesen Monat mit dem Stammtisch der ALS-Familie vom vergangenen Samstag abschliessen. Wir trafen uns zum 2. Stammtisch in diesem Jahr. Drei weitere werden dieses Jahr noch folgen. Am Stammtisch der ALS-Familien nehmen ALS-Betroffene, Angehörige, Pflegende und Freunde teil. Mit reden / schreiben und lachen verbringen wir einen schönen Nachmittag zusammen. Dabei kommt das leibliche Wohl auch nicht zu kurz. Klar gibt es auch mal Traurigkeit. Tränen, die hier im Kreis verstanden werden. Schliesslich sitzen wir alle im selben Boot, welches bis jetzt nur eine Richtung kennt. Wir lernen voneinander und geben uns gegenseitig Halt. Damit ihr einen kleinen Eindruck vom Stammtisch der ALS-Familie bekommt, füge ich gerne wieder ein paar Fotos vom Stammtisch bei. Für mich war es wieder ein wunderschöner Nachmittag.
Ein Artikel von unserem Stammtisch in der Klosterzeitung.
Begegnungen mit ALS-Patienten
Schwester Christiane gestaltet die deutsche Ausgabe, die dann in Schwyz gedruckt wird. Sobald Sie die Texte hat, verschickt sie diese in verschiedene Länder, wo Schwestern die Übersetzung in andere Sprachen machen, z. B. französisch, italienisch, englisch, portugiesisch, kroatisch, slowakisch, ungarisch, tschechisch, chinesisch, Hindi.
Laut Schwester Christiane war es ihr ein Anliegen, mit den Schwestern ein wenig zu teilen, was ihr unser Besuch bedeutet und was sie so beeindruckt. Das Jahresthema lautet übrigens: Mit Menschen unterwegs sein.
Passender könnte es nicht sein.
MAI
3. Wie die meisten Urner, freue auch ich mich jeden Frühling, auf die Öffnung der Passstrassen. Es gibt uns wieder mehr Möglichkeiten, den Kanton zu verlassen. Am 1. Mai wurde bei der ersten von fünf. Passstrassen die Wintersperre aufgehoben
Natürlich liess ich es mir nicht nehmen, eigenhändig über den Oberalppass zu fahren. Auch wenn es nur ein kurzes Stück war, es war wunderbar.
5. Ja auch ich habe Momente, in denen ich tauche. Da verschwinden mein Lachen und eine tiefe Traurigkeit macht sich breit. Manchmal bin ich der Enttäuschungen und des ewigen Kampfes müde. Ist es die Krankheit, die mir die körperlichen Kräfte raubt, so sind es Menschen, die mir mein seelisches Gleichgewicht rauben. Zum Glück gibt es die Tränen, welche das Gleichgewicht wiederherstellen. So finde ich immer wieder zu meinem Lachen zurück.
"Stärke wächst nicht aus körperlicher Kraft - vielmehr aus unbeugsamem Willen." Mahatma Gandhi 1869-1948
6. Gestern fand der 27. Love Ride statt. Der Love Ride Switzerland ist die grösste Benefizveranstaltung der Schweizer Biker-Szene. Der erzielte Gewinn kommt vollumfänglich muskelkranken und behinderten Menschen zugute.
Eigentlich wollten wir dabei sein und später das Joe Bonamassa Konzert besuchen. Doch das nasskalte Wetter machte uns einen Strich durch das Vergnügen. Ich kann es mir einfach nicht erlauben zu frieren und womöglich eine Erkältung einzufangen. Schade, nahmen wir doch schon früher, als ich noch auf den Töff steigen konnte, mit unserer Harley am Love Ride teil. Immer wieder eindrücklich, wie viele Töfffahrer sich an der Ausfahrt mit Menschen mit Beeinträchtigungen beteiligen. Am Abend liesen wir uns das Vergnügen jedoch nicht nehmen, am Bonamassa Konzert teilzunehmen. Wir durften natürlich auf der "Rollstuhl Tribüne" Platz nehmen. Auch wenn die Akustik im Hallenstadion nicht optimal war, so gab der Gitarrenvirtuose und seine Band alles. So wurden wir für das entgangene Love Ride doch noch entschädigt.
7. Ich weiss, viele mögen sie nicht, die grossen braunen Brummer, die an Mai Abenden durch die Lüfte fliegen. Ich aber mag sie, die surrenden Maikäfer. Heute Abend habe ich den ersten gesehen.
8. Gestern Nachmittag war ich wiedermal mit dem Rolli unterwegs. Da ich das Glück habe, auf dem Land leben zu dürfen, fahre ich an vielen Wiesen und grünen Strassenrändern vorbei. Dabei entdecke ich immer wieder etwas Neues. Je nach Jahreszeit und Ort sind die Grünflächen unterschiedlich bestückt. Zurzeit sehe ich viele Halme in den Wiesen stehen. Sie überragen die eigentlichen Gräser. So sind manche feminin im Aussehen und andere durch ihre Kornrispen stark und präsent. Manche stehen in sattem Grün, andere schimmern Perlmutt Farben. Ebenso unterschiedlich zeigen sich Blumen, wie der Hornklee und der Salbei in den Wiesen. Ich bin immer wieder aufs Neue fasziniert von dieser Pflanzenvielfalt. Ich hole mir, inmitten der wunderschönen Pflanzenwelt, immer wieder die nötige seelische Kraft. Meine Hausapotheke im Grünen.
15. Sorry liebe Leser, es geht mir bis auf die noch immer präsenten Magenprobleme sehr gut. Ich habe zurzeit sehr viel um die Ohren und komme daher kaum zum Tagebuch schreiben. Doch es wird besser. Ihr dürft euch vorerst mit meinem Musikgeschmack auseinandersetzen. ;-)
19. Bin etwas müde, von der für mich doch anlassreichen Woche. Doch jeder Anlass war es wert, dabei zu sein. So war ich am Montagabend im Kino. Procap Uri lud wieder zur Filmreihe von Look and Roll ein. Die Kurzfilme zeigen den Alltag von Menschen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen. Vor und nach den Filmen finden interessante Gespräche zwischen den Besuchern statt. So schätze ich den Austausch mit anderen Organisationen, welche sich für die Belange von Menschen mit Beeinträchtigungen einsetzen.
Am Freitag gings dann zum Spargelessen in den Schwarzwald. Diese Tagesreise, mit einem rollstuhlgerechten Car, wurde von Martin Zutter (ALS-Betroffener) und seinem Umfeld organisiert und auch durchgeführt. Leider konnte Martin nicht mehr an diesem Ausflug teilnehmen. Und doch war er unter uns. Danke Martin und danke seinem Umfeld. Der Ausflug war wunderschön.
Diese Woche nahm ich auch an einer GV teil. Wie viele andere, bin auch ich Mitglied in verschiedenen ;-) Organisationen. Von Zeit zu Zeit stelle ich mir die Frage, ob alle Vereine, in denen ich Mitglied bin, mit meinen Ansichten und Visionen noch übereinstimmen. Wenn dem nicht so ist, ist es Zeit, die Organisation zu verlassen. Dadurch verhindere ich, dass die wichtigen Tätigkeiten des Vereins nicht unnötig blockiert werden. Ich habe es mir mit der Entscheidung, diesen Verein nach der GV zu verlassen, wahrlich nicht einfach gemacht. Bin ich doch kurz nach deren Gründung beigetreten. Dies ist auch schon wieder 12 Jahre her. Ich habe in all den Jahren einige Visionäre kommen und gehen sehen. Ich durfte aber auch viele ALS-Betroffene, Angehörige und Hinterbliebene kennenlernen. Ich musste mich, in meiner über 18-jährigen Krankheitsgeschichte, aber auch immer wieder von vielen liebgewonnenen Menschen verabschieden. Und trotzdem kann ich nicht anders, als den von ALS-Betroffenen Menschen mein Herz zu öffnen. Ich fühle mich mit ALS- Betroffenen stark verbunden.
Nun fühle ich mich frei und kann mich wieder mit voller Energie, meinen eigenen Projekten und Visionen widmen.
Jetzt bin ich aber wirklich geschafft und brauche ein wenig Zeit, mich zu erholen. Es kommt gut.
22. Hatte gerade eben meine wöchentliche Physiotherapie-Stunde. Schon über sechs Jahre, begleitet mich dieselbe Physiotherapeutin durch meine Krankheit. In dieser gemeinsamen Zeit lernten wir meine körperlichen Schwachstellen kennen und arbeiten gezielt daran, meine Beweglichkeit zu erhalten. Dabei sind passives Durchbewegen und aktives Ballspiel, Möglichkeiten für eine abwechslungsreiche Therapie-Stunde. Auch für die Atemtherapie setzen wir immer wieder einen Lungentrainer als Hilfsmittel ein. Meine Therapeutin und ich sind ein eingespieltes Team und der Spass kommt nicht zu kurz. Seit der Reha kommt nun zusätzlich eine Ergotherapeutin einmal in der Woche bei mir vorbei. Ihre Aufgabe, die Beweglichkeit meiner Schultern, Arme, Hände und Finger zu erhalten. Auch hier setzten wir ab und an Hilfsmittel ein. So bringen wir meine zur Faust eingerollten linken Finger, mittels einer Luftpolsterschiene, in die Streckung. Die Krankheit ALS hat mir mittlerweile sehr viele Muskeln geschwächt. Ich kann mich nur noch beschränkt eigenständig bewegen. Da ich mich schon immer gerne bewegt habe, schätze ich diese Therapien sehr. Während den Therapien kann ich meinen Körper besser spüren. Dies wiederum lässt meine Psyche frohlocken. Was mir aber besonders guttun würde, wäre eine strahlende Sonne. Momentan zeigt sie sich äusserst spärlich und die warmen Temperaturen lassen immer noch auf sich warten.
Endlich hat der Regen nachgelassen und für kurze Zeit schien sogar die Sonne durch die Wolken. Also nahm ich die Gelegenheit wahr und schaute nach unseren Pflanzen im Garten.
23. Mit Musik einzuschlafen tut mir gut. Mit der Sonne aufzuwachen tut mir noch viel besser. Jetzt, wo ich im Bett liege und auf meine Assistentin zur Morgenpflege warte, scheint die Sonne direkt auf mein Kopfkissen und ihre langen Strahlen spielen in meinem Gesicht. Ich freue mich so, aufzustehen und den Tag mit der Sonne zu verbringen.
JUNI
1. Ich bin wieder zurück aus den Ferien. Wie schon viele Jahre, verbrachten wir auch diesmal unsere Frühlingsferien im Südtirol. Normalerweise sind wir zur Apfelblütenzeit im Vintschgau. Wegen der Arbeit meines Mannes konnten wir nicht eher fahren. Dafür war es um diese Jahreszeit sehr warm und wir konnten einige Ausflüge in die Bergwelt unternehmen. So waren wir in den Dolomiten unterwegs und überquerten einige Pässe über 2000 m ü. M. Wir waren natürlich auch in Meran selbst unterwegs. Von unserem Hotel aus ging es in einem fünfminütigen Fuss- Rollimarsch in die Altstadt. In den Laubengassen war es nicht gar so heiss und wir konnten wunderbar bummeln. An Meran und Umgebung schätze ich die vielen Spazier- und Wanderwege durch die Natur. Mit dem Rolli fährt es sich auch sehr gut auf den unzähligen Radwegen, welche z.T. mitten durch die Obstplantagen führen. Natürlich isst es sich auch sehr gut im Südtirol. Italienische Küche gepaart mit österreichischer Küche, ein Genuss. Unser Hotel war wieder das City Hotel Meran mit barrierefreien Zimmern. Zu empfehlen für E-Rollstuhlfahrer, Zimmernummer 109 und 111. Das Frühstücksbuffet war wie immer der Hammer. Diese Auswahl an Speisen und Getränken. Schade eigentlich, dass Piet und ich es nicht gewohnt sind, so viel auf einmal zu essen. Es waren wunderschöne Ferien und es wird auch wieder ein nächstes Jahr geben.
13. Interessantes Dossier zum Thema Frauen.
Gleichstellung von Frauen mit Beeinträchtigung (Quelle avanti donne)
19. Ach war das schön. Heute war ich wiedermal auf einer längeren Rolli-Tour. Ich habe es so genossen, ganz allein in der Natur unterwegs zu sein. Um der Hitze auszuweichen, wählte ich eine westliche Route. Ich fuhr entlang von Gewässern, fuhr durch Pfützen und liess mich von herabfallenden Wassertropfen von den Tunneldecken berieseln. Durch den vielen Regen in der vergangenen Zeit, waren einige Wegstrecken ausgespült und ich musste meinen Rolli fest im Griff halten, um mir einen Weg durch die herausschauenden Steine zu bahnen. Es war mitunter schon recht holprig und ich war froh, mit meinem altbewährten Adventure Aussenrolli unterwegs zu sein. Im Gegensatz zu meinem Alltagsrolli, hat er grössere Räder und eine bessere Federung. Eine Wanderin gab mir trotzdem den gutgemeinten Rat, beim Fahren aufzupassen, nicht das ich womöglich im Gewässer lande. Sicher, allein unterwegs zu sein, birgt Gefahren. Für meine Freiheit, meine Selbstständigkeit nehme ich dies jedoch in Kauf. Es gibt kaum schöneres, frei wie ein Schmetterling durch die Natur zu streifen. Bei einer schönen Blume (sorry, es gibt nur schöne Blumen) anzuhalten und zu verweilen. Heute war es besonders interessant, dem vielen Schwemmholz zuzuschauen, wie es von den Wellen an die Seeufer geschaukelt wird. Ab und zu durfte ich einer meiner Lieblingsdüfte wahrnehmen. Der unverwechselbare Duft von werdendem Heu. Auf solchen Touren kann ich meine Krankheit fast gänzlich ausblenden. Ausser, mir begegnet ein Jogger, der mir beim vorbei joggen mit den schwingenden Armen meinen Rückspiegel nach vorne dreht und es nicht mal bemerkt. Um ihm hinterher zu rufen, ist meine Stimme zu schwach. Also, wenn ich schon unabhängig sein will, muss ich mir auch selbst helfen können. Kurz überlegen, dann einen Baum suchen und mit dem Spiegel so nahe an den Stamm fahren, dass sich der Spiegel zurückdreht. Voila, ich sehe wieder rückwärts. Es war ein sehr schöner Nachmittag für mich.
21. Heute jährt sich wieder der Internationale ALS-Gedenktag. Die Krankheit ALS kennt man bereits über 150 Jahre und trotzdem ist sie nach wie vor nicht heilbar. Obwohl die Forschung seit X- Jahrzehnten nach dem Krankheitsauslöser sucht, sind die Ergebnisse sehr bescheiden. Auch stehen nach wie vor nur Medikamente zur Verfügung, um die Krankheitsbeschwerden wie Spastik, Atemnot, ein wenig zu lindern. Die meisten von uns Betroffenen sterben immer noch nach wenigen Monaten oder wenigen Jahren nach der Diagnosestellung. Der Krankheitsverlauf ist für uns Betroffene und für unsere Angehörigen eine ungeheure Herausforderung. Nur mit unbändigem Lebenswillen ist es für uns Betroffene überhaupt möglich, den Weg mit dieser Krankheit zu bewältigen. Und das auch nur, mit Unterstützung und Begleitung durch unsere Angehörigen und durch unsere Freunde.
Wir benötigen aber auch DEINE Unterstützung. Einige Hilfsmittel, Therapien, Medikamente oder z.B. Entlastungsferien, werden von keiner Versicherung noch anderen Organisationen übernommen, was viele in finanzielle Notlagen bringt.
26. Wenn ich mit den nackten Beinen auf meinem Rollstuhlsitz festklebe, dann ist es wirklich heiss. Dann muss mein schwarzer Ledersitz und die Armauflagen mit einer saugfähigen Stoffhaut überzogen werden. Das war gestern der Fall. Bei so hohen Temperaturen kleben auch die Kleider auf der Haut, was unangenehm ist. Schnell mal unter die kalte Dusche springen, und frische Kleider anziehen, funktioniert bei uns Rolli fahrenden ALS-Betroffenen nicht. Trotzdem wollen auch wir die Sonne geniessen. Deshalb bin ich gestern, zusammen mit einer meiner Assistentinnen, auf Schiff. Während sechs Stunden liessen wir uns durch den Fahrtwind erfrischen. Bevor es dann wieder mit dem Auto nach Hause ging, bekam ich doch noch eine halbe Dusche. Eine Wohltat für die Beine. Unser Spass mit dem Wasser, inspirierte auch Andere, es uns gleich zu tun. Nach anfänglicher Scheu kühlten mir zwei kleine Mädchen mit ihren mit Wassergefühlten Händen, meine Arme, Hände, Beine und sogar die Fusssohlen. Sie machten das alles ganz sachte und mit viel Mitgefühl. Solche Gesten berühren. Wir hatten ein Riesen Gaudi unter dem wasserspeienden Stein. Meine Assistentin und die Kinder waren zum Schluss bis auf die Unterwäsche nass. So wundervoll, wenn wir das Kind in uns, in die Gegenwart mitnehmen.
JULI
2. Ich hoffe, das aktuelle TGB-Titelbild vom "Eissee" verschafft euch bei dieser Hitzewelle etwas Abkühlung. Nein, das Foto stammt nicht vom Winter, sondern vom letzten Samstag. Der Abkühlung wegen fuhren wir über mehrere Pässe. Von diesem Ausflug stammt auch das Foto vom See auf dem Grimselpass. Obwohl wir mit dem Cabriolet unterwegs waren, warm war es trotzdem. Und obwohl ich mit Sonnencreme einbalsamiert wurde, habe ich mir jämmerlich die Schultern verbrannt. Aber was soll's, schön wars. Den Wind in den Haaren und die Düfte aus der Natur in der Nase, was will ich mehr. Fast so schön, wie auf einer Harley.
5. In letzter Zeit bin ich wahrlich keine fleissige Schreiberin. Ich verbringe viel Zeit im Freien und geniesse die sonnigen Sommertage. In vergangenen Jahren schrieb ich in dieser Jahreszeit viele Tagebucheinträge auf dem Laptop im Garten. Die hohen Temperaturen und die schwülheisse Luft hindern mich jedoch daran. Die Maus schwimmt in den Händen und die Augensteuerung hat Mühe mit der Sonne und der Helligkeit. Momentan ist es auch in meinem Büro zu warm zum Schreiben. Also fasse ich mich kurz und melde mich bald wieder mit ein paar Zeilen.
7. Ich bin wieder in meinem Garten, genauer gesagt in unserer Pergola. Sie schützt mich und mein Surface vor Sonne und Regen. Das Wetter ist heute sehr wechselhaft. Wie das Wetter vor 40 Jahren war, weiss ich nicht mehr. Was ich aber noch genau weiss ist, dass ich um diese Zeit mit Wehen im Kreissaal lag. Ich war damals noch keine 18 Jahre und unverheiratet. Bei ledigen Paaren war es damals unüblich, dass der Vater des Kindes bei der Geburt, anwesend ist. Also warteten mein späterer Mann und Vater meines Kindes, bei seinen Eltern Zuhause, auf den erlösenden Anruf aus dem Spital. Mit Hilfe einer Hebamme und einem Arzt durfte ich am Samstagnachmittag dem 7.7.79 einem wunderschönen Jungen das Leben schenken. Das ist nun 40 Jahre her.
Es war für mich und den Vater meines Kindes sicher nicht immer einfach, in so jungen Jahren Eltern zu werden und für ein so kleines Wesen die Verantwortung zu tragen. Am Anfang durften wir von der Unterstützung unserer Eltern profitieren. Sie selbst haben ja sehr grosse Erfahrung mit dem Grossziehen von Kindern. Mein Mann, sowie auch ich, sind in einer Grossfamilie gross geworden. Wir Beide haben je 8 Geschwister. Eine Grossfamilie ist etwas Wunderbares. Dieses Zusammengehörigkeitsgefühl prägt mich noch heute.
Auch wenn wir damals nicht auf Rosen gebettet waren, glaube ich, hat es unserem Sohn an nichts gefehlt. Wenn andere Familien mit dem Flugi in die Ferien reisten, packten wir unser Zelt, einen Gaskocher und Lebensmittel ins Auto und machten uns auf, in südliche Gefilde. Ich denke, wir haben unseren Sohn mit viel Liebe zu einem liebenswerten und achtsamen Menschen werden lassen. Ich weiss, wir haben ihn auf einen guten Weg geschickt. Ich bin sehr stolz auf unseren Sohn.
In Anbetracht meiner Krankheit, bin ich froh, um die frühe Schwangerschaft. So begleitet mich heute mein Sohn, zusammen mit seinem Vater, durch die Krankheit ALS.
22. Ich weiss, ich habe lange nichts mehr von mir lesen lassen. Es sollte nun wieder mehr Beiträge von mir geben. Ich lag nicht etwa jeden Tag in der Sonne. An manchen Nachmittagen sass ich schweissgebadet vor dem PC und arbeitete an einer Website. Sie ist noch immer nicht ganz fertig, doch zu lesen gibt's schon was. Wenn ihr die Seite ALS-Familie anklickt, öffnet sich der Link zur Seite ALS Community Schweiz. Schaut einfach mal rein.
29. So, jetzt bin ich beim Erstellen der Webseite der ALS Community Schweiz wieder etwas weitergekommen. Das ALS-Forum ist aufgeschaltet und muss sich nun bewähren. Ich hoffe, ich habe nun wieder mehr Zeit für mich und meine persönliche Homepage. Natürlich will ich noch den Sommer ausgiebig geniessen und Rolli-Touren unternehmen. Und in die Ferien will ich ja auch noch. Also, schon wieder einiges vor.
AUGUST
1.Heute am 1. August ist der schweizerische Nationalfeiertag. Ich werde mich heute ebenfalls unters Volk mischen und mir einen typisch schweizerischen Cervelat vom Grill gönnen. Ein zünftiges Ürner Schwarzes darfs dann auch noch sein.
3. Vielleicht nimmt es euch wieder mal Wunder, wie es mir geht und was ich so treibe.
Die Krankheit ALS legt auch bei mir keine Pause ein und schreitet langsam voran. Die körperlichen Beeinträchtigungen nehmen zu und ich muss mich immer neuen Herausforderungen stellen. So habe ich immer mehr Mühe, mit der Hand, die Tetragabel auf der Rollstuhlsteuerung zu erreichen. Hier werde ich kleinere Anpassung veranlassen müssen. Das sollte kein Problem sein. Meine Lautsprache hat sich ebenfalls verschlechtert. Es wird immer schwieriger, meine Ansichten / Meinung in Diskussionen einzubringen und diese auch wortreich zu vertreten. Einige Buchstaben kann ich gar nicht mehr artikulieren. So kann ich mit der Zunge kein "R" mehr rollen. Aus rollen, wird dann eben lollen. Aber warum sollte die Krankheit ALS bei der Lautsprache halt machen? ALS-Betroffene verlieren im Verlauf der Krankheit ihre, in Kindertagen mühsam erlernten Bewegungsabläufe. Wäre da nicht unser Verstand, an dem sich die ALS die Zähne ausbeisst, könnte ich von einer Rückentwicklung schreiben. Steh-, Lauf- und Sitzunfähigkeit, Streck- und Greifunfähigkeit, Sprechunfähigkeit, Unfähigkeit über Mund zu essen und zu trinken, Spezialslips tragen oder eine andere Art den Urin aufzufangen, Abbau des Lungenmuskels. Dies ist nur ein Teil, was ALS-Betroffene im Verlauf der Krankheit erwartet.
Einige dieser Rückschritte können mit geeigneten Hilfsmitteln aufgefangen werden. Für die Symptombekämpfung, wie Spastik, Speichelfluss, Atemnot usw. kommen Medikamente zum Einsatz. Ein Heilmittel gibt es leider immer noch nicht. Und irgendwann, meistens nach 3 - 5 Jahren, mag der Körper oder der Geist, all die Strapazen nicht mehr tragen und hört auf zu kämpfen.
Meinen Einschränkungen und den Hochs und Tiefs zum Trotz, geht es mir nach wie vor sehr gut und ich habe noch immer eine riesen Freude am Leben.
5. Wir waren Dank dem verlängerten Wochenende viel unterwegs. Eine Fahrt über den Pragelpass in der Abendsonne, ein Rehabesuch in Crans Montana und Tessinbesuche mit Risottoessen auf der Piazza Grande.
Es war so schön über Berge und durch Täler zu fahren. Wenn ich so Unterwegs bin, kann ich meine Krankheit fast ganz zur Seite schieben. Ich fühle mich dadurch viel freier. Nachdem ich in letzter Zeit viel im Haus verbrachte und am PC arbeitete, genoss ich diese Ausfahrten sehr. Die Natur tut mir unheimlich gut. Für grössere Rollitouren hat es noch nicht so oft gereicht. Kleine Touren zum Dorfladen oder auf einen Schwatz zum Bauernhof meines Bruders, mussten reichen. Aber, noch eine Woche, und dann habe ich wieder viel mehr Zeit. Diese werde ich sicher nicht im Haus verbringen.
Meine Therapien werden dann ebenfalls für zwei Wochen ausgesetzt. Ich habe jeweils 1 x die Woche Physiotherapie und 1 x Ergotherapie. Ab dieser Woche habe ich zusätzlich 1 x im Monat Physiotherapie im Wasser. Morgen ist es soweit. Ich freue mich auf die Schwerelosigkeit im Wasser. Ebenfalls diese Woche, werde ich in die Uniklinik gefahren. Ich nehme dort an einer zweijährigen ALS-Studie teil.
Irgendwann, irgendwann muss doch der Ausbruch dieser Krankheit zu stoppen sein.
7. Bei meiner Reha im April, habe ich die Therapien im Wasser sehr genossen. Durch den Auftrieb im Wasser konnte ich mich viel besser bewegen. Zu spüren, dass da noch immer Muskelkraft vorhanden ist, war jedes Mal ein Aufsteller für mich. Zuhause wollte ich diese Therapieform weiterführen und suchte nach einem Therapiebad. Gestern war es soweit. Ich bekam im Kantonsspital Altdorf meine Physiostunde im Wasser. Es hat sehr gut funktioniert und man ist interessiert, das Bad mit weiteren Schwimmhilfen auszustatten. Am Abend durfte ich meine doch ungewohnten Aktivitäten nochmal spüren. Plötzlich breitete sich in meinen Körper eine wohlige Wärme aus. Meine Oberschenkel- und Gesässmuskulatur machten sich ebenfalls bemerkbar. Meine Beine wurden immer schwerer. Heute die Quittung, Muskelkater. Also, einen Berg besteigen, schaffe ich heute nicht. Entspannung und Ruhe ist angesagt. Morgen wird es wieder ein langer Tag werden. Die nötigen Untersuchungen zu einer Studie stehen an.
11. Ich liebe den Sommer. Ein Sonnentag reiht sich an den andern. Dank den warmen Temperaturen brauche ich niemanden, der mir eine Jacke anzieht. So bin ich in meinen ausser Haus Aktivitäten viel freier. Ich kann gehen und kommen wie es mir gefällt. Spontan eine kleine oder grosse Rollirunde drehen oder im Garten sitzend die Natur beobachten. Und es gibt viel zu sehen. Amseln, die den Rasen nach Futter für ihren halbwegs flügge gewordene Nachwuchs absuchen. Manchmal halten sie inne, neigen den Kopf leicht zur Seite, als würden sie lauschen, um gleich darauf mit schnellen Schritten auf einen bestimmten Punkt zuzulaufen. Dort wird der Schnabel in den Rasen gehämmert und wenn es gut geht, wird ein Erdbewohner aus dem Boden gezogen und den am Boden wartenden Jungvögeln verfüttert. In unserem Garten haben auch viele Eidechsen ihr Zuhause gefunden. Ob Gross oder Klein, sie lieben Verfolgungsrennen und das Verstecken zwischen alten Mauersteinen. Allerlei Arten von Insekten holen sich Nektar aus unserem Garten. Ich sehe es auch gerne, wenn Schmetterlinge unsere Gartenblumen besuchen. Sogar ein Falke hat sich letzthin in unseren Garten gestürzt und sich danach auf den Gartenhag gesetzt.
Zurzeit sitze ich auf unserem Balkon und schreibe diesen Tagebucheintrag. Mit der Abendtemperatur und dem sanften Luftzug ist es sehr angenehm hier zu sitzen und zu schreiben. Mit Blick in den Garten, mit Sicht auf die Bergen, die reisenden Wolken am Himmelszelt, das Gezwitscher der Vögel und die Kirchenglocken, die gerade 19.00 Uhr läuten, ist mein Zuhause.
12. Gestern wollte ich euch noch von der Studie erzählen, an der ich mich beteilige. Doch ich musste vom Balkon fliehen und mein Surface in Sicherheit bringen lassen. Aus dem lauen Lüftchen entwickelte sich innerhalb einer halben Stunde ein heftiger Sturm mit sintflutartigem Regen. Ich musste also das Schreiben abbrechen und mich ins Hausinnere bewegen. Eigentlich wollte ich schon heute Nachmittag im Tagebuch schreiben. Doch ich habe meinen PC aufgehängt. Ich war dabei, meine Festplatte zu bereinigen. Dabei habe ich gleichzeitig im Netz gesurft. Das kam wohl nicht so gut an. Für einen Neustart hätte ich aussen am Gehäuse des Surface zwei Tasten gleichzeitig drücken müssen. Das ist in Folge der fortschreitenden ALS-Erkrankung aber nicht mehr möglich. Ich durfte also auf meinen Mann warten, bis er von seiner Arbeitsstelle heimkehrt und meinen PC wieder zum Laufen bringt. Jetzt läuft es wieder. So wie man mich kennt, wird es solche Sachen immer wieder geben. Ich habe nämlich sehr gerne Ordnung. Sei es im Haushalt, rings ums Haus oder eben in meinem Büro und den Dateien auf meinem PC. Manchmal bin ich zu radikal und lösche auch mal zu viel. Ich habe nicht gerne Ballast um mich herum und auch nicht gerne in mir. Darum zwischendurch die Bereinigung.
Also, hier nun ein kurzer Beschrieb zur Studie, welche in der Uniklinik Basel durchgeführt wird.
Die Studie untersucht Veränderungen in der grauen und weissen Substanz im Rückenmark mittels Magnetresonanztomographie (MRI) über einen Zeitraum von 24 Monaten bei Patienten mit Amyotropher Lateralsklerose (ALS). Man will herauszufinden, ob es mittels MRI messbare Veränderungen des Volumens der grauen und weissen Substanz im Rückenmark bei ALS gibt. Ziel ist die Entwicklung eines messbaren Parameters, der in der Zukunft bei der genaueren Verlaufsbestimmung der ALS z. B. im Rahmen der Entwicklung neuer Medikamente helfen könnte. (Flyer zur Studie)
Dafür nahm ich 3 Stunden Reisezeit und über 3 Stunden mit Untersuchungen und Test auf mich. Ich finde es wichtig, als Selbstbetroffene an ALS Studien teilzunehmen. Ich liess es mir dann aber auch nicht nehmen, vor und nach den Untersuchungen bei zwei von ALS-Betroffenen Freunden aus der ALS-Familie vorbeizuschauen. Auch wenn ich nur kurz Zeit habe, solche Besuche sind mir sehr wichtig.
20. 🤨 Fange ich doch gleich mal wieder mit dem Wetter an. Der Sommer zieht sich langsam zurück, die Temperaturen sind gefallen und heute regnet es auch nur einmal. Wenn ihr jetzt denkt, das nasskalte Wetter zwinge mich aus den Sommerkleidern, so irrt ihr euch. Ich habe eine Wärme in mir, als würde die Sonne auf mich herunterscheinen und mich zum Schwitzen bringen. Schuld ist nicht das Wetter, sondern mein Mann. Piet hat uns heute zum Zmittag eine Pizza zubereitet. Mit Pilzen, Schinken, Tomaten, Mozzarella gut bestückt und super lecker. Wäre da nicht der viele Knoblauch und der reichlich zugegebene Pfeffer. Mit langen Kleidern wäre es mir jetzt zu warm. So muss nun die Wärme in meinem Körper, über die Sommerbekleidung entweichen. Ja, mein Mann hat mehr oder weniger Ferien. Wäre da nicht noch ich😏. Wenn Piet Ferien hat, wird gleichzeitig der Einsatz meiner Assistenzpersonen reduziert. So können wir unabhängiger und spontaner Planen und können die Zweisamkeit geniessen. In den vergangenen Jahren nahm ich jeweils in den Sommerferien, an den vom Verein ALS Schweiz organisierten ALS Ferien Woche im Tessin teil. Piet gönnte sich während dieser Zeit einige Tage auf seiner Harley. Aus diversen Gründen nehme ich dieses Jahr nicht mehr an diesen Ferien Woche teil. Ferien mit ALS-Betroffenen, mit meinen Freunden zu verbringen, wird mir fehlen. Ich trage immer noch das Freundschaftsbändeli von den letzten ALS-Ferien am Handgelenk. So sind all die schönen Erinnerungen mit all den lieben Begegnungen immer wieder präsent und ich darf von ihnen zehren. Ich wünsche allen diesjährigen Teilnehmern eine wunderschöne Zeit zusammen.
Aber was wäre ich, wenn ich nicht schon einige Ferien-Tage in der Ferne geplant hätte. Es braucht meistens etwas Überzeugungskraft, aber dann lässt sich auch mein Mann auf Ferientage ausser Haus ein. Ich kann innerhalb von ein, zwei Tagen ein Ferienziel mit einer barrierefreien Unterkunft planen und buchen. Ich bin mir bewusst, dass viele ALS-Betroffene auch gerne in die Ferien fahren möchten. Auf Grund der gesundheitlichen Verfassung, kann eine Ferienreise zu beschwerlich und mit zu viel Aufwand verbunden sein. Auch finanzielle Gründe spielen oft eine Rolle. Ich bin umso dankbarer, für meine gesundheitliche Verfassung, die mir Ferienreisen ermöglichen. Ich bin nicht Jemand der sich einsperren lässt. Ich brauche die Freiheit um Leben zu können. Ich freue mich nun, wieder einen neuen Ort kennenzulernen. Ich werde dann berichten.
21. Heute ist es wieder soweit. Der Tag, an dem ich die Diagnose bekam, von der unheilbaren Krankheit Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) betroffen zu sein. Das ist nun 18 Jahre her. Wahrlich eine lange Zeit. Eine Zeit mit vielen körperlichen Veränderungen, stetigen Anpassungen und Umstellungen, mit Abschied nehmen, Trauer und Tränen. Aber auch mit vielen schönen Begegnungen mit ALS-Betroffenen und Personen im ALS-Umfeld. Ich kann mich noch sehr gut an den ersten Kontakt mit einem ALS-Betroffenen erinnern. Walter Stahl hatte ebenfalls im August 2001 die Diagnose ALS erhalten. Leider ist es auch schon wieder 10 Jahren her, seit er seine grosse Reise angetreten hat. So musste ich in meiner ALS Zeit von vielen Betroffenen Abschied nehmen. Wie viele es sind, weiss ich nicht mal genau. Auch wenn die gemeinsame Zeit, der Krankheit entsprechend kurz war, so sind doch viele in meinen Gedanken noch präsent. Ich weiss nicht, auch die Forscher wissen nicht, wieso die Krankheit bei den ALS-Betroffenen unterschlich schnell voranschreitet. Sozusagen wissen die Forscher immer noch sehr wenig über diese verheerende, Lebenszeit raubende Krankheit. So ist es umso wichtiger, die Lebensqualität von Betroffenen und ihrem Umfeld zu stärken. Wie geht so was, wie kann man helfen und welche Angebote gibt es. Für mich sollten die Anliegen, die Wünsche der Betroffenen und Angehörigen an erster Stelle stehen. Wir Betroffene wissen sehr wohl selbst, was wir brauchen und wollen. Hierfür benötigen wir Partner, Institutionen, Vereine, welche unsere Anliegen, Wünsche und Interessen aufnehmen, respektieren und durchsetzen. Wir benötigen eine umfassende und ALS spezifische Unterstützung. Wir benötigen auf ALS geschulte Pflegekräfte, sei es für zu Hause, in Pflegeheimen oder in an anderen Wohnformen. Dies wiederum ist mit Kosten verbunden. Auch müssten alle Betroffenen, ob im erwerbsfähigen Alter oder im Pensionsalter, denselben Zugang zu Hilfsmitteln haben. Das ist in der Schweiz leider nicht so. Bei gleicher Krankheit erhalten AHV-Bezüger nur einen kleinen Teil ihrer Hilfsmittel bezahlt. Das muss anders geregelt werden, und zwar vom Bund. Bislang springen Stiftungen, Gesellschaften, Vereine usw. bei finanziellen Engpässen ein. Wenn auch du die ALS-Hilfe finanziell unterstützen möchtest, so kannst du dies mit einer Spende an den Verein ALS Schweiz oder neu und innovativ an das Caregiver-Center und an die Muskelgesellschaft Schweiz Vermerk ALS, tun.
Ist eine so lange Zeit mit ALS zu leben ein Fluch oder ein Segen? Trotz all den Beschränkungen, die mir die ALS auferlegt, ist für mich das Leben immer noch ein Segen. Wahrscheinlich auch auf Grund meines langsamen Krankheitsverlaufes, meinem mittragenden Umfeld und dem tollen Betreuungsteam. Danke euch Allen, dass ihr mich auf meinem ALS-Weg begleitet und mir die ALS tragen helft.
Zum heutigen Tag hat mir eine Person eine grosse Freude bereitet. Meine Nichte aus Canada hat mich heute Morgen besucht. Sie ging zum Englisch lernen nach Canada und ist dann gleich für immer geblieben. Das ist nun über 20 Jahre her. Sie arbeitet als Betreuerin in einem Haus, in dem drei Menschen mit einer geistigen Einschränkung leben. Sie ist eine taffe Frau, die mit beiden Beinen im Leben steht. Ich mag ihre Ansichten und ihre Einstellung zum Leben. Es tat mir gut mit ihr zu plaudern. Danke liebe Eveline. Du hast mir mit deinem heutigen Besuch, die Sonne gebracht.
22. .... und ich habe geplant und gebucht. Und schon heute Nacht schlafe ich in diesem Bett.
27. Da bin ich wieder. Ich hatte eigentlich vor, euch weitere Hinweise zu meinem Aufenthaltsort zu geben. Doch meine Homepage liess sich mehrere Tage nicht bearbeiten. Laut der Homepage Community von Swisscom, hatten andere Nutzer des Homepagetools dasselbe Problem. Dank den Technikern funktionierts nun wieder. Ich hatte ja nun freie Zeit und diese nutzte ich, die Ferienfotos zu einem kleinen Ferienfilmchen zusammenzustellen. Viel Vergnügen.
Wenn ihr mein Filmchen angesehen habt, wisst ihr, dass Piet und ich ein paar Tage in Kempten im Allgäu verbracht haben. Von dort aus machten wir Streifzüge in die nähere und weitere Umgebung. Es hat sich kulturell wie landschaftlich gelohnt, ein paar Tage im Schwabenländle zu verbringen. Diese Weite, diese landwirtschaftlichen Flächen, beeindrucken.
Als wir dann am Sonntag über Deutschland, Österreich und über den Klausenpass nach Hause fuhren, waren wir uns einig. Mit den schweizer Alpen lässt es sich schwer konkurrieren. Da trifft man auf hohe Berge und tiefe Täler. Gletscherfelder und tosende Wasserfälle. Kühe, die mitten auf der Strasse stehen und den Verkehr aufhalten. Ihnen gewährt man den Vortritt. Diese Alpen gehören den Tieren und wir haben uns ihnen anzupassen. Passend dazu war noch die Schwingfestübertragung im Radio. Wir wollten beim Schlussgang (Wicki - Stucki) eigendlich auf die Seite fahren. Doch das hat sich bei dem kurzen Gang dann erübrigt. Gölä & Trauffer
Ferien in anderen Gegenden sind etwas wunderschönes. Meine Heimat kann ich jedoch nicht verleugnen. Ich gehöre in die Urner Berglandschaft.
29. Es passiert immer wieder, dass ALS-Betroffene wegen der aufwendigen Pflege und der 24 Stunden Betreuung in ein Heim eintreten müssen. Ich bin nicht gegen Pflegeheime, die brauchen wir. Doch es müssen auch andere Wohn- und Lebensformen gefördert und finanziert werden. Es darf doch nicht sein, dass junge, von ALS-Betroffene Personen, in ein Alters- und Pflegeheim eintreten müssen, weil die häusliche Pflege nicht finanzierbar ist. Die wenigen Monate oder wenigen Jahre, die ihnen krankheitsbedingt noch bleiben, sollten sie dort verbringen dürfen, wo sie sich wohlfühlen. Zum Beispiel bei gleichaltrigen mit gleichen Interessen, gleichem Lebensrythmus. Die freie Wahl und die Finanzierbarkeit sollte genauso für jedes Alter gelten. Als ich heute wieder von solch einem Fall hörte, rührte mich dies zu Tränen. Ich weiss nicht ob aus Wut oder Trauer. In solchen Momenten frage ich mich, ob Patienten-Organisationen genug unternehmen, um ALS-Betroffene in dieser Hinsicht zu unterstützen. Ich hoffe so sehr, dass ALS-Betroffene in absehbarer Zukunft, die nötige Unterstützung erhalten.
SEPTEMBER
1. Nachdem ich heute mehr oder weniger den ganzen Tag die Sonne und die Wärme geniessen durfte, so haben mich am Abend die Regentropfen doch noch erreicht und mich ins Haus flüchten lassen. Aber das ist gut so. Die Ferien von Piet gehen heute zu Ende und auch bei mir fängt Morgen wieder der Alltag an. Das heisst bei mir, meine Assistenten kommen wieder zum Einsatz und die Therapien werden wieder aufgenommen. Es kommt eine körperlich anspruchsvolle Woche auf mich zu. Ergotherapie, Physiotherapie, Gymnastik im Wasser, Lungenfunktionstest, Besuch bei der Dentalhygienikerin und ALS-Sprechstunde in Basel. Manchmal geht es terminlich eben nicht anders. Aber das schönste was mich diese Woche erwartet, ist das Zusammentreffen mit anderen ALS-Betroffenen. Wenn ich schon den langen Weg nach Basel auf mich nehme, kann ich das Notwendige auch gleich mit einer Herzensangelegenheit verbinden.
Etwas traurig bin ich schon, meinen Schatz nun nicht mehr ständig, um mich zu haben. Waren wir doch viel zusammen unterwegs. Mit Urner-Kaffee in der Kanne, mit Käse, Wurst und Brot im Korb, das Cabriolet-Dach offen, die Sonne im Gesicht und den Wind in den Haaren, wer würde nicht gerne so durch wunderschöne Landschaften fahren. Das momentane Titelbild stammt übrigens von einem Ausflug in der französisch sprechenden Schweiz.
Nun hoffe ich einfach auf einen Indian-Summer mit bunten Blättern und gelben Nadeln der Lärchen. So hat doch jede Jahreszeit ihren Reiz.
4. Ein Flugzeug zeichnet eine rote Linie an den Himmel. Hinter den Bergen macht sich die Sonne bereit aufzusteigen. Es scheint, als würde es heute nochmal einen Sommertag geben. Ich weiss auch schon, wo ich diesen verbringen werde. In unserem Garten. Heute ist nämlich der einzige Tag der Woche, an dem ich keine Termine habe. Bevor ich mich jedoch dem Nichtstun hingeben kann, fahre ich noch schnell zum Dorfladen. Ich will die Zutaten für das heutige Mittagessen für meinen berufstätigen Ehemann und für mich einkaufen. Ich schätze das vielfältige Angebot und die regionalen Produkte dieses Ladens sehr. Für mich ist so ein Dorfladen sehr wertvoll. Hier kann ich trotz meinen Einschränkungen selbständig einkaufen. Das Verkaufspersonal kennt mich und weiss, welche Hilfe ich benötige. Auch viele der Kunden kennen mich und bieten mir ihre Hilfe an. Also bis später, ich will los.
Schön war es im Garten. Da es wahrscheinlich der letzte Sommertag in diesem Jahr war, habe ich die Sonne nochmal ausgiebig genossen. Und irgendwie gewollt, habe ich mir ein Sommersouvenir geholt. Tomätchen lässt grüssen.
Während am Morgen die Kondensstreifen der Flugzeuge rot waren, sind sie am Abend nun weiss. Die weissen Wolken vom Morgen sind hingegen nun rötlich eingefärbt. Wolken sind faszinierend. Sie sind ständig in Bewegung und verändern dadurch ihr Aussehen. Mal sind sie flach und fast durchsichtig, mal aufgebläht und schneeweiss. Am liebsten würde ich sie anfassen. Doch ich würde ins Leere fassen. Sie sind sichtbar und doch nicht fassbar. Diese dauernd wechselnden Formen und Farben, eine malerische Meisterleistung. Die Künstler: Sonne, Wind und Wasser. Im Rollstuhl sitzend, den Blick nach Oben gerichtet, beobachte ich so manches Mal das faszinierende Schauspiel am Himmelszelt.
7. Wie schon erwähnt, hatte ich diese Woche diverse Termine, die meine Gesundheit mit der Krankheit ALS betrafen. So würde bei mir nach 5 Jahren wiedermal ein Lungenfunktionstest durchgeführt. Lag das Atemvolumen vor 5 Jahren bei 50%, so sind es jetzt 34%. Da mein Lippenschluss nicht mehr alle Luft zurückhalten kann, ist das Ergebnis nicht ganz genau. Mittels Blutabnahme wurde auch noch der Sauerstoffgehalt im Blut gemessen. Mit den 97% kann ich mehr als zufrieden sein. Diese Woche fand auch die Sprechstunde mit meiner Neurologin statt. Dabei wurde ein kleiner Untersuch betreffs meiner Muskelkraft und der Reflexe durchgeführt. Therapien wurden besprochen und Medikamente angepasst. Die Sprechstunde finden im Rehab Basel statt. Eine Freundin von mir hatte an diesem Tag ebenfalls ihre Sprechstunde und eine weitere von ALS-Betroffene Freundin ist dort gerade in der Reha. So trafen wir uns jeweils zwischen unseren Terminen. Schön war es, unser Zusammentreffen.
8. Auch wenn die Krankheit ALS nicht heilbar ist und sie fortwährend voranschreitet, gibt es doch Medikamente und Therapien, welche zur Symptombekämpfung eingesetzt werden können. Bei mir kommen diverse Therapien zum Einsatz. Während sich die Ergotherapeutin um meine Hände, Arme, Schultern kümmert, so widmet sich die Physiotherapeutin um die Füsse, Beine, Rumpf, Kopf und um das Lymphsystem. Bis vor zwei Jahren hatte ich auch Logopädie. Damals ging es darum, das Artikulieren zu verbessern. Nun werde ich die Logopädie wohl wieder aufnehmen. Die Krankheit ALS hat inzwischen meine Kiefer- und Gesichtsmuskulatur erreicht. Meine Gesichtszüge verändern sich. Einst zeigten meine Mundwinkeln stets nach 🙂 und nun nach 😦 . Ausserdem beisse ich in der Nacht auf die Lippen. Die rechte untere Lippe ist ständig geschwollen und beeinflusst das Sprechen zusätzlich und auch die Essenverabreichung ist dadurch erschwert. Ein Beissring könnte eventuell helfen. Doch bei meinem vorhandenen Brechreiz nicht anwendbar. Also starte ich wieder einen Versuch mit meiner Logopädin. Vielleicht helfen eine Gesichtsmassage und die Lockerung des Kiffers. Gut für mich, alle Therapeuten kommen zu mir nach Hause. So kann ich den Aufwand so gering wie möglich halten. Nur die Wassergymnastik findet ausser Haus statt. Unsere Badewanne ist dafür etwas zu klein. Diese Woche war ich ebenfalls wieder im Wasser. Nebst der Physiotherapeutin steigt auch eine meiner Assistentinnen mit ins Wasser. Sie unterstützt die Physiotherapeutin dabei, mich in den Stand zu bringen. Ich schwimme nicht nur herum, ich stehe auch am Beckenrand und mache dort Übungen. Das schönste ist jedoch das Liegen auf dem Wasser. Bisher war ich immer stolz, nur mit einer aufblasbaren Halskrause, flach auf dem Wasser liegen zu können. Das können weder die superschlanke Physiotherapeutin noch meine superschlanke Assistentin. Hätte ich nur nicht nachgefragt, weshalb das so ist. Anscheinend hat dies Etwas mit der Körperdichte zu tun. Also: 1 Liter Wasser ist 1 Kilogramm. 1 Liter Muskelmasse ergeben ca. 3 Kilogramm. Was soviel heisst, Muskeln sind schwerer als das Wasser und sinkt im Wasser ab. 1 Liter Fett hingegen ist mit ca. 900 Gramm am leichtesten von allen dreien. Also schwimmt Fett im Wasser obenauf. Auch wenn noch weitere Faktoren eine Rolle spielen, ist die Antwort nicht gerade schmeichelhaft für mich. Ich meinte dann zur Physiotherapeutin; du willst jetzt aber nicht sagen, hier treibt ein Fettberg im offenen Bassin? Sie; so habe ich es nicht gesagt 😉 . Einige Tage später stellte sich mir die Frage, warum ich dann im Wasser ein Halskragen tragen muss und andere nicht. Ob dies womöglich mit der Hirnmasse zu tun hat? 🤔
Auch wenn ich manchmal all der Therapien überdrüssig bin, würde ich nie auf sie verzichten. Ich bin der festen Überzeugung, dass ich ohne die Therapien weitaus mehr körperliche Einschränkungen hätte.
Meine Medikamentöse Behandlung wird weiter angepasst. So bekomme ich wegen der schmerzhaften Spastik und der Sehnenverkürzung in den linken Fingern, in Kürze eine Botox-Injektion in den Armmuskel. Die KK muss jedoch noch die Zustimmung geben. Weiter nehme ich Sativa-Öl zu mir. Es lindert die Spastik und hält meinen Gemütszustand auf einem guten Level. Ich war schon immer eine Frohnatur und das will ich auch bleiben.
10. Heute war ich mit meiner Assistentin im Garten. Auch wenn es erst September ist, muss ich unsern Garten langsam für den Winter fit machen. Was so viel heisst, Sommerflor und Gehölz wird zurückgeschnitten, Gemüse und Salate im Hochbeet reduziert und die Blumenbeete von "Unkraut" befreit. Dabei kann ich nur Anweisungen geben. Selbst Hand anlegen kann ich nicht mehr. So widmete ich dem Studium der Tiere, welche uns heute im Garten besuchten. Die Nachbarskatze ist zu uns rübergekommen und sich gleich ein sonniges Plätzchen bei den Sträuchern gesucht. Die immer noch vorhandenen Blüten werden noch rege von Bienen, Hummeln und Schmetterlingen besucht. So konnte ich den Grossen Kohlweissling beobachten, wie er ständig die Lavendelstauden anflog und sich dann genüsslich am Blütennektar bediente. Ich wusste schon, dass sich viele Eidechsen in unserm Garten herumtreiben, aber gleich so viele wie heute, überraschte mich dann doch. Es war ein Gewimmel und ein Gerangel.
Ich konnte es mir zuerst nicht erklären, warum sich so viele Eidechsen am gleichen Fleck aufhalten. Bis ich im Rasen ebenfalls ein Gewusel bemerkte. Ameisen mit Flügeln haben sich aus der Erde, auf die Rasenblätter emporgearbeitet und machen sich zum Flug (Hochzeitsflug) bereit. Darauf haben die Eidechsen gewartet. Mir ihren feinen, langen Zungen wird eine um die andere Ameise vor dem Abflug geschnappt, zum Munde geführt und dann verspeist. Wahrlich ein Festessen für die Echsen. Gerade rechtzeitig, bevor es dann bald in die Winterruhe geht. Später besuchte uns auch mein Sohn mit der süssen Elly im Garten.
Sonnenschein, Besuche im Garten, Kaffee trinken, was will ich mehr. Ich hoffe, es wird noch einige dieser wunderschönen Herbsttage in "meinem" Garten geben.
18. Und es waren schöne Herbsttage, die ich geniessen durfte. Wenn es meine Therapien und Termine zu liessen, war ich natürlich Draussen. Mit meinem Rolli drehte ich kleine Runden in der näheren Umgebung oder fuhr zum See. An Freitagnachmittagen habe ich weder Therapien, noch werde ich von Assistentinnen unterstützt. Dies ist meine ganz persönliche Zeit, meine Freiheit. Wie ich diesen Nachmittag verbringe, entscheide ich jeweils ganz spontan. So habe ich mich letzten Freitag spontan entschieden, trotz fortgeschrittenem Nachmittag, einen Ausflug zu unternehmen. So fuhr ich in die Nachbargemeinde, rollte in die Luftseilbahnkabine und liess mich auf 1080 m.ü.M. den Berg hinauffahren. Oben angekommen, rollte ich noch einige Höhenmeter höher, zum Weg, auf dem die Downhillfähigkeit meines Rollstuhls zum Tragen kommen. Ähnlich einer Passstrasse, rolle ich in langgezogenen Kurven den Berg hinunter. Da diese Strasse nur von Anwohnern motorisiert befahren werden darf, gab es kaum Verkehr. Diese Ruhe, die wunderbare Fauna und Flora, der Duft des Waldes, das satte Grün der Moose und Farne, das schneeweisse Wasser der Bergbäche, und immer wieder Halt, um die herrliche Aussicht ins Tal zu geniessen. Ich liebe diese Zeit ganz allein für mich. Auch am Wochenende gings wieder in die Höhe. Mit Picknick im Auto, überquerten mein Mann und ich wieder einige Pässe. Wer weiss schon, wann der Schnee kommt und die Passstrassen geschlossen werden. Also nutzen wir den schönen Herbst und verlängern so den Sommer.
20. Es ist kurz vor Mittag und soeben hat die Sonne die Wolkendecke durchbrochen. Nun scheint sie durchs Bürofenster und einige Strahlen recken sich bis zu meinem Nacken vor. Als wollten sie mir sagen, dass heute Freitag ist und die Sonne draussen auf mich wartet, um mit mir den Nachmittag zu verbringen. Ja dann nehme ich doch diese sonnige Einladung mit Freude an. Auf geht's!
22. Bilder vom heutigen Sonntagsausflug. Urnerboden und Klausenpass
23. Bei meinen autonomen Unternehmungen, muss ich mich auf Barrieren einstellen. Insbesondere dann, wenn ich neue Routen wähle. So fuhr ich letzten Freitag wieder in eine Nachbargemeinde, rollte dort in die Kabine einer Luftseilbahn und lies mich auf 1446 m.ü.M. hochfahren. Die Bahn war schon gefüllt, da wollte eine Passagierin mit einem grösseren Hund zusteigen. Sofort ging das Gebell los. Der kleinere Hund, welcher vorher ruhig in der Kabine sass, wollte wohl seinen Platz verteidigen und wollte auf den Grossen Zulaufen. Das alles spielte sich neben und vor mir ab. Ein bisschen Angst hatte ich schon zwischen die Fronten zu geraten. Als dann der Vorschlag kam, ich solle mich mit dem Rollstuhl in die Mitte der Kabine stellen, dann wären die Hunde getrennt, schüttelte ich nur den Kopf. Die Frau und ihr wunderschöner Rüde, nahmen dann die nächste Bahn. Oben angekommen, wollte ich auf der neuen Panorama Terrasse eines Restaurants einen Kaffee trinken und die wunderschöne Aussicht ins Tal und auf den Urnersee geniessen. Ich war ja mit meinen Adventure Rollstuhl unterwegs, doch die 20 cm Absatz schafft auch er nicht. Also rechts umkehrt und über eine Schotter Piste zur zweiten Beiz. Auch diese Panorama Terrasse mit den roten Geranien am Geländer, sah sehr einladend aus. Wären da nicht die drei Stufen, hätte ich mir doch glatt ein Erdbeer-Frappé gegönnt. Da Frappé-Gläser hoch sind und das Frappé mit Trinkhalm serviert wird, hätte ich zum Trinken auch keine Hilfe benötigt. Da die die Strassen um die Seilbahn herum, eine echte Herausforderung für meinen Rolli und mich sind, nahm ich wieder das Bähnli abwärts. Jetzt weiss ich, dass ich diese Tour nicht mehr wählen muss. Trotzdem habe ich die Fahrt und die Zeit auf dem Berg genossen.
Oh, jetzt kommt mir gerade noch etwas vom letzten Freitagnachmittag in den Sinn. Auf dem Weg zur Seilstation, versperrte mir ein abgestelltes Auto auf dem Trottoir den Weg. Vom Trottoir herunterfahren konnte ich nicht, da der Rand sehr hoch war und die Strasse stark befahren. Die zurückgelegte Strecke wieder zurückfahren mochte ich nicht und rufen mit meiner Stimme konnte ich nicht. Ich wollte gerade die Polizei anrufen (fraglich ob die mich verstanden hätten), da fährt einer meiner Brüder (ich habe vier davon), an mir vorbei, kehrt, und hält auf der Strasse an. Ungeachtet der Kolonne, die sich hinter seinem Auto bildet, steigt er aus und geht auf das falschparkierende Auto zu. Im selben Moment sprintet der Autobesitzer herbei. Mein Bruder erklärt ihm klar und deutlich, was er mit seiner Gedankenlosigkeit verursacht hat. Ich bin überzeugt, dieses Gespräch wird ihn in Zukunft, vom Parkieren auf Trottoirs, abhalten. Danke Bruderherz, deine Hilfe hat mich sehr berührt.
25. Mir geht es ja gut mit meinem langsamen ALS - Verlauf. Mich bewegt und beschäftigt hingegen der zum Teil sehr schnelle ALS- Verlauf von anderen Betroffenen. Ich versuche, die mir bekannten Betroffenen, so gut es mir eben möglich ist, durch die Krankheit zu begleiten. ALS - Betroffene und deren Angehörigen erhalten nach wie vor zu wenig Unterstützung. Obwohl es Organisationen gibt, welche sich für ALS - Betroffene einsetzen, ist die Situation für Betroffene in den letzten Jahren nicht besser geworden. So müssen z.B. Betroffene immer noch in Alters- und Pflegeheime eintreten (auch junge Betroffene), wo das Pflegepersonal wenig, bis gar keine Kenntnisse / Erfahrungen über die Pflege und Betreuung von ALS - Betroffenen hat. Diese Tatsache ist weder für die Betroffenen noch für die Pflegenden angenehm. Hier wären punktuelle Schulungen für Pflegende in den bestimmten Pflegeheimen dringend nötig. Etwas besser, aber nach wie vor ungenügend, geht es Betroffenen, welche noch nicht im Pensionsalter sind. Sie können mit dem Assistenzbudget der Invalidenversicherung, Assistenzpersonen anstellen und eher Zuhause leben. Der zur Verfügung gestellte Betrag, sprich die 8 Stunden pro Tag, reichen aber logischerweise nicht aus, um eine 24 Stundenbetreuung abdecken zu können. Wenn die fehlenden Stunden nicht durch Angehörige, Freunde oder freiwillige Helfer abgedeckt werden können, bleibt nur der Gang ins Alters- und Pflegeheim, oder man nimmt vorzeitig die Abkürzung. Traurig, nicht wahr. Es dreht sich, wie so oft ums liebe Geld, um die finanzierbarkeit. Hier wünschte ich mir von Seiten der Organisationen vermehrte finanzielle Unterstützung für ALS - Betroffene und deren Umfeld. Intensivere Schulung von Pflegenden in den Heimen, den Spitex-Organisationen und den Pflegenden Zuhause. Für die Geldmittelbeschaffung wäre eine offensivere, verstärkte Informations- und Öffentlichkeitsarbeit sicher von Vorteil. Es gibt so viel, was ansteht. Wir haben in der Schweiz kompetente Personen mit langjähriger Erfahrung in der Betreuung von ALS - Betroffenen. Wenn all diese Personen, zu Gunsten von uns ALS - Betroffenen, zusammenarbeiten würden, wären wir heute schon viel weiter. Die Lebensqualität der Betroffenen würde eine Verbesserung erfahren und die eventuell geplante Abkürzung, würde allenfalls hinausgeschoben. Es gibt niemand gerne sein Leben auf. Arbeiten wir mit vereinten Kräften daran, die Lebensqualität von ALS - Betroffenen, in der ihnen noch verbleibenden kurzen Zeit, zu verbessern. Für mich als Selbstbetroffene ALS-lerin, ist es selbstverständlich, meinen Teil zur Unterstützung für andere ALS - Betroffene zu leisten.
29. Ich liebe es durch Fels und Wald zu fahren. Wenn dann noch die Sonne durch die Bäume scheint, kommen die warmen Farben, des mittlerweile bunten Laubes, besonders schön zur Geltung. Das Rascheln von Tieren im Unterholz und das Knistern der trockenen Blätter unter meinen Rollstuhlrädern verraten, der Herbst ist definitiv ins Land gezogen. Heute war wieder ein wunderschöner Tag da draussen.
OKTOBER
3. Schon gestern Abend, als ich von der Selbstvertreter*innen-Sitzung (SVURI) nach Hause kam, lag bereits der Duft von Schnee in der Luft. Und prompt, heute Morgen zeigen sich die Bergketten schneebedeckt. Die Sonne, wahrscheinlich selbst überrascht, lässt sich's aber nicht anmerken und verteidigt frohgelaunt ihren Platz am Himmelszelt. Mit einem Lachen vertreibt sie die restlichen Wolken und strahlt mit dem Weiss der Berge um die Wette. Einfach wunderschön, wie sich die Natur in den Jahreszeiten wandelt.
Da sich auch mein Garten auf kühlere Temperaturen und Bodenfrost einstellen muss, werde ich den heutigen Sonnentag nutzen und den Pflanzen im Garten helfen, sich auf den Winter vorzubereiten. Die Futterhäuschen für die Vögel müssen ebenfalls kontrolliert und allenfalls von Piet repariert werden. Die Partnerin meines Sohnes hat bereits die beiden Igelhäuschen gesäubert und befüllt und die Wildbienen-Röhrchen zur Kontrolle eingeschickt. Nun werde ich mich, zusammen mit einer meiner Assistentinnen um die Planzen kümmern. Und natürlich werde ich gleichzeitig die warmen Strahlen der Herbstsonne geniessen.
Damit auch ich mich in den kühleren Monaten so lange wie möglich im Garten aufhalten kann, hat mein Mann in den Sommermonaten unser Gartenhäuschen auf Vordermann gebracht. Die Innen- und Aussenwände wurden neu ausgekleidet und mit neuer Farbe versehen. Durch das grosse Fenster bringt die Sonne viel Wärme in den Raum und ich habe freie Sicht auf den Garten. Neu gibt es nun auch eine Türe, welche die Sonnenwärme im Raum behalten soll. Ich habe so ein Glück, dass mein Mann so ein grosses Handwerkliches Geschick hat. Er überrascht mich immer wieder aufs Neue, mit welcher Liebe er sich dem Detail widmet. Ich hoffe, ich kann noch viele Tagebuchbeiträge in unserem wunderschönen Gartenhäuschen verfassen.
9. So schön. Jetzt, am späten Nachmittag, lässt sich die Sonne doch noch blicken. Erstaunlich, nach dem regenreichen und wolkenverhangenen Tag. Interessant zu beobachten, wie sich die schweren, dunklen Regenwolken, immer mehr aus den Tälern zurückziehen und die Berge zum Vorschein kommen. Die Wolken wechseln vom düsteren Grau zu Weiss. Wobei einige auch einen Hauch von Gelb und Rot in sich tragen. Die Sonne hat die Wolkendecke aufgerissen und zum Vorschein kommt ein wunderschön blauer Himmel. Sofort wird es heller und freundlicher. Alles öffnet sich und wird leichter.
12. Das schöne Wetter hat mich auch heute wieder in den Garten gelockt. Während mein Mann die restlichen Bäume und Sträucher zurückschnitt, ging ich im Garten auf Erkundungsfahrt. Ich finde immer etwas, was sich lohnt, betrachtet zu werden. Die Eidechsen sind auch immer noch unterwegs. Während sich einige Tiere langsam in den Winterschlaf begeben, verfallen Eidechsen in die sogenannte Winterstarre. Ihre Körpertemperatur steht in Abhängigkeit zur Aussentemperatur. Die meisten werden bei Frühlingstemperaturen wieder aktiv. Ist die Kälteperiode zu lang und die Temperaturen zu tief, erwachen einige nicht mehr aus der Starre. So ein Hinübergleiten wünscht sich wohl so mancher. Heute durfte ich noch ein „Käfer“, mit einer schönen Zeichnung auf dem Rücken, beobachten. Mittlerweile habe ich mich schlau gemacht. Es handelt sich bei Ihr / ihm um eine Amerikanische Kieferwanze. Die ausgewachsenen Wanzen überwintern an geschützten Stellen und gelangen bei ihrer Suche nach einem geeigneten Platz auch mal in Wohnungen. Die Kieferwanze beisst nicht und ihre „Stinkdrüsen“ verströmen einen angenehmen, apfelartigen Duft. Ich durfte heute auch eine Grille zirpen hören. Leider habe ich, trotz langem Suchen, das „Grillenloch“ im Rasen nicht gefunden. Dafür konnte ich von „meinem“ Gartenhäuschen aus beobachten, wie sich ein Eichelhäher mit einer unserer Baumnüsse im Schnabel, kurz in unserem Garten hinsetzte. Ein Vogel mit wunderschöner Gefiederzeichnung. Mit den auf zwei Seiten liegenden Fenster im Gartenhaus, habe ich Blick in den Garten, mit den noch immer reichlich blühenden Blumen und auf die Berge und den Himmel. Einfach schön.
16. Ich habe zurzeit kaum Zeit für mein Tagebuch und somit auch kaum Zeit für meine Leser. An schönen Tagen bin ich Draussen in der sich wandelnden Pflanzen- und Tierwelt. Die farbenbracht des Herbstes trägt so viel Wärme in sich, das will ich spüren dürfen. Daneben sitze ich viel am PC und erledige so einigen Schriftkram. Ich bereite mich momentan auch am PC auf einen Kurs vor, an dem ich im Oktober und im November teilnehme. An drei Nachmittagen werde ich mich am Fachkurs für Selbstvertreter, mit dem Thema UNO-Behindertenrechtskonvension, den Menschenrechten und natürlich mit Selbstvertretung befassen. Ich bin sehr gespannt auf die Teilnehmenden und den Austausch auf gleicher Höhe. Diesen Freitag stehe ich ausserdem für ein Interview zu einer Vertiefungsarbeit über Barrieren zur Verfügung. Da meine Lautsprache von Aussenstehende kaum verstanden wird, lasse ich mir jeweils die Fragen vorgängig zukommen. So kann ich mich schriftlich darauf vorbereiten. Für ein spontanes Antworten mittels Kommunikationsgerät, bin ich und mein Sprechcomputer einfach zu langsam. Ich habe schon bei einigen Vertiefungsarbeiten mitgewirkt. Es freut mich, dass sich junge Menschen mit "Sozialen Themen" auseinandersetzen. Unsere nachfolgenden Generationen, unsere Jungen, werden sich in Zukunft sehr stark mit solchen Themen auseinandersetzen müssen. Den Satz "und hinter mir die Sindflut" will ich nicht mittragen. Wenn ich in irgendeiner Form einen Beitrag für unser Zusammenleben leisten kann, dann mache ich dies gerne.
So, jetzt ist doch ein Tagebucheintrag zusammengekommen.
21. Wenn ich etwas sehe das mir gefällt, will ich dies immer in Bild festhalten. Da ich nicht mehr selbst knipsen kann, müssen das meine Begleiter für mich machen. Das ist gar nicht so einfach. Ich habe eine genaue Vorstellung, wie ich das Objekt abgelichtet haben möchte. Als Rollstuhlfahrerin habe ich eine andere Perspektive zum Objekt als Fussgänger. Auch wenn wir alle das Gleiche betrachten, empfinden wir doch unterschiedlich. Wir sehen und fühlen unterschiedlich. Ich bin sehr froh, dass meine Begleiter auf meine Wünsche eingehen, auch wenn dies bedeutet, das Auto mitten auf der Strasse anzuhalten, um ein Foto zu knipsen. Mittlerweile machen meine Begleiter einfach mehrere Aufnahmen von einem Objekt. Zuhause sortiere ich dann das Geknipste aus und falls nötig, bearbeite ich sie am PC. Ich finde, meine Begleiter machen ihre Fotoarbeit sehr gut und es entstehen wunderschöne Bilder.
28. Obwohl ich heute übertrieben warm geduscht wurde und ich bereits zwei Therapien (Logo u. Ergo) hinter mir habe, sitze ich nun mit einem kalten Nasenspitz vor dem PC. Nachdem uns die Sonne wieder ein wunderschönes Wochenende bescherte, hat das Wetter nun gewendet und es ist merklich kühler geworden. Anscheinend hat sich unsere Heizung von den kühleren Temperaturen überraschen lassen und hat es verpasst, mehr Wärme zu produzieren. Früher, das heisst, bevor die Krankheit ALS in meinem Körper ein Zuhause suchte, ertrug ich die Kälte sehr gut. Auch jetzt noch geht es lange bis ich kalt habe. Wenn ich sie dann spüre ist es schon zu spät. In meinem Körper setzt sich ein Vorgang in Bewegung. Die Kälte breitet sich, ähnlich wie eine Brausetablette, von innen nach Aussen aus. Dieser Vorgang kann ich meistens nur stoppen, wenn ich mich mit Bettflaschen und Hirsekissen unter die Bettdecke lege. Was ich auch machen werde, sobald mein Mann von seiner Arbeitsstelle zurückkehrt. Natürlich habe ich Assistenzpersonen angestellt, doch die Assistenzstunden der IV reichen bei weitem nicht aus, um alle Stunden abzudecken. So muss ich dementsprechend mit den mir zur Verfügung stehenden Stunden haushalten, was auch bedeutet, einige Stunden auf mich allein gestellt bin. Für mich hat das Alleinsein auch seine Vorteile. Krankheitsbedingt habe viele Menschen um mich, da geniesse ich es dann zwischendurch sehr, meine Privatsphäre zu pflegen.
Ich habe mir ein sehr gutes Unterstützungs-Team von Assistenzpersonen, Spitex, Therapeuten und Freunden aufgebaut. Die meiste Unterstützung leistet jedoch immer noch mein Mann. Ohne ihn wäre das Leben in den eigenen Vier Wänden komplizierter.
Meine Assistenzpersonen zählen mittlerweile zu meinen Freunden. Wir haben viel Spass miteinander. Das fängt schon bei der Morgenpflege an. Ich mache den Transfer immer noch übers Stehen. Wobei ich manchmal wortwörtlich an eine Wand gestellt werde. Dies funktioniert auch sehr gut. Wenn aber meine Pflegeperson, wie Heute auf die Idee kommt, mir einen Witz oder etwas anderes Lustiges zu erzählen, wird’s mit dem Stehen kritisch. Ich musste so lachen, dass mein Oberkörper begann, sich nach vorne zu neigen. Ausserdem stand ich aufgrund der Lachtränen fast blind an der Wand. Wer mich kennt weiss, dass ein Lachanfall bei mir schwer zu stoppen ist. Irgendwie haben wir es dann doch geschafft, mich in den Rollstuhl zu setzen.
Wie jedes Jahr um diese Zeit, beginne ich wieder mit der Einnahme von Vitamin-D-Tropfen. Sie sollen mir die fehlenden Sonnenstunden in den Wintermonaten etwas abfedern. Damit ich gut durch die kühlere Jahreszeit komme, werde ich in den nächsten Tagen zusätzlich die Grippeimpfung machen lassen. Wenn ich an kalten Tagen nicht mit kurzen Hosen und Kurzarm nach Draussen gehe, sollte ich dann gut durch den Winter kommen.
Inzwischen ist mein Körper auch wieder auf Normaltemperatur und meine Nasenspitze freut sich darüber.
29. Apropos Spritzen; an diesem Freitag, bei uns übrigens ein Feiertag, bekomme ich meine Botox-Spritze in einen Unterarmmuskel. Dies ist ein Versuch, meine zur Faust geballten Finger wieder besser öffnen zu können. Durch Ergotherapie konnte ich bereits eine Lockerung der Finger erreichen. Dank dieser gezielten Therapie konnte ich bereits mein PC-Maus-Brettchen vom Tisch auf meine Oberschenkel ziehen. Mit dem Botox erhoffe ich mir eine langandauernde Verbesserung. Sollte noch ein Botox-Tröpfchen übrigbleiben, überlege ich mir schon mal wohin damit. 🤔.....vollere Lippen.....Mundwinkelstraffung.....oder.....🤭
NOVEMBER
2. Ich war gestern zwecks Studienteilnahme in der Rehab. Gestern war auch der Tag, an dem mir zwei Botox-Injektionen in zwei Muskelstränge im Unterarm gemacht wurden. In zwei- drei Tagen sollte ich die Finger der linken Hand wieder besser öffnen können. Ich werde dann berichten.
Wie es so ist, wenn ich in der Rehab bin, traf ich auch gestern wieder auf eine ALS-Betroffene. Sie musste in ein Pflegeheim eintreten indem schon andere ALS-Betroffene sehr unglücklich waren. Es gibt kaum Pflegeheime in der Schweiz, die sich in der Pflege und Unterstützung eines von ALS Betroffen Menschen auskennen. Meistens fehlt es schlicht weg an Pflegepersonal, um die aufwendige Unterstützung gewährleisten zu können. Oft müssen Angehörige und Freiwillige die fehlende Unterstützung erbringen. Dies ist schon lange bekannt, aber eine Verbesserung ist nicht in Sicht. Wir Betroffene und unsere Angehörigen werden im Stich gelassen. Viele meiner Betroffenen Freunde leben unglücklich und hoffnungslos in ungeeigneten Pflegeeinrichtungen und warten auf ihr Lebensende. Das ist Menschen unwürdig und verstösst gegen die UN-Behindertenrechtskonvention Artikel 19 - Selbstbestimmtes Leben und Inklusion, welche die Schweiz 2014 unterschrieben hat. Aber wie sich wehren, wenn auf Grund der Krankheit die Lautsprache fehlt und die Finger die Schreibfähigkeit verloren haben. Wie ich von Pflegeheimbewohner vernehmen musste, ist es für sie sehr schwierig, angepasste Kommunikationshilfe zu bekommen. Als Heimbewohner fällt man aus der Hilfsmittelversorgung der IV und ist auf die Hilfsmittel-Ressourcen des jeweiligen Pflegeheims und deren Gutwilligkeit angewiesen. Die Teilhabe, wie unter Artikel 9 der UN-BRK, ist somit nicht gegeben. Wir müssen endlich die Subjekt-Finanzierung zulassen. Was so viel bedeutet, dass nicht die Pflege- und Altenheime subventioniert werden, sondern der pflege- und unterstützungsbedürftige Mensch. So darf sich jeder Mensch, eine auf ihn zugeschnittene Wohn- und Unterstützungsform wählen. Die Schweiz ist so ein kleines Land. Lassen wir die Grenzen zwischen den Kantonen fallen und reduzieren den Kantönligeist für ein freies und barrierearmes Land.
Ihr habt vielleicht an meinem Schreiben bemerkt, dass ich mich mit Menschenrechten, resp. mit der UN-Behindertenrechtskonvention befasse. Wie schon mal geschrieben besuche ich den Fachkurs für Selbstvertreter*Selbstvertreterinnen "Wir vertreten uns selbst". Ich will mit diesem Kurs mein "Wissen" erweitern und dieses neu erworbene Wissen, in meine Arbeit in der Gruppe Selbstvertretung Uri einfliessen lassen. Ich erhoffe mir natürlich auch sehr, meine lieben ALS-Betroffenen Freunde besser unterstützen zu können. Sie liegen mir sehr im Herzen.
Als ich mich für diesen Kurs angemeldet habe, hoffte ich einfach, nach all den Jahren der Arbeitsabstinenz, dem Kurs folgen zu können. Dank der guten Organisation des Kurses von Sensability, konnte ich bereits vom ersten Kursnachmittag profitieren und freue mich auf den zweiten Kurs vom kommenden Freitag.
6. Am Freitag bekam ich nun zwei Botox-Injektionen in die Muskeln des Unterarms. Das Ergebnis bis jetzt; die eingerollten Finger an meiner linken Hand lassen sich besser öffnen. Die Finger stehen etwas weniger unter Spannung. Ich empfinde beim Strecken der Finger weniger Schmerzen und die Haut reisst nicht mehr so ein beim Öffnen. Ich erhoffe mir, durch die nachfolgenden Therapien zusätzliche Verbesserung erzielen zu können. Die Ergotherapeutin, die Physiotherapeutin, meine Assistentinnen und mein Mann widmen sich zurzeit vermehrt um meine Finger. Piet bekam in der Rehab extra eine Instruktion dafür. Eine bessere Armbewegung verspürte ich gestern auch beim Schwimmen. Ich habe es gestern im Wasser wieder sehr genossen. Körperbewegungen sind möglich, die im Trockenen nicht mehr praktizierbar sind. Der Aufwand für die Therapie im Wasser ist erhöht, doch darauf verzichten möchte ich nicht mehr. Ich kann abschalten und entspannen.
9. Die terminreichen Monate Oktober und November hängen an und hinterlassen positive und weniger positive Spuren. Gestern fand der 2. Kurstag "Wir vertreten uns selbst" für Selbstvertreter*innen statt. Auch dieser Kurstag war wieder sehr interessant und aufschlussreich. Ich durfte wieder einiges dazulernen und dadurch an Wissen gewinnen. Der Kursnachmittag war mit Informationen prall gefüllt und vielmehr hätte ich gar nicht mehr aufnehmen können. Für die Kursteilnahme und die Wegstrecke investierte ich gestern wieder an die 10 Stunden. Ich war dann so müde, so geschafft, dass ich, kaum Zuhause, sogleich mein Bett begrüsste und mich kurz mit Träumen befassen durfte. Ich bin auch heute noch sehr müde, was eben zu dem weniger Positiven vom Kurs zählt. Trotzdem bin ich sehr froh, dass ich an diesem Kurs teilhaben darf. Damit ich diese kräftezehrende Zeit durchstehen vermag, lege ich nun auch unter Tag Ruhe- und Schlafphasen ein. Es gibt noch so viel Interessantes zu lernen, noch so viel zu entdecken. Die Sichtweisen anderer kennenzulernen und darüber hinaus neue Erkenntnis für mich selbst zu gewinnen ist sehr spannend für mich. Die Lebensjahre sind allgemein zu kurz bemessen und die Zeit hastet zudem viel zu schnell voran. Jeder sollte solange leben dürfen wie er möchte. Ich selbst will noch so vieles sehen, schmecken, riechen, hören, spüren, fühlen, erleben und agieren. Liebe Zeit, lass mir Zeit.
11. Ich bin mittlerweile ausgeruht und wieder voller Energie. Diese Woche kann ich etwas ruhiger angehen. Ich habe diese Woche nur eine einzige Therapie und diese habe ich bereits heute Nachmittag absolviert. Vielleicht lässt das Wetter sogar eine kleinere Rolli-Tour zu. Eine Fahrt durch das Reuss-Delta würde mir gefallen. Auf die im Wandel der Jahreszeit befindenden Flora und Fauna zu treffen, würde mir sehr gefallenen. Meinen Lieblingsplatz habe ich schon länger nicht aufgesucht. Am See ist es immer etwas kühler und ich mag es gar nicht, dick eingepackt zu sein. Ich habe mir aber vor Kurzem, vorsorglich einen Nase-Mund-Schutz zugelegt. Ich wäre also bereit für eine Fahrt am See. Liebe Sonne, du auch? Machst du mit?
Heute, kurz vor Mittag, durfte ich mit einer Wolldecke versehen, die Sonne auf dem Balkon geniessen. Mir tun diese natürlichen Vitamin D Einheiten sehr gut. Natürlich zogen die schneebedeckten Berge meine Blicke auf sich. Auch die Alpendohlen vermochten mit ihren lauten Stimmen, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Am letzten Donnerstag kamen sie aus den Alpen zurück, um den Winter bei uns im Tal zu verbringen.
12. Zum See habe ich es heute nicht geschafft. Es war mir schlichtweg zu kalt. Dafür war ich kurz im Garten. Es erstaunt mich, wie farbenfroh sich die Blumen immer noch zeigen. Sogar die Lavendelstauden tragen noch ihre lavendelfarbigen Blüten. Insekten, welche sich an den Blüten laben, habe ich heute keine gesehen. Wie die Eidechsen, werden auch viele Insekten den Winter an einem geschützten Ort verbringen. Einige Insektenarten sterben am Anfang der Kälteperiode. Damit ihre Art bestehen bleibt, legen sie Eier ins Erdreich oder in geschützte Ritzen. Die Honigbienen sterben nicht und machen auch keinen Winterschlaf. Sie bleiben einfach in ihrem Bienenstock und schlemmen von ihren Honigvorräten. Ich mag Honig auch. Ich ziehe jedoch den aus Birnen gewonnene Honig dem Blütenhonig vor. Vielleicht sind die Honigbiene und ich deshalb Freunde. Machst du mir nichts, mach ich dir nichts.
16. Gestern Abend, als ich hätte schlafen sollen, (gell gut geschriebener Satz) kam mir plötzlich in den Sinn, dass ich doch im November ein kleineres Jubiläum zu feiern habe. Und tatsächlich, heute vor 10 Jahren habe ich meine Homepage online gestellt. Ich hätte nie gedacht, dass ich es schaffe, meine HP so lange am Leben zu halten. Mit was ich auch nicht rechnen durfte, nach dieser Zeit noch am Leben zu sein.
Ich kann mich noch gut erinnern, wie zaghaft und unwissend ich mit dem Aufbau meiner Homepage begonnen habe. Ausser einigen PC-Kenntnissen vom Job her, kannte ich mich mit dieser Materie nicht aus. Da viele Anleitungen in englischer Sprache geschrieben sind und ich dieser Sprache nur begrenzt mächtig bin, war dies noch eine zusätzliche Herausforderung für mich. Wegen meiner fehlenden Anwender- sprich Programmierkenntnisse, habe ich mich damals für ein Baukastensystem entschieden. Was so viel heisst, eine Grundstruktur ist vorprogrammiert und ich kann unterschiedliche Elemente zusammenstellen und diese mit Text, Bildern, Musik, Links usw. füllen. Ähnlich einem Hausbau. Wieviel darf das Haus kosten, wieviel Platz steht mir zur Verfügung, wo sollen die Kinderzimmer, das Bad, usw. hin, welche Grösse sollen die einzelnen Räume haben, liegen noch Extras drin? Nach einigen Jahren muss vielleicht noch zusätzlicher Raum geschaffen werden und der Ausbaustandart wird erhöht. Aber auch Reparaturen und Renovationen gehören zum Gebäudeunterhalt. Wie auch bei einer Homepage. So in etwa hat der Aufbau und die Erweiterungen meiner Homepage im Laufe dieser 10 Jahre stattgefunden. Der Bewegrund eine eigene Homepage zu erstellen war, auf die Krankheit Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) aufmerksam zu machen und den Betroffenen und deren Umfeld das Gefühl zu geben, Ihr seid NICHT allein. Das gilt für mich auch nach 10 Jahren noch so.
Ein grosser Dank gilt euch liebe Homepage-Besucher. Nur dank eurem Interesse an der Krankheit ALS, macht es Sinn, diese HP weiter zu betreiben. Mir macht es Freude, euch von meinem Alltag mit der herausfordernden und kräftezehrenden Krankheit zu berichten.
Sofern ich nicht zu müde bin, werde ich Morgen weiterschreiben. Jetzt gehe / fahre ich an die Klassenzusammenkunft. Dort werde ich einen auf uns Alle heben (alkoholfrei natürlich). Schliesslich habe ich ein kleines Jubiläum zu feiern. PROST und vielen DANK treue Homepage-Besucher.
17. Ich bin heute tatsächlich müde. Es wurde gestern aber auch spät, oder anders ausgedrückt, es wurde heute früh. Trotzdem, Sound auf und los gehts. Schliesslich habe ich heute vor 10 Jahren meinen ersten Tagebucheintrag geschrieben. Ich weiss nicht, wie viele Beiträge es inzwischen sind. Dies ist aber auch nicht wichtig. Manches, was ich geschrieben habe, ist belangloses Zeug, anderes tiefgründig und zum Nachdenken anregend. Die Beiträge sind der jeweiligen Situation geschuldet. Ich denke, meine Leser bekommen meine guten Phasen und weniger guten Phasen auch mit. Langjährige Leser werden inzwischen auch zwischen meinen Zeilen lesen können. Am liebsten würde ich natürlich nur von schönen Erlebnissen berichten, doch auch bei mir scheint nicht immer die Sonne. Ich wollte schon zwei- dreimal aufhören mit den Tagebuchbeiträgen und meine HP schliessen. Aber irgendjemand oder irgendetwas hielt mich davon ab und so legte ich lediglich ein paar kleinere Schreib-Pausen ein.
Ihr liebe Leser, zeigt mir immer wieder euer Interesse an meinen Tagebuchbeiträgen, meiner Homepage, welche sich mit dem Thema Amyotrophe Lateralsklerose befasst. Im Durchschnitt sind täglich 25 Personen auf meiner Homepage unterwegs. Und dies ist für mich immer wieder die Motivationsspritze, mich nicht nur schriftlich zu äussern, sondern mich auch persönlich für die Anliegen und Bedürfnisse von ALS-Betroffenen und deren Umfeld einzusetzen. Auf diese Weise, leistet ihr liebe Leser, indirekt einen Beitrag für uns ALS-Betroffene und unsere lieben Angehörigen. Dafür nochmals vielen 💚 DANK.
23. Durch meine eigene ALS-Erkrankung, komme ich mit vielen ALS-Betroffenen, ihren Angehörigen, ihrem Umfeld in Kontakt. Da unsere Krankheit nach wie vor nicht heilbar ist und nach wenigen Jahren nach Diagnosestellung zum Tode führt, heisst das für mich mit einem sehr langsamen Verlauf (18 Jahre), immer wieder Abschied nehmen zu müssen, von liebgewonnen Freunden. Dem Tod durch die Krankheit ALS, geht ein extremer Leidensweg voraus. Nicht nur körperliche, auch Psychische und Finanzielle Probleme zeichnen den Weg mit ALS. Ich sehe so viel Verzweiflung, Ausweglosigkeit, Traurigkeit bei den Betroffenen. Es hapert noch gewaltig an Unterstützung, sei dies im Bereich Wohnen, Pflege, Hilfsmittel, finanzielle Unterstützung, Anlaufstellen, Öffentlichkeitsarbeit und noch vieles mehr. ALS-Betroffene ergeben sich nicht einfach ihrem Schicksal, wir kämpfen. Diese Gegenwehr verlangt Energie. Doch irgendwann reichen die Kräfte nicht mehr aus. Man will dieser ausweglosen Situation entfliehen. Man will nur noch loslassen und gehen.
Trotz all der Hindernisse gebe ich nicht auf, mich für die Bedürfnisse von ALS-Betroffenen, ihren Angehörigen und den Hinterbliebenen einzusetzen. Mit dem Motto "Die Hoffnung stirbt zuletzt" gehe ich diesen Weg.
25. Am Freitag nahm ich wieder am Fachkurs «wir vertreten uns selbst» für Selbstvertreter*innen teil. Wie bei den zwei vorhergehenden Kurstagen setzten wir uns auch dieses Mal wieder mit den Menschenrechten und der Behindertenrechtskonvention auseinander. Durch die vielfallt der Behinderungsarten der Teilnehmenden entstanden interessante Diskussionen. Auch wenn ich mich in das Thema Behindertenrechtkonvention noch weiter vertiefen muss, gehe ich gestärkter meiner Wege. Nur wer seine Rechte kennt, kann diese für sich und andere Betroffene einfordern. Ich bin sehr froh, diesen Kurs besucht zu habe. Ich durfte auch viele neue Kontakte knüpfen, auf die ich falls nötig, zurückgreifen kann. Jetzt habe ich wieder mehr Zeit und vielleicht liegt doch ein auswärtiger Christkindelmarkt drin
30. Ich glaube, ich habe schon immer gern und oft gelacht. Durch die ALS wurde dies noch verstärkt. Nicht nur das Lachen auch das Weinen und Gähnen hat sich durch die ALS verstärkt. Dieses Symptom wird Affektlabilität genannt. Nicht das ich öfters lache und weine als Früher, die Intensität hat sich verstärkt. Einmal angefangen, kann ich nur schwer aufhören. Mag ja lustig und ansteckend sein. Wenn das Lachen unpassend einsetzt, kann es peinlich werden. So passiert bei einer Verabschiedungsrede, bei der sich ein Tischnachbar mit einem für sich wohltuenden Geräusch ungewollt bemerkbar macht und mich zwingt, lauthals loszulachen und somit die Rede störe. Ich habe mich dann nach Ende der Rede erklärt. Natürlich ohne den Grund meines Lachanfalls zu nennen. Ein roter Kopf reicht und das ist meiner. Da ich mich nicht gerne in solche Situationen begebe, diesen aber nicht immer ausweichen kann, muss ich mir mit einem Beruhigungsmittel behelfen. So konnte ich am Mittwoch auch den humorvollen Film "Verstehen sie die Béliers", zum Tag der Menschen mit Behinderungen, im Kino anzuschauen. Ausser ein paar Lachspitzen hatte ich mich gut unter Kontrolle. Lachen ist nicht immer nur lustig.
Gestern hatte ich trotzdem wieder viel Spass an der Handicap-Messe in Luzern. Ich war mit einer Assistentin und zwei Kolleginnen aus der Gruppe Selbstvertretung Uri dort. Wir konnten Hilfsmittel ausprobieren, haben Sport gemacht, mit Standbetreibenden informative Gespräche geführt und sind auf bekannte Gesichter getroffen. Am Abend schauten wir noch kurz bei der Party Swiss Handicap Night vorbei, bevor es in strömendem Regen nach Hause ging.
DEZEMBER
1. Früher, als ich meine Arme und Hände noch besser einsetzen konnte, habe ich unser Adventsgesteck selber hergestellt. Mal war es ein Kranz, mal ein Gesteck. Obwohl ich nicht so Bibel treu bin, ist es mir wichtig, bestimmte Traditionen aufrecht zu erhalten. Ich picke mir aus den verschiedenen Glaubensrichtungen jenes heraus, was mit meiner Lebens- und Weltanschauung übereinstimmt. Manchmal muss ich eine wunderschöne Tradition etwas zurechtbiegen, damit ich sie mittragen kann. Wie könnte ich also die Adventszeit mit den wärmenden Lichtern nicht mögen. Damit ich die Tradition mit den 4 Kerzen weiter aufrechterhalten kann, stellt uns meine Schwester Bernadette seit Jahren immer wieder ein fantasievolles Adventsgesteck her. Pünktlich für den 1. Advent, wurde er gestern vorbeigebracht. Sieht wieder wunderschön aus.
Allen eine von wärmenden Lichtern begleitende Adventszeit.
4. Der Nebel lichtet sich und der Blick in die Ferne wird frei. Wunderschöne, weissüberzogene Berge kommen zum Vorschein. Die Sonne lässt den Schnee strahlen. Ob ich es wagen soll, kurz in den Garten zu fahren. Wie kalt es wohl ist? Hmm 🤔 probiere es mal........
Ich war im Garten und ja, es war kalt. Nicht mal ein Vogel hat sich im Garten blicken lassen, geschweige, mir ein Liedchen geträllert. Es ist ruhig geworden im Garten. Die Eidechsen, die Bienen, Schmetterling und co., halten sich in ihren geschützten Behausungen auf. Ich mag ihnen diese Ruhe gönnen. So durfte ich ihr emsiges Treiben während den wärmeren Monaten bewundern. In eine Decke gehüllt, konnte ich dann doch für kurze Zeit, die Strahlen "meiner" geliebten Sonne geniessen.
5. Obwohl ich nicht gerne kalt habe, zieht es mich auch im Winter in die Berge. So fuhren wir heute bei schönstem Sonnenschein und stahlblauem Himmel über den Flüelapass und den Ofenpass in den Vintschgau. Ich war froh, um die Heizung im Bus. Das Temperaturen gingen schon mal auf - 4 Grad runter und die Passstrassen waren mitunter vereist. Da mein Mann ein versierter Passstrassenfahrer ist, hatte ich auch keine Bedenken, auf dieser Route an den Meraner Weihnachtsmarkt zu fahren. Ja, es hat sich tatsächlich ein Zeitfenster aufgetan, sodass ich jetzt doch zu "meinem" Weihnachtsmarkt Besuch komme.
Ich freue mich durch die Weihnachtsbuden zu schlendern und von Köstlichkeiten zu naschen. Auch der Besuch der weihnachtlich dekorierten Altstadt lassen wir nicht aus.
Zum Aufwärmen gibt es an jeder Ecke Glühwein oder Punch mit diversen Aromen. Da unser Hotel nahe dem Zentrum liegt, kann ich auch jederzeit ins Hotel zurück um mich Aufzuwärmen.
7. Ich bin sehr glücklich, kann ich trotz meiner Krankheit der ALS, noch immer solche Reisen unternehmen. Ich weiss sehr wohl, wie privilegiert ich vielen andern ALS-Betroffenen gegenüber bin. Auch wenn es manchmal nur wenige Tage sind, so kann ich mir selbst das Gefühl vermitteln, ich wäre auf einer grossen Reise. Ich sehe so vieles was verdient, genauer betrachtet zu werden. Wenn das sogenannte Grosse nicht mehr erreichbar ist, so liegt doch vieles im Kleinen verborgen. Mit dem Blick fürs Detail und ein wenig Fantasie, finde ich die grosse Welt auf kleinstem Raum.
Bei herrlichem Wetter durften wir heute wieder die Heimreise antreten. Mit lichtvollen Erinnerungen und mit Passstaubspuren am Auto sind Piet und ich einige Stunden später, wieder wohlbehalten Zuhause angekommen.
14. Mein Herz ist voll von wunderschönen Erinnerungen vom heutigen Nachmittag. Ich durfte inmitten von Freunden den Stammtisch der ALS Familie erleben.
15. Ein Stammtisch-Gedanke «Wenn aus Freunden, Familie wird»
17. Würde ja gerne Schreiben, doch seit Sonntag lässt mich mein Mausklickfinger etwas im Stich. Es ist momentan schwer, meinen linken Zeigefinger dazu zu bewegen, auf die Maustaste zu drücken. Er gibt sich weiss Gott Mühe, doch die nötige Kraft fehlt. Auch das Malen ist schwieriger geworden. Darum habt Geduld und hofft mit mir, dass dieser Kraftverlust vorübergehend ist. Ansonsten in Zukunft alles mit der Augensteuerung.
Zum Glück werden die Ohren von der ALS verschont. Hören - Zuhören geht also bis zum Schluss.
21. Meinem Klickfinger gehts mal besser mal schlechter. Die selbstgestalteten Weihnachts- Neujahrskarten, konnte ich jedoch rechtzeitig fertigstellen und zur Post bringen. Für die Weihnachts- Neujahrskarten, welche ich übers Netz verschicke, verwende ich Fotos, die eine meiner Assistentinnen in meinem Auftrag aufgenommen hat. Dabei habe ich mich auf die unterschiedlich geschmückten Weihnachtsbäume in einem Einkaufscenter konzentriert. Danach, bei der Durchsicht der Bilder, habe ich nach dem Sujet-Arrangement gesucht, welches dem jeweiligen Baum die Aura verleiht. Ich habe dann Ausschnitte zugeschnitten und daraus Karten mit Text hergestellt. Dabei konnte ich mich kaum für ein Sujet entscheiden. Ich habe in jedem Ausschnitt eine Botschaft gefunden. Ich bin so froh, dass ich mit etwas Unterstützung und der Technik, weiter meine Kreativität ausleben kann.
Finger braucht kurz Pause ......................
Nun steht auch bei uns ein Tannenbaum in der Stube. Wie jedes Jahr, hat Piet den einheimischen Baum wieder wunderschön geschmückt. Anhänger aus Holz, Stoff, Draht, goldenen Sterne, cognacfarbige Kugeln, Schleifen und Kerzen, hängen an unserem Weihnachtsbaum. Die gewählten Farbtöne verbreiten Wärme und Geborgenheit in unserer Stube.
Finger braucht kurz Pause ......................
Weisse Weihnachten wird es wohl auch dieses Jahr nicht geben. Der Föhn lässt nicht zu, dass die Temperaturen fallen. So können sich aus den gelegentlich fallenden Niederschlägen auch keine Schneeflocken bilden. Die trockenen Temperaturen haben auch Vorteile. So fuhr ich diese Woche an den See. Nebst der wunderschönen Landschaft traf ich auf Schwäne, Enten, Möven und Bachstelzen. Ich wollte es nicht wagen, meine Füsse wie die Wasservögel, im See zu baden. Dafür war das Wasser doch winterlich kalt.
23. Eins zurück und eins vor und eins in der Mitte. Gestern waren Wintersonnenwende und somit der kürzeste Tag des Jahres. Gleichzeitig ist es auch der Winteranfang. Das weisse Gold dürfte nun gerne vom Himmel fallen. Ein flockig glitzernder Überzug übers ganze Land, würde dem morgigen 24-sten Tag im Dezember, noch eine besondere Aura verleihen. Bei warmem Kerzenlicht, hinter den Fensterscheiben, den herabschwebenden Schneeflocken zuzuschauen, wäre doch Geschenk genug.
Dieses Jahr könnte sich auch mein Mann wieder über den Schnee im Tal freuen. Über 20 Jahre lang, musste er zu jederzeit ausrücken, um Gehwege und Einfahrten freizumachen. Diese Ära ist nun vorbei. Diesen Winter wird er mit mir hinter den Fensterscheiben sitzend die Schneeflocken zählen und einen Punch trinken.
28. Wie sollte ich mich nicht nach Wunder sehnen, wenn ich von einer unheilbaren Krankheit betroffen bin. Ich warte nicht auf ein Wunder aus dem Himmel. Wenn die Wissenschafter bei ihren Forschungen ein Heilmittel gegen die Krankheit ALS finden würden, wäre dies ein Wunder für mich. Obwohl es mir besser geht als vielen anderen ALS Betroffenen, fühle ich mich oft eingesperrt. Schon viele Jahre hält mich die ALS gefangen. Gerade gestern habe ich meinen Mann gefragt: "Was meinst du, werde ich jemals wieder laufen können?". Ihr merkt, auch wenn ich einen langsamen Krankheitsverlauf habe, so hoffe ich immer noch auf eine Heilung. Wie schön, könnte ich tanzend ins Neue Jahr wechseln. Mit etwas prickelndem im Glas und einen Glückwunsch aussprechend, anzustossen, würde mir gefallen. Wie ich es vermisse, meine Arme liebevoll, um Menschen zu legen, sei es, um Trost zu spenden oder einfach aus Liebe. Für all dies und noch viel mehr, will ich an Wunder glauben.
Auch wenn es nicht oft vorkommt, kenne ich die Melancholie. Trauer und Zorn sind mir ebenfalls bekannt. Das diese Gefühle von kurzer Dauer sind, ist nicht nur für mich beruhigend, mein Umfeld profitiert ebenfalls von meinen guten Gefühlen.
29. Zorn ist eigentlich das falsche Wort. Auch die Aussage, dass einige von uns ALS-Betroffene im Laufe der Zeit böse werden sollen, will ich nicht so stehen lassen. Vielfach ist es die Frustration, in einer Situation gefangen zu sein, welche uns in diesen Gemütszustand versetzt. Nichts an der gegenwärtigen Situation ändern zu können, macht hilflos. Ausgeliefert zu sein, der Situation nicht entfliehen zu können, fördern mitunter weniger gute Gefühle zu Tage. Viele sehen in solchen Momenten oft nur den zornigen, verbitterten Menschen vor sich und schauen der einfachheitshalber weg. Haben wir es verlernt hinzusehen, oder haben wir Angst, uns der Situation zu stellen? Es ist für Nicht-ALS-Betroffene auch kaum nachvollziehbar, was in einem von ALS-Betroffenen Menschen vorgeht. Sich seiner Hilflosigkeit und die daraus resultierende Abhängigkeit bewusst zu sein, prägt unser Leben. Dass wir uns mit der Zeit verändern und wir uns anders präsentieren als in früheren Jahren, darf darum auch nicht erstaunen. Seiner Freiheit beraubt zu sein, hinterlässt Spuren auf der Seele. Trotzdem, wir die von ALS-Betroffene Menschen, raffen uns jeden Tag aufs Neue auf, um dem Leben eine Chance zu geben.
30. Melancholie bedeutet für mich als ALS-Betroffene, das Sehnen nach verloren gegangenem. Erinnerungen aus der Zeit, als die ALS noch kein Thema war. Die Unbeschwertheit, dass es für alle Probleme im Leben eine Lösung gibt. Nicht ahnend, dass mir einmal die Hände gebunden werden und ich das Problem nicht lösen kann. Ja, manchmal wünschte ich mir die kindliche Naivität zurück. Nicht wissend, nicht interessiert was das Leben für mich bereithält. Wie sollte ich auch, bei meiner wunderschönen Kindheit. Melancholie lässt aber auch Tagträume zu und die kreative Seite tritt in den Vordergrund.
Wie alle ALS-Betroffenen, bin auch ich durch die ALS Erkrankung auf fremde Hilfe angewiesen. Abhängig zu sein von anderen Menschen, von Behörden, Organisationen, der Medizin, damit klar zu kommen ist nicht immer so einfach. Die Pflege und die persönliche Unterstützung ist dabei eine grosse Herausforderung und birgt ein grosses Konfliktpotential. Pflegefachpersonen haben oft ihre Standartabläufe. Diese entsprechen nicht immer den Vorstellungen des Pflegeempfänger und müssen angepasst werden. Funktioniert, solange der Pflegeempfänger seine Wünsche selbst Lautsprachlich äussern kann. Geht die Kommunikation über Drittpersonen, wird es schon etwas schwieriger. Wenn dann die Pflegepersonen dauernd wechseln, ist man dauernd am neu erklären. Das ist für alle Beteiligten frustrierend und ermüdend. Dass man als Pflegeempfänger dabei ab und an ausflippt, kann wohl jeder nachvollziehen. Wenn man dann noch zu Ohren bekommt; dem kann man nichts recht machen, er nörgelt an allem herum und wird dazu noch laut, macht man sich als Pflegeempfänger schon seine Gedanken. Ein Gefühl der Undankbarkeit bis hin zur Kapitulation macht sich breit. Ein grosses Konfliktpotential birgt auch vom eigenen Partner gepflegt zu werden. Klar ist es praktisch und die Flexibilität ist gross zu schreiben. Doch auch bei der Pflege durch den Partner kommt es zu Konflikten und diese darf man nicht unterschätzen. Ob ich mich mit Tränen oder mit lautstarken Äusserungen an eine fremde Pflegeperson oder an den Partner wende, macht viel aus. Betroffene kennen diesen Dialog sicher alle. Ich "Jetzt habe ich es doch schon so oft gesagt, ich will, dass es so gemacht wird." Er "Ich habe es doch wie immer gemacht". Ein Wort oder ein "böser" Blick ergeben das andere und ..... ungute Stimmung im Haus. Im Wissen, den Partner zu verletzen, der alles Versucht, um allem gerecht zu werden, beschämt und macht traurig. Ich bin sehr froh, kann ich meinen Mann durch den Einsatz von Assistentinnen und durch die Spitex entlasten. Damit verkleinern wir die Konfliktzonen.
Warum schreibe ich das eigentlich alles. Nicht, weil ich mich gerade mit einem Blues auseinandersetzen muss. Ich will den ALS-Betroffenen und ihren Angehörigen zeigen, dass auch bei mir nicht immer alles rund läuft. Ich/Wir müssen uns genauso mit den gleichen oder zumindest ähnlichen Problemen wie viele andere ALS-Betroffene und Angehörige auseinandersetzen und stossen oft auch an unsere Grenzen. Wir kämpfen alle einen heldenhaften Kampf und da muss man auch Niederlagen einstecken und verdauen können.
Bis jetzt können wird den Kampf mit der ALS nicht gewinnen. Wir können ihr dennoch einiges entgegensetzen. Durch angepasste Hilfsmittel können wir unsere körperlichen Beeinträchtigungen etwas wettmachen. So leisten Kommunikationsgeräte wertvolle Hilfe gegen die "Sprachlosigkeit". Aber was ist mit den Beeinträchtigungen im Innern von uns? Gibt es dafür auch Hilfsmittel? Das Beste und das wahrscheinlich Wirkungsvollste ist Marke Eigenbau. Direkte Gespräche mit Selbstbetroffenen und die Teilnahme an Selbsthilfegruppentreffen können dabei wertvolle Unterstützung bieten. Ich finde es wichtig, ein Gegenüber zu haben, das weiss wovon ich spreche. Jemand, der meine Gefühle, Ängste, Trauer nachvollziehen kann. Der diese Gefühle kennt, weil er diese selbst durchlebt. Es gäbe noch diverse andere Hilfen zur Krankheitsbewältigung. Schlussendliche muss sich doch jeder selbst mit seiner Krankheit, mit seinem Leben auseinandersetzen und zu seinem Seelenfrieden finden.
Wer weiss, vielleicht finde ich mal Antwort auf Fragen wie; Warum ist ein Leben so kurz, warum müssen wir dann auch noch mit Krankheiten leben? Wo beginnt das All, wo endet es? Viele, viele offene Fragen.
Vielleicht wissen inzwischen diejenigen die Antworten, welche uns dieses Jahr, aufgrund der ALS-Erkrankung, verlassen mussten. Trotz der Realistin in mir, gebe ich die Hoffnung auf Heilung nicht auf. Vielleicht gebt ihr mir mal einen Tipp, wo auch immer ihr seid.
Auch wenn sie nicht mehr sichtbar unter uns weilen, werden sie doch immer Teil der ALS-Familie bleiben.
31. Es hat noch etwas Platz auf der letzten Tagebuchseite vom Jahr 2019. Das letzte geschriebene Wort kommt mit wenigen Buchstaben aus. Umso wichtiger ist mir seine Bedeutung. Es gibt Menschen, auf die ich mich stehts, verlassen kann. Sie helfen mir durch meine Krankheit und sind stets an meiner Seite, wenn ich sie brauche. Sie stützen mich, wenn ich zu Fallen drohe und geben mir Rat, wenn ich nicht weiterweiss. Sie ermutigen mich, meine Träume, meine Wünsche und meine angestrebten Ziele zu verfolgen. Und dies, obwohl Sie selbst kein einfaches Jahr hinter sich haben. Für alles was Sie für mich tun und für die Liebe, welche sie mir entgegenbringen, gehört das letzte Wort in meinem Tagebucheintrag 2019, meinem Mann Piet und meinem Sohn Peter.
D A N K E
1. Hallo, hier bin ich wieder. Ich hoffe, es geht euch allen gut und ihr freut euch wie ich, auf den Frühling. Nicht, dass ich den Winter missen möchte. Ich liebe es, mit dem Rollstuhl durch verschneite Landschaften zu fahren. Ich mag es, wenn herabfallende Schneeflocken sanft mein Gesicht berühren. Was mir zu schaffen macht, ist die Kälte. Ich kann mir zwar wärmende Winterkleider anziehen lassen, doch das eingepackt sein, mag ich nicht. Ich fühle mich dabei noch unbeweglicher als ich es sonst schon bin. Deshalb halte ich mich in den Wintermonaten sehr oft in der Wohnung auf. Dabei vermisse ich oft meine Freiheit. Der Winter hat viel und guten Schnee gebracht, aber jetzt ist es Zeit für die Frühlingspracht. Dank dem wunderschönen Wetter durfte ich auch schon mehrere schöne Sonnennachmittage im Garten verbringen. Auch zwei- drei Rollitouren durfte ich bereits unternehmen. Jetzt fühle ich mich wieder freier und unabhängiger. Jetzt will ich wieder durchstarten und einiges in Bewegung bringen. Beginnen will ich gleich bei mir. Ich gehe bald für 3 – 4 Wochen in eine REHA. Dort hoffe ich, wieder mehr Beweglichkeit zurückzuerhalten. Ich möchte wieder mal ein paar Schritte laufen und mich im Wasser bewegen. Das ist meine allererste REHA seit meiner ALS Erkrankung vor 18 Jahren. Gerne hätte ich die REHA in den Wintermonaten gemacht, doch sie sind so ausgebucht, dass ich bis heute noch immer kein Eintrittsdatum habe. Ich bin deshalb in meiner Aktivitäten Planung sehr eingeschränkt. Aber ich bin es gewohnt, auf Dinge warten zu müssen, wenn es um die ALS-Erkrankung geht. Die Mühlen zur Lebensverbesserung von ALS-Betroffenen und deren Umfeld, mahlen weiterhin zu langsam. Die Lebenszeit der Betroffenen schreitet hingegen schnell voran. Es gibt also noch viel zu tun. Ich hoffe, ich kann etwas zur Verbesserung der Lebenssituation und Lebensqualität von ALS Betroffenen und Angehörigen beitragen. Vielleicht bringt mir ja die REHA die nötige Kraft und Energie.
Liebe Leser meiner Tagebücher, ich freue mich, wieder bei euch zu sein.
4. Ihr fragt euch sicher, was ich in den Wintermonaten mache, wenn ich mich wegen der Kälte nicht gross im Freien aufhalten will oder darf. Darf, ein starkes Wort für eine eigensinnige, selbstbewusste Frau, wie ich wohl eine bin. Eine, die ihr Leben, soweit es eben beeinflussbar ist, selbst in der Hand hält und selbstbestimmt ihren Weg geht. Darf, steht für die Fürsorge meines Mannes, mich lieber von der Kälte und somit von Erkältungen fernzuhalten. Obwohl um mich herum die Grippe, der Schnupfen und Husten Einzug hielt, blieb ich von all dem verschont. Die vier Wintermonate sind lang und für mich heisst das, diese Zeit zu füllen. Ich habe mir ja bewusst eine Schreibpause auferlegt. Ich wollte mir klarwerden, ob diese Art von Homepage zur Bekanntmachung der Krankheit ALS noch zeitgemäss ist. Ich wollte mich etwas zurückziehen und meinen eigenen Weg gehen. Doch das Schicksal anderer ALS-Betroffener lässt mich dann doch wieder agieren. Auch Anfragen für das Testen von Hilfsmitteln lehne ich natürlich nicht ab. Für Interviews sei es für die Zeitung oder für die Vertiefungsarbeiten von Schülern, stehe ich natürlich nach wie vor zur Verfügung. Da meine Aussprache, wie schon erwähnt, unaufhaltsam unverständlicher wird, muss ich vermehrt mit dem Sprachcomputer kommunizieren. Mit der Augensteuerung einen Satz in angemessener Geschwindigkeit zu schreiben und danach vom Sprachcomputer vorlesen zu lassen, braucht Übung und Geduld. Ich bin jedoch sehr froh um diese Möglichkeit. Nun hat mein Sprachcomputer vor einiger Zeit den Geist aufgegeben und auch mein Natel musste altershalber ausgewechselt werden. Ich musste mich über neue Geräte erkundigen und wieder alles neu installieren lassen. Mein Sprachcomputer ist jetzt ein Surface mit Augensteuerung. Und meine Umfeldsteuerung läuft jetzt über mein Natel Samsung S8. Es läuft noch nicht alles Rund aber es wird. Dank der Beratung und Installation von Activecommunication, bin ich bald wieder auf dem zweckmässig neuesten Stand.
Diesen Winter habe ich viel Zeit mit zeichnen am PC verbracht. Wahrscheinlich suche ich nach einer weiteren Möglichlichkeit, meinen Sprechverlust zu kompensieren. Durch das Zeichnen kann ich Gefühle ausdrücken, die durch Worte so nicht mehr möglich sind. Da meine Arme, Hände und Finger ebenfalls geschwächt sind, werde ich wohl nie mit Picasso und Co. konkurrieren können. Eines kann ich hingegen versichern. Meine Bilder spiegeln genauso meine Empfindungen, meine Sehnsucht und meine Träume.
5. Ich organisiere meinen Alltag nach wie vor selbst. Das fängt bei der Einsatzplanung der Assistenzpersonen an und geht über die Aktivitäten Planung hinaus. Mir ist es wichtig, dass mein Mann das Mittagessen mit mir zusammen einnehmen kann und nicht auswärts einkehren muss. Das bedingt, dass ich Menüpläne und die wöchentliche Einkaufsliste erstelle. Eigentlich Arbeiten, wie sie jede Hausfrau, jeder Hausmann erledigt. Nur, dass bei mir meine Assistenzpersonen die Handarbeiten übernehmen. Ich bin quasi der Planer und meine Assistenzpersonen die ausführenden Hände. Natürlich bin ich auch im Winter beim Einkauf dabei. So muss ich wenigstens einmal die Woche hinaus. Nein, stimmt nicht ganz. An Sonntagen entführt mich mein Mann regelmässig zu Ausfahrten in verschiedene Gegenden. So waren wir vor zwei Wochen im Jura. Wir haben so viele wunderschöne Flecken in und um unser Land. Es gibt so vieles zu entdecken, auszuprobieren, zu fühlen, zu berühren, zu riechen und zu schmecken. Unser Planet ist ein geheimnisvolles Schlaraffenland. Schon deshalb sollte ein Menschenleben lange dauern. Ich finde, auch ein Leben mit Gesundheit ist viel zu kurz. Ja, ihr habt es richtig verstanden. Ich möchte sehr alt werden. Vielleicht ein kühner Wunsch, in Anbetracht meiner ALS Erkrankung.
6. Ich bin mir bewusst, je länger ich lebe, desto mehr körperliche Beeinträchtigungen kommen hinzu. Eine Herausforderung nicht nur für mich, vielmehr noch für meine Familie und mein Pflegeteam. Bis jetzt hatte ich / hatten wir mehr Glück als viele andere. Durch meinen langsamen Krankheitsverlauf, mittlerweile im 18. Jahr, haben wir Zeit, uns aufkommende Beeinträchtigungen einzustellen. Meine bereits jetzt schon vorhandenen körperlichen Beeinträchtigungen sind nicht ohne. Trotzdem stehe ich meistens positiv zu meinem Leben. Wie oben geschrieben, würde ich gerne alt werden. Sollten meine Beeinträchtigung mich derart Einschränken und mir meine Lebensfreude rauben, würde ich wohl doch früher die Reissleine ziehen. Da ich immer noch ohne Peg-Sonde (Ernährungs-Sonde), Cystofix (Blasenkatheter), Absaug- und Abhust-Apparate (Cough -Assist) und ohne Atmungsunterstützung auskomme, macht mir das Leben immer noch so viel Spass.
Ich würde mich aber schon wieder gerne mehr bewegen können. Früher wollte ich immer mal wieder die ganze Sporthalle für mich alleine haben. Ich wollte tanzen, springen und mich zur Musik frei bewegen. Hätte ich das nur mal gemacht. Heute trösten mich Tanzvideos etwas über meine Unbeweglichkeit hinweg.
9. Ein Kämpferherz hat aufgehört zu schlagen. Die Krankheit ALS hat sich mit allen Facetten gezeigt. Du hattest keine Chance gegen sie zu gewinnen. Du hast ihr aber einen unglaublich harten Fight geliefert. Chapeau!
14. 0bwohl ich schon von so vielen ALS-Betroffenen Freunden Abschied nehmen musste, fällt es mir nach wie vor schwer, einfach zur Tagesordnung zurück zu kehren. Es fällt mir auch schwer Tagebuch zu schreiben. Irgendwie bin ich dieser Tage auch etwas schlapper als sonst. Das kann aber auch eine Auswirkung auf das wechselhafte Wetter sein. Ich habe mich zwar an den wiederkehrenden, wunderschön tanzenden Schneeflocken gefreut. Ich denke aber, mein Körper und meine Seele brauchen Sonne und Wärme. Wir wollen raus in die Pflanzenwelt. Eigentlich wäre es an der Zeit, einige Tage in südlicheren Gefilden zu verbringen. Leider kann ich nichts buchen. Ich weiss nicht, wann ich zur Reha aufgeboten werde. Aber was soll eigentlich das Gejammer, ich lebe und das in Anbetracht meiner langjährigen Krankheit, sehr gut. Hänge ich halt, wie das Wetter auch, kurz mal durch und blicke mit Freude dem Frühling entgegen.
16. Schade, kann ich die Szene, welche sich gerade am Himmel abspielt, nicht festhalten. Ich müsste dafür schon eine Filmkamera bedienen können. Also versuche ich es mal, das, was gerade am Himmelszelt abgeht, von meinem Bett aus zu beschreiben. Langsam neigt sich die Nacht dem Ende zu. Zuerst sind es nur die Silhouetten der Berge, welche sich vom Himmel abheben. Es wird heller und schwere dunkle Wolken werden sichtbar. Die Wolkendecke wird immer mehr auseinandergerissen. So unterschiedlich die Wolken Formen nun sind, so unterschiedlich sind ihre Farben. Dunkelgrau über Hellgrau zu Weiss ist vertreten. Langsam zeigen sich blaue Flecken am Himmel. Kurz wird das Bild akustisch unterbrochen. Ein Vogel kündigt zaghaft den Morgen an. Zwei rötlich eingefärbte gerade Linien zeigen sich am Himmel. Mein Gedanke, ich möchte auch in die Ferien. Nun schmücken sich auch immer mehr Wolken mit Rot- Orange- und Gelbtönen. Gleichzeitig werden die Wolken immer kleiner und der Himmel immer blauer. Die Helligkeit nimmt zu, die Vogelstimmen auch. Der Morgen ist da und verheisst uns einen wunderschönen, sonnigen Tag. Sun, Sun, Sun
20. Ich will euch doch kurz einen schönen Frühlingsanfang wünschen. Ich sehe durchs Zimmerfenster, dass es Draussen wunderschön ist. Leider muss ich im Haus, genauer gesagt im Bett bleiben, um nicht noch mehr zu verschlimmern. Seit einer Woche liege ich immer wieder flach. Mal geht ein Tag gut, dann kommt wieder etwas anderes dazu. Momenten spielt mein Körper verrückt. Der Winter will mir wohl doch noch ein Souvenir mit auf den Weg geben. Ich bin es einfach nicht gewohnt, krank zu sein. Sogar mein Sohn sagt zu mir "Du und krank?". Vielleicht bin ich es aber auch einfach nicht gewöhnt zu warten und herumzusitzen. Mein Körper hat sich vielleicht deswegen eine neue Beschäftigung gesucht. Ich werde jedoch sicher schon bald wieder, den Frühling geniessen können. Schliesslich habe ich diese Woche noch Termine, welche ich wahrnehmen möchte. Also nehme ich weiterhin brav Nasenspray, Hustensaft, Vicks, Teelis usw. zu mir, und hoffe, es wird langsam aber sicher besser.
23. .... und es ist besser geworden. Eine ganze Nacht ohne Husten-Attacken durchschlafen zu können, ist viel wert. Auch wenn der Schnupfen und der Husten noch nicht ganz weg sind, so fühle ich mich heute viel, viel besser. Ich denke, ich kann es heute auch wagen, für ein- zwei Stunden Draussen an einem geschützten Ort, an die Sonne zu sitzen. Ich muss nämlich unbedingt noch Urner-Sonne tanken, bevor es am Montag in die Reha geht. Am Donnerstag habe ich das Aufgebot erhalten. Ja, manchmal kommt alles auf einmal und dann heisst es rasch reagieren zu können. Da ist es von Vorteil, ein gut funktionierendes und flexibles Team, um sich zu haben. Genauso eines habe ich. Leute, ich danke euch. Ihr macht mir mein Leben um einiges leichter.
Ich bin sehr gespannt was mich in der Reha erwartet. Wie komme ich mit der Pflege- Betreuung zurecht? Werde ich die Ziele erreichen, welche ich mir gesteckt habe? Sicher eine neue Herausforderung für mich. Und das brauche ich ja. Aber jetzt geht es ab an die Sonne.
24. Gestern wie auch Heute konnte ich in den Garten, um etwas Sonne zu tanken. Den Schnupfen und den Husten bin ich noch nicht ganz losgeworden. Ich fühle mich jedoch fit genug, um Morgen die Reha anzutreten. Ich habe mir auf GoogleMap mal vorsorglich die Gegend um die Reha angeschaut. Viele grüne Flecken konnte ich nicht entdecken, dafür einen Fluss. Den könnte ich mit dem Rolli so in 30 Minuten erreichen. Kann aber auch sein, dass ich so "geschlaucht" werde, dass ich gar keine Kraft habe, um auszubüxen. Schau wir mal. Wenn ich dazu komme, werde ich zwischendurch hier im Tagebuch berichten.
Zum Glück ist die Sonne nicht ortgebunden. Ansonsten würde ich sie jetzt gleich miteinpacken.
26. Was war ich überrascht, als ich gestern in mein Reha-Zimmer geführt wurde. Als die letzte Türe des Ganges geöffnet wurde, traf ich auf einen grossen, lichtdurchfluteten Raum. Eine Zimmerfront ist komplett verglast und ist zugleich der Zugang zum grossen, zimmereigenen Balkon. Dann schaue ich zur Decke um zu sehen, was für eine Lampe noch zusätzlich Licht spendet. Ich konnte kaum glauben, was ich da sah. An der Decke ist ein grosses, rundes Dachfenster, welches mich direkt in den Himmel blicken lässt. Einfach nur wunderschön. Gleichzeitig realisiere ich, dass ich das Privileg habe, ein Einzelzimmer zu bewohnen. Ich habe mir das im Geheimen sehr gewünscht, jedoch nicht gewagt zu hoffen. Auch das Bad mit seinen roten Wänden und dem Bullauge in der Decke muss sich nicht verstecken. Die Unterkunft und der ganze Hauskomplex sind sehr grosszügig und behindertengerecht ausgelegt. Hier lässt es sich einige Zeit leben.
27. Eigendlich wäre jetzt Mittagsruhe und Zeit zum Abliegen. Wenn jetzt die Sonne gross scheinen würde, könnte ich mir überlegen, mich Draussen in den Garten zu legen und den Vögeln im Tiergarten zu lauschen. Da ich aber auch Zuhause kaum Mittagsschlaf mache, kann ich gerademal etwas über meine Reha schreiben. Am Eintrittstag wurde ich mehr oder weniger von allen für mich zuständigen Therapeuten und Ärzten und Pflegeverantwortlichen besucht. Ziel dieser Besuche; mich kennenzulernen, um sich ein Bild über meinen Gesundheitszustand zu machen. Weiter wurden Blutentnahmen und diverse weitere Abnahmen und Untersuchungen getätigt. So wurde diese Nacht meine Atmung gemessen. Erfreulich, heute bei der Visite hat mir der Lungenspezialist mitgeteilt, dass meine Atmung soweit gut ist und ich keine Atemunterstützung benötige. Hingegen habe ich zu wenig Kraft, richtig abhusten zu können. Normalerweise habe ich nicht gross Schleim in der Lunge, ausser beim letzten Infekt, der immer noch schwach vorhanden ist. Ich werde also so ein Abhustgerät (Cough -Assist) ausprobieren. Ich hatte auch schon einige Therapien. In der Physiotherapie Stehtraining, in der Ergotherapie, die Handluftschiene ausprobiert, mit der Logopädin zusammen gegessen und noch einiges mehr. Und Morgen darf ich nach vielen, vielen Jahren ins Wasser. Mark Spitz und Michael Phelps lassen grüssen. An die Pflege muss ich mich noch etwas gewöhnen und muss mal die Fünfe gerade sein lassen. Einerseits steht mir mein Dialekt und die verwaschene Aussprache im Wege, andererseits die fehlenden Kenntnisse der Pflegenden, den Transfer über die Drehscheibe zu machen. Das Gute, es sind Alle bemüht, es zu versuchen und geben ihr Bestes. Das Pflegeteam ist freundlich und hilfsbereit.
29. Der gestrige Tag war gefüllt mit Therapien und ja, ich bin am Abend früher als sonst eingeschlafen. Gestern Morgen um 10.00 Uhr war es so weit, ich durfte ins Wasser. Zuvor bekam ich ein Luftgefüllter Halskragen angezogen und dann wurde ich mit dem Pool Lift langsam ins Schwimmbecken hinabgelassen. Ich spürte, je weiter ich ins Wasser eintauchte, desto leichter wurde mein Körper. Mit Unterstützung der Physiotherapeutin machte ich Steh- und Gehtraining am Beckenrand. Die Arme- und der Rumpf wurden ebenfalls in Aktion gebracht. Und dann wurde ich losgelassen und ich konnte mich eigenständig mit den Armen und Beinen im Wasser fortbewegen oder einfach auf dem Rücken liegend treiben lassen. Ein gutes Gefühl, mich im Wasser besser bewegen zu können.
Gestern durfte ich ebenfalls die tiergestützte Therapie besuchen. Mein linker Unterarm zeugt immer noch davon. Ein schwarzer kleiner Hahn hat es sich auf meinem Arm bequem gemacht und seine Krallen in mein Fleisch gebohrt. Wenn man, so wie ich Blutverdünnende Medis zu sich nehmen muss, siehst man jeden Kratzer.
Eines meiner Reha-Ziele ist, wieder ein paar Schritte laufen zu können. Ob das überhaupt machbar ist, durfte ich ebenfalls gestern auf der Floor Walking (Lauf-Maschine) ausprobieren. Ich konnte mit dem Walker einige Schritte gehen, doch eher passiv wie auf dem Motomed. Mein linker Fuss knickt trotz Stabilschuh zu fest nach aussen. Da mein Schuh schon 14 Jahre alt ist und die Stabilität nachlässt, warte ich schon einen Monat auf meinen neuen Schuh. Ich habe hingegen immer noch genügend Kraft in den Oberschenkeln, um meine Transfers übers Standing zu machen. Wir werden also intensiv das Stehen trainieren. Auch meine Rumpfstabilität ist soweit noch ganz gut in Ordnung.
Eben habe ich die Therapien für diese Woche mit einer Logopädie-Stunde abgeschlossen. Nun habe auch ich Wochenende und fahre die Sonne geniessen.
APRIL
1. Heue hatte ich nur 3 Therapien (Psycho-, Physio-, und Ergo-Therapie) auf dem Plan. So nutzte ich die Gelegenheit, die Gegend, um die Reha etwas weiträumiger zu erkunden. Bei meinem Orientierungssinn ist eine Rolli-Tour in einer unbekannten Gegend eine Herausforderung. Ich habe jedoch vor Reha-Beginn, vorsorglich die Telefonnummer der Reha in mein Natel eintippen lassen. Für den Fall, dass ich mich mal verfahren sollte und nicht mehr retour finde. Heute ist es jedenfalls gutgegangen. Es war schön, mal wieder völlig allein unterwegs zu sein. Die Sonne schien, die Bäume tragen Blüten, der Löwenzahn und viele weitere Frühlingsblumen wetteifern mit ihren satten Farben und verbreiten gute Gefühle.
Morgen darf ich wieder ins Wasser. Ich freue mich wieder sehr darauf.
2. ..... und das Schwimmen heute in der Früh, war wieder traumhaft. Zusammen mit der Physiotherapeutin bin ich in aufrechter Körperhaltung, im Therapiebecken vorwärts und rückwärts gelaufen. Da mein linkes Fussgelenk instabil ist und der Fuss nach aussen knickt ist das Gehen ausser Wasser, kaum mehr möglich. Ich hatte schon mal darüber nachgedacht, das Gelenk versteifen zu lassen. Hier in der Reha haben sie mir jedoch davon abgeraten. In den nächsten Tagen wird mir nun eine spezielle Schuheinlage angepasst. Mal schauen, wie es dann mit Stehen und Laufen aussieht. Ich profitiere sehr von den unterschiedlichen Therapien. Ich liebe es meinen Körper zu bewegen und Muskeln zu spüren. Muskeln, welche immer noch vorhanden sind und in mir schlummern. Es macht Freude, sie aus der Reserve zu locken und mit ihnen zu trainieren.
Inzwischen weiss ich auch, dass sich meine Blutwerte, mein Vitaminhaushalt auf einem guten Level befinden. Allerdings war meine Pneumokokken- Impfung (bakterielle Lungenentzündung) schon mehr als fünf Jahre her und musste erneuert werden. Ein Pick mehr oder weniger spielt nun auch keine Rolle.
3. Es läuft, nicht nur vom Himmel, auch bei den Therapien läuft es. Heute wurde ich bei der Physio ausgemessen. Mit 90 - 60 - 90 konnte ich da aber nicht aufwarten. Doch darum ging es ja zum Glück auch nicht. Mit einem Winkel wurde die Beuge-, Streckfähigkeit der Gelenke und Muskeln gemessen. Aua, für die Schmerzen, wenn man Gliedmassen bis zum Anschlag bewegen muss. Damit die Muskeln nicht wieder auf die Idee kommen, in Urlaubstimmung zu verfallen, habe ich mir gleich selbst, das Strampeln auf dem Motomed (Beintrainingsgerät) verschrieben. Also alles im grünen Bereich. Ich kann jetzt schon sagen, dass die Therapien mir sehr guttun und ich davon sehr profitiere. Der Cough Assist (Gerat für das Abhusten / Sekretmobilisation) kam heute auch zum Einsatz. Ich muss mich noch an das Fremd-Management gewöhnen. Ich weiss aber, um dessen nutzen. Bei vielen Therapien darf ich meinen Körper wieder fühlen und spüren und das fühlt sich sehr gut an.
5. Nun habe ich schon die zweite Reha-Woche mit Therapien und Untersuchungen hinter mir und das Wochenende ohne Therapien steht vor mir. Ich warte nun sehnsüchtig auf die Sonne, damit ich mich wieder länger im Freien aufhalten kann. Mir wird es aber auch an diesem Wochenende nicht langweilig. Für morgen Nachmittag habe ich mich spontan zum ALS-Parallel-Treffen (Selbsthilfe-Treffen) hier in Basel angemeldet. Ich freue mich, weitere ALS-Betroffene und ihr Umfeld kennenzulernen. Weiter muss ich mir übers Wochenende einige Gedanken machen und Entscheidungen treffen. Nicht ganz einfach für mich. Meine Blase funktioniert nach wie vor einwandfrei. Doch jeder WC-Transfer ist für mich und die Pflegenden mit Aufwand verbunden. Ausserdem sollte ich viel mehr Trinken. Ja, das wird eine schwierige Entscheidung werden, für oder gegen den Cystofix (Blasenkatheter über die Bauchdecke). Ich sehe die Vorteile, ich sehe aber auch meine "unversehrte" Aussenhülle. Vielleicht warte ich auch noch ein Jahr. Ich werde mich entscheiden und diese Entscheidung wird richtig sein.
Sorry, ihr glaubt mir das wahrscheinlich nicht. Soeben ist eine männliche Ente an meinem Zimmerfenster vorbei auf das Dach geflogen. Diese Woche turnte bereits ein wunderschönes, braunes Eichhörnchen auf meinem Balkon herum. Ab und zu setzen sich auch Amseln und Tauben auf mein Balkongeländer. Und jetzt besucht mich gerade die Sonne in meinem Zimmer.
Heute Morgen hatte ich die Schluck-Untersuchung. Eine Microkammera wird über die Nase in den Rachenraum geschoben, um den Schluckvorgang mit unterschiedlichen Konsistenzen zu filmen. Wegen meinem Brechreiz hatte ich bedenken aber keine Angst. Die Untersuchung lief dann problemlos ab. Es sieht bei mir immer noch ganz gut aus. Das Ergebnis und die eventuell erforderliche Massnahme dazu erfahre ich nächste Woche.
Seit gut einer Woche nehme ich 4 x täglich einen halben Kaffeelöffel Hanf-Öl zu mir. Ich erhoffe mir durch dieses Naturheilmittel, 1 - 2 meiner bisherigen chemischen Medikamente (Spastik) reduzieren zu können. Ob es meinen Tatendrang, meine Energie beeinflussen wird, werde ich sehen und entsprechend reagieren. Eine Schlaftablette will ich dann doch nicht werden. Ich lache ja gerne und oft und kann deshalb nicht sagen, ob das Hanf-Öl auch meine Psyche beeinflusst. Auf alle Fälle, ich fühle mich gut.
8. Ich durfte ein interessantes Wochenende verleben. Am Samstagnachmittag nahm ich wie schon erwähnt, am Basler ALS-Parallel-Treffen teil. Dabei durfte ich, neben anderen Teilnehmern, drei tolle Frauen kennen lernen. Wir befinden uns in unterschiedlichen Phasen der Krankheit ALS. Auch wenn ich schon vieles von dieser Krankheit weiss, so lerne ich doch immer wieder von Betroffenen dazu. Ich finde solche Treffen für den gegenseitigen Austausch, so wichtig. Man erhält Tipps und Ratschläge direkt von den Betroffenen und dessen Umfeld und jeder kann sich auch selbst einbringen. Ich werde auf jeden Fall mit diesen Frauen in Kontakt bleiben.
Am Sonntag besuchte ich mit meinem Mann den Zolli Basel. Sicher mache ich mir Gedanken, Tiere in Gehege zu stecken und ihrer natürlichen Umgebung zu entreissen. Schön finde ich, dass im Zolli, auch alte Gemäuer integriert wurden und nicht alles Kunstbauten sind. Ich mag alle Tiere, bin trotzdem froh, einige aus der Ferne betrachten zu dürfen. Im Aquarium-Haus fühlte ich mich gleich wohl. Diese verschiedenen Fischarten, Quallen, eine wunderschöne Unterwasserwelt. Die vielen Störche und auch die wilden Tiere haben ebenfalls mein Interesse geweckt.
Heute beginnt meine 3. Reha-Woche und am Freitag kehre ich wieder in den Alltag zurück. Und jetzt kommt die Sonne und ich kann für eine Stunde nach Draussen, bevor die nächste Therapiestunde beginnt.
9. Nach zwei Wochen Reha dürfte es nun bei allen Beteiligten angekommen sein, dass ich stehen kann und dass bei mir der Transfer über Standing bestens klappt. In der Physio legte ich heute beide Hände auf eine Stange, stand mit wenig Unterstützung vom Rollstuhl auf und stand, ohne irgendwo anzulehnen, ca. 1 Minute frei. Und dies mehre male. Ich profitiere sehr von den Therapien und mein körperliches Potential ist noch nicht ausgeschöpft. Es ist ein gutes Gefühl, zu spüren, dass da noch was geht.
Heute hatte ich beim Urologen die Untersuchung und die Aufklärung über den Cystofix. Ich habe mich entschlossen, trotz den Vorteilen noch zuzuwarten. Wir haben aber die Papiere soweit vorbereitet, sollte ich mich später für den Cystofix entscheiden, ist alles bereits vorbereitet.
Mit dem Abhust-Gerät (Cough Assist) muss ich noch zuwarten. Mein Brechreiz ist noch zu stark vorhanden.
10. Regen, Regen und wo bleibt die Sonne und die Wärme. Da nützt der grösste Balkon und der schöne Tiergarten nichts, wenn es zu nass und zu kalt ist, um nach draussen zu gehen. Aber ich bin ja nicht in der Reha, um Ferien zu machen.
Heute Morgen musste ich leider in ein Zweierzimmer wechseln. Meine Zimmergenossin ist aber eine coole, junge Frau und vom Balkon aus sehe ich auf den Tiergarten. Würde die Sonne mal wieder scheinen, hätte ich nun die Abendsonne auf dem Balkon.
In der Reha wird das Frühstück von den meisten Patienten im Zimmer eingenommen. Das Mittagessen und das Nachtessen kann wahlweise im Zimmer oder mit anderen Patienten im Essraum gegessen werden. Auch wenn ich zwischendurch das Allein sein brauche, so schätze ich das Zusammensein mit anderen Menschen sehr. Bei Tisch gibt es hier eine spezielle Sitzordnung. Jeder bekommt einen eigenen Platz zugeteilt, der eingehalten werden sollte. Aus meiner Sicht könnten sich die Patienten selbst organisieren. Wir alle sind erwachsene Menschen und die meisten hier können selbst Entscheidungen treffen. Als wenn es Jemand geahnt hätte, mir wurde kein Sitzplatz zugewiesen. Bei jeder Mahlzeit muss ich schauen, wo eine Ecke für mich frei ist. Ich mach mir mittlerweile ein Gaudi "Spass" daraus und fahre zwei- dreimal um den grossen Tisch. Kennt ihr das Spiel? Im Kreis stehen Stühle, die Musik fängt an zu spielen, Menschen laufen um die Stühle rum, sobald die Musik stoppt, setzt sich jeder auf einen Stuhl. Wer keine Sitzgelegenheit ergattern kann, ist raus aus dem Spiel. Die Auswahl der Mahlzeiten ist grossartig und auch gekocht wir gut. Ich komme sicher mit ein, zwei Kilo mehr an den Rippen nach Hause.
Ich sehe hier viele Abläufe. Einiges finde ich gut, anderes könnte verbessert werden. Ich betrachte das Ganze aus Sicht einer selbstbestimmenden und erwachsenen Frau. Wie ihr mich kennt, werde ich meine Anregungen auch weitergeben. Zwischendurch ist ein Feedback über die Wahrnehmung von aussen wertvoll. Wenn wir offenbleiben und nicht zu stolz sind von herkömmlichem abzuweichen, können wir alle nur voneinander profitieren.
11. Ich weiss jetzt nicht, ob ich jubeln oder betrübt sein soll. Soeben habe ich meine letzte Therapiestunde in der Reha absolviert. Die Therapien haben mir sehr gutgetan und einige Verbesserungen gebracht. Es tut gut, zu spüren, wie der Körper kämpft und der Psyche freudige Impulse sendet. Ich nehme viele Ideen und Anregungen mit nach Hause mit denen ich weiterfahren kann. Ich bin froh, dass ich meine Pflege ab Morgen wieder meinem eigenen Pflege-Team übergeben kann. Dann bestimme ich auch wieder selbst, wann ich ins Bett gehe. Sicher nicht um halb acht. Ich habe mir aber selbst bewiesen, dass ich durchaus mit fremdem Pflegepersonal zurechtkomme. Ich muss einfach meine Ansprüche an meine Pflege herunterschrauben und einige Abstriche in Kauf nehmen.
In der Umgebung der Reha gibt es ein paar schöne Flecken. Mit der Umgebung Zuhause, nicht zu vergleichen. Bei mir steht die Natur direkt vor der Tür. Und in dieses wunderschöne Zuhause werde ich morgen freudig zurückkehren.
Eines meiner ersten Dinge, die nach meiner Rückkehr getan habe, ist "Musik auf"!
13. Bevor ich Gestern die Musik aufdrehte, musste ich natürlich zu allererst rings ums Haus fahren. Ich musste doch sehen, wie sich unser Garten während meiner dreiwöchigen Abwesenheit entwickelt hat. Was ich da sah gefiel mir natürlich sehr. Hyazinthen, Narzissen, Polsterblumen, blühende Obstbäumchen, welche von Bienen und Hummeln besucht werden. Geisenblumen, Primeln und Löwenzahn, welche durch ihre Farben das grün des Rasens auflockern. Die jungen Bärlauchblätter, der Schnittlauch und die Petersilie, welche sich bereits zum Verzehr anbieten. Ich freue mich, nächste Woche mit dem Setzen von Salat und Gemüse zu beginnen. Es wird ja kaum mehr so viel Schnee geben, wie es letzte Woche gegeben hat.
16. Jetz müäss ich ych nu schnell ebbis verzellä. Wie schon erwähnt, teilte ich die zwei letzten Tage der Reha das Zimmer mit einer anderen Patientin. Sie ist ebenfalls Rollstuhlfahrerin und ist ähnlich bewegungseingeschränkt wie ich. Ausser, sie kann die Hände und Finger etwas mehr bewegen als ich. Als mir die PC-Maus herunterfällt und auf der Rollstuhlfussablage liegen bleibt, will ich der Pflege klingeln. Meine liebe Zimmerkollegin macht mir jedoch den Vorschlag, sie wolle versuchen meine Maus zu bergen. Wir fahren also unsere Rollis gegenverkehrt und ganz nahe zueinander. Dann fahre ich meine Fussablage auf die Höhe ihrer Hände. Mit grosser Anstrengung bekommt meine Zimmerkollegin meine Maus in die Hände und hebt diese hoch. Leider fällt ihr die Maus aus den Händen und liegt nun definitiv auf dem Boden. Also, der Pflege klingeln. Die Pflege kommt und hebt die Maus auf. Leider ist der Deckel vom Batteriefach abgefallen und ist nicht aufzufinden. Am Abend werden unsere Kleider und unsere Rollis abgesucht. Ohne Erfolg. Also muss meine Maus die letzten zwei Tage eben ohne Deckel klarkommen.
So, nun bin ich ja bereits wieder seit vier Tagen Zuhause und bin schon ein paarmal mit dem Rolli im Garten herumgefahren. Heute wollte ich nun zum Dorfladen fahren, um Brot zu kaufen. Ich fuhr also los. Auf halber Strecke höre ich etwas scheppern. Habe ich jetzt etwas verloren oder bin ich über einen Gegenstand gefahren? Ich drehe den Rolli und schaue mich um. Das was ich entdecke, kann ich kaum fassen. Da liegt er, der kleine, viereckige Deckel vom Batteriefach meiner PC Maus. Und nun? Alleine unterwegs und kein Mensch auf der Strasse. Also Schnellgang rein und wieder zurück nach Hause. Hildi, meine Assistentin, welche gerade dabei war, meine Wäsche von drei Wochen zu bügeln, verstand nur etwas von Maus und mitkommen. Ich konnte nicht lange erklären, ich wollte meinen Mausdeckel nicht nochmal verlieren. Hildi hatte gedacht, ich hätte eventuell eine Maus überfahren. Ich müsste so lachen, ich konnte ihr die Mausdeckel Geschichte erst viel später erzählen. Hildi und ich standen auf dem Trottoir und mussten so lachen. Ich will ja nicht wissen was die Autofahrer gedacht haben.
Übrigens, meine Zimmerkollegin in der Reha ist eine Tessinerin und wohnt dort, wo wir jeweils unsere ALS-Gruppe-Ferien verbringen. Locarno ist unsere Verbindung.
20. Ich sitze gerade im Garten. Der Sonnenschirm spendet mir und meinem Laptop Schatten. Der Föhn bläst und treibt die Temperaturen in die Höhe und die Biese bringt zwischendurch einen Hauch von Abkühlung. Neben dem Sitzplatz rauscht, durch die Schneeschmelze, der Dorfbach vorbei. Vögel lassen sich auf dem Nussbaum oberhalb von mir nieder und pfeifen fröhlich ihre Lieder. Bei den Eidechsen hat es bereits Nachwuchs gegeben und spielen jetzt Verstecken in den alten Grenzmauern. Die Obstbäume und Blütensträucher blühen und werden von Bienen und Hummeln besucht. Überall zeigen sich Blumen in unterschiedlichen Farben und Formen. Der Ahorn hat seine Blätter entfaltet und zeigt seine rote Farbe. Weiss-Gelb erheben sich die Gänseblumen auf dem grün des Rasens und die gelben Köpfe des Löwenzahns strahlen mit der Sonne. Ich liebe es, hier im Garten zu sitzen. Mit Hilfe habe ich mir hier mein eigenes Paradies gebaut. Ihr denkt jetzt wahrscheinlich, ich hätte einen riesigen, parkänlichen Umschwung ums Haus. Dem ist nicht so. Ich sehe einfach jede Pflanze im Garten. Jedes Pflänzchen ist etwas Besonderes für mich. Sei es auch "nur" ein sogenanntes blühendes Unkraut.
Diese Woche haben wir die ersten Setzlinge ins Hochbeet gepflanzt und auch die Ostern in den Garten gebracht.
Es braucht nicht viel, um seinen eigenen Ort zu schaffen
25. Am Mittwoch hat auch die Spitex ihren Einsatz bei mir wieder aufgenommen. Die Pflegefachpersonen der Spitex kommen jeweils Mittwoch- und Samstagmorgen bei mir vorbei. Kurz vor meiner Reha hatte eine neue Pflegefachperson bei mir Einführung. Wir verstehen uns sehr gut und das allerbeste, sie kommt jetzt jeden Mittwoch bei mir zum Einsatz. Weniger Wechsel, entspanntere Pflege. Natürlich wollte sie einiges über die Reha wissen. Gibt es Änderungen in der Pflege oder bei der Medikation.
Da meine Atmung noch keine Unterstützung benötigt und die Abhusthilfe wegen meinem Brechreiz noch nicht zum Einsatz kommt, gibt es in der Pflege keine Änderungen. Auch komme ich noch ohne PEG Sonde (Nahrungsaufnahme mit Schlauch durch die Bauchdecke in den Magen) und ohne Cystofix (Blasenkatheter über die Bauchdecke in die Blase) aus.
Obwohl ich in der Reha den Transfers auch mit dem Rutschbrett geübt habe, werden wir meinen Transfer nach wie vor über die Drehscheibe, also im Stehen durchführen. Meine Physiotherapeutin in der Reha hat das Kraftpotenzial in meinen Beinen und dem Rumpf erkannt und dementsprechend gefördert. Das Laufen konnten wir zwar nicht verbessern, das muss ich mir wohl endgültig abschminken. Doch beim Stehen geht noch einiges.
Das Schwimmen gehörte ebenfalls zur Physiotherapie. Ich war erstaunt, wie gut ich mich im Wasser bewegen konnte.
Da ich mit Hilfsmitteln gut versorgt bin, konnte sich die Ergotherapeutin auf meine Finger, Hände, Arme und Schultern konzentrieren. Die Verspannungen gelöst zu bekommen, hat gutgetan.
Verwundert hat mich die Logopädin. Ich musste nicht wie üblich Laute formen. Die Therapeutin ging anders vor. Sie massierte mein Gesicht, Kiefer, Hals und meine Schultern.
Einmal hätte ich von einer Masseurin eine Ganzkörpermassage erhalten sollen. Doch die Masseurin war nicht auf mich im Rollstuhl vorbereitet und so musste eine Arm-Schultermassage im Rollstuhl reichen.
Was sich bei der Medikation geändert hat, ist die Einnahme von Sativa-Öl. Meine Krankenkasse hat die Kosten vorerst für 3 Monate übernommen. Für die Spitex ändert sich nichts, da sie mir keine Medikamente verabreicht. Meine Assistentinnen und mein Mann werden die Medikation anpassen und auch verabreichen.
In der Reha erhielt ich alle nötigen Untersuchungen, Therapien und Informationen. Ich bin jetzt wieder auf dem neuesten Stand.
Auch wenn ich mich am Anfang mit der Pflege auseinandersetzen musste, ging es doch recht gut.
Ich bin sehr froh und dankbar, dass ich diese Reha machen durfte. Ich kann ALS-Betroffene nur ermutigen, sich um eine Reha zu bemühen. Ich erhielt meinen rundum Service im Rehab Basel.
30. Ein Sonnenstrahl lockt mich gerade nach Draussen. Später mehr :-)
Bin zurück von der Sonne. Also, es hätte schon einige Grad wärmer sein können. Der Wind ist halt schon immer noch kalt. Da ich aber "stärnä allei" Zuhause war, konnte mir auch niemand eine Jacke anziehen. Ich musste mich also zwischen der Sonne und der Wärme im Haus entscheiden. Nach dem Regen keine schwere Entscheidung. Zähne zusammenbeissen, das kann ich ja noch, und raus aus der warmen Stube in die Sonne. Auch wenn sich meine Nase ständig mit Nasentröpfchen beschäftigen musste, durfte ich den lieblichen Duft von Flieder wahrnehmen. Ich mag diesen Duft sehr. Das Blühen des Flieders kündigt den Wonne-Monat Mai an.
Bevor es jedoch soweit ist, will ich diesen Monat mit dem Stammtisch der ALS-Familie vom vergangenen Samstag abschliessen. Wir trafen uns zum 2. Stammtisch in diesem Jahr. Drei weitere werden dieses Jahr noch folgen. Am Stammtisch der ALS-Familien nehmen ALS-Betroffene, Angehörige, Pflegende und Freunde teil. Mit reden / schreiben und lachen verbringen wir einen schönen Nachmittag zusammen. Dabei kommt das leibliche Wohl auch nicht zu kurz. Klar gibt es auch mal Traurigkeit. Tränen, die hier im Kreis verstanden werden. Schliesslich sitzen wir alle im selben Boot, welches bis jetzt nur eine Richtung kennt. Wir lernen voneinander und geben uns gegenseitig Halt. Damit ihr einen kleinen Eindruck vom Stammtisch der ALS-Familie bekommt, füge ich gerne wieder ein paar Fotos vom Stammtisch bei. Für mich war es wieder ein wunderschöner Nachmittag.
Ein Artikel von unserem Stammtisch in der Klosterzeitung.
Begegnungen mit ALS-Patienten
Schwester Christiane gestaltet die deutsche Ausgabe, die dann in Schwyz gedruckt wird. Sobald Sie die Texte hat, verschickt sie diese in verschiedene Länder, wo Schwestern die Übersetzung in andere Sprachen machen, z. B. französisch, italienisch, englisch, portugiesisch, kroatisch, slowakisch, ungarisch, tschechisch, chinesisch, Hindi.
Laut Schwester Christiane war es ihr ein Anliegen, mit den Schwestern ein wenig zu teilen, was ihr unser Besuch bedeutet und was sie so beeindruckt. Das Jahresthema lautet übrigens: Mit Menschen unterwegs sein.
Passender könnte es nicht sein.
MAI
3. Wie die meisten Urner, freue auch ich mich jeden Frühling, auf die Öffnung der Passstrassen. Es gibt uns wieder mehr Möglichkeiten, den Kanton zu verlassen. Am 1. Mai wurde bei der ersten von fünf. Passstrassen die Wintersperre aufgehoben
Natürlich liess ich es mir nicht nehmen, eigenhändig über den Oberalppass zu fahren. Auch wenn es nur ein kurzes Stück war, es war wunderbar.
5. Ja auch ich habe Momente, in denen ich tauche. Da verschwinden mein Lachen und eine tiefe Traurigkeit macht sich breit. Manchmal bin ich der Enttäuschungen und des ewigen Kampfes müde. Ist es die Krankheit, die mir die körperlichen Kräfte raubt, so sind es Menschen, die mir mein seelisches Gleichgewicht rauben. Zum Glück gibt es die Tränen, welche das Gleichgewicht wiederherstellen. So finde ich immer wieder zu meinem Lachen zurück.
"Stärke wächst nicht aus körperlicher Kraft - vielmehr aus unbeugsamem Willen." Mahatma Gandhi 1869-1948
6. Gestern fand der 27. Love Ride statt. Der Love Ride Switzerland ist die grösste Benefizveranstaltung der Schweizer Biker-Szene. Der erzielte Gewinn kommt vollumfänglich muskelkranken und behinderten Menschen zugute.
Eigentlich wollten wir dabei sein und später das Joe Bonamassa Konzert besuchen. Doch das nasskalte Wetter machte uns einen Strich durch das Vergnügen. Ich kann es mir einfach nicht erlauben zu frieren und womöglich eine Erkältung einzufangen. Schade, nahmen wir doch schon früher, als ich noch auf den Töff steigen konnte, mit unserer Harley am Love Ride teil. Immer wieder eindrücklich, wie viele Töfffahrer sich an der Ausfahrt mit Menschen mit Beeinträchtigungen beteiligen. Am Abend liesen wir uns das Vergnügen jedoch nicht nehmen, am Bonamassa Konzert teilzunehmen. Wir durften natürlich auf der "Rollstuhl Tribüne" Platz nehmen. Auch wenn die Akustik im Hallenstadion nicht optimal war, so gab der Gitarrenvirtuose und seine Band alles. So wurden wir für das entgangene Love Ride doch noch entschädigt.
7. Ich weiss, viele mögen sie nicht, die grossen braunen Brummer, die an Mai Abenden durch die Lüfte fliegen. Ich aber mag sie, die surrenden Maikäfer. Heute Abend habe ich den ersten gesehen.
8. Gestern Nachmittag war ich wiedermal mit dem Rolli unterwegs. Da ich das Glück habe, auf dem Land leben zu dürfen, fahre ich an vielen Wiesen und grünen Strassenrändern vorbei. Dabei entdecke ich immer wieder etwas Neues. Je nach Jahreszeit und Ort sind die Grünflächen unterschiedlich bestückt. Zurzeit sehe ich viele Halme in den Wiesen stehen. Sie überragen die eigentlichen Gräser. So sind manche feminin im Aussehen und andere durch ihre Kornrispen stark und präsent. Manche stehen in sattem Grün, andere schimmern Perlmutt Farben. Ebenso unterschiedlich zeigen sich Blumen, wie der Hornklee und der Salbei in den Wiesen. Ich bin immer wieder aufs Neue fasziniert von dieser Pflanzenvielfalt. Ich hole mir, inmitten der wunderschönen Pflanzenwelt, immer wieder die nötige seelische Kraft. Meine Hausapotheke im Grünen.
15. Sorry liebe Leser, es geht mir bis auf die noch immer präsenten Magenprobleme sehr gut. Ich habe zurzeit sehr viel um die Ohren und komme daher kaum zum Tagebuch schreiben. Doch es wird besser. Ihr dürft euch vorerst mit meinem Musikgeschmack auseinandersetzen. ;-)
19. Bin etwas müde, von der für mich doch anlassreichen Woche. Doch jeder Anlass war es wert, dabei zu sein. So war ich am Montagabend im Kino. Procap Uri lud wieder zur Filmreihe von Look and Roll ein. Die Kurzfilme zeigen den Alltag von Menschen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen. Vor und nach den Filmen finden interessante Gespräche zwischen den Besuchern statt. So schätze ich den Austausch mit anderen Organisationen, welche sich für die Belange von Menschen mit Beeinträchtigungen einsetzen.
Am Freitag gings dann zum Spargelessen in den Schwarzwald. Diese Tagesreise, mit einem rollstuhlgerechten Car, wurde von Martin Zutter (ALS-Betroffener) und seinem Umfeld organisiert und auch durchgeführt. Leider konnte Martin nicht mehr an diesem Ausflug teilnehmen. Und doch war er unter uns. Danke Martin und danke seinem Umfeld. Der Ausflug war wunderschön.
Diese Woche nahm ich auch an einer GV teil. Wie viele andere, bin auch ich Mitglied in verschiedenen ;-) Organisationen. Von Zeit zu Zeit stelle ich mir die Frage, ob alle Vereine, in denen ich Mitglied bin, mit meinen Ansichten und Visionen noch übereinstimmen. Wenn dem nicht so ist, ist es Zeit, die Organisation zu verlassen. Dadurch verhindere ich, dass die wichtigen Tätigkeiten des Vereins nicht unnötig blockiert werden. Ich habe es mir mit der Entscheidung, diesen Verein nach der GV zu verlassen, wahrlich nicht einfach gemacht. Bin ich doch kurz nach deren Gründung beigetreten. Dies ist auch schon wieder 12 Jahre her. Ich habe in all den Jahren einige Visionäre kommen und gehen sehen. Ich durfte aber auch viele ALS-Betroffene, Angehörige und Hinterbliebene kennenlernen. Ich musste mich, in meiner über 18-jährigen Krankheitsgeschichte, aber auch immer wieder von vielen liebgewonnenen Menschen verabschieden. Und trotzdem kann ich nicht anders, als den von ALS-Betroffenen Menschen mein Herz zu öffnen. Ich fühle mich mit ALS- Betroffenen stark verbunden.
Nun fühle ich mich frei und kann mich wieder mit voller Energie, meinen eigenen Projekten und Visionen widmen.
Jetzt bin ich aber wirklich geschafft und brauche ein wenig Zeit, mich zu erholen. Es kommt gut.
22. Hatte gerade eben meine wöchentliche Physiotherapie-Stunde. Schon über sechs Jahre, begleitet mich dieselbe Physiotherapeutin durch meine Krankheit. In dieser gemeinsamen Zeit lernten wir meine körperlichen Schwachstellen kennen und arbeiten gezielt daran, meine Beweglichkeit zu erhalten. Dabei sind passives Durchbewegen und aktives Ballspiel, Möglichkeiten für eine abwechslungsreiche Therapie-Stunde. Auch für die Atemtherapie setzen wir immer wieder einen Lungentrainer als Hilfsmittel ein. Meine Therapeutin und ich sind ein eingespieltes Team und der Spass kommt nicht zu kurz. Seit der Reha kommt nun zusätzlich eine Ergotherapeutin einmal in der Woche bei mir vorbei. Ihre Aufgabe, die Beweglichkeit meiner Schultern, Arme, Hände und Finger zu erhalten. Auch hier setzten wir ab und an Hilfsmittel ein. So bringen wir meine zur Faust eingerollten linken Finger, mittels einer Luftpolsterschiene, in die Streckung. Die Krankheit ALS hat mir mittlerweile sehr viele Muskeln geschwächt. Ich kann mich nur noch beschränkt eigenständig bewegen. Da ich mich schon immer gerne bewegt habe, schätze ich diese Therapien sehr. Während den Therapien kann ich meinen Körper besser spüren. Dies wiederum lässt meine Psyche frohlocken. Was mir aber besonders guttun würde, wäre eine strahlende Sonne. Momentan zeigt sie sich äusserst spärlich und die warmen Temperaturen lassen immer noch auf sich warten.
Endlich hat der Regen nachgelassen und für kurze Zeit schien sogar die Sonne durch die Wolken. Also nahm ich die Gelegenheit wahr und schaute nach unseren Pflanzen im Garten.
23. Mit Musik einzuschlafen tut mir gut. Mit der Sonne aufzuwachen tut mir noch viel besser. Jetzt, wo ich im Bett liege und auf meine Assistentin zur Morgenpflege warte, scheint die Sonne direkt auf mein Kopfkissen und ihre langen Strahlen spielen in meinem Gesicht. Ich freue mich so, aufzustehen und den Tag mit der Sonne zu verbringen.
JUNI
1. Ich bin wieder zurück aus den Ferien. Wie schon viele Jahre, verbrachten wir auch diesmal unsere Frühlingsferien im Südtirol. Normalerweise sind wir zur Apfelblütenzeit im Vintschgau. Wegen der Arbeit meines Mannes konnten wir nicht eher fahren. Dafür war es um diese Jahreszeit sehr warm und wir konnten einige Ausflüge in die Bergwelt unternehmen. So waren wir in den Dolomiten unterwegs und überquerten einige Pässe über 2000 m ü. M. Wir waren natürlich auch in Meran selbst unterwegs. Von unserem Hotel aus ging es in einem fünfminütigen Fuss- Rollimarsch in die Altstadt. In den Laubengassen war es nicht gar so heiss und wir konnten wunderbar bummeln. An Meran und Umgebung schätze ich die vielen Spazier- und Wanderwege durch die Natur. Mit dem Rolli fährt es sich auch sehr gut auf den unzähligen Radwegen, welche z.T. mitten durch die Obstplantagen führen. Natürlich isst es sich auch sehr gut im Südtirol. Italienische Küche gepaart mit österreichischer Küche, ein Genuss. Unser Hotel war wieder das City Hotel Meran mit barrierefreien Zimmern. Zu empfehlen für E-Rollstuhlfahrer, Zimmernummer 109 und 111. Das Frühstücksbuffet war wie immer der Hammer. Diese Auswahl an Speisen und Getränken. Schade eigentlich, dass Piet und ich es nicht gewohnt sind, so viel auf einmal zu essen. Es waren wunderschöne Ferien und es wird auch wieder ein nächstes Jahr geben.
13. Interessantes Dossier zum Thema Frauen.
Gleichstellung von Frauen mit Beeinträchtigung (Quelle avanti donne)
19. Ach war das schön. Heute war ich wiedermal auf einer längeren Rolli-Tour. Ich habe es so genossen, ganz allein in der Natur unterwegs zu sein. Um der Hitze auszuweichen, wählte ich eine westliche Route. Ich fuhr entlang von Gewässern, fuhr durch Pfützen und liess mich von herabfallenden Wassertropfen von den Tunneldecken berieseln. Durch den vielen Regen in der vergangenen Zeit, waren einige Wegstrecken ausgespült und ich musste meinen Rolli fest im Griff halten, um mir einen Weg durch die herausschauenden Steine zu bahnen. Es war mitunter schon recht holprig und ich war froh, mit meinem altbewährten Adventure Aussenrolli unterwegs zu sein. Im Gegensatz zu meinem Alltagsrolli, hat er grössere Räder und eine bessere Federung. Eine Wanderin gab mir trotzdem den gutgemeinten Rat, beim Fahren aufzupassen, nicht das ich womöglich im Gewässer lande. Sicher, allein unterwegs zu sein, birgt Gefahren. Für meine Freiheit, meine Selbstständigkeit nehme ich dies jedoch in Kauf. Es gibt kaum schöneres, frei wie ein Schmetterling durch die Natur zu streifen. Bei einer schönen Blume (sorry, es gibt nur schöne Blumen) anzuhalten und zu verweilen. Heute war es besonders interessant, dem vielen Schwemmholz zuzuschauen, wie es von den Wellen an die Seeufer geschaukelt wird. Ab und zu durfte ich einer meiner Lieblingsdüfte wahrnehmen. Der unverwechselbare Duft von werdendem Heu. Auf solchen Touren kann ich meine Krankheit fast gänzlich ausblenden. Ausser, mir begegnet ein Jogger, der mir beim vorbei joggen mit den schwingenden Armen meinen Rückspiegel nach vorne dreht und es nicht mal bemerkt. Um ihm hinterher zu rufen, ist meine Stimme zu schwach. Also, wenn ich schon unabhängig sein will, muss ich mir auch selbst helfen können. Kurz überlegen, dann einen Baum suchen und mit dem Spiegel so nahe an den Stamm fahren, dass sich der Spiegel zurückdreht. Voila, ich sehe wieder rückwärts. Es war ein sehr schöner Nachmittag für mich.
21. Heute jährt sich wieder der Internationale ALS-Gedenktag. Die Krankheit ALS kennt man bereits über 150 Jahre und trotzdem ist sie nach wie vor nicht heilbar. Obwohl die Forschung seit X- Jahrzehnten nach dem Krankheitsauslöser sucht, sind die Ergebnisse sehr bescheiden. Auch stehen nach wie vor nur Medikamente zur Verfügung, um die Krankheitsbeschwerden wie Spastik, Atemnot, ein wenig zu lindern. Die meisten von uns Betroffenen sterben immer noch nach wenigen Monaten oder wenigen Jahren nach der Diagnosestellung. Der Krankheitsverlauf ist für uns Betroffene und für unsere Angehörigen eine ungeheure Herausforderung. Nur mit unbändigem Lebenswillen ist es für uns Betroffene überhaupt möglich, den Weg mit dieser Krankheit zu bewältigen. Und das auch nur, mit Unterstützung und Begleitung durch unsere Angehörigen und durch unsere Freunde.
Wir benötigen aber auch DEINE Unterstützung. Einige Hilfsmittel, Therapien, Medikamente oder z.B. Entlastungsferien, werden von keiner Versicherung noch anderen Organisationen übernommen, was viele in finanzielle Notlagen bringt.
26. Wenn ich mit den nackten Beinen auf meinem Rollstuhlsitz festklebe, dann ist es wirklich heiss. Dann muss mein schwarzer Ledersitz und die Armauflagen mit einer saugfähigen Stoffhaut überzogen werden. Das war gestern der Fall. Bei so hohen Temperaturen kleben auch die Kleider auf der Haut, was unangenehm ist. Schnell mal unter die kalte Dusche springen, und frische Kleider anziehen, funktioniert bei uns Rolli fahrenden ALS-Betroffenen nicht. Trotzdem wollen auch wir die Sonne geniessen. Deshalb bin ich gestern, zusammen mit einer meiner Assistentinnen, auf Schiff. Während sechs Stunden liessen wir uns durch den Fahrtwind erfrischen. Bevor es dann wieder mit dem Auto nach Hause ging, bekam ich doch noch eine halbe Dusche. Eine Wohltat für die Beine. Unser Spass mit dem Wasser, inspirierte auch Andere, es uns gleich zu tun. Nach anfänglicher Scheu kühlten mir zwei kleine Mädchen mit ihren mit Wassergefühlten Händen, meine Arme, Hände, Beine und sogar die Fusssohlen. Sie machten das alles ganz sachte und mit viel Mitgefühl. Solche Gesten berühren. Wir hatten ein Riesen Gaudi unter dem wasserspeienden Stein. Meine Assistentin und die Kinder waren zum Schluss bis auf die Unterwäsche nass. So wundervoll, wenn wir das Kind in uns, in die Gegenwart mitnehmen.
JULI
2. Ich hoffe, das aktuelle TGB-Titelbild vom "Eissee" verschafft euch bei dieser Hitzewelle etwas Abkühlung. Nein, das Foto stammt nicht vom Winter, sondern vom letzten Samstag. Der Abkühlung wegen fuhren wir über mehrere Pässe. Von diesem Ausflug stammt auch das Foto vom See auf dem Grimselpass. Obwohl wir mit dem Cabriolet unterwegs waren, warm war es trotzdem. Und obwohl ich mit Sonnencreme einbalsamiert wurde, habe ich mir jämmerlich die Schultern verbrannt. Aber was soll's, schön wars. Den Wind in den Haaren und die Düfte aus der Natur in der Nase, was will ich mehr. Fast so schön, wie auf einer Harley.
5. In letzter Zeit bin ich wahrlich keine fleissige Schreiberin. Ich verbringe viel Zeit im Freien und geniesse die sonnigen Sommertage. In vergangenen Jahren schrieb ich in dieser Jahreszeit viele Tagebucheinträge auf dem Laptop im Garten. Die hohen Temperaturen und die schwülheisse Luft hindern mich jedoch daran. Die Maus schwimmt in den Händen und die Augensteuerung hat Mühe mit der Sonne und der Helligkeit. Momentan ist es auch in meinem Büro zu warm zum Schreiben. Also fasse ich mich kurz und melde mich bald wieder mit ein paar Zeilen.
7. Ich bin wieder in meinem Garten, genauer gesagt in unserer Pergola. Sie schützt mich und mein Surface vor Sonne und Regen. Das Wetter ist heute sehr wechselhaft. Wie das Wetter vor 40 Jahren war, weiss ich nicht mehr. Was ich aber noch genau weiss ist, dass ich um diese Zeit mit Wehen im Kreissaal lag. Ich war damals noch keine 18 Jahre und unverheiratet. Bei ledigen Paaren war es damals unüblich, dass der Vater des Kindes bei der Geburt, anwesend ist. Also warteten mein späterer Mann und Vater meines Kindes, bei seinen Eltern Zuhause, auf den erlösenden Anruf aus dem Spital. Mit Hilfe einer Hebamme und einem Arzt durfte ich am Samstagnachmittag dem 7.7.79 einem wunderschönen Jungen das Leben schenken. Das ist nun 40 Jahre her.
Es war für mich und den Vater meines Kindes sicher nicht immer einfach, in so jungen Jahren Eltern zu werden und für ein so kleines Wesen die Verantwortung zu tragen. Am Anfang durften wir von der Unterstützung unserer Eltern profitieren. Sie selbst haben ja sehr grosse Erfahrung mit dem Grossziehen von Kindern. Mein Mann, sowie auch ich, sind in einer Grossfamilie gross geworden. Wir Beide haben je 8 Geschwister. Eine Grossfamilie ist etwas Wunderbares. Dieses Zusammengehörigkeitsgefühl prägt mich noch heute.
Auch wenn wir damals nicht auf Rosen gebettet waren, glaube ich, hat es unserem Sohn an nichts gefehlt. Wenn andere Familien mit dem Flugi in die Ferien reisten, packten wir unser Zelt, einen Gaskocher und Lebensmittel ins Auto und machten uns auf, in südliche Gefilde. Ich denke, wir haben unseren Sohn mit viel Liebe zu einem liebenswerten und achtsamen Menschen werden lassen. Ich weiss, wir haben ihn auf einen guten Weg geschickt. Ich bin sehr stolz auf unseren Sohn.
In Anbetracht meiner Krankheit, bin ich froh, um die frühe Schwangerschaft. So begleitet mich heute mein Sohn, zusammen mit seinem Vater, durch die Krankheit ALS.
22. Ich weiss, ich habe lange nichts mehr von mir lesen lassen. Es sollte nun wieder mehr Beiträge von mir geben. Ich lag nicht etwa jeden Tag in der Sonne. An manchen Nachmittagen sass ich schweissgebadet vor dem PC und arbeitete an einer Website. Sie ist noch immer nicht ganz fertig, doch zu lesen gibt's schon was. Wenn ihr die Seite ALS-Familie anklickt, öffnet sich der Link zur Seite ALS Community Schweiz. Schaut einfach mal rein.
29. So, jetzt bin ich beim Erstellen der Webseite der ALS Community Schweiz wieder etwas weitergekommen. Das ALS-Forum ist aufgeschaltet und muss sich nun bewähren. Ich hoffe, ich habe nun wieder mehr Zeit für mich und meine persönliche Homepage. Natürlich will ich noch den Sommer ausgiebig geniessen und Rolli-Touren unternehmen. Und in die Ferien will ich ja auch noch. Also, schon wieder einiges vor.
AUGUST
1.Heute am 1. August ist der schweizerische Nationalfeiertag. Ich werde mich heute ebenfalls unters Volk mischen und mir einen typisch schweizerischen Cervelat vom Grill gönnen. Ein zünftiges Ürner Schwarzes darfs dann auch noch sein.
3. Vielleicht nimmt es euch wieder mal Wunder, wie es mir geht und was ich so treibe.
Die Krankheit ALS legt auch bei mir keine Pause ein und schreitet langsam voran. Die körperlichen Beeinträchtigungen nehmen zu und ich muss mich immer neuen Herausforderungen stellen. So habe ich immer mehr Mühe, mit der Hand, die Tetragabel auf der Rollstuhlsteuerung zu erreichen. Hier werde ich kleinere Anpassung veranlassen müssen. Das sollte kein Problem sein. Meine Lautsprache hat sich ebenfalls verschlechtert. Es wird immer schwieriger, meine Ansichten / Meinung in Diskussionen einzubringen und diese auch wortreich zu vertreten. Einige Buchstaben kann ich gar nicht mehr artikulieren. So kann ich mit der Zunge kein "R" mehr rollen. Aus rollen, wird dann eben lollen. Aber warum sollte die Krankheit ALS bei der Lautsprache halt machen? ALS-Betroffene verlieren im Verlauf der Krankheit ihre, in Kindertagen mühsam erlernten Bewegungsabläufe. Wäre da nicht unser Verstand, an dem sich die ALS die Zähne ausbeisst, könnte ich von einer Rückentwicklung schreiben. Steh-, Lauf- und Sitzunfähigkeit, Streck- und Greifunfähigkeit, Sprechunfähigkeit, Unfähigkeit über Mund zu essen und zu trinken, Spezialslips tragen oder eine andere Art den Urin aufzufangen, Abbau des Lungenmuskels. Dies ist nur ein Teil, was ALS-Betroffene im Verlauf der Krankheit erwartet.
Einige dieser Rückschritte können mit geeigneten Hilfsmitteln aufgefangen werden. Für die Symptombekämpfung, wie Spastik, Speichelfluss, Atemnot usw. kommen Medikamente zum Einsatz. Ein Heilmittel gibt es leider immer noch nicht. Und irgendwann, meistens nach 3 - 5 Jahren, mag der Körper oder der Geist, all die Strapazen nicht mehr tragen und hört auf zu kämpfen.
Meinen Einschränkungen und den Hochs und Tiefs zum Trotz, geht es mir nach wie vor sehr gut und ich habe noch immer eine riesen Freude am Leben.
5. Wir waren Dank dem verlängerten Wochenende viel unterwegs. Eine Fahrt über den Pragelpass in der Abendsonne, ein Rehabesuch in Crans Montana und Tessinbesuche mit Risottoessen auf der Piazza Grande.
Es war so schön über Berge und durch Täler zu fahren. Wenn ich so Unterwegs bin, kann ich meine Krankheit fast ganz zur Seite schieben. Ich fühle mich dadurch viel freier. Nachdem ich in letzter Zeit viel im Haus verbrachte und am PC arbeitete, genoss ich diese Ausfahrten sehr. Die Natur tut mir unheimlich gut. Für grössere Rollitouren hat es noch nicht so oft gereicht. Kleine Touren zum Dorfladen oder auf einen Schwatz zum Bauernhof meines Bruders, mussten reichen. Aber, noch eine Woche, und dann habe ich wieder viel mehr Zeit. Diese werde ich sicher nicht im Haus verbringen.
Meine Therapien werden dann ebenfalls für zwei Wochen ausgesetzt. Ich habe jeweils 1 x die Woche Physiotherapie und 1 x Ergotherapie. Ab dieser Woche habe ich zusätzlich 1 x im Monat Physiotherapie im Wasser. Morgen ist es soweit. Ich freue mich auf die Schwerelosigkeit im Wasser. Ebenfalls diese Woche, werde ich in die Uniklinik gefahren. Ich nehme dort an einer zweijährigen ALS-Studie teil.
Irgendwann, irgendwann muss doch der Ausbruch dieser Krankheit zu stoppen sein.
7. Bei meiner Reha im April, habe ich die Therapien im Wasser sehr genossen. Durch den Auftrieb im Wasser konnte ich mich viel besser bewegen. Zu spüren, dass da noch immer Muskelkraft vorhanden ist, war jedes Mal ein Aufsteller für mich. Zuhause wollte ich diese Therapieform weiterführen und suchte nach einem Therapiebad. Gestern war es soweit. Ich bekam im Kantonsspital Altdorf meine Physiostunde im Wasser. Es hat sehr gut funktioniert und man ist interessiert, das Bad mit weiteren Schwimmhilfen auszustatten. Am Abend durfte ich meine doch ungewohnten Aktivitäten nochmal spüren. Plötzlich breitete sich in meinen Körper eine wohlige Wärme aus. Meine Oberschenkel- und Gesässmuskulatur machten sich ebenfalls bemerkbar. Meine Beine wurden immer schwerer. Heute die Quittung, Muskelkater. Also, einen Berg besteigen, schaffe ich heute nicht. Entspannung und Ruhe ist angesagt. Morgen wird es wieder ein langer Tag werden. Die nötigen Untersuchungen zu einer Studie stehen an.
11. Ich liebe den Sommer. Ein Sonnentag reiht sich an den andern. Dank den warmen Temperaturen brauche ich niemanden, der mir eine Jacke anzieht. So bin ich in meinen ausser Haus Aktivitäten viel freier. Ich kann gehen und kommen wie es mir gefällt. Spontan eine kleine oder grosse Rollirunde drehen oder im Garten sitzend die Natur beobachten. Und es gibt viel zu sehen. Amseln, die den Rasen nach Futter für ihren halbwegs flügge gewordene Nachwuchs absuchen. Manchmal halten sie inne, neigen den Kopf leicht zur Seite, als würden sie lauschen, um gleich darauf mit schnellen Schritten auf einen bestimmten Punkt zuzulaufen. Dort wird der Schnabel in den Rasen gehämmert und wenn es gut geht, wird ein Erdbewohner aus dem Boden gezogen und den am Boden wartenden Jungvögeln verfüttert. In unserem Garten haben auch viele Eidechsen ihr Zuhause gefunden. Ob Gross oder Klein, sie lieben Verfolgungsrennen und das Verstecken zwischen alten Mauersteinen. Allerlei Arten von Insekten holen sich Nektar aus unserem Garten. Ich sehe es auch gerne, wenn Schmetterlinge unsere Gartenblumen besuchen. Sogar ein Falke hat sich letzthin in unseren Garten gestürzt und sich danach auf den Gartenhag gesetzt.
Zurzeit sitze ich auf unserem Balkon und schreibe diesen Tagebucheintrag. Mit der Abendtemperatur und dem sanften Luftzug ist es sehr angenehm hier zu sitzen und zu schreiben. Mit Blick in den Garten, mit Sicht auf die Bergen, die reisenden Wolken am Himmelszelt, das Gezwitscher der Vögel und die Kirchenglocken, die gerade 19.00 Uhr läuten, ist mein Zuhause.
12. Gestern wollte ich euch noch von der Studie erzählen, an der ich mich beteilige. Doch ich musste vom Balkon fliehen und mein Surface in Sicherheit bringen lassen. Aus dem lauen Lüftchen entwickelte sich innerhalb einer halben Stunde ein heftiger Sturm mit sintflutartigem Regen. Ich musste also das Schreiben abbrechen und mich ins Hausinnere bewegen. Eigentlich wollte ich schon heute Nachmittag im Tagebuch schreiben. Doch ich habe meinen PC aufgehängt. Ich war dabei, meine Festplatte zu bereinigen. Dabei habe ich gleichzeitig im Netz gesurft. Das kam wohl nicht so gut an. Für einen Neustart hätte ich aussen am Gehäuse des Surface zwei Tasten gleichzeitig drücken müssen. Das ist in Folge der fortschreitenden ALS-Erkrankung aber nicht mehr möglich. Ich durfte also auf meinen Mann warten, bis er von seiner Arbeitsstelle heimkehrt und meinen PC wieder zum Laufen bringt. Jetzt läuft es wieder. So wie man mich kennt, wird es solche Sachen immer wieder geben. Ich habe nämlich sehr gerne Ordnung. Sei es im Haushalt, rings ums Haus oder eben in meinem Büro und den Dateien auf meinem PC. Manchmal bin ich zu radikal und lösche auch mal zu viel. Ich habe nicht gerne Ballast um mich herum und auch nicht gerne in mir. Darum zwischendurch die Bereinigung.
Also, hier nun ein kurzer Beschrieb zur Studie, welche in der Uniklinik Basel durchgeführt wird.
Die Studie untersucht Veränderungen in der grauen und weissen Substanz im Rückenmark mittels Magnetresonanztomographie (MRI) über einen Zeitraum von 24 Monaten bei Patienten mit Amyotropher Lateralsklerose (ALS). Man will herauszufinden, ob es mittels MRI messbare Veränderungen des Volumens der grauen und weissen Substanz im Rückenmark bei ALS gibt. Ziel ist die Entwicklung eines messbaren Parameters, der in der Zukunft bei der genaueren Verlaufsbestimmung der ALS z. B. im Rahmen der Entwicklung neuer Medikamente helfen könnte. (Flyer zur Studie)
Dafür nahm ich 3 Stunden Reisezeit und über 3 Stunden mit Untersuchungen und Test auf mich. Ich finde es wichtig, als Selbstbetroffene an ALS Studien teilzunehmen. Ich liess es mir dann aber auch nicht nehmen, vor und nach den Untersuchungen bei zwei von ALS-Betroffenen Freunden aus der ALS-Familie vorbeizuschauen. Auch wenn ich nur kurz Zeit habe, solche Besuche sind mir sehr wichtig.
20. 🤨 Fange ich doch gleich mal wieder mit dem Wetter an. Der Sommer zieht sich langsam zurück, die Temperaturen sind gefallen und heute regnet es auch nur einmal. Wenn ihr jetzt denkt, das nasskalte Wetter zwinge mich aus den Sommerkleidern, so irrt ihr euch. Ich habe eine Wärme in mir, als würde die Sonne auf mich herunterscheinen und mich zum Schwitzen bringen. Schuld ist nicht das Wetter, sondern mein Mann. Piet hat uns heute zum Zmittag eine Pizza zubereitet. Mit Pilzen, Schinken, Tomaten, Mozzarella gut bestückt und super lecker. Wäre da nicht der viele Knoblauch und der reichlich zugegebene Pfeffer. Mit langen Kleidern wäre es mir jetzt zu warm. So muss nun die Wärme in meinem Körper, über die Sommerbekleidung entweichen. Ja, mein Mann hat mehr oder weniger Ferien. Wäre da nicht noch ich😏. Wenn Piet Ferien hat, wird gleichzeitig der Einsatz meiner Assistenzpersonen reduziert. So können wir unabhängiger und spontaner Planen und können die Zweisamkeit geniessen. In den vergangenen Jahren nahm ich jeweils in den Sommerferien, an den vom Verein ALS Schweiz organisierten ALS Ferien Woche im Tessin teil. Piet gönnte sich während dieser Zeit einige Tage auf seiner Harley. Aus diversen Gründen nehme ich dieses Jahr nicht mehr an diesen Ferien Woche teil. Ferien mit ALS-Betroffenen, mit meinen Freunden zu verbringen, wird mir fehlen. Ich trage immer noch das Freundschaftsbändeli von den letzten ALS-Ferien am Handgelenk. So sind all die schönen Erinnerungen mit all den lieben Begegnungen immer wieder präsent und ich darf von ihnen zehren. Ich wünsche allen diesjährigen Teilnehmern eine wunderschöne Zeit zusammen.
Aber was wäre ich, wenn ich nicht schon einige Ferien-Tage in der Ferne geplant hätte. Es braucht meistens etwas Überzeugungskraft, aber dann lässt sich auch mein Mann auf Ferientage ausser Haus ein. Ich kann innerhalb von ein, zwei Tagen ein Ferienziel mit einer barrierefreien Unterkunft planen und buchen. Ich bin mir bewusst, dass viele ALS-Betroffene auch gerne in die Ferien fahren möchten. Auf Grund der gesundheitlichen Verfassung, kann eine Ferienreise zu beschwerlich und mit zu viel Aufwand verbunden sein. Auch finanzielle Gründe spielen oft eine Rolle. Ich bin umso dankbarer, für meine gesundheitliche Verfassung, die mir Ferienreisen ermöglichen. Ich bin nicht Jemand der sich einsperren lässt. Ich brauche die Freiheit um Leben zu können. Ich freue mich nun, wieder einen neuen Ort kennenzulernen. Ich werde dann berichten.
21. Heute ist es wieder soweit. Der Tag, an dem ich die Diagnose bekam, von der unheilbaren Krankheit Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) betroffen zu sein. Das ist nun 18 Jahre her. Wahrlich eine lange Zeit. Eine Zeit mit vielen körperlichen Veränderungen, stetigen Anpassungen und Umstellungen, mit Abschied nehmen, Trauer und Tränen. Aber auch mit vielen schönen Begegnungen mit ALS-Betroffenen und Personen im ALS-Umfeld. Ich kann mich noch sehr gut an den ersten Kontakt mit einem ALS-Betroffenen erinnern. Walter Stahl hatte ebenfalls im August 2001 die Diagnose ALS erhalten. Leider ist es auch schon wieder 10 Jahren her, seit er seine grosse Reise angetreten hat. So musste ich in meiner ALS Zeit von vielen Betroffenen Abschied nehmen. Wie viele es sind, weiss ich nicht mal genau. Auch wenn die gemeinsame Zeit, der Krankheit entsprechend kurz war, so sind doch viele in meinen Gedanken noch präsent. Ich weiss nicht, auch die Forscher wissen nicht, wieso die Krankheit bei den ALS-Betroffenen unterschlich schnell voranschreitet. Sozusagen wissen die Forscher immer noch sehr wenig über diese verheerende, Lebenszeit raubende Krankheit. So ist es umso wichtiger, die Lebensqualität von Betroffenen und ihrem Umfeld zu stärken. Wie geht so was, wie kann man helfen und welche Angebote gibt es. Für mich sollten die Anliegen, die Wünsche der Betroffenen und Angehörigen an erster Stelle stehen. Wir Betroffene wissen sehr wohl selbst, was wir brauchen und wollen. Hierfür benötigen wir Partner, Institutionen, Vereine, welche unsere Anliegen, Wünsche und Interessen aufnehmen, respektieren und durchsetzen. Wir benötigen eine umfassende und ALS spezifische Unterstützung. Wir benötigen auf ALS geschulte Pflegekräfte, sei es für zu Hause, in Pflegeheimen oder in an anderen Wohnformen. Dies wiederum ist mit Kosten verbunden. Auch müssten alle Betroffenen, ob im erwerbsfähigen Alter oder im Pensionsalter, denselben Zugang zu Hilfsmitteln haben. Das ist in der Schweiz leider nicht so. Bei gleicher Krankheit erhalten AHV-Bezüger nur einen kleinen Teil ihrer Hilfsmittel bezahlt. Das muss anders geregelt werden, und zwar vom Bund. Bislang springen Stiftungen, Gesellschaften, Vereine usw. bei finanziellen Engpässen ein. Wenn auch du die ALS-Hilfe finanziell unterstützen möchtest, so kannst du dies mit einer Spende an den Verein ALS Schweiz oder neu und innovativ an das Caregiver-Center und an die Muskelgesellschaft Schweiz Vermerk ALS, tun.
Ist eine so lange Zeit mit ALS zu leben ein Fluch oder ein Segen? Trotz all den Beschränkungen, die mir die ALS auferlegt, ist für mich das Leben immer noch ein Segen. Wahrscheinlich auch auf Grund meines langsamen Krankheitsverlaufes, meinem mittragenden Umfeld und dem tollen Betreuungsteam. Danke euch Allen, dass ihr mich auf meinem ALS-Weg begleitet und mir die ALS tragen helft.
Zum heutigen Tag hat mir eine Person eine grosse Freude bereitet. Meine Nichte aus Canada hat mich heute Morgen besucht. Sie ging zum Englisch lernen nach Canada und ist dann gleich für immer geblieben. Das ist nun über 20 Jahre her. Sie arbeitet als Betreuerin in einem Haus, in dem drei Menschen mit einer geistigen Einschränkung leben. Sie ist eine taffe Frau, die mit beiden Beinen im Leben steht. Ich mag ihre Ansichten und ihre Einstellung zum Leben. Es tat mir gut mit ihr zu plaudern. Danke liebe Eveline. Du hast mir mit deinem heutigen Besuch, die Sonne gebracht.
22. .... und ich habe geplant und gebucht. Und schon heute Nacht schlafe ich in diesem Bett.
27. Da bin ich wieder. Ich hatte eigentlich vor, euch weitere Hinweise zu meinem Aufenthaltsort zu geben. Doch meine Homepage liess sich mehrere Tage nicht bearbeiten. Laut der Homepage Community von Swisscom, hatten andere Nutzer des Homepagetools dasselbe Problem. Dank den Technikern funktionierts nun wieder. Ich hatte ja nun freie Zeit und diese nutzte ich, die Ferienfotos zu einem kleinen Ferienfilmchen zusammenzustellen. Viel Vergnügen.
Wenn ihr mein Filmchen angesehen habt, wisst ihr, dass Piet und ich ein paar Tage in Kempten im Allgäu verbracht haben. Von dort aus machten wir Streifzüge in die nähere und weitere Umgebung. Es hat sich kulturell wie landschaftlich gelohnt, ein paar Tage im Schwabenländle zu verbringen. Diese Weite, diese landwirtschaftlichen Flächen, beeindrucken.
Als wir dann am Sonntag über Deutschland, Österreich und über den Klausenpass nach Hause fuhren, waren wir uns einig. Mit den schweizer Alpen lässt es sich schwer konkurrieren. Da trifft man auf hohe Berge und tiefe Täler. Gletscherfelder und tosende Wasserfälle. Kühe, die mitten auf der Strasse stehen und den Verkehr aufhalten. Ihnen gewährt man den Vortritt. Diese Alpen gehören den Tieren und wir haben uns ihnen anzupassen. Passend dazu war noch die Schwingfestübertragung im Radio. Wir wollten beim Schlussgang (Wicki - Stucki) eigendlich auf die Seite fahren. Doch das hat sich bei dem kurzen Gang dann erübrigt. Gölä & Trauffer
Ferien in anderen Gegenden sind etwas wunderschönes. Meine Heimat kann ich jedoch nicht verleugnen. Ich gehöre in die Urner Berglandschaft.
29. Es passiert immer wieder, dass ALS-Betroffene wegen der aufwendigen Pflege und der 24 Stunden Betreuung in ein Heim eintreten müssen. Ich bin nicht gegen Pflegeheime, die brauchen wir. Doch es müssen auch andere Wohn- und Lebensformen gefördert und finanziert werden. Es darf doch nicht sein, dass junge, von ALS-Betroffene Personen, in ein Alters- und Pflegeheim eintreten müssen, weil die häusliche Pflege nicht finanzierbar ist. Die wenigen Monate oder wenigen Jahre, die ihnen krankheitsbedingt noch bleiben, sollten sie dort verbringen dürfen, wo sie sich wohlfühlen. Zum Beispiel bei gleichaltrigen mit gleichen Interessen, gleichem Lebensrythmus. Die freie Wahl und die Finanzierbarkeit sollte genauso für jedes Alter gelten. Als ich heute wieder von solch einem Fall hörte, rührte mich dies zu Tränen. Ich weiss nicht ob aus Wut oder Trauer. In solchen Momenten frage ich mich, ob Patienten-Organisationen genug unternehmen, um ALS-Betroffene in dieser Hinsicht zu unterstützen. Ich hoffe so sehr, dass ALS-Betroffene in absehbarer Zukunft, die nötige Unterstützung erhalten.
SEPTEMBER
1. Nachdem ich heute mehr oder weniger den ganzen Tag die Sonne und die Wärme geniessen durfte, so haben mich am Abend die Regentropfen doch noch erreicht und mich ins Haus flüchten lassen. Aber das ist gut so. Die Ferien von Piet gehen heute zu Ende und auch bei mir fängt Morgen wieder der Alltag an. Das heisst bei mir, meine Assistenten kommen wieder zum Einsatz und die Therapien werden wieder aufgenommen. Es kommt eine körperlich anspruchsvolle Woche auf mich zu. Ergotherapie, Physiotherapie, Gymnastik im Wasser, Lungenfunktionstest, Besuch bei der Dentalhygienikerin und ALS-Sprechstunde in Basel. Manchmal geht es terminlich eben nicht anders. Aber das schönste was mich diese Woche erwartet, ist das Zusammentreffen mit anderen ALS-Betroffenen. Wenn ich schon den langen Weg nach Basel auf mich nehme, kann ich das Notwendige auch gleich mit einer Herzensangelegenheit verbinden.
Etwas traurig bin ich schon, meinen Schatz nun nicht mehr ständig, um mich zu haben. Waren wir doch viel zusammen unterwegs. Mit Urner-Kaffee in der Kanne, mit Käse, Wurst und Brot im Korb, das Cabriolet-Dach offen, die Sonne im Gesicht und den Wind in den Haaren, wer würde nicht gerne so durch wunderschöne Landschaften fahren. Das momentane Titelbild stammt übrigens von einem Ausflug in der französisch sprechenden Schweiz.
Nun hoffe ich einfach auf einen Indian-Summer mit bunten Blättern und gelben Nadeln der Lärchen. So hat doch jede Jahreszeit ihren Reiz.
4. Ein Flugzeug zeichnet eine rote Linie an den Himmel. Hinter den Bergen macht sich die Sonne bereit aufzusteigen. Es scheint, als würde es heute nochmal einen Sommertag geben. Ich weiss auch schon, wo ich diesen verbringen werde. In unserem Garten. Heute ist nämlich der einzige Tag der Woche, an dem ich keine Termine habe. Bevor ich mich jedoch dem Nichtstun hingeben kann, fahre ich noch schnell zum Dorfladen. Ich will die Zutaten für das heutige Mittagessen für meinen berufstätigen Ehemann und für mich einkaufen. Ich schätze das vielfältige Angebot und die regionalen Produkte dieses Ladens sehr. Für mich ist so ein Dorfladen sehr wertvoll. Hier kann ich trotz meinen Einschränkungen selbständig einkaufen. Das Verkaufspersonal kennt mich und weiss, welche Hilfe ich benötige. Auch viele der Kunden kennen mich und bieten mir ihre Hilfe an. Also bis später, ich will los.
Schön war es im Garten. Da es wahrscheinlich der letzte Sommertag in diesem Jahr war, habe ich die Sonne nochmal ausgiebig genossen. Und irgendwie gewollt, habe ich mir ein Sommersouvenir geholt. Tomätchen lässt grüssen.
Während am Morgen die Kondensstreifen der Flugzeuge rot waren, sind sie am Abend nun weiss. Die weissen Wolken vom Morgen sind hingegen nun rötlich eingefärbt. Wolken sind faszinierend. Sie sind ständig in Bewegung und verändern dadurch ihr Aussehen. Mal sind sie flach und fast durchsichtig, mal aufgebläht und schneeweiss. Am liebsten würde ich sie anfassen. Doch ich würde ins Leere fassen. Sie sind sichtbar und doch nicht fassbar. Diese dauernd wechselnden Formen und Farben, eine malerische Meisterleistung. Die Künstler: Sonne, Wind und Wasser. Im Rollstuhl sitzend, den Blick nach Oben gerichtet, beobachte ich so manches Mal das faszinierende Schauspiel am Himmelszelt.
7. Wie schon erwähnt, hatte ich diese Woche diverse Termine, die meine Gesundheit mit der Krankheit ALS betrafen. So würde bei mir nach 5 Jahren wiedermal ein Lungenfunktionstest durchgeführt. Lag das Atemvolumen vor 5 Jahren bei 50%, so sind es jetzt 34%. Da mein Lippenschluss nicht mehr alle Luft zurückhalten kann, ist das Ergebnis nicht ganz genau. Mittels Blutabnahme wurde auch noch der Sauerstoffgehalt im Blut gemessen. Mit den 97% kann ich mehr als zufrieden sein. Diese Woche fand auch die Sprechstunde mit meiner Neurologin statt. Dabei wurde ein kleiner Untersuch betreffs meiner Muskelkraft und der Reflexe durchgeführt. Therapien wurden besprochen und Medikamente angepasst. Die Sprechstunde finden im Rehab Basel statt. Eine Freundin von mir hatte an diesem Tag ebenfalls ihre Sprechstunde und eine weitere von ALS-Betroffene Freundin ist dort gerade in der Reha. So trafen wir uns jeweils zwischen unseren Terminen. Schön war es, unser Zusammentreffen.
8. Auch wenn die Krankheit ALS nicht heilbar ist und sie fortwährend voranschreitet, gibt es doch Medikamente und Therapien, welche zur Symptombekämpfung eingesetzt werden können. Bei mir kommen diverse Therapien zum Einsatz. Während sich die Ergotherapeutin um meine Hände, Arme, Schultern kümmert, so widmet sich die Physiotherapeutin um die Füsse, Beine, Rumpf, Kopf und um das Lymphsystem. Bis vor zwei Jahren hatte ich auch Logopädie. Damals ging es darum, das Artikulieren zu verbessern. Nun werde ich die Logopädie wohl wieder aufnehmen. Die Krankheit ALS hat inzwischen meine Kiefer- und Gesichtsmuskulatur erreicht. Meine Gesichtszüge verändern sich. Einst zeigten meine Mundwinkeln stets nach 🙂 und nun nach 😦 . Ausserdem beisse ich in der Nacht auf die Lippen. Die rechte untere Lippe ist ständig geschwollen und beeinflusst das Sprechen zusätzlich und auch die Essenverabreichung ist dadurch erschwert. Ein Beissring könnte eventuell helfen. Doch bei meinem vorhandenen Brechreiz nicht anwendbar. Also starte ich wieder einen Versuch mit meiner Logopädin. Vielleicht helfen eine Gesichtsmassage und die Lockerung des Kiffers. Gut für mich, alle Therapeuten kommen zu mir nach Hause. So kann ich den Aufwand so gering wie möglich halten. Nur die Wassergymnastik findet ausser Haus statt. Unsere Badewanne ist dafür etwas zu klein. Diese Woche war ich ebenfalls wieder im Wasser. Nebst der Physiotherapeutin steigt auch eine meiner Assistentinnen mit ins Wasser. Sie unterstützt die Physiotherapeutin dabei, mich in den Stand zu bringen. Ich schwimme nicht nur herum, ich stehe auch am Beckenrand und mache dort Übungen. Das schönste ist jedoch das Liegen auf dem Wasser. Bisher war ich immer stolz, nur mit einer aufblasbaren Halskrause, flach auf dem Wasser liegen zu können. Das können weder die superschlanke Physiotherapeutin noch meine superschlanke Assistentin. Hätte ich nur nicht nachgefragt, weshalb das so ist. Anscheinend hat dies Etwas mit der Körperdichte zu tun. Also: 1 Liter Wasser ist 1 Kilogramm. 1 Liter Muskelmasse ergeben ca. 3 Kilogramm. Was soviel heisst, Muskeln sind schwerer als das Wasser und sinkt im Wasser ab. 1 Liter Fett hingegen ist mit ca. 900 Gramm am leichtesten von allen dreien. Also schwimmt Fett im Wasser obenauf. Auch wenn noch weitere Faktoren eine Rolle spielen, ist die Antwort nicht gerade schmeichelhaft für mich. Ich meinte dann zur Physiotherapeutin; du willst jetzt aber nicht sagen, hier treibt ein Fettberg im offenen Bassin? Sie; so habe ich es nicht gesagt 😉 . Einige Tage später stellte sich mir die Frage, warum ich dann im Wasser ein Halskragen tragen muss und andere nicht. Ob dies womöglich mit der Hirnmasse zu tun hat? 🤔
Auch wenn ich manchmal all der Therapien überdrüssig bin, würde ich nie auf sie verzichten. Ich bin der festen Überzeugung, dass ich ohne die Therapien weitaus mehr körperliche Einschränkungen hätte.
Meine Medikamentöse Behandlung wird weiter angepasst. So bekomme ich wegen der schmerzhaften Spastik und der Sehnenverkürzung in den linken Fingern, in Kürze eine Botox-Injektion in den Armmuskel. Die KK muss jedoch noch die Zustimmung geben. Weiter nehme ich Sativa-Öl zu mir. Es lindert die Spastik und hält meinen Gemütszustand auf einem guten Level. Ich war schon immer eine Frohnatur und das will ich auch bleiben.
10. Heute war ich mit meiner Assistentin im Garten. Auch wenn es erst September ist, muss ich unsern Garten langsam für den Winter fit machen. Was so viel heisst, Sommerflor und Gehölz wird zurückgeschnitten, Gemüse und Salate im Hochbeet reduziert und die Blumenbeete von "Unkraut" befreit. Dabei kann ich nur Anweisungen geben. Selbst Hand anlegen kann ich nicht mehr. So widmete ich dem Studium der Tiere, welche uns heute im Garten besuchten. Die Nachbarskatze ist zu uns rübergekommen und sich gleich ein sonniges Plätzchen bei den Sträuchern gesucht. Die immer noch vorhandenen Blüten werden noch rege von Bienen, Hummeln und Schmetterlingen besucht. So konnte ich den Grossen Kohlweissling beobachten, wie er ständig die Lavendelstauden anflog und sich dann genüsslich am Blütennektar bediente. Ich wusste schon, dass sich viele Eidechsen in unserm Garten herumtreiben, aber gleich so viele wie heute, überraschte mich dann doch. Es war ein Gewimmel und ein Gerangel.
Ich konnte es mir zuerst nicht erklären, warum sich so viele Eidechsen am gleichen Fleck aufhalten. Bis ich im Rasen ebenfalls ein Gewusel bemerkte. Ameisen mit Flügeln haben sich aus der Erde, auf die Rasenblätter emporgearbeitet und machen sich zum Flug (Hochzeitsflug) bereit. Darauf haben die Eidechsen gewartet. Mir ihren feinen, langen Zungen wird eine um die andere Ameise vor dem Abflug geschnappt, zum Munde geführt und dann verspeist. Wahrlich ein Festessen für die Echsen. Gerade rechtzeitig, bevor es dann bald in die Winterruhe geht. Später besuchte uns auch mein Sohn mit der süssen Elly im Garten.
Sonnenschein, Besuche im Garten, Kaffee trinken, was will ich mehr. Ich hoffe, es wird noch einige dieser wunderschönen Herbsttage in "meinem" Garten geben.
18. Und es waren schöne Herbsttage, die ich geniessen durfte. Wenn es meine Therapien und Termine zu liessen, war ich natürlich Draussen. Mit meinem Rolli drehte ich kleine Runden in der näheren Umgebung oder fuhr zum See. An Freitagnachmittagen habe ich weder Therapien, noch werde ich von Assistentinnen unterstützt. Dies ist meine ganz persönliche Zeit, meine Freiheit. Wie ich diesen Nachmittag verbringe, entscheide ich jeweils ganz spontan. So habe ich mich letzten Freitag spontan entschieden, trotz fortgeschrittenem Nachmittag, einen Ausflug zu unternehmen. So fuhr ich in die Nachbargemeinde, rollte in die Luftseilbahnkabine und liess mich auf 1080 m.ü.M. den Berg hinauffahren. Oben angekommen, rollte ich noch einige Höhenmeter höher, zum Weg, auf dem die Downhillfähigkeit meines Rollstuhls zum Tragen kommen. Ähnlich einer Passstrasse, rolle ich in langgezogenen Kurven den Berg hinunter. Da diese Strasse nur von Anwohnern motorisiert befahren werden darf, gab es kaum Verkehr. Diese Ruhe, die wunderbare Fauna und Flora, der Duft des Waldes, das satte Grün der Moose und Farne, das schneeweisse Wasser der Bergbäche, und immer wieder Halt, um die herrliche Aussicht ins Tal zu geniessen. Ich liebe diese Zeit ganz allein für mich. Auch am Wochenende gings wieder in die Höhe. Mit Picknick im Auto, überquerten mein Mann und ich wieder einige Pässe. Wer weiss schon, wann der Schnee kommt und die Passstrassen geschlossen werden. Also nutzen wir den schönen Herbst und verlängern so den Sommer.
20. Es ist kurz vor Mittag und soeben hat die Sonne die Wolkendecke durchbrochen. Nun scheint sie durchs Bürofenster und einige Strahlen recken sich bis zu meinem Nacken vor. Als wollten sie mir sagen, dass heute Freitag ist und die Sonne draussen auf mich wartet, um mit mir den Nachmittag zu verbringen. Ja dann nehme ich doch diese sonnige Einladung mit Freude an. Auf geht's!
22. Bilder vom heutigen Sonntagsausflug. Urnerboden und Klausenpass
23. Bei meinen autonomen Unternehmungen, muss ich mich auf Barrieren einstellen. Insbesondere dann, wenn ich neue Routen wähle. So fuhr ich letzten Freitag wieder in eine Nachbargemeinde, rollte dort in die Kabine einer Luftseilbahn und lies mich auf 1446 m.ü.M. hochfahren. Die Bahn war schon gefüllt, da wollte eine Passagierin mit einem grösseren Hund zusteigen. Sofort ging das Gebell los. Der kleinere Hund, welcher vorher ruhig in der Kabine sass, wollte wohl seinen Platz verteidigen und wollte auf den Grossen Zulaufen. Das alles spielte sich neben und vor mir ab. Ein bisschen Angst hatte ich schon zwischen die Fronten zu geraten. Als dann der Vorschlag kam, ich solle mich mit dem Rollstuhl in die Mitte der Kabine stellen, dann wären die Hunde getrennt, schüttelte ich nur den Kopf. Die Frau und ihr wunderschöner Rüde, nahmen dann die nächste Bahn. Oben angekommen, wollte ich auf der neuen Panorama Terrasse eines Restaurants einen Kaffee trinken und die wunderschöne Aussicht ins Tal und auf den Urnersee geniessen. Ich war ja mit meinen Adventure Rollstuhl unterwegs, doch die 20 cm Absatz schafft auch er nicht. Also rechts umkehrt und über eine Schotter Piste zur zweiten Beiz. Auch diese Panorama Terrasse mit den roten Geranien am Geländer, sah sehr einladend aus. Wären da nicht die drei Stufen, hätte ich mir doch glatt ein Erdbeer-Frappé gegönnt. Da Frappé-Gläser hoch sind und das Frappé mit Trinkhalm serviert wird, hätte ich zum Trinken auch keine Hilfe benötigt. Da die die Strassen um die Seilbahn herum, eine echte Herausforderung für meinen Rolli und mich sind, nahm ich wieder das Bähnli abwärts. Jetzt weiss ich, dass ich diese Tour nicht mehr wählen muss. Trotzdem habe ich die Fahrt und die Zeit auf dem Berg genossen.
Oh, jetzt kommt mir gerade noch etwas vom letzten Freitagnachmittag in den Sinn. Auf dem Weg zur Seilstation, versperrte mir ein abgestelltes Auto auf dem Trottoir den Weg. Vom Trottoir herunterfahren konnte ich nicht, da der Rand sehr hoch war und die Strasse stark befahren. Die zurückgelegte Strecke wieder zurückfahren mochte ich nicht und rufen mit meiner Stimme konnte ich nicht. Ich wollte gerade die Polizei anrufen (fraglich ob die mich verstanden hätten), da fährt einer meiner Brüder (ich habe vier davon), an mir vorbei, kehrt, und hält auf der Strasse an. Ungeachtet der Kolonne, die sich hinter seinem Auto bildet, steigt er aus und geht auf das falschparkierende Auto zu. Im selben Moment sprintet der Autobesitzer herbei. Mein Bruder erklärt ihm klar und deutlich, was er mit seiner Gedankenlosigkeit verursacht hat. Ich bin überzeugt, dieses Gespräch wird ihn in Zukunft, vom Parkieren auf Trottoirs, abhalten. Danke Bruderherz, deine Hilfe hat mich sehr berührt.
25. Mir geht es ja gut mit meinem langsamen ALS - Verlauf. Mich bewegt und beschäftigt hingegen der zum Teil sehr schnelle ALS- Verlauf von anderen Betroffenen. Ich versuche, die mir bekannten Betroffenen, so gut es mir eben möglich ist, durch die Krankheit zu begleiten. ALS - Betroffene und deren Angehörigen erhalten nach wie vor zu wenig Unterstützung. Obwohl es Organisationen gibt, welche sich für ALS - Betroffene einsetzen, ist die Situation für Betroffene in den letzten Jahren nicht besser geworden. So müssen z.B. Betroffene immer noch in Alters- und Pflegeheime eintreten (auch junge Betroffene), wo das Pflegepersonal wenig, bis gar keine Kenntnisse / Erfahrungen über die Pflege und Betreuung von ALS - Betroffenen hat. Diese Tatsache ist weder für die Betroffenen noch für die Pflegenden angenehm. Hier wären punktuelle Schulungen für Pflegende in den bestimmten Pflegeheimen dringend nötig. Etwas besser, aber nach wie vor ungenügend, geht es Betroffenen, welche noch nicht im Pensionsalter sind. Sie können mit dem Assistenzbudget der Invalidenversicherung, Assistenzpersonen anstellen und eher Zuhause leben. Der zur Verfügung gestellte Betrag, sprich die 8 Stunden pro Tag, reichen aber logischerweise nicht aus, um eine 24 Stundenbetreuung abdecken zu können. Wenn die fehlenden Stunden nicht durch Angehörige, Freunde oder freiwillige Helfer abgedeckt werden können, bleibt nur der Gang ins Alters- und Pflegeheim, oder man nimmt vorzeitig die Abkürzung. Traurig, nicht wahr. Es dreht sich, wie so oft ums liebe Geld, um die finanzierbarkeit. Hier wünschte ich mir von Seiten der Organisationen vermehrte finanzielle Unterstützung für ALS - Betroffene und deren Umfeld. Intensivere Schulung von Pflegenden in den Heimen, den Spitex-Organisationen und den Pflegenden Zuhause. Für die Geldmittelbeschaffung wäre eine offensivere, verstärkte Informations- und Öffentlichkeitsarbeit sicher von Vorteil. Es gibt so viel, was ansteht. Wir haben in der Schweiz kompetente Personen mit langjähriger Erfahrung in der Betreuung von ALS - Betroffenen. Wenn all diese Personen, zu Gunsten von uns ALS - Betroffenen, zusammenarbeiten würden, wären wir heute schon viel weiter. Die Lebensqualität der Betroffenen würde eine Verbesserung erfahren und die eventuell geplante Abkürzung, würde allenfalls hinausgeschoben. Es gibt niemand gerne sein Leben auf. Arbeiten wir mit vereinten Kräften daran, die Lebensqualität von ALS - Betroffenen, in der ihnen noch verbleibenden kurzen Zeit, zu verbessern. Für mich als Selbstbetroffene ALS-lerin, ist es selbstverständlich, meinen Teil zur Unterstützung für andere ALS - Betroffene zu leisten.
29. Ich liebe es durch Fels und Wald zu fahren. Wenn dann noch die Sonne durch die Bäume scheint, kommen die warmen Farben, des mittlerweile bunten Laubes, besonders schön zur Geltung. Das Rascheln von Tieren im Unterholz und das Knistern der trockenen Blätter unter meinen Rollstuhlrädern verraten, der Herbst ist definitiv ins Land gezogen. Heute war wieder ein wunderschöner Tag da draussen.
OKTOBER
3. Schon gestern Abend, als ich von der Selbstvertreter*innen-Sitzung (SVURI) nach Hause kam, lag bereits der Duft von Schnee in der Luft. Und prompt, heute Morgen zeigen sich die Bergketten schneebedeckt. Die Sonne, wahrscheinlich selbst überrascht, lässt sich's aber nicht anmerken und verteidigt frohgelaunt ihren Platz am Himmelszelt. Mit einem Lachen vertreibt sie die restlichen Wolken und strahlt mit dem Weiss der Berge um die Wette. Einfach wunderschön, wie sich die Natur in den Jahreszeiten wandelt.
Da sich auch mein Garten auf kühlere Temperaturen und Bodenfrost einstellen muss, werde ich den heutigen Sonnentag nutzen und den Pflanzen im Garten helfen, sich auf den Winter vorzubereiten. Die Futterhäuschen für die Vögel müssen ebenfalls kontrolliert und allenfalls von Piet repariert werden. Die Partnerin meines Sohnes hat bereits die beiden Igelhäuschen gesäubert und befüllt und die Wildbienen-Röhrchen zur Kontrolle eingeschickt. Nun werde ich mich, zusammen mit einer meiner Assistentinnen um die Planzen kümmern. Und natürlich werde ich gleichzeitig die warmen Strahlen der Herbstsonne geniessen.
Damit auch ich mich in den kühleren Monaten so lange wie möglich im Garten aufhalten kann, hat mein Mann in den Sommermonaten unser Gartenhäuschen auf Vordermann gebracht. Die Innen- und Aussenwände wurden neu ausgekleidet und mit neuer Farbe versehen. Durch das grosse Fenster bringt die Sonne viel Wärme in den Raum und ich habe freie Sicht auf den Garten. Neu gibt es nun auch eine Türe, welche die Sonnenwärme im Raum behalten soll. Ich habe so ein Glück, dass mein Mann so ein grosses Handwerkliches Geschick hat. Er überrascht mich immer wieder aufs Neue, mit welcher Liebe er sich dem Detail widmet. Ich hoffe, ich kann noch viele Tagebuchbeiträge in unserem wunderschönen Gartenhäuschen verfassen.
9. So schön. Jetzt, am späten Nachmittag, lässt sich die Sonne doch noch blicken. Erstaunlich, nach dem regenreichen und wolkenverhangenen Tag. Interessant zu beobachten, wie sich die schweren, dunklen Regenwolken, immer mehr aus den Tälern zurückziehen und die Berge zum Vorschein kommen. Die Wolken wechseln vom düsteren Grau zu Weiss. Wobei einige auch einen Hauch von Gelb und Rot in sich tragen. Die Sonne hat die Wolkendecke aufgerissen und zum Vorschein kommt ein wunderschön blauer Himmel. Sofort wird es heller und freundlicher. Alles öffnet sich und wird leichter.
12. Das schöne Wetter hat mich auch heute wieder in den Garten gelockt. Während mein Mann die restlichen Bäume und Sträucher zurückschnitt, ging ich im Garten auf Erkundungsfahrt. Ich finde immer etwas, was sich lohnt, betrachtet zu werden. Die Eidechsen sind auch immer noch unterwegs. Während sich einige Tiere langsam in den Winterschlaf begeben, verfallen Eidechsen in die sogenannte Winterstarre. Ihre Körpertemperatur steht in Abhängigkeit zur Aussentemperatur. Die meisten werden bei Frühlingstemperaturen wieder aktiv. Ist die Kälteperiode zu lang und die Temperaturen zu tief, erwachen einige nicht mehr aus der Starre. So ein Hinübergleiten wünscht sich wohl so mancher. Heute durfte ich noch ein „Käfer“, mit einer schönen Zeichnung auf dem Rücken, beobachten. Mittlerweile habe ich mich schlau gemacht. Es handelt sich bei Ihr / ihm um eine Amerikanische Kieferwanze. Die ausgewachsenen Wanzen überwintern an geschützten Stellen und gelangen bei ihrer Suche nach einem geeigneten Platz auch mal in Wohnungen. Die Kieferwanze beisst nicht und ihre „Stinkdrüsen“ verströmen einen angenehmen, apfelartigen Duft. Ich durfte heute auch eine Grille zirpen hören. Leider habe ich, trotz langem Suchen, das „Grillenloch“ im Rasen nicht gefunden. Dafür konnte ich von „meinem“ Gartenhäuschen aus beobachten, wie sich ein Eichelhäher mit einer unserer Baumnüsse im Schnabel, kurz in unserem Garten hinsetzte. Ein Vogel mit wunderschöner Gefiederzeichnung. Mit den auf zwei Seiten liegenden Fenster im Gartenhaus, habe ich Blick in den Garten, mit den noch immer reichlich blühenden Blumen und auf die Berge und den Himmel. Einfach schön.
16. Ich habe zurzeit kaum Zeit für mein Tagebuch und somit auch kaum Zeit für meine Leser. An schönen Tagen bin ich Draussen in der sich wandelnden Pflanzen- und Tierwelt. Die farbenbracht des Herbstes trägt so viel Wärme in sich, das will ich spüren dürfen. Daneben sitze ich viel am PC und erledige so einigen Schriftkram. Ich bereite mich momentan auch am PC auf einen Kurs vor, an dem ich im Oktober und im November teilnehme. An drei Nachmittagen werde ich mich am Fachkurs für Selbstvertreter, mit dem Thema UNO-Behindertenrechtskonvension, den Menschenrechten und natürlich mit Selbstvertretung befassen. Ich bin sehr gespannt auf die Teilnehmenden und den Austausch auf gleicher Höhe. Diesen Freitag stehe ich ausserdem für ein Interview zu einer Vertiefungsarbeit über Barrieren zur Verfügung. Da meine Lautsprache von Aussenstehende kaum verstanden wird, lasse ich mir jeweils die Fragen vorgängig zukommen. So kann ich mich schriftlich darauf vorbereiten. Für ein spontanes Antworten mittels Kommunikationsgerät, bin ich und mein Sprechcomputer einfach zu langsam. Ich habe schon bei einigen Vertiefungsarbeiten mitgewirkt. Es freut mich, dass sich junge Menschen mit "Sozialen Themen" auseinandersetzen. Unsere nachfolgenden Generationen, unsere Jungen, werden sich in Zukunft sehr stark mit solchen Themen auseinandersetzen müssen. Den Satz "und hinter mir die Sindflut" will ich nicht mittragen. Wenn ich in irgendeiner Form einen Beitrag für unser Zusammenleben leisten kann, dann mache ich dies gerne.
So, jetzt ist doch ein Tagebucheintrag zusammengekommen.
21. Wenn ich etwas sehe das mir gefällt, will ich dies immer in Bild festhalten. Da ich nicht mehr selbst knipsen kann, müssen das meine Begleiter für mich machen. Das ist gar nicht so einfach. Ich habe eine genaue Vorstellung, wie ich das Objekt abgelichtet haben möchte. Als Rollstuhlfahrerin habe ich eine andere Perspektive zum Objekt als Fussgänger. Auch wenn wir alle das Gleiche betrachten, empfinden wir doch unterschiedlich. Wir sehen und fühlen unterschiedlich. Ich bin sehr froh, dass meine Begleiter auf meine Wünsche eingehen, auch wenn dies bedeutet, das Auto mitten auf der Strasse anzuhalten, um ein Foto zu knipsen. Mittlerweile machen meine Begleiter einfach mehrere Aufnahmen von einem Objekt. Zuhause sortiere ich dann das Geknipste aus und falls nötig, bearbeite ich sie am PC. Ich finde, meine Begleiter machen ihre Fotoarbeit sehr gut und es entstehen wunderschöne Bilder.
28. Obwohl ich heute übertrieben warm geduscht wurde und ich bereits zwei Therapien (Logo u. Ergo) hinter mir habe, sitze ich nun mit einem kalten Nasenspitz vor dem PC. Nachdem uns die Sonne wieder ein wunderschönes Wochenende bescherte, hat das Wetter nun gewendet und es ist merklich kühler geworden. Anscheinend hat sich unsere Heizung von den kühleren Temperaturen überraschen lassen und hat es verpasst, mehr Wärme zu produzieren. Früher, das heisst, bevor die Krankheit ALS in meinem Körper ein Zuhause suchte, ertrug ich die Kälte sehr gut. Auch jetzt noch geht es lange bis ich kalt habe. Wenn ich sie dann spüre ist es schon zu spät. In meinem Körper setzt sich ein Vorgang in Bewegung. Die Kälte breitet sich, ähnlich wie eine Brausetablette, von innen nach Aussen aus. Dieser Vorgang kann ich meistens nur stoppen, wenn ich mich mit Bettflaschen und Hirsekissen unter die Bettdecke lege. Was ich auch machen werde, sobald mein Mann von seiner Arbeitsstelle zurückkehrt. Natürlich habe ich Assistenzpersonen angestellt, doch die Assistenzstunden der IV reichen bei weitem nicht aus, um alle Stunden abzudecken. So muss ich dementsprechend mit den mir zur Verfügung stehenden Stunden haushalten, was auch bedeutet, einige Stunden auf mich allein gestellt bin. Für mich hat das Alleinsein auch seine Vorteile. Krankheitsbedingt habe viele Menschen um mich, da geniesse ich es dann zwischendurch sehr, meine Privatsphäre zu pflegen.
Ich habe mir ein sehr gutes Unterstützungs-Team von Assistenzpersonen, Spitex, Therapeuten und Freunden aufgebaut. Die meiste Unterstützung leistet jedoch immer noch mein Mann. Ohne ihn wäre das Leben in den eigenen Vier Wänden komplizierter.
Meine Assistenzpersonen zählen mittlerweile zu meinen Freunden. Wir haben viel Spass miteinander. Das fängt schon bei der Morgenpflege an. Ich mache den Transfer immer noch übers Stehen. Wobei ich manchmal wortwörtlich an eine Wand gestellt werde. Dies funktioniert auch sehr gut. Wenn aber meine Pflegeperson, wie Heute auf die Idee kommt, mir einen Witz oder etwas anderes Lustiges zu erzählen, wird’s mit dem Stehen kritisch. Ich musste so lachen, dass mein Oberkörper begann, sich nach vorne zu neigen. Ausserdem stand ich aufgrund der Lachtränen fast blind an der Wand. Wer mich kennt weiss, dass ein Lachanfall bei mir schwer zu stoppen ist. Irgendwie haben wir es dann doch geschafft, mich in den Rollstuhl zu setzen.
Wie jedes Jahr um diese Zeit, beginne ich wieder mit der Einnahme von Vitamin-D-Tropfen. Sie sollen mir die fehlenden Sonnenstunden in den Wintermonaten etwas abfedern. Damit ich gut durch die kühlere Jahreszeit komme, werde ich in den nächsten Tagen zusätzlich die Grippeimpfung machen lassen. Wenn ich an kalten Tagen nicht mit kurzen Hosen und Kurzarm nach Draussen gehe, sollte ich dann gut durch den Winter kommen.
Inzwischen ist mein Körper auch wieder auf Normaltemperatur und meine Nasenspitze freut sich darüber.
29. Apropos Spritzen; an diesem Freitag, bei uns übrigens ein Feiertag, bekomme ich meine Botox-Spritze in einen Unterarmmuskel. Dies ist ein Versuch, meine zur Faust geballten Finger wieder besser öffnen zu können. Durch Ergotherapie konnte ich bereits eine Lockerung der Finger erreichen. Dank dieser gezielten Therapie konnte ich bereits mein PC-Maus-Brettchen vom Tisch auf meine Oberschenkel ziehen. Mit dem Botox erhoffe ich mir eine langandauernde Verbesserung. Sollte noch ein Botox-Tröpfchen übrigbleiben, überlege ich mir schon mal wohin damit. 🤔.....vollere Lippen.....Mundwinkelstraffung.....oder.....🤭
NOVEMBER
2. Ich war gestern zwecks Studienteilnahme in der Rehab. Gestern war auch der Tag, an dem mir zwei Botox-Injektionen in zwei Muskelstränge im Unterarm gemacht wurden. In zwei- drei Tagen sollte ich die Finger der linken Hand wieder besser öffnen können. Ich werde dann berichten.
Wie es so ist, wenn ich in der Rehab bin, traf ich auch gestern wieder auf eine ALS-Betroffene. Sie musste in ein Pflegeheim eintreten indem schon andere ALS-Betroffene sehr unglücklich waren. Es gibt kaum Pflegeheime in der Schweiz, die sich in der Pflege und Unterstützung eines von ALS Betroffen Menschen auskennen. Meistens fehlt es schlicht weg an Pflegepersonal, um die aufwendige Unterstützung gewährleisten zu können. Oft müssen Angehörige und Freiwillige die fehlende Unterstützung erbringen. Dies ist schon lange bekannt, aber eine Verbesserung ist nicht in Sicht. Wir Betroffene und unsere Angehörigen werden im Stich gelassen. Viele meiner Betroffenen Freunde leben unglücklich und hoffnungslos in ungeeigneten Pflegeeinrichtungen und warten auf ihr Lebensende. Das ist Menschen unwürdig und verstösst gegen die UN-Behindertenrechtskonvention Artikel 19 - Selbstbestimmtes Leben und Inklusion, welche die Schweiz 2014 unterschrieben hat. Aber wie sich wehren, wenn auf Grund der Krankheit die Lautsprache fehlt und die Finger die Schreibfähigkeit verloren haben. Wie ich von Pflegeheimbewohner vernehmen musste, ist es für sie sehr schwierig, angepasste Kommunikationshilfe zu bekommen. Als Heimbewohner fällt man aus der Hilfsmittelversorgung der IV und ist auf die Hilfsmittel-Ressourcen des jeweiligen Pflegeheims und deren Gutwilligkeit angewiesen. Die Teilhabe, wie unter Artikel 9 der UN-BRK, ist somit nicht gegeben. Wir müssen endlich die Subjekt-Finanzierung zulassen. Was so viel bedeutet, dass nicht die Pflege- und Altenheime subventioniert werden, sondern der pflege- und unterstützungsbedürftige Mensch. So darf sich jeder Mensch, eine auf ihn zugeschnittene Wohn- und Unterstützungsform wählen. Die Schweiz ist so ein kleines Land. Lassen wir die Grenzen zwischen den Kantonen fallen und reduzieren den Kantönligeist für ein freies und barrierearmes Land.
Ihr habt vielleicht an meinem Schreiben bemerkt, dass ich mich mit Menschenrechten, resp. mit der UN-Behindertenrechtskonvention befasse. Wie schon mal geschrieben besuche ich den Fachkurs für Selbstvertreter*Selbstvertreterinnen "Wir vertreten uns selbst". Ich will mit diesem Kurs mein "Wissen" erweitern und dieses neu erworbene Wissen, in meine Arbeit in der Gruppe Selbstvertretung Uri einfliessen lassen. Ich erhoffe mir natürlich auch sehr, meine lieben ALS-Betroffenen Freunde besser unterstützen zu können. Sie liegen mir sehr im Herzen.
Als ich mich für diesen Kurs angemeldet habe, hoffte ich einfach, nach all den Jahren der Arbeitsabstinenz, dem Kurs folgen zu können. Dank der guten Organisation des Kurses von Sensability, konnte ich bereits vom ersten Kursnachmittag profitieren und freue mich auf den zweiten Kurs vom kommenden Freitag.
6. Am Freitag bekam ich nun zwei Botox-Injektionen in die Muskeln des Unterarms. Das Ergebnis bis jetzt; die eingerollten Finger an meiner linken Hand lassen sich besser öffnen. Die Finger stehen etwas weniger unter Spannung. Ich empfinde beim Strecken der Finger weniger Schmerzen und die Haut reisst nicht mehr so ein beim Öffnen. Ich erhoffe mir, durch die nachfolgenden Therapien zusätzliche Verbesserung erzielen zu können. Die Ergotherapeutin, die Physiotherapeutin, meine Assistentinnen und mein Mann widmen sich zurzeit vermehrt um meine Finger. Piet bekam in der Rehab extra eine Instruktion dafür. Eine bessere Armbewegung verspürte ich gestern auch beim Schwimmen. Ich habe es gestern im Wasser wieder sehr genossen. Körperbewegungen sind möglich, die im Trockenen nicht mehr praktizierbar sind. Der Aufwand für die Therapie im Wasser ist erhöht, doch darauf verzichten möchte ich nicht mehr. Ich kann abschalten und entspannen.
9. Die terminreichen Monate Oktober und November hängen an und hinterlassen positive und weniger positive Spuren. Gestern fand der 2. Kurstag "Wir vertreten uns selbst" für Selbstvertreter*innen statt. Auch dieser Kurstag war wieder sehr interessant und aufschlussreich. Ich durfte wieder einiges dazulernen und dadurch an Wissen gewinnen. Der Kursnachmittag war mit Informationen prall gefüllt und vielmehr hätte ich gar nicht mehr aufnehmen können. Für die Kursteilnahme und die Wegstrecke investierte ich gestern wieder an die 10 Stunden. Ich war dann so müde, so geschafft, dass ich, kaum Zuhause, sogleich mein Bett begrüsste und mich kurz mit Träumen befassen durfte. Ich bin auch heute noch sehr müde, was eben zu dem weniger Positiven vom Kurs zählt. Trotzdem bin ich sehr froh, dass ich an diesem Kurs teilhaben darf. Damit ich diese kräftezehrende Zeit durchstehen vermag, lege ich nun auch unter Tag Ruhe- und Schlafphasen ein. Es gibt noch so viel Interessantes zu lernen, noch so viel zu entdecken. Die Sichtweisen anderer kennenzulernen und darüber hinaus neue Erkenntnis für mich selbst zu gewinnen ist sehr spannend für mich. Die Lebensjahre sind allgemein zu kurz bemessen und die Zeit hastet zudem viel zu schnell voran. Jeder sollte solange leben dürfen wie er möchte. Ich selbst will noch so vieles sehen, schmecken, riechen, hören, spüren, fühlen, erleben und agieren. Liebe Zeit, lass mir Zeit.
11. Ich bin mittlerweile ausgeruht und wieder voller Energie. Diese Woche kann ich etwas ruhiger angehen. Ich habe diese Woche nur eine einzige Therapie und diese habe ich bereits heute Nachmittag absolviert. Vielleicht lässt das Wetter sogar eine kleinere Rolli-Tour zu. Eine Fahrt durch das Reuss-Delta würde mir gefallen. Auf die im Wandel der Jahreszeit befindenden Flora und Fauna zu treffen, würde mir sehr gefallenen. Meinen Lieblingsplatz habe ich schon länger nicht aufgesucht. Am See ist es immer etwas kühler und ich mag es gar nicht, dick eingepackt zu sein. Ich habe mir aber vor Kurzem, vorsorglich einen Nase-Mund-Schutz zugelegt. Ich wäre also bereit für eine Fahrt am See. Liebe Sonne, du auch? Machst du mit?
Heute, kurz vor Mittag, durfte ich mit einer Wolldecke versehen, die Sonne auf dem Balkon geniessen. Mir tun diese natürlichen Vitamin D Einheiten sehr gut. Natürlich zogen die schneebedeckten Berge meine Blicke auf sich. Auch die Alpendohlen vermochten mit ihren lauten Stimmen, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Am letzten Donnerstag kamen sie aus den Alpen zurück, um den Winter bei uns im Tal zu verbringen.
12. Zum See habe ich es heute nicht geschafft. Es war mir schlichtweg zu kalt. Dafür war ich kurz im Garten. Es erstaunt mich, wie farbenfroh sich die Blumen immer noch zeigen. Sogar die Lavendelstauden tragen noch ihre lavendelfarbigen Blüten. Insekten, welche sich an den Blüten laben, habe ich heute keine gesehen. Wie die Eidechsen, werden auch viele Insekten den Winter an einem geschützten Ort verbringen. Einige Insektenarten sterben am Anfang der Kälteperiode. Damit ihre Art bestehen bleibt, legen sie Eier ins Erdreich oder in geschützte Ritzen. Die Honigbienen sterben nicht und machen auch keinen Winterschlaf. Sie bleiben einfach in ihrem Bienenstock und schlemmen von ihren Honigvorräten. Ich mag Honig auch. Ich ziehe jedoch den aus Birnen gewonnene Honig dem Blütenhonig vor. Vielleicht sind die Honigbiene und ich deshalb Freunde. Machst du mir nichts, mach ich dir nichts.
16. Gestern Abend, als ich hätte schlafen sollen, (gell gut geschriebener Satz) kam mir plötzlich in den Sinn, dass ich doch im November ein kleineres Jubiläum zu feiern habe. Und tatsächlich, heute vor 10 Jahren habe ich meine Homepage online gestellt. Ich hätte nie gedacht, dass ich es schaffe, meine HP so lange am Leben zu halten. Mit was ich auch nicht rechnen durfte, nach dieser Zeit noch am Leben zu sein.
Ich kann mich noch gut erinnern, wie zaghaft und unwissend ich mit dem Aufbau meiner Homepage begonnen habe. Ausser einigen PC-Kenntnissen vom Job her, kannte ich mich mit dieser Materie nicht aus. Da viele Anleitungen in englischer Sprache geschrieben sind und ich dieser Sprache nur begrenzt mächtig bin, war dies noch eine zusätzliche Herausforderung für mich. Wegen meiner fehlenden Anwender- sprich Programmierkenntnisse, habe ich mich damals für ein Baukastensystem entschieden. Was so viel heisst, eine Grundstruktur ist vorprogrammiert und ich kann unterschiedliche Elemente zusammenstellen und diese mit Text, Bildern, Musik, Links usw. füllen. Ähnlich einem Hausbau. Wieviel darf das Haus kosten, wieviel Platz steht mir zur Verfügung, wo sollen die Kinderzimmer, das Bad, usw. hin, welche Grösse sollen die einzelnen Räume haben, liegen noch Extras drin? Nach einigen Jahren muss vielleicht noch zusätzlicher Raum geschaffen werden und der Ausbaustandart wird erhöht. Aber auch Reparaturen und Renovationen gehören zum Gebäudeunterhalt. Wie auch bei einer Homepage. So in etwa hat der Aufbau und die Erweiterungen meiner Homepage im Laufe dieser 10 Jahre stattgefunden. Der Bewegrund eine eigene Homepage zu erstellen war, auf die Krankheit Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) aufmerksam zu machen und den Betroffenen und deren Umfeld das Gefühl zu geben, Ihr seid NICHT allein. Das gilt für mich auch nach 10 Jahren noch so.
Ein grosser Dank gilt euch liebe Homepage-Besucher. Nur dank eurem Interesse an der Krankheit ALS, macht es Sinn, diese HP weiter zu betreiben. Mir macht es Freude, euch von meinem Alltag mit der herausfordernden und kräftezehrenden Krankheit zu berichten.
Sofern ich nicht zu müde bin, werde ich Morgen weiterschreiben. Jetzt gehe / fahre ich an die Klassenzusammenkunft. Dort werde ich einen auf uns Alle heben (alkoholfrei natürlich). Schliesslich habe ich ein kleines Jubiläum zu feiern. PROST und vielen DANK treue Homepage-Besucher.
17. Ich bin heute tatsächlich müde. Es wurde gestern aber auch spät, oder anders ausgedrückt, es wurde heute früh. Trotzdem, Sound auf und los gehts. Schliesslich habe ich heute vor 10 Jahren meinen ersten Tagebucheintrag geschrieben. Ich weiss nicht, wie viele Beiträge es inzwischen sind. Dies ist aber auch nicht wichtig. Manches, was ich geschrieben habe, ist belangloses Zeug, anderes tiefgründig und zum Nachdenken anregend. Die Beiträge sind der jeweiligen Situation geschuldet. Ich denke, meine Leser bekommen meine guten Phasen und weniger guten Phasen auch mit. Langjährige Leser werden inzwischen auch zwischen meinen Zeilen lesen können. Am liebsten würde ich natürlich nur von schönen Erlebnissen berichten, doch auch bei mir scheint nicht immer die Sonne. Ich wollte schon zwei- dreimal aufhören mit den Tagebuchbeiträgen und meine HP schliessen. Aber irgendjemand oder irgendetwas hielt mich davon ab und so legte ich lediglich ein paar kleinere Schreib-Pausen ein.
Ihr liebe Leser, zeigt mir immer wieder euer Interesse an meinen Tagebuchbeiträgen, meiner Homepage, welche sich mit dem Thema Amyotrophe Lateralsklerose befasst. Im Durchschnitt sind täglich 25 Personen auf meiner Homepage unterwegs. Und dies ist für mich immer wieder die Motivationsspritze, mich nicht nur schriftlich zu äussern, sondern mich auch persönlich für die Anliegen und Bedürfnisse von ALS-Betroffenen und deren Umfeld einzusetzen. Auf diese Weise, leistet ihr liebe Leser, indirekt einen Beitrag für uns ALS-Betroffene und unsere lieben Angehörigen. Dafür nochmals vielen 💚 DANK.
23. Durch meine eigene ALS-Erkrankung, komme ich mit vielen ALS-Betroffenen, ihren Angehörigen, ihrem Umfeld in Kontakt. Da unsere Krankheit nach wie vor nicht heilbar ist und nach wenigen Jahren nach Diagnosestellung zum Tode führt, heisst das für mich mit einem sehr langsamen Verlauf (18 Jahre), immer wieder Abschied nehmen zu müssen, von liebgewonnen Freunden. Dem Tod durch die Krankheit ALS, geht ein extremer Leidensweg voraus. Nicht nur körperliche, auch Psychische und Finanzielle Probleme zeichnen den Weg mit ALS. Ich sehe so viel Verzweiflung, Ausweglosigkeit, Traurigkeit bei den Betroffenen. Es hapert noch gewaltig an Unterstützung, sei dies im Bereich Wohnen, Pflege, Hilfsmittel, finanzielle Unterstützung, Anlaufstellen, Öffentlichkeitsarbeit und noch vieles mehr. ALS-Betroffene ergeben sich nicht einfach ihrem Schicksal, wir kämpfen. Diese Gegenwehr verlangt Energie. Doch irgendwann reichen die Kräfte nicht mehr aus. Man will dieser ausweglosen Situation entfliehen. Man will nur noch loslassen und gehen.
Trotz all der Hindernisse gebe ich nicht auf, mich für die Bedürfnisse von ALS-Betroffenen, ihren Angehörigen und den Hinterbliebenen einzusetzen. Mit dem Motto "Die Hoffnung stirbt zuletzt" gehe ich diesen Weg.
25. Am Freitag nahm ich wieder am Fachkurs «wir vertreten uns selbst» für Selbstvertreter*innen teil. Wie bei den zwei vorhergehenden Kurstagen setzten wir uns auch dieses Mal wieder mit den Menschenrechten und der Behindertenrechtskonvention auseinander. Durch die vielfallt der Behinderungsarten der Teilnehmenden entstanden interessante Diskussionen. Auch wenn ich mich in das Thema Behindertenrechtkonvention noch weiter vertiefen muss, gehe ich gestärkter meiner Wege. Nur wer seine Rechte kennt, kann diese für sich und andere Betroffene einfordern. Ich bin sehr froh, diesen Kurs besucht zu habe. Ich durfte auch viele neue Kontakte knüpfen, auf die ich falls nötig, zurückgreifen kann. Jetzt habe ich wieder mehr Zeit und vielleicht liegt doch ein auswärtiger Christkindelmarkt drin
30. Ich glaube, ich habe schon immer gern und oft gelacht. Durch die ALS wurde dies noch verstärkt. Nicht nur das Lachen auch das Weinen und Gähnen hat sich durch die ALS verstärkt. Dieses Symptom wird Affektlabilität genannt. Nicht das ich öfters lache und weine als Früher, die Intensität hat sich verstärkt. Einmal angefangen, kann ich nur schwer aufhören. Mag ja lustig und ansteckend sein. Wenn das Lachen unpassend einsetzt, kann es peinlich werden. So passiert bei einer Verabschiedungsrede, bei der sich ein Tischnachbar mit einem für sich wohltuenden Geräusch ungewollt bemerkbar macht und mich zwingt, lauthals loszulachen und somit die Rede störe. Ich habe mich dann nach Ende der Rede erklärt. Natürlich ohne den Grund meines Lachanfalls zu nennen. Ein roter Kopf reicht und das ist meiner. Da ich mich nicht gerne in solche Situationen begebe, diesen aber nicht immer ausweichen kann, muss ich mir mit einem Beruhigungsmittel behelfen. So konnte ich am Mittwoch auch den humorvollen Film "Verstehen sie die Béliers", zum Tag der Menschen mit Behinderungen, im Kino anzuschauen. Ausser ein paar Lachspitzen hatte ich mich gut unter Kontrolle. Lachen ist nicht immer nur lustig.
Gestern hatte ich trotzdem wieder viel Spass an der Handicap-Messe in Luzern. Ich war mit einer Assistentin und zwei Kolleginnen aus der Gruppe Selbstvertretung Uri dort. Wir konnten Hilfsmittel ausprobieren, haben Sport gemacht, mit Standbetreibenden informative Gespräche geführt und sind auf bekannte Gesichter getroffen. Am Abend schauten wir noch kurz bei der Party Swiss Handicap Night vorbei, bevor es in strömendem Regen nach Hause ging.
DEZEMBER
1. Früher, als ich meine Arme und Hände noch besser einsetzen konnte, habe ich unser Adventsgesteck selber hergestellt. Mal war es ein Kranz, mal ein Gesteck. Obwohl ich nicht so Bibel treu bin, ist es mir wichtig, bestimmte Traditionen aufrecht zu erhalten. Ich picke mir aus den verschiedenen Glaubensrichtungen jenes heraus, was mit meiner Lebens- und Weltanschauung übereinstimmt. Manchmal muss ich eine wunderschöne Tradition etwas zurechtbiegen, damit ich sie mittragen kann. Wie könnte ich also die Adventszeit mit den wärmenden Lichtern nicht mögen. Damit ich die Tradition mit den 4 Kerzen weiter aufrechterhalten kann, stellt uns meine Schwester Bernadette seit Jahren immer wieder ein fantasievolles Adventsgesteck her. Pünktlich für den 1. Advent, wurde er gestern vorbeigebracht. Sieht wieder wunderschön aus.
Allen eine von wärmenden Lichtern begleitende Adventszeit.
4. Der Nebel lichtet sich und der Blick in die Ferne wird frei. Wunderschöne, weissüberzogene Berge kommen zum Vorschein. Die Sonne lässt den Schnee strahlen. Ob ich es wagen soll, kurz in den Garten zu fahren. Wie kalt es wohl ist? Hmm 🤔 probiere es mal........
Ich war im Garten und ja, es war kalt. Nicht mal ein Vogel hat sich im Garten blicken lassen, geschweige, mir ein Liedchen geträllert. Es ist ruhig geworden im Garten. Die Eidechsen, die Bienen, Schmetterling und co., halten sich in ihren geschützten Behausungen auf. Ich mag ihnen diese Ruhe gönnen. So durfte ich ihr emsiges Treiben während den wärmeren Monaten bewundern. In eine Decke gehüllt, konnte ich dann doch für kurze Zeit, die Strahlen "meiner" geliebten Sonne geniessen.
5. Obwohl ich nicht gerne kalt habe, zieht es mich auch im Winter in die Berge. So fuhren wir heute bei schönstem Sonnenschein und stahlblauem Himmel über den Flüelapass und den Ofenpass in den Vintschgau. Ich war froh, um die Heizung im Bus. Das Temperaturen gingen schon mal auf - 4 Grad runter und die Passstrassen waren mitunter vereist. Da mein Mann ein versierter Passstrassenfahrer ist, hatte ich auch keine Bedenken, auf dieser Route an den Meraner Weihnachtsmarkt zu fahren. Ja, es hat sich tatsächlich ein Zeitfenster aufgetan, sodass ich jetzt doch zu "meinem" Weihnachtsmarkt Besuch komme.
Ich freue mich durch die Weihnachtsbuden zu schlendern und von Köstlichkeiten zu naschen. Auch der Besuch der weihnachtlich dekorierten Altstadt lassen wir nicht aus.
Zum Aufwärmen gibt es an jeder Ecke Glühwein oder Punch mit diversen Aromen. Da unser Hotel nahe dem Zentrum liegt, kann ich auch jederzeit ins Hotel zurück um mich Aufzuwärmen.
7. Ich bin sehr glücklich, kann ich trotz meiner Krankheit der ALS, noch immer solche Reisen unternehmen. Ich weiss sehr wohl, wie privilegiert ich vielen andern ALS-Betroffenen gegenüber bin. Auch wenn es manchmal nur wenige Tage sind, so kann ich mir selbst das Gefühl vermitteln, ich wäre auf einer grossen Reise. Ich sehe so vieles was verdient, genauer betrachtet zu werden. Wenn das sogenannte Grosse nicht mehr erreichbar ist, so liegt doch vieles im Kleinen verborgen. Mit dem Blick fürs Detail und ein wenig Fantasie, finde ich die grosse Welt auf kleinstem Raum.
Bei herrlichem Wetter durften wir heute wieder die Heimreise antreten. Mit lichtvollen Erinnerungen und mit Passstaubspuren am Auto sind Piet und ich einige Stunden später, wieder wohlbehalten Zuhause angekommen.
14. Mein Herz ist voll von wunderschönen Erinnerungen vom heutigen Nachmittag. Ich durfte inmitten von Freunden den Stammtisch der ALS Familie erleben.
15. Ein Stammtisch-Gedanke «Wenn aus Freunden, Familie wird»
17. Würde ja gerne Schreiben, doch seit Sonntag lässt mich mein Mausklickfinger etwas im Stich. Es ist momentan schwer, meinen linken Zeigefinger dazu zu bewegen, auf die Maustaste zu drücken. Er gibt sich weiss Gott Mühe, doch die nötige Kraft fehlt. Auch das Malen ist schwieriger geworden. Darum habt Geduld und hofft mit mir, dass dieser Kraftverlust vorübergehend ist. Ansonsten in Zukunft alles mit der Augensteuerung.
Zum Glück werden die Ohren von der ALS verschont. Hören - Zuhören geht also bis zum Schluss.
21. Meinem Klickfinger gehts mal besser mal schlechter. Die selbstgestalteten Weihnachts- Neujahrskarten, konnte ich jedoch rechtzeitig fertigstellen und zur Post bringen. Für die Weihnachts- Neujahrskarten, welche ich übers Netz verschicke, verwende ich Fotos, die eine meiner Assistentinnen in meinem Auftrag aufgenommen hat. Dabei habe ich mich auf die unterschiedlich geschmückten Weihnachtsbäume in einem Einkaufscenter konzentriert. Danach, bei der Durchsicht der Bilder, habe ich nach dem Sujet-Arrangement gesucht, welches dem jeweiligen Baum die Aura verleiht. Ich habe dann Ausschnitte zugeschnitten und daraus Karten mit Text hergestellt. Dabei konnte ich mich kaum für ein Sujet entscheiden. Ich habe in jedem Ausschnitt eine Botschaft gefunden. Ich bin so froh, dass ich mit etwas Unterstützung und der Technik, weiter meine Kreativität ausleben kann.
Finger braucht kurz Pause ......................
Nun steht auch bei uns ein Tannenbaum in der Stube. Wie jedes Jahr, hat Piet den einheimischen Baum wieder wunderschön geschmückt. Anhänger aus Holz, Stoff, Draht, goldenen Sterne, cognacfarbige Kugeln, Schleifen und Kerzen, hängen an unserem Weihnachtsbaum. Die gewählten Farbtöne verbreiten Wärme und Geborgenheit in unserer Stube.
Finger braucht kurz Pause ......................
Weisse Weihnachten wird es wohl auch dieses Jahr nicht geben. Der Föhn lässt nicht zu, dass die Temperaturen fallen. So können sich aus den gelegentlich fallenden Niederschlägen auch keine Schneeflocken bilden. Die trockenen Temperaturen haben auch Vorteile. So fuhr ich diese Woche an den See. Nebst der wunderschönen Landschaft traf ich auf Schwäne, Enten, Möven und Bachstelzen. Ich wollte es nicht wagen, meine Füsse wie die Wasservögel, im See zu baden. Dafür war das Wasser doch winterlich kalt.
23. Eins zurück und eins vor und eins in der Mitte. Gestern waren Wintersonnenwende und somit der kürzeste Tag des Jahres. Gleichzeitig ist es auch der Winteranfang. Das weisse Gold dürfte nun gerne vom Himmel fallen. Ein flockig glitzernder Überzug übers ganze Land, würde dem morgigen 24-sten Tag im Dezember, noch eine besondere Aura verleihen. Bei warmem Kerzenlicht, hinter den Fensterscheiben, den herabschwebenden Schneeflocken zuzuschauen, wäre doch Geschenk genug.
Dieses Jahr könnte sich auch mein Mann wieder über den Schnee im Tal freuen. Über 20 Jahre lang, musste er zu jederzeit ausrücken, um Gehwege und Einfahrten freizumachen. Diese Ära ist nun vorbei. Diesen Winter wird er mit mir hinter den Fensterscheiben sitzend die Schneeflocken zählen und einen Punch trinken.
28. Wie sollte ich mich nicht nach Wunder sehnen, wenn ich von einer unheilbaren Krankheit betroffen bin. Ich warte nicht auf ein Wunder aus dem Himmel. Wenn die Wissenschafter bei ihren Forschungen ein Heilmittel gegen die Krankheit ALS finden würden, wäre dies ein Wunder für mich. Obwohl es mir besser geht als vielen anderen ALS Betroffenen, fühle ich mich oft eingesperrt. Schon viele Jahre hält mich die ALS gefangen. Gerade gestern habe ich meinen Mann gefragt: "Was meinst du, werde ich jemals wieder laufen können?". Ihr merkt, auch wenn ich einen langsamen Krankheitsverlauf habe, so hoffe ich immer noch auf eine Heilung. Wie schön, könnte ich tanzend ins Neue Jahr wechseln. Mit etwas prickelndem im Glas und einen Glückwunsch aussprechend, anzustossen, würde mir gefallen. Wie ich es vermisse, meine Arme liebevoll, um Menschen zu legen, sei es, um Trost zu spenden oder einfach aus Liebe. Für all dies und noch viel mehr, will ich an Wunder glauben.
Auch wenn es nicht oft vorkommt, kenne ich die Melancholie. Trauer und Zorn sind mir ebenfalls bekannt. Das diese Gefühle von kurzer Dauer sind, ist nicht nur für mich beruhigend, mein Umfeld profitiert ebenfalls von meinen guten Gefühlen.
29. Zorn ist eigentlich das falsche Wort. Auch die Aussage, dass einige von uns ALS-Betroffene im Laufe der Zeit böse werden sollen, will ich nicht so stehen lassen. Vielfach ist es die Frustration, in einer Situation gefangen zu sein, welche uns in diesen Gemütszustand versetzt. Nichts an der gegenwärtigen Situation ändern zu können, macht hilflos. Ausgeliefert zu sein, der Situation nicht entfliehen zu können, fördern mitunter weniger gute Gefühle zu Tage. Viele sehen in solchen Momenten oft nur den zornigen, verbitterten Menschen vor sich und schauen der einfachheitshalber weg. Haben wir es verlernt hinzusehen, oder haben wir Angst, uns der Situation zu stellen? Es ist für Nicht-ALS-Betroffene auch kaum nachvollziehbar, was in einem von ALS-Betroffenen Menschen vorgeht. Sich seiner Hilflosigkeit und die daraus resultierende Abhängigkeit bewusst zu sein, prägt unser Leben. Dass wir uns mit der Zeit verändern und wir uns anders präsentieren als in früheren Jahren, darf darum auch nicht erstaunen. Seiner Freiheit beraubt zu sein, hinterlässt Spuren auf der Seele. Trotzdem, wir die von ALS-Betroffene Menschen, raffen uns jeden Tag aufs Neue auf, um dem Leben eine Chance zu geben.
30. Melancholie bedeutet für mich als ALS-Betroffene, das Sehnen nach verloren gegangenem. Erinnerungen aus der Zeit, als die ALS noch kein Thema war. Die Unbeschwertheit, dass es für alle Probleme im Leben eine Lösung gibt. Nicht ahnend, dass mir einmal die Hände gebunden werden und ich das Problem nicht lösen kann. Ja, manchmal wünschte ich mir die kindliche Naivität zurück. Nicht wissend, nicht interessiert was das Leben für mich bereithält. Wie sollte ich auch, bei meiner wunderschönen Kindheit. Melancholie lässt aber auch Tagträume zu und die kreative Seite tritt in den Vordergrund.
Wie alle ALS-Betroffenen, bin auch ich durch die ALS Erkrankung auf fremde Hilfe angewiesen. Abhängig zu sein von anderen Menschen, von Behörden, Organisationen, der Medizin, damit klar zu kommen ist nicht immer so einfach. Die Pflege und die persönliche Unterstützung ist dabei eine grosse Herausforderung und birgt ein grosses Konfliktpotential. Pflegefachpersonen haben oft ihre Standartabläufe. Diese entsprechen nicht immer den Vorstellungen des Pflegeempfänger und müssen angepasst werden. Funktioniert, solange der Pflegeempfänger seine Wünsche selbst Lautsprachlich äussern kann. Geht die Kommunikation über Drittpersonen, wird es schon etwas schwieriger. Wenn dann die Pflegepersonen dauernd wechseln, ist man dauernd am neu erklären. Das ist für alle Beteiligten frustrierend und ermüdend. Dass man als Pflegeempfänger dabei ab und an ausflippt, kann wohl jeder nachvollziehen. Wenn man dann noch zu Ohren bekommt; dem kann man nichts recht machen, er nörgelt an allem herum und wird dazu noch laut, macht man sich als Pflegeempfänger schon seine Gedanken. Ein Gefühl der Undankbarkeit bis hin zur Kapitulation macht sich breit. Ein grosses Konfliktpotential birgt auch vom eigenen Partner gepflegt zu werden. Klar ist es praktisch und die Flexibilität ist gross zu schreiben. Doch auch bei der Pflege durch den Partner kommt es zu Konflikten und diese darf man nicht unterschätzen. Ob ich mich mit Tränen oder mit lautstarken Äusserungen an eine fremde Pflegeperson oder an den Partner wende, macht viel aus. Betroffene kennen diesen Dialog sicher alle. Ich "Jetzt habe ich es doch schon so oft gesagt, ich will, dass es so gemacht wird." Er "Ich habe es doch wie immer gemacht". Ein Wort oder ein "böser" Blick ergeben das andere und ..... ungute Stimmung im Haus. Im Wissen, den Partner zu verletzen, der alles Versucht, um allem gerecht zu werden, beschämt und macht traurig. Ich bin sehr froh, kann ich meinen Mann durch den Einsatz von Assistentinnen und durch die Spitex entlasten. Damit verkleinern wir die Konfliktzonen.
Warum schreibe ich das eigentlich alles. Nicht, weil ich mich gerade mit einem Blues auseinandersetzen muss. Ich will den ALS-Betroffenen und ihren Angehörigen zeigen, dass auch bei mir nicht immer alles rund läuft. Ich/Wir müssen uns genauso mit den gleichen oder zumindest ähnlichen Problemen wie viele andere ALS-Betroffene und Angehörige auseinandersetzen und stossen oft auch an unsere Grenzen. Wir kämpfen alle einen heldenhaften Kampf und da muss man auch Niederlagen einstecken und verdauen können.
Bis jetzt können wird den Kampf mit der ALS nicht gewinnen. Wir können ihr dennoch einiges entgegensetzen. Durch angepasste Hilfsmittel können wir unsere körperlichen Beeinträchtigungen etwas wettmachen. So leisten Kommunikationsgeräte wertvolle Hilfe gegen die "Sprachlosigkeit". Aber was ist mit den Beeinträchtigungen im Innern von uns? Gibt es dafür auch Hilfsmittel? Das Beste und das wahrscheinlich Wirkungsvollste ist Marke Eigenbau. Direkte Gespräche mit Selbstbetroffenen und die Teilnahme an Selbsthilfegruppentreffen können dabei wertvolle Unterstützung bieten. Ich finde es wichtig, ein Gegenüber zu haben, das weiss wovon ich spreche. Jemand, der meine Gefühle, Ängste, Trauer nachvollziehen kann. Der diese Gefühle kennt, weil er diese selbst durchlebt. Es gäbe noch diverse andere Hilfen zur Krankheitsbewältigung. Schlussendliche muss sich doch jeder selbst mit seiner Krankheit, mit seinem Leben auseinandersetzen und zu seinem Seelenfrieden finden.
Wer weiss, vielleicht finde ich mal Antwort auf Fragen wie; Warum ist ein Leben so kurz, warum müssen wir dann auch noch mit Krankheiten leben? Wo beginnt das All, wo endet es? Viele, viele offene Fragen.
Vielleicht wissen inzwischen diejenigen die Antworten, welche uns dieses Jahr, aufgrund der ALS-Erkrankung, verlassen mussten. Trotz der Realistin in mir, gebe ich die Hoffnung auf Heilung nicht auf. Vielleicht gebt ihr mir mal einen Tipp, wo auch immer ihr seid.
Auch wenn sie nicht mehr sichtbar unter uns weilen, werden sie doch immer Teil der ALS-Familie bleiben.
31. Es hat noch etwas Platz auf der letzten Tagebuchseite vom Jahr 2019. Das letzte geschriebene Wort kommt mit wenigen Buchstaben aus. Umso wichtiger ist mir seine Bedeutung. Es gibt Menschen, auf die ich mich stehts, verlassen kann. Sie helfen mir durch meine Krankheit und sind stets an meiner Seite, wenn ich sie brauche. Sie stützen mich, wenn ich zu Fallen drohe und geben mir Rat, wenn ich nicht weiterweiss. Sie ermutigen mich, meine Träume, meine Wünsche und meine angestrebten Ziele zu verfolgen. Und dies, obwohl Sie selbst kein einfaches Jahr hinter sich haben. Für alles was Sie für mich tun und für die Liebe, welche sie mir entgegenbringen, gehört das letzte Wort in meinem Tagebucheintrag 2019, meinem Mann Piet und meinem Sohn Peter.
D A N K E