JANUAR 2000
2. Leute, das neue Jahr fängt ja schon mal gut an. Ich lauf/roll ihm schon hinterher. Trotzdem freue ich mich auf ein ereignisreiches Jahr. Mir schwirren wieder tausend Ideen im Kopf herum, die nach Verwirklichung schreien. Zuerst muss ich jedoch das alte Jahr beenden. Was so viel heisst; alle Excel-Tabellen für die Assistenzstundenabrechnungen aufs neue Jahr datieren. Sozial- und Steuerabzüge der Assistentinnen bei der Ausgleichskasse einreichen, Mitarbeitergespräche planen und vorbereiten, Ferienplan der Assistentinnen erstellen und noch diverses mehr. Ich bin so froh, kann ich diese Arbeiten mehr oder weniger immer noch selbst erledigen. Einige dieser Arbeiten waren Bestandteil meiner beruflichen Tätigkeit. Ich bin froh, konnte ich einiges in meinen ALS Alltag hinüberretten. Dabei vergesse ich auch nicht, zwischendurch mit der ALS Familie zu chatten. Jetzt, nach einem Tag am PC, gönne ich mir wieder etwas Musik.
Von meinen Vorsätzen, meinen Träumen, meinen Wünschen, meinen Ideen und meinen Visionen werde ich dann später berichten.
7. Ich besuche des Öfteren ALS-Betroffene in Pflegeheimen, Spitälern oder auch einfach mal Zuhause. Auch wenn die Besuche manchmal nur eine halbe Stunde dauern, denke ich, diese Besuche sind wichtig und werden geschätzt. Ich mache dies auch sehr gerne und ist für mich eine Herzensangelegenheit.
Da ich nicht gerade zentral wohne, sind es oft lange Wege, welche ich für die Besuche zurücklege. Das macht mir keineswegs was aus. Es hindert mich jedoch daran, ALS-Betroffene öfters besuchen zu können. Bei vielen schaffe ich es gar nicht, vorbeizuschauen. Besonders wenn ich spüre, dass es Jemandem nicht gut geht und ein Besuch zum Reden guttun würde, stehe ich wegen der Distanzen manchmal am Hag.
Nun habe ich mir überlegt, unter dem Dach von ALS Community eine Besucher-Gruppe mit Hinterbliebenen / ev. auch mit pensionierten Pflegepersonen, aufzubauen. Sie übernehmen quasi eine Art Gotti/Götti Funktion von einem Betroffenen oder einem Angehörigen. Idealerweise wohnt die Gotte/Götti in der näheren Umgebung (Kanton) des zu Besuchenden. Natürlich wird vorher abgeklärt, ob Betroffene / Angehörige dies auch wünschen. Damit alle Betroffene / Angehörige von diesen Besuchen profitieren können, ist es wichtig, dass Organisationen die von ALS-Betroffenen und Angehörige auf dieses Angebot hinweisen. Alles steht und fällt mit der Bereitschaft von Hinterbliebenen / pensionierte Pflegende, sich ehrenamtlich als Gotte/Götti zu engagieren. Die Bedeutung "Zeit schenken" kommt hier perfekt zum Tragen. Wieviel Zeit eine Gotte/Götti investieren will, und in welchem Turnus die Besuche stattfinden werden, ist Sache zwischen den Betroffenen/Angehörigen und den Göttis.
Einmal im Jahr treffen sich die Göttis gemeinsam mit Fachpersonen zum Erfahrungsaustausch und zur Unterstützung.
Es ist nicht jedem Hinterbliebenen gegeben, sich wieder mit der Krankheit ALS auseinandersetzen zu müssen. Manche wollen auch einfach einen Schlussstrich unter die eigene ALS-Geschichte ziehen. Manche fallen nach dem Verlust ihres Partners in ein Loch und wissen mit der freigewordenen Zeit nichts anzufangen. Der Einsatz als Götti kann allenfalls bei der Trauerverarbeitung helfen. Daraus geht eine Win-Win-Situation hervor. Ausserdem haben Hinterbliebene durch ihre eigenen Erfahrungen mit der ALS, ein enormes Wissen angesammelt, was nicht brachliegen sollte.
Wenn also Jemand Interesse daran hat, ALS Betroffenen und Angehörigen Zeit zu schenken, darf sich gerne bei ALS Community melden. info@als-community-schweiz.ch
Vielleicht lässt sich eine meiner vielen Ideen zu Gunsten ALS-Betroffenen, Angehörigen und Pflegenden verwirklichen.
14. Rollstuhl auf Liegeposition gestellt, eine Decke über den Beinen, das Gesicht der Sonne zugewandt, so lässt es sich in unserem Garten aushalten. Ich musste dieser Tage viel Korrespondenz erledigen und die Therapien waren auch nicht wenige. Da kam mir der stahlblaue Himmel und die wärmenden Sonnenstrahlen heute genau richtig. Mit der Einnahme von Vitamintropfen kann ich meinen Vitamin D Haushalt im Winter aufrecht halten. Die natürliche Vitamingabe durch die Sonne ziehe ich allerdings vor. Auch wenn ich gerne Schnee gehabt hätte, so sehne ich mich nun nach dem Frühling.
Wenn meine Finger und mein Geist müde sind, finde ich oft auch mit Musik Entspannung.
16. Normalerweise ist der Mittwochnachmittag mein "Ruhetag". An diesem Tag lege ich mich oft in den Fernsehsessel, um Fern zu schauen oder zu schlafen. Gestern und vielleicht auch in Zukunft wird es anders. Dadurch, dass mein Mann eine berufliche Pause einlegt, komme ich wahrscheinlich öfters in den Genuss von Ausflügen. So waren wir gestern im Elsass und fuhren durch die Vogesen. Die Berge kann man nicht mit der Höhe unserer Berge vergleichen. Die niedrige Höhe und die weichen Linien der Hügel, lassen viel Weite zu. Was mir ab und zu schon gut tut. Der Sonnenuntergang war in der Fläche gigantisch, sodass ich mich kaum satt sehen konnte.
Eins ist sicher, das Elsass wird uns in Zukunft öfters sehen.
18. Mit Schneeflocken bis ins Tal, war heute nichts. Dafür zeigten sich die Berge rings um uns, in Weiss gehüllt. Die Sonnenstrahlen verliehen den Schneefeldern einen wunderschönen kristallzuckerartigen Schimmer. Des Sonnenschein wegen wollte ich mich am Nachmittag im Garten kurz an die Sonne legen. Kurz wurde es. Eine runde im Garten gedreht und schon gings wieder ins Haus. Da ich die Sonne mit Wärme in Verbringe bringe, habe ich die Winterkälte nicht bedacht. Seit meiner ALS Erkrankung hat sich mein Kälteempfinden laufend verstärkt. Obwohl ich heute nur kurz Draussen war, musste ich danach, in eine Decke gehüllt und mit Wärmekissen bestückt, auf Temperaturen gebracht werden. Kommentar meines Mannes; selbst schuld, man geht zurzeit auch nicht ohne Jacke aus dem Haus. Ich im Stillen; würde ja eine Jacke anziehen, wenn ich könnte. Manchmal mag ich nicht warten bis Jemand Zeit hat und mir behilflich ist. Zudem fühle ich mich in dicken Jacken noch unbeweglicher und eingeengt. Da muss ich manchmal ausbrechen.
19. Sein Leben mit der Krankheit ALS zu organisieren ist ein Full-Time Job. Und wenn man den Job, wie ich es auch versuche, gut machen will, stellt man sich einer grossen Herausforderung. Die Arbeit ist immer da und hört nicht nach acht Stunden und zehn auf. Sie ist vierundzwanzig Stunden präsent. Dass ich diesen Job nicht allein bewältigen kann, liegt auf der Hand. Ich musste mir ein Netzwerk von Helfern aufbauen. So habe ich drei Assistentinnen mit unterschiedlichen Pensen eingestellt. Ihre Aufgabe ist es, mich bei allen anfallenden Arbeiten zu unterstützen. Zu ihren Tätigkeitsbereichen gehören z.B. meine Pflege, die Nahrungszubereitung und Verabreichung, die Überwachung der Medikamente und deren Verabreichung, die Überwachung der Vorräte von Pflegematerialien, der Haus Kehr und die Wäschebesorgung, Mithilfe bei Büroarbeiten, Unterstützung beim Wocheneinkauf, Terminbegleitung ausser Haus, Unterstützung bei meinen Freizeitaktivitäten. Das sind die Tätigkeiten, die mir spontan einfallen. Oh, die schönste Tätigkeit, zumindest in meinen Augen, die Gartenarbeit, hätte ich fast vergessen. Vielleicht weil es für mich nie Arbeit war.
Um meinen Job gut zu machen, muss ich ausserdem versuchen, meine Lebensqualität möglichst lange hoch zu halten. Dabei helfen mir folgende Therapien; Physiotherapie, Ergotherapie, Logotherapie und Therapie im Gehbad.
Für mich gehört zur Erfüllung meines Jobs auch die Bekanntmachung meines Arbeitgebers, der den Namen ALS trägt. Obwohl man schon über 150 Jahren von deren Existenz weiss, konnte sie im Bekanntheitsgrad nur unwesentlich wachsen. Mein langsamer Krankheitsverlauf lässt es zu, mich für die Belange der ALS einzusetzen. Und dies täglich.
Eben, an ALS erkrankt zu sein bedeutet, einen Full-Time-Job bis ans Lebensende zu haben. Die Hoffnung, entlassen zu werden steht bis heute bei null.
21. Bevor ich weiter von meinem Job berichte, will ich euch das Bild zeigen, welches ich gestern Abend im Bett gemalt habe. Malen kann ich am besten in Liegeposition. Dafür wird meine rechte Hand mit Klett auf der PC Maus befestigt. Die so ausgerüstete Hand wird dann auf eine flache Unterlage gelegt, welche sich neben meiner rechten Hüfte auf dem Bett befindet. Obwohl es mir immer schwerer fällt, die Striche und Farben dorthin zu bringen, wo ich diese haben möchte, habe ich die Lust am Malen noch nicht verloren. Meine Bilder spiegeln oft meine Gefühle. So durfte ich nach fast zwei Monaten der "Wasserabstinenz" gestern wieder ins Geh-Bad. Ich habe das Schwimmen, Treten, Planschen und auf dem Wasser liegen so genossen. Eine Wohltat für Körper, Geist und Seele.
Obwohl der Aufwand für 40 Minuten im Wasser, bei knapp 2 Stunden liegt, lohnt es sich für mich. Ich kann mich nirgends so gut bewegen wie im Wasser. Dank dem Auftrieb im Wasser, gelingt es mir besser, meinen Körper anzusteuern. Dies gibt mir das Gefühl, wieder Frau meiner Körperbewegungen zu sein. Das tut meinem Selbstbewusstsein so gut. So möchte ich ALS Betroffene ermuntern, wenn irgendeine Möglichkeit besteht, den Aufwand auf sich zu nehmen und auch Therapien im Wasser wahrzunehmen. Im Wasser habe ich zumindest, einen besseren Zugang zu meinem Körper. Deswegen bin ich im Wasser auch so glücklich, was sich wiederum in meinen Bildern und Worten zeigt.
23. Heute musste ich per Zufall erfahren, dass das einzige Medikament, welches laut Medizinern, den Verlauf der Krankheit ALS etwas hinaus zögern könnte, bis auf Monate hinaus, vergriffen ist. Viele in der Schweiz lebende ALS Betroffene nehmen, auf Empfehlung ihres Arztes oder ihres Neurologen, dieses Medikament ein. Obwohl Neurologen und ALS Muskelzentren, laut Patienteninformation, bereits letztes Jahr von diesem Engpass wussten und eng mit Organisation zusammenarbeiten, welche sich für die Belange von ALS Betroffenen und deren Umfeld einsetzen, fand sich anscheinend niemand verantwortlich, diese Info an möglichst alle ALS Betroffene weiterzugeben. Nun müssen Rilutek-Konsumenten auf andere Riluzol Medikamente ausweichen. Auf Grund der grossen Nachfrage, entstehen nun auch bei diesen Medikamenten Engpässe.
Diesen Medikamente Engpass finde ich bedenklich. Die mangelhafte Patienteninformation finde ich jedoch noch bedenklicher. Ich, als ALS Betroffene, mache mir so meine Gedanken. Mein Rat an Rilutek-Konsumenten; fragt bei Bedarf oder Unsicherheit bei eurem Arzt oder Apotheker nach.
Morgen habe ich die Gelegenheit meine Neurologin nach dem Rilutek Engpass zu fragen. Sie wird mir Morgen die zweite Botox Dosis in den linken Unterarm injizieren. Die erste Botox Injektion und die dazugehörige Ergotherapie haben mir geholfen, meine zur Faust geballte Hand besser zu öffnen. Nun, nach drei Monaten lässt diese Wirkung nach und ich bekomme daher eine weitere Injektion. Ich habe dabei keine Schmerzen zu fürchten.
26. Wie schön das Wetter heute wieder ist. Im Tal spriesst langsam der Frühling und in den Bergen glitzert der Schnee. Vielleicht wäre ich heute auch mit zwei Skiern und nicht mit vier Rädern unterwegs. Aber was soll's, jetzt ist es nun mal so.
Ich bin nach wie vor sehr selbständig. Dies ermöglichen mir angepasste Hilfsmittel und Therapien. Dazu gehört auch die oben erwähnte Behandlung mit Botox. Auch wenn Botox meine Lebenszeit nicht verlängern kann, so erhöht sie doch ein ganz klein wenig meine Lebensqualität. Eine ergotherapeutische Therapie ist mir jedoch noch wichtiger, um den Auswirkungen von Spastik, wie Muskelverkürzungen, Fehlhaltungen, Fehlstellungen der Gelenke, Gelenkdeformitäten und Gelenkschäden, entgegenzuwirken. Ich erhoffe mir durch angepasste Therapien, z.B. meine Fingerfertigkeit länger erhalten zu können, um meinen Rollstuhl länger eigenhändig steuern zu können. Dafür nehme ich die vielen Therapien sehr gerne auf mich.
Dass ich durch manche Medikamente meinem Körper zusätzlich Gifte zuführe, statt mich davon zu befreien, stört mich manchmal. Zu denken, dass für mein Wohlbefinden womöglich Lebewesen leiden könnten, bringt mich in eine nicht einfach zu lösende Zwickmühle.
Im Frühling darf ich wieder in die Reha. Dort werden meine Therapien intensiviert und an meinen Krankheitsverlauf angepasst. Ich freue mich über jede noch so kleine Verbesserung, die mir helfen, meine Selbständigkeit zu erhöhen oder zu halten.
FEBRUAR
1. Der neue Monat könnte nicht schöner beginnen. So durfte ich heute Morgen miterleben, wie der Tag erwacht. Es kam mir vor, als würde sich ein immer heller werdendes Licht, hinter den Bergen hocharbeiten. Dabei verändert sich die Farbe des Himmels. Die Decke der Erde verwandelt sich und zeigt sich in diversen Rottönen. Wobei ein Flugzeug einen weissen Strich in das rote Farbspektakel zieht. Inzwischen zeigt sich die Sonne am Himmel und ihre ausgebreiteten Strahlen nippen vom Schnee auf den Bergspitzen. Es wird ein wunderschöner, frühlingshafter Tag werden.
02.02.2020. Dieses ganz besondere Datum nehme ich zum Anlass, Menschen aufzufordern, aufeinander zuzugehen, ihre Querelen zu bereinigen, um sich mit vereinten Kräften für eine gute Sache einzusetzen. Welche geballte Kraft an Wissen und Ideen würde zusammenkommen, würden Player besser zusammenarbeiten und am gleichen Strick ziehen. Dabei gilt es, alle Player miteinzubeziehen. Einbezug, nicht Ausgrenzung muss das Ziel sein. Nur so wird es möglich sein, z.B. ALS-Betroffene und ALS-Angehörige bestmöglich durch die Krankheit zu begleiten. Mein Appell an alle Player, die wertvolle Arbeit und das Wirken anderer Player anzuerkennen, zu Unterstützen und zugunsten Aller zusammen zu arbeiten.
Was der Einbezug und die Zusammenarbeit von Betroffenen zutage bringen kann, zeigt die unten aufgeführte Aktion:
Heute möchte ich euch auf die Spenden-Aktion von Elisabeth Siegel aufmerksam machen. Einer ihrer letzten Wünsche in ihrem Leben, Spenden zur Unterstützung von ALS-Betroffenen und deren Angehörigen zu sammeln. Mit ihrer letzten Kraft stellt sie Artikel auf ihrer Stickmaschine her und bietet diese zum Spendenkauf an. Die Idee, den Spendern je nach Spendenbeitrag einen Artikel anzubieten. Elisabeths Näh-Freundinnen unterstützen sie dabei, indem sie ebenso einige ihrer Handarbeiten beisteuern. Wenn ihr mithelfen wollt, dass einer der letzten Träume von Elisabeth Erfüllung findet, dann besucht den Kreativ-Shop auf der Webseite von ALS Community Schweiz. Es findet sich für jeden Shop-Besucher einen passenden und originellen Artikel.
11. Da ich mal wieder viel um die Ohren habe, kommen meine Tagebucheinträge etwas zu kurz. Im Vergleich mit der «arbeitenden Bevölkerung» ist meine gemeinnützige Arbeit kaum der Rede wert. In Anbetracht meiner Erkrankung ist mein Wirken doch oft zeitintensiv. Es soll aber kein jammern meinerseits sein, liegt es doch in meinen Händen, wieviel ich geben will. Eigentlich war einer meiner Vorsätze fürs neue Jahr, mir selbst etwas Zeit zu geben. Ich möchte mich mit Themen wie Selbstbestimmung, Selbstvertretung, dem Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG) und der UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) befassen und mich darin weiterbilden. Dies kann mir helfen, meine Anliegen optimal zu platzieren und soll mir helfen, Menschen mit Behinderungen besser unterstützen zu können.
Ich bin noch immer sehr neugierig und meine Interessen erstrecken sich über viele Bereiche.
16. Ich kann nicht ausschliessen, dass es doch noch Schnee geben wird und den Frühling in eine Schockstarre drängt. Doch heute durfte ich sie sehen, die blumenbringende Jahreszeit.
Zeit ist auch zu erzählen, was mich dazu brachte, mich für meine Eigenen sowie für die Interessen von Menschen mit Behinderungen einzusetzen. Dabei ist meine eigene Krankheit, welche mich als Mensch mit Behinderungen leben lässt, die Ausschlaggebende.
Wenn ich so überlege, liegt der Ursprung meines Handelns womöglich bereits in meinen Kinder- und Jugendjahren. In einer Grossfamilie auf einem Bauernhof aufzuwachsen, lernte mich mit verschiedenen Charakteren klarzukommen. Gemeinsam mit meinen 8 Geschwistern und den Eltern, die anfallenden Arbeiten im Haus und auf dem Hof zu erledigen, gehörte zu meinen Kind- und Jugendjahren. Auch wenn es innerhalb unserer Familie nicht immer rund lief, so blicke ich auf eine schöne Kindheit zurück.
Geprägt hat mich sicher auch meine frühe Mutterschaft. Dazu komme ich dann Morgen........
17. Kurz vor Ablauf meiner Teenagerjahre wuchs in mir ein neues Leben heran. Das Kind der Liebe machte mich vor meinem 18. Geburtstagtag zur liebenden Mutter. Auch wenn mich meine Eltern sehr unterstützt haben, so musste ich doch rasch erwachsen werden, um die Verantwortung für mein Kind tragen zu können. Unterstützung fand ich auch beim Kindsvater, dem ich später auch mein Ja- Wort gab. Dieses Jahr dürfen wir, unseren 40-jährigen Durchhaltewillen feiern. Wir sind ein gutes Team. In Anbetracht meiner jetzigen Krankheit bin ich sehr froh, um die frühe Schwangerschaft. Bei meiner ALS-Diagnosestellung war mein geliebter Sohn, mit 22 Jahren zum Glück bereits erwachsen.
20. So, jetzt will ich endlich mal im Thema weiterschreiben. Durch das Fortschreiten der Krankheit ALS nahmen meine körperlichen Einschränkungen über die Jahre laufend zu. So gehörte ein Rollstuhl zu meinen ersten Hilfsmitteln. In dieser Zeit musste ich selbst erfahren, mit wie vielen Hindernissen sich Menschen im Rollstuhl herumschlagen müssen. Damals fing ich an, mich für die Beseitigung dieser Hindernisse einzusetzen. Oft habe ich mich gefragt, warum nicht schon eher gegen solche Hindernisse vorgegangen wurde. Wo waren die Organisationen, welche sich für die Belange von Menschen mit Behinderungen (MmB) einsetzen. Mir wurde rasch bewusst, dass es für Fussgänger schwierig ist, Hindernisse für MmB zu erkennen. Da in vielen Organisationen, welche sich für die Belange von MmB einsetzen, von Menschen ohne Behinderungen (MoB) geführt werden, verwundert dies nicht. So begann ich, mich selbst an Ämter, Behörden zu wenden, um auf die Hindernisse aufmerksam zu machen. Inzwischen nehmen vermehrt MmB im Vorstand von Organisationen Platz. Eine sehr erfreuliche Entwicklung. Denn, MmB wissen selbst am Besten was sie brauchen. Wir sind Experten in eigener Sache. Vor ca. 4 Jahren habe ich mit dem Aufbau der Selbstvertretung Uri begonnen. Mir war und ist es wichtig, dass sich MmB sich selbst oder mit Hilfe von andern MmB für ihre Anliegen einsetzen. Obwohl unsere Gruppe nach wie vor wenig Mitglieder hat, sind wir sehr aktiv in der Beseitigung von Hindernissen und Barrieren. Mitunter finden sich Barrieren auch in den Köpfen von Menschen ohne Behinderungen. Durch Aufklärung und Sensibilisierung für die Anliegen von MmB können diese Barrieren zuksessive abgebaut werden. Wir arbeiten daran.
25. Wie es Früher oft üblich war, traf auch in unserer Familie unser Vater die wichtigen Entscheidungen. Manchmal zum Ärger von uns allen. Er lebte uns aber auch vor, innovativ zu sein und trotz Widerstände neue Dinge anzugehen. So war er einer der ersten in unserer Gegend, der einen Traktor (Hürlimann natürlich) zulegte. Viele Jahrzehnte stand dann auch im Telefonbuch der Zusatz, Traktorhalter. Nach und nach kamen weitere Landwirtschaftliche Fahrzeuge dazu und mein Vater wurde bekannt als Fuhrhalter. So übernahm er viele Fuhren für andere Landwirtschaftliche Betriebe und besserte so unser Einkommen auf. Wie in vielen Familien, war jedoch unsere Mutter das Herz der Familie. Sie hielt die Familie zusammen, schlichtete Streit. Als Kinder wussten wir, was immer wir auch anstellten, unsere Mutter würde uns nie im Stich lassen. Wenn ich vom Vater die Inovationsbereitschaft und das Durchsetzungsvermögen geerbt habe, so habe ich von meiner Mutter die Kreativität, die Poesie und die Liebe zur Familie mitbekommen.
Solche und weitere Lebenserfahrungen haben mich zu der Person werden lassen, die ich heute bin. So liebe ich Gemeinschaften, sei dies nun meine eigene kleine Familie, meine vielen Geschwister und z.B. die ALS Familie. Es ist mein Bestreben, mich für sie einzusetzen, zu unterstützen.
Für mich war schon früh klar, dass Mann und Frau auf gleicher Stufe stehen. Dafür benötigte ich keinen Kurzhaarschnitt. Trotzdem bin ich der Frauenbewegung sehr dankbar, dass sie sich für uns Frauen eingesetzt haben und noch immer tun. Nicht jede Frau hat die Kraft, sich für ihre eigenen Rechte einzusetzen.
Ich selbst liebe meine Eigenständigkeit, meine Selbstständigkeit, auch wenn sie durch meine Erkrankung löchrig geworden ist. Mir ist es sehr wichtig, Entscheidungen selbst treffen zu können. Das sollte eigentlich jedem Menschen offenstehen. Noch viel zu oft treffen andere die Entscheidungen. Besonders im Bereich MmB treffen Organisationen, Institutionen, Behörden, Gesetzgeber, Endscheidungen ohne MmB beizuziehen. Das Mitbestimmungsrecht, die Teilhabe wird ihnen somit verwehrt.
Ich frage mich oft, woher nehmen sich Menschen das Recht, für andere zu entscheiden, wenn sie selbst nicht in der gleichen Situation stecken. Es wäre wünschenswert, wir würden mehr Miteinander arbeiten.
Es geht nicht darum, dass in den Vorständen und Geschäftstellen von Patienten-Organisation, Institutionen, Vereinen nur Betroffene Einsitz nehmen. Es wäre vermessen anzunehmen, dass alle Ressorts von Betroffenen-Fachspezialisten abgedeckt werden könnte. Die Entscheidungsgewalt sollte jedoch bei den Betroffenen / Patienten liegen.
Büetzer Buebe - John Deere
Auch mein Vater spielte früher mal mit dem Gedanken, auszuwandern. So würde ich heute womöglich Englisch und nicht im Ürner Dialekt sprechen und Vaters Traktor wäre ein John Deere und nicht ein Hürlimann. Ich weiss nicht, ob es meine Mutter oder eines meiner älteren Geschwister war, die unseren Vater davon abhielt, mit der Familie auszuwandern. Im fortgeschrittenen Alter durfte mein Vater dann doch noch über den Teich fliegen und das Land seiner Träume besuchen. Ich selbst habe dies noch immer nicht geschafft. Ich bin sehr froh, durfte ich auf einem Bauernhof aufwachsen. Hier entwickelte sich meine Liebe zur Natur und den Tieren. Mein Herz öffnet sich heute noch beim Duft von Heu. Es bringt Erinnerungen zurück, an die Zeit von gemeinsamen Heueinbringen. An das gemeinsame Zabig und die zufriedene Müdigkeit nach getaner Arbeit. Diese Erinnerung gehen tief und machen mich unglaublich glücklich.
28. Mir ist Familie sehr wichtig. Wenn es der Familie gut geht, geht es auch mir gut. Meine eigene kleine Familie und die Familien von unseren Geschwistern müssen sich auch mit Schicksalsschlägen zurechtfinden. Die letzte Zeit war nicht gerade einfach und das Kämpfen geht weiter. Ich musste und muss selbst erfahren, wie machtlos man sich als Angehörige fühlt, zusehen zu müssen wie eine Krankheit, ein Ereignis das Leben eines geliebten Menschen bestimmt und selbst kaum helfen zu können. Es macht weh, traurig und nachdenklich. Mitunter möchte ich alles hinschmeissen und mich verkriechen. Eine starke Familienbindung hilft in dieser Zeit. Die Unterstützung und der Zuspruch helfen, die Situation besser tragen zu können. Wie sagt man; Gemeinsam sind wir stark.
Was zwei, drei Sonnenstunden im Garten bewirken, sieht man an meinen roten Backen und dem Lächeln auf meinem Gesicht. Ich freue mich sehr auf die bunten Blumen und die blütentragenden Obstbäumchen im Frühling. Die summenden Bienen, die lautlosen Schmetterlinge und die den Morgen grüssende Vogelschar. Und natürlich auf meine Rollitouren.
Als ich gestern für eine ALS Studie nach Basel gefahren wurde, schien der Frühling wieder in weite Ferne gerückt zu sein. Dies störte mich gestern jedoch wenig. Lag ich doch eine volle Stunde im MRI-Gerät. Mir ist es wichtig, mich zu Gunsten von uns ALS Betroffenen für Studien zur Verfügung zu stellen. Als Belohnung erhielt ich eine wunderschön bunte Diffusionsaufnahmen von meinem Gehirn. Ich glaube, ich habe den Frühling in meinem Kopf.
MÄRZ
11. So leer wie jetzt war mein Terminkalender schon seit längerer Zeit nicht mehr. Mitgliederversammlungen, Sitzungen, Veranstaltungen werden laufend abgesagt oder verschoben. Wäre der Grund nicht das blöde Virus, hätte ich jetzt mehr Zeit, um meine Freunde zu besuchen, könnte ausgiebig Shoppen gehen oder Ausflüge machen.
Gestern hatte ich meinen halbjährigen Besuch bei meinem Pneumologen und er hat mir eindringlich geraten, möglichst alle Termine ausser Haus abzusagen. Er hat mir ebenfalls geraten die Reha im April/Mai zu verschieben. Obwohl sich meine Lungenwerte seit der letzten Messung kaum verändert haben, wäre es für mich fatal vom Virus angesteckt zu werden. Bleibt mir also nichts anderes übrig als abzuwarten.
Langweilig wird es mir trotzdem nicht. Ich bin dabei, Grusskarten zu kreieren, um diese dann für einen guten Zweck zu verkaufen. Ausserdem nutze ich jede Sonnenstunde, mich im Garten aufzuhalten und dem Frühlingstreiben zuzuschauen.
13. Wegen der Ansteckungsgefahr des Corona-Virus haben mein Mann und ich heute beschlossen, den Kontakt zu anderen Personen zu meiden. So habe ich bis auf einen Termin, alle Therapiebesuche vorerst abgesagt. Ebenfalls verschieben muss ich wohl meine geplante Reha. Auch meine Assistenzpersonen und die Spitex haben nächste Woche keinen Einsatz bei mir. Ich habe das grosse Glück, dass mein Mann bereit ist, während dieser Zeit meine Pflege und meine Unterstützung zu übernehmen. Wir werden diese gemeinsam gewonnene Zeit für Sonnenstunden im Garten nutzen oder für Ausflüge mit dem Auto. Mit einer gefüllten Picknicktasche geht das wunderbar. Das Einkaufen ohne Personenkontakt haben wir für den schlimmsten Fall auch bereits organisiert. Die nächsten Wochen werden für uns alle Herausforderungen bringen, welche es zu meistern gilt.
19. Ein malerischer Bildgruss aus meinem mir selbstauferlegten Hausarrest. Meinem Mann und mir geht es gut.
21. Ein Hallo aus meinem "Hausarrest". Da ich mich nach wie vor auch im Garten aufhalten kann, ist die Bezeichnung Grundstückarrest wohl bezeichnender. Nahen Kontakt pflege ich nur noch mit meinem Mann, der den Arrest genauso einhält wie ich. Obwohl das Grundstück unseres Sohnes an unseres grenzt halten wir auch zu ihm Distanz. Gespräche finden lediglich im Garten und mit Abstand statt. Wir haben Glück, uns sehen und, wenn auch jeweils nur kurz, austauschen zu können. Der Einkauf durch unseren Sohn oder durch eine Assistentin funktioniert auch wie vorgesehen. Wobei unser Sohn auch den Einkauf von unserem betagten Nachbar übernimmt. Ich finde diese Generationenunterstützung so wunderbar. Viel Gutes und Menschliches aus den momentanen Geschehnissen, werden unser zukünftiges Leben beeinflussen.
Diese Tage mit viel Sonne und Wärme im Garten habe ich sehr genossen. Die farbenfrohen Frühlingsblumen, die blütentragenden Aprikosen-, Pflaumenbäumchen, die gelben Forsythien Sträucher, die rosablühende Japanische Kirsche und die roten Johannesbeere Ziersträucher mit den am Nektar labenden Wildbienen und Hummeln, sind faszinierende Beobachtungsobjekte. Auch die wiedererwachten Eidechsen und die wunderschönen Vogelstimmen bereichern meine Zeit im Garten.
22. Heute ist es mir zu kalt und zu nass, um in den Garten zu rollen. Bleibe ich wie viele andere Menschen eben auch im Haus. Mit Einschränkungen umzugehen, lernte ich in all den vergangenen Jahren infolge meiner Krankheit. Dass die Einschränkungen zunehmen, kenne ich ebenfalls. Wir, die von der unheilbaren Krankheit ALS betroffen sind, müssen uns laufend auf veränderte Situationen einstellen.
Die meisten von uns haben schon mal nach Luft gefleht oder hatten Angst zu ersticken, weil uns durch einen Krümel oder Speichel die Atemwege verschlossen wurden. Auf Grund der Schwächung des Zwerchfells, der Bauchmuskulatur und der Muskeln im Rachenraum, müssen viele von uns in der Nacht, manche auch am Tag, eine Atemmaske tragen. Über die Maske wird Raumluft mit überdruck in die Maske geleitet und in die Lunge befördert. Ich kann euch sagen, es ist gar nicht lustig nach Luft schnappen zu müssen. Trotzdem hält es die wenigstens davon ab, immer wieder Kraft zu sammeln, um weiterzuleben. Ich habe gelernt, die Erstickungsanfälle auszublenden und keine Angst vor dem nächsten zu haben. Es reicht völlig, wenn die Angst bei einem nächsten Anfall zurückkehrt. Das gilt auch für einen Zahnarztbesuch. Warum sich Tage davor schon Gedanken machen. Das ist unnötig verlorene Zeit. Es reicht völlig, die Zähne kurz vor der Behandlung klappern zu lassen.
Im Haus bleiben zu müssen, ist wohl nicht das eigentliche Problem, welches uns zurzeit beschäftig, es sind die sozialen Kontakte die uns fehlen. Besonders hart trifft es z.B. ALS Betroffene, welche in Pflegeheimen leben. Das Besuchsverbot macht einsam. Damit unsere lieben Betroffenen wissen, dass sie nicht alleingelassen werden und wir bei ihnen sind, hat die ALS Community Schweiz auf ihrem ALS-WhatsApp-Chat eine Karten-Schreib-Aktion für ALS Betroffene in Pflegeheimen gestartet. Danke allen, die dabei mitmachen und eifrig Karten/Briefe schreiben.
31. Die Zeit steht irgendwie still. Die Wochentage haben ihre Bedeutung verloren. Die Helligkeit symbolisiert den Tagesanfang, die Dunkelheit das Tagesende. Die Zeiger der Uhr drehen ihre Runden und die Stunden plätschern vor sich hin. Es still geworden, auch in mir. Ich schlafe viel, habe aber auch viel Zeit, um mir über mein Leben Gedanken zu machen. Über die Vergangenheit, das Hier und Jetzt, die Zukunft.
Die letzten drei Jahre waren geprägt von der Sorge um meinen Sohn. Als Projektleiter war er in verschiedenen Ländern unterwegs. So trug er die Projektverantwortung unter anderem in Tschechien, China, Mexiko. Kurz nach der Rückkehr einer dieser Arbeitsreisen bekam mein Sohn den ersten Epileptischen Anfall, einen Grad-Mal. Natürlich für uns alle ein Schock mit viel Unsicherheit und Ängsten. Mein Sohn musste seine Arbeitsstelle aufgeben und die beruflichen Aussichten stellten sich alles andere als günstig dar. Was diese Situation mit einem Menschen macht, können wahrscheinlich nur diejenigen nachvollziehen, welche ähnliches durchgemacht haben oder der jeweiligen Person sehr nahestehen. Für mich als Mutter war es sehr schmerzlich, meinem Sohn ausser seelischem Beistand nicht helfen zu können. Nun wurde der Tiefstand allerdings erreicht und es geht mit grossen Schritten wieder aufwärts. Er wird wahrscheinlich sein Leben lang Epileptiker bleiben. Doch mit gut eingestellten Medikamenten, einer Lebensumstellung und der beruflichen Neuorientierung, kommen höchstens noch Absencen (Petit-Mal) vor und die sind händelbar. Zusammen mit meinem Sohn blicke ich nun in eine gute Zukunft.
Erste Hilfe bei einem Anfall
In den letzten Jahren widmete ich auch viel meiner Zeit dem Thema Selbstbestimmtes Leben und dem Thema ALS.
Wie schön öfters geschrieben, kann ich es nicht ab, mein Leben von Menschen bestimmen zu lassen, die nie in meinen Schuhen standen. Noch immer besetzen zu viele Personen entscheidungsrelevante Stellen, oder politisieren über die Köpfe von Betroffenen hinweg, ohne selbst vom jeweiligen Thema betroffen zu sein. Woher nehmen sich diese Personen das Recht über mich, über uns zu bestimmen. Wir, die Betroffenen geben ihnen diesen Blanco-Check selbst in die Hand. Wir fehlen bei Abstimmungen oder nicken der einfachheitshalber allem zu. Mit dem Gedanken, wenn etwas geändert werden müsste, so werden sicher Andere aufstehen und Gegensteuer geben. Ich engagiere mich jetzt schon viele Jahre in den Themen Selbstbestimmtes Leben und dem Thema ALS. Manchmal habe ich die Nase gestrichen voll von der Untätigkeit von andern Betroffenen. Oft hätte ich mir mehr Unterstützung, mehr Engagement von Betroffenen und ihren Angehörigen gewünscht. Mir ist sehr wohl bewusst, dass viele auf Grund ihres Gesundheitszustandes, ein persönliche Engagement nur beschränkt oder auch gar nicht leisten können. Was ich auch völlig verstehe. Aber euch andern will ich ans Herz legen; unterstützt die, die sich tagtäglich um euch sorgen. Die, die sich für euch trotz eisigem Wind in die Brandung stellen. Die, die sich für eure Rechte einsetzen und euch immer so gut es geht zur Seite stehen. Liebe Mitkämpfer, vielen Dank für euer Engagement und eure Unterstützung, welche uns ALLEN zugutekommt.
APRIL
1. Um beim Thema zu bleiben schreibe ich nun weiter und vielleicht komme ich heute noch auf den Punkt.
Ich gehe mal davon aus, dass jede Organisation, jede Institution im Sinne seiner Mitglieder handelt. So auch Patientenorganisationen und Organisationen, welche sich der Belange von Menschen mit Beeinträchtigungen annehmen. Wenn auch schleppend, so wird doch die Teilhabe der jeweiligen Mitglieder an Entscheidungsfindungen in Organisationen gefördert. Das ist nicht immer einfach und stellt je nach körperlicher, geistiger oder psychischer Beeinträchtigung der jeweiligen Mitglieder eine Herausforderung dar. Ein fernes Ziel ist es, dass wir es schaffen, dass Betroffene und Patienten ihre Organisationen selbst organisieren und führen werden. Bis es aber mal soweit ist, sind wir auf Menschen angewiesen, die uns zuhören, unsere Ansichten und Anregungen ernst nehmen und zusammen mit uns Betroffenen und Patienten die Organisationen gemeinsam führen. Mittlerweile passiert in dieser Hinsicht einiges, was mich zuversichtlich stimmt. Es entlastet mich auch, was meinen Rückzug betrifft.
Wie oben beschrieben, habe ich mich in den letzten Jahren sowohl für Menschen mit Beeinträchtigung und Menschen, welche wie ich von der Krankheit ALS betroffen sind, engagiert. Ich bin etwas müde geworden und durch das Fortschreiten meiner Krankheit und den daraus resultierenden Verlust meiner Lautsprache, muss ich mein Engagement etwas reduzieren. Ich werde mich auf eine Sache konzentrieren und hierfür meine verbleibende Kraft einsetzen.
3. Auch wenn ich meinen Fokus nun vermehrt auf eine Sache lege, werde ich mich weiterhin im Hintergrund um Belange von Menschen mit Beeinträchtigungen engagieren. Da Menschen, welche von der Krankheit ALS betroffen sind, im Verlauf der unheilbar fortschreitenden Krankheit, ebenso mit massiven Beeinträchtigungen konfrontiert werden, geht dies fast Hand in Hand. ALS Betroffene und ihre Angehörigen haben noch immer eine zu geringe Lobby, um die Öffentlichkeit auf ihre Bedürfnisse aufmerksam zu machen. Damit Hilfsangebote ausgebaut werden können, braucht es finanzielle Unterstützung. Da ich selbst von dieser lebensverkürzenden Krankheit betroffen bin, will ich meinen Beitrag leisten und mich intensiver für die Belange von ALS Betroffenen und unseren Angehörigen einsetzen.
8. Ich habe wieder einen wunderbaren Tag im Garten hinter mir. Es ist unglaublich, wie die Frühlingssonne die Pflanzen zum Wachsen und Blühen anregt. Jeden Tag wird die Natur grüner und bunter. Ich finde es spannend, die Pflanzen beim Werden zu beobachten. Tag für Tag öffnen weitere Blumen und Blüten ihre Köpfe und locken mit ihren unterschiedlichen Duftstoffen Insekten zum Bestäuben an. Bald öffnen auch die Fliederbäume ihre Blütenrispen und verströmen ihren feinen Duft Auch beim Ahorn und beim Lindenbaum zeigen sich laufend die roten und grünen Blätter. Ich trinke sehr gerne Lindenblütentee. Im Sommer gerne kalt mit Kandiszucker und Zitronenschale, so wie es meine Mutter als Durstlöscher beim Heuen zubereitet hat. Es gibt so vieles in unserem Garten, dass es sich lohnt, darin zu verweilen.
9. Ich sitze mal nicht im Garten, das hebe ich mir für später auf. Was ich gerade mache, ich schlürfe an der zweiten Tasse Lindenblütentee und warte auf das Mittagessen, welches wie der Tee auch, von Piet zubereitet wird. Wie bereits erwähnt hat seit März mein Mann die gesamte Haushalt, sowie meine Pflege und Unterstützung übernommen. Es war schon ein Umgewöhnen, aber mittlerweile klappt alles sehr gut. Wichtig scheint mir zu erwähnen, dass bei solchen Aktionen, bei denen die Pflege durch den Partner übernommen wird, die Rollen vorher geklärt werden müssen. Der pflegende Partner muss bereit sein, sich bei der Pflege zurückzunehmen und sich ganz auf die Wünsche und Anweisungen des zu pflegenden Partners einzulassen. Wenn dies nicht zum vornherein geklärt wird, kommt es zu Unstimmigkeiten und das Zusammenleben wird schwierig. Beide Partner müssen sich dessen bewusst sein. Wenn es klappt, ist dies eine schöne Zeit zu zweit.
Des schönen Wetter wegen und wegen den wärmeren Temperaturen, haben wir diese Woche mein Kleiderschrank auf luftigere Bekleidung umgestellt. Beim Türe öffnen blicke ich nun auf ein Farbenspiel, gleich einer bunten Blumenwiese. Ich habe Lust, jede Bluse und jedes Kleid mindestens einmal auszuführen und deren sind es viele. Ich liebe es, mich farbenfroh zu kleiden, so bunt wie meine Seele, mein Herz jeweils eben sind.
16. Eine lange Zeit konntest du der Krankheit ALS die Stirn bieten. Nun bist du des Kampfes müde geworden, hast dich hingelegt und bist eingeschlafen.
Lieber Bruno, möge der Weg zu dem Ort deiner Hoffnung, wunderschön sein. Gute Reise, mein lieber Freund.
17. Ein schöner Tag nach dem andern reit sich an den anderen und lässt zu, dass ich viele Stunden im Garten verbringen kann. Hätte ich diese Möglichkeit nicht, wäre die Isolation Zuhause schwieriger durchzustehen. Auf Grund der fehlenden Therapien in der Isolation, treten bei mir bereits körperliche Verschlechterungen auf. So habe ich Mühe, meine rechte Hand / Arm zum Rollstuhlbedienteil zu bewegen. Mein Mann hat am Rollstuhl, so gut wie eben möglich, Anpassungen vorgenommen. Dabei hat er meine Tetragabel durch einen T-Griff ersetzt. Nun darf ich meinen Rolli mit einem Holzgriff steuern. Das Holz stammt von unserem ehemaligen Pflaumenbaum, welcher uns generationenübergreifende Jahrzehnte, mit Früchten für Konfitüren und Wähen beschenkte. Der Griff ist aus einem einzigen Stück gearbeitet und mit Schiffslack überzogen. Fühlt sich nicht nur angenehm an, er sieht auch noch sehr gut aus. Ein Hoch auf meinen geliebten Handwerker.
18. Eigentlich hätte nach den Ostern meine vierwöchige Reha stattfinden sollen. Daraus wird vorläufig leider nichts. Ebenso warten muss die weitere Botox Behandlung für meine Finger. Ich hoffe, bald wieder mit den Therapien fortfahren zu können und die Verschlechterungen wieder etwas auffangen kann.
Ob meine Entscheidung die Einnahme meiner Medikamente zu reduzieren (iss die Hälfte), die Verschlechterungen begünstigt hat, kann ich nicht sagen. Jedenfalls nehme ich nun wieder die volle Ladung.
19. Ich werde im Mai wieder mit den Therapien bei mir Zuhause beginnen. Auf die Therapie im Wasser werde ich wohl noch etwas länger verzichten müssen. Ab Mitte Mai werden dann meine Assistentinnen ihre Arbeit gestaffelt wieder aufnehmen. Bis dahin sollte auch das von mir bestellte Schutzmaterial bei mir eingetroffen sein. Ich muss meine Assistentinnen schützen und ebenso meinen Mann und mich. Zurzeit darf ich eine wunderschöne Zweisamkeit mit meinem Mann geniessen. Ich schätze auch die Gespräche mit meinem Sohn über den Gartenzaun hinweg. Gar nicht so einfach bei meiner kaum mehr verständlichen Aussprache. Ich freue mich aber trotzdem, mich mal wieder mit anderen Menschen austauschen zu können. Natürlich mit den nötigen Vorsichtsmassnahmen. Die Einschränkungen werden für Menschen wie mich wahrscheinlich noch lange Zeit andauern.
20. Drei meiner vier Therapeuten haben sich bereits bei mir gemeldet. Gut, lesen sie meine Tagebucheinträge und reagieren falls nötig und falls möglich darauf. Ab dem 27. April dürfen Therapeuten mit den verordneten Schutzmassnahmen wieder ran. Ich selber starte am Montag als erstes mit der Ergotherapie. Meine Arme, Hände und Finger werden sich freuen, wieder bewegt und trainiert zu werden.
Ich weiss um mein Glück, Zuhause leben zu können. Voraussetzungen bei mir sind unteranderem; eine barrierearme Wohnung, angepasste Hilfsmittel, Unterstützungsteam bestehend aus Angehörigen, Freunden, Pflegenden, Therapeuten, Ärzten, das Alter bei Diagnosestellung, finanzielle Mittel und mein Krankheitsverlauf.
21. Ihr fragt euch sicher, was für eine Rolle mein Alter bei der Diagnosestelle spielte. In der Schweiz haben wir diverse Sozialversicherung. Bei Krankheitsbeginn musste als erstes die KV (Krankenversicherung) ran. Nach Aufgabe meines Jobs, setzte die Lohnfortzahlung und Taggeldversicherung meines Arbeitgebers ein. Nach ca. 2 Jahren wurde ich berentet. Weil ich bei der Diagnose im Erwerbsfähigen Alter war, kam bei mir die IV (Invalidenversicherung) zum Tragen. Wäre ich damals bereits im Pensionsalter gewesen, so hätte die AHV (Alter- und Hinterlassenenversicherung) übernehmen müssen. Der Leistungsunterschied der Beiden ist frappant. So steht mir als IV Rentnerin eine umfangreichere Hilfsmittelliste zur Verfügung als wenn ich eine AHV Rentnerin wäre. Während AHV- sowie IV Rentennehmer eine HE (Hilflosenentschädigung) beantragen können, ist der Assistenzbeitrag nur den IV Bezügern vorbehalten. Diese Unterschiede sind schwer nachvollziehbar. Ob ich jetzt mit 55- oder 66- Jahren an ALS erkranke, die notwendigen Hilfsmittel und der Unterstützungsbedarf ist der gleiche. Nebst den bestehenden Versicherungen muss bei einer Krankheit wie der ALS, auch oft die EL (Ergänzungsleistung) beansprucht werden. Bei Fortschreiten der Krankheit werden immer mehr Hilfsmittel benötigt und der Pflege- und Unterstützungsbedarf nimmt stetig zu. Oft wird eine 24 Stunden Unterstützung nötig. So kommen pro Monat gut und gerne um 730 Stunden an Unterstützungsbedarf zusammen. Hierfür reichen die Hilflosenentschädigung, der Assistenzbeitrag und die Krankenversicherung oft nicht aus. Wenn man nicht zusätzlich auf die Unterstützung von Angehörigen und Freunden zurückgreifen kann, ist der Weg ins Pflege- oder Altenheim nicht weit. Dort wollen und gehören die wenigsten von uns hin.
23. Wenn zum jetzigen Zeitpunkt meine Pflege und Unterstützung Zuhause nicht mehr abgedeckt werden könnte, müsste ich mit meinen 58 Jahren doch tatsächlich in ein Alten- Pflegeheim eintreten. Und das bei meinem manchmal doch schon sehr lauten Musikgeschmack.
27. Nicht, dass ich nicht gerne Gespräche mit einer Generation über mir führe. Ich finde, ich kann noch viel von ihnen lernen. Ihre Lebenswege, ihre unterschiedlichen Geschichten sind spannend und oft darf ich etwas in mein Leben mitnehmen. Genau so gerne unterhalte ich mich aber mit meiner Generation und auch mit Generationen jünger als ich. Ich mag es bunt gemischt und als Naturliebhaberin habe ich Mühe mit Monokulturen.
Apropos Natur. Ich kann mich mit ihr zwar nicht unterhalten, nicht desto weniger faszinierender sind ihre Geschichten. Nur schon die Auswirkungen der Jahreszeiten auf die Natur zu beobachten, ist für mich sehr interessant. Mitzuerleben, wie Pflanzen im Frühling wiedererwachen und uns damit mitteilen, he ich bin wieder da, ich konnte dem Winter trotzen. Spannend auch, das spriessen und Wachsen der gesäten und gesetzten Pflanzen in den Gartenbeeten mitzuverfolgen. Wenn ich zurzeit in den Garten fahre, führt mich mein Weg zu den Gemüse-Beeten. Täglich sehe ich wie Sämlinge die Erde durchstossen und ihr meist grünes Kraut zeigen. Zwiebeln, Stangenbohnen, Karotten in unterschiedlichen Farben und Schnittsalat spriessen. Die Kartoffeln brauchen noch etwas Zeit. Die Setzlinge stehen den Sämlingen in nichts nach. So wachsen Randen, Fenchel, Kohlraben und Kopfsalat um die Wette. Weiter kündet der Rhabarber und die blühenden Erdbeeren süsse Desserts oder feine Konfitüren an. Für das Eindämmen der "Schädlinge" sorgen unteranderem Marienkäfer und auch unsere zahlreichen Eidechsen sind dabei sehr aktiv. So sah ich letzthin, wie eine Echse eine Maikäferlarve aus der Erde des Hochbeets buddelt, danach stolz eine Runde auf dem Rand des Hochbeets absolviert und dann mit der Beute zwischen den Erdbeeren verschwindet. Die Natur hat so viele Fassetten, ich bekomme nie genug von ihr.
29. Das nasskühle Wetter und viel Schreibarbeit liessen heute nur einen kurzen Aufenthalt im Garten zu. Das grün der ersten Kartoffel im Gartenbeet zu entdecken, hat mich für die kurze Zeit im Garten vollends entschädigt.
Ich bin auch froh, über die wieder aufgenommenen Ergotherapiestunden vom Montag. Es bringt mir nämlich nichts, die Virus-Zeit unbeschadet zu überstehen und dafür meine noch vorhandene Beweglichkeit einbüssen zu müssen.
MAI
2. Seit 19 Jahren ist die ALS mein ständiger Lebensbegleiter. Ich habe Glück, dass es mein Begleiter nicht so eilig hat und mir Zeit lässt, SEIN Ziel zu erreichen. Wahrscheinlich werde ich mich sabbernd über die Ziellinie ziehen lassen. Freiwillig überschreite ich sie sicher nicht, eher kracksle ich retour.
Die Länge der Absolvierten Strecke meines ALS Weges kann sich sehen lassen. Dabei schritt und rollte ich auf unterschiedlichen Etappen. Einige konnte ich gut selbst meistern, bei andern benötigte ich die Hilfe von aussen.
Die meiste Unterstützung seit meiner Erkrankung erhalte ich von meiner Familie.
Früh trat ich der Muskelgesellschaft bei. Sie war damals die Organisation, welche ALS- Betroffene und Angehörige durch die Krankheit begleitete. Zwecks Rilutek Studie kam ich mit der ALS-Clinic in St.Gallen in Kontakt. Ich weiss noch gut, wie sie mit 2,3 Hinterzimmer im Kantonsspital St.Gallen angefangen haben. Ich habe ebenfalls die Gründung vom Verein ALS Schweiz mitverfolgt und bin auch hier beigetreten. Viele Jahre durfte ich von all diesen Organisation profitieren und habe nötige Unterstützung erhalten.
Auf meinem bisherigen Weg begegnete ich immer wieder Menschen, welche den gleichen Weg hatten. Gemeinsam gingen wir einen Teils des Weges, um uns dann an einer Wegbiegung zu verabschieden. Ja, ich hatte und habe viele Wegbegleiter. Ich kenne dadurch viele Leidensgeschichten. Ich höre zu und erfahre wo der Schuh drückt.
In meinen Augen wurde in den letzten Jahren zu wenig auf die Bedürfnisse von ALS- Betroffenen, Angehörigen und Pflegenden eingegangen. Der Ausbau von nötigen Dienstleistungen geht nur schleppend voran und innovative Projekte finden kaum Unterstützung.
Ich möchte mithelfen, dass ALS- Betroffene, Angehörige und im ALS-Umfeld tätige Personen rascher zu den auf sie zugeschnittene Informationen und Dienstleistungen gelangen.
Ich habe mich vor längerer Zeit mit langjähren Weggefährten aus dem ALS-Umfeld zusammengesetzt, um zu schauen, wie wir mithelfen könnten, ALS- Betroffene und ihr Umfeld zusätzlich zu unterstützen.
Wir haben uns nun dazu entschlossen, unter dem bereits bestehenden Namen ALS-Community-Schweiz einen Verein zu gründen, welche als Vernetzungsplattform für ALS- Betroffene und Angehörige mit Fachpersonen und Fachorganisationen dienen soll. Die ALS-Community-Schweiz setzt sich zudem für Einzelschicksale ein. Sie unterstützt innovative Projekte und investiert unteranderem im Bereich Pflegeforschung.
Wir stehen kurz vor der Vereinsgründung und ich freue mich, ein Teil dieses innovativen Vereins sein zu dürfen. Wenn auch du Teil von ALS-Community-Schweiz sein willst oder du den zukünftigen Verein in anderer Form unterstützen willst, kannst du uns unter info@als-community-schweiz.ch kontaktieren. Website: ALS-Community-Schweiz
10. Es ist mir sehr bewusst, dass es viele Menschen nicht so gut haben wie ich. Ich konnte mir im Laufe meiner ALS-Erkrankung ein gut funktionierendes Netz zu meiner Unterstützung aufbauen. ............................... Sorry, konnte nicht weiterschreiben, wurde von meinem Mann entführt.
Ich bin weder reich an Geld oder Wertsachen, noch wohne ich in einer Villa mit Swimmingpool und Parkanlage. Ich wohne in einem über hundertjährigen Haus, welches wieder mal eine Innenrenovation vertragen könnte. Meine weiteste Reise führte mit dem Auto an die Cote d'Azur. Mit dem Flieger war ich ein einziges Mal unterwegs, und zwar ging die Reise nach Rom. Mein Reichtum besteht darin, Menschen um mich zu haben, die mich in allem Unterstützen, was ich alleine nicht schaffe. Dadurch kann ich Zuhause ein Selbstbestimmtes Leben führen und muss meine verbleibende Zeit nicht in einem Alters- und Pflegeheim verbringen. Ich bin nicht bereit, mir aus organisatorischen Gründen vorschreiben zu lassen, wann ich am Morgen aufzustehen habe, wann ich die Mahlzeiten einnehmen muss usw. Ich mag nicht immer aufs Neue erklären müssen, wie meine anspruchsvolle Pflege von statten gehen muss. Wie könnte ich auch, bei meiner undeutlichen Stimme. Bei der Pflege ist es schwierig mit dem Kommunikationsgerät zu hantieren. Gut, wenn hierfür ein detaillierter Pflegeablaufplan und eine Buchstabentafel zur Verfügung steht. Für eine angepasste Lagerung können Fotos eine Unterstützung sein. Wenn die Pflege- und Unterstützungspersonen aus einem konstanten Team besteht, ist das wahrscheinlich am hilfreichsten. Mit der Unterstützung von meinem Mann (er hat hierfür seine Erwerbstätigkeit auf Eis gelegt) von meinem Sohn und der Unterstützung von Assistenzpersonen, kann ich ein Selbstbestimmtes Leben führen. Ich würde mir ein Selbstbestimmtes Leben für alle Menschen wünschen. Leider kommt es im Verlauf einer ALS-Erkrankung vor, dass die Pflege- und Medizinische Unterstützung so komplex wird, dass ein Heimeintritt unausweichbar wird. Zuhause ist eine professionelle 24-Stunden Unterstützung ohne Angehörige, schwer abzudecken. Trotzdem ist eine Pflege- und Unterstützung Zuhause oft günstiger als im Heim. Das Problem liegt bei den Verordnungen über die Finanzierung. Der Wechsel von der Objektfinanzierung zur Subjektfinanzierung würde ein Selbstbestimmtes Leben fördern.
14. Obwohl ich einen wunderschönen Garten habe und mittlerweile auch wieder zwei, drei Ausflüge im Auto unternehmen durfte, vermisse ich doch einiges. Ich möchte endlich wieder raus auf die Strasse, möchte meine Rollirunden drehen, mich mit der Familie und Freunden treffen, mich durch Geschäfte wühlen, in einer Gelateria einkehren und mich durch die Glacesorten arbeiten, mich einfach wieder freier fühlen. Trotzdem darf ich nicht jammern, es geht andern nicht besser. Ich denke an meine ALS Freunde in den Pflegeheimen. Aber dazu komme ich morgen.
15. Auch wenn es schon spät ist, so will ich wie versprochen, heute weiterschreiben.
Wie schon oben geschrieben, ist ein Heimeintritt für ALS-Betroffene manchmal unumgänglich. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn die medizinische und pflegerische Unterstützung Zuhause nicht gewährleistet werden kann. So ist es für alle Betroffenen schwierig, die benötigten Unterstützungsstunden abzudecken. Oft funktioniert ein Leben Zuhause nur, wenn Angehörige einen Teil der Unterstützung übernehmen. Für Personen, welche die ALS Diagnose im AHV Alter erhalten, ist ein Selbstbestimmtes Leben besonders schwierig. Sie haben im Gegensatz zu den im erwerbsfähigen Alter befindenden Betroffenen, kein Anrecht auf ein Assistenz-Budget der IV. Sie erhalten somit auch kein Geld, um Assistenz-Personen anzustellen und zu entlohnen.
Ich habe immer wieder Kontakt mit ALS-Betroffenen, die mit der Unterstützung in Pflegeheimen nur schwer klarkommen. Bedingt durch das stete Fortschreiten der Krankheit, wird der Unterstützungsbedarf immer umfänglicher und Zeitintensiver. Durch die knappen Pflegekraft-Ressoursen und das fehlendes Fachwissen über die Ansprüche von ALS-Betroffenen, ist eine optimale Unterstützung nicht einfach zu bewerkstelligen. Daher ist es zwingend, dass ein Pflegeheimeintritt von kompetenten ALS Pflegefachpersonen begleitet und unterstützt wird.
Es gibt immer wieder traurige Geschichten. Besonders jetzt während der Coronozeit, sind viele einsam und hilflos. Durch die eingeschränkten Besucherrechte, fehlen wichtige Bezugs- und Unterstützungspersonen. So verzögern sich auch wichtige Abklärungen sowie Hilfsmittel-Anpassungen.
Es kommt aber auch mal vor, dass ALS-Betroffene nach einer gewissen Zeit das Pflegeheim wieder verlassen, um Zuhause wieder ein Selbstbestimmtes Leben zu führen. Ich darf gerade einen solchen Wechsel am Rande mitverfolgen. Ich hoffe so sehr, dass es Zuhause funktionieren wird und die Lebensfreude zurückkehren wird.
20. Heute nehme ich mir frei und fahre über den Gotthardpass.
Aus einer Passfahrt wurden zwei und aus zwei wurden drei. Ich liebe diese Passfahrten, vor allem wenn wir wie heute oben ohne fahren können. Während im Tessin das Thermometer auf 29 Grad stieg, war es auf den Pässen angenehm frisch. Natürlich durfte auch heute der Picknickkorb nicht fehlen. Es war wieder mal wunderschön in den Bergen.
29. Die Tage sind im Eiltempo unterwegs und manchmal komme ich kaum dazu, hier über mein Leben zu berichten. Wenn ich am PC sitze kommen zuerst andere Dinge zum zug. So auch der Austausch mit ALS- Betroffenen, Angehörigen und dem ALS-Umfeld. Wegen Covid-19 findet der Austausch zurzeit nur schriftlich statt. Je nach Beeinträchtigung, ist diese Art der Kommunikation, nicht für alle gleich einfach. Bei vielen ALS- Betroffenen stehen dringende Abklärungen an, welche wegen der momentanen Regeln zurückgestellt werden mussten. Langsam finden wir wieder in unseren Alltag retour. Wir ALS- Betroffene gehören zur Risikogruppe von Covid-19 und müssen bei all den Lockerungen nach wie vor sehr vorsichtig sein. Ich lockere meine selbstgewählte Isolation, ebenfalls. Nach nunmehr zweieinhalb Monaten nehmen meine Assistenten nächste Woche ihre Arbeit wieder auf. Ab Mitte Juni bekomme ich auch wieder Physiotherapie. Ins Wasser kann ich leider noch nicht. Ich freue mich jedoch auf jedes noch so kleine Stück Freiheit, welches ich zurückbekomme.
Ich werde die gemeinsame Isolationszeit mit meinem Mann sicher etwas vermissen. Hatten wir doch eine wunderschöne Zeit zusammen. Doch jetzt gönne ich meinem Mann auch wieder mehr Zeit für sich und seine Projekte.
30. Eigentlich sind mein Mann und ich bereits im Mai, zwei- dreimal aus unserer Isolation Zuhause ausgebrochen. So fuhren wir wie heute auch, über die geöffneten Alpenpässe. Natürlich sind wir nirgends eingekehrt. Der Picknickkorb und die Kanne Urnerkaffee reichte völlig. Wir haben peinlichst darauf geachtet mit niemand anderem in Kontakt zu kommen. Ging immer gut, bis wir in eine Polizeikontrolle kamen. Das heisst; Fenster runter, Ausweis und Fahrzeugpapiere dem direkt vor dem geöffneten Fenster stehenden Polizisten übergeben, alles i.o., Papiere werden deshalb wieder retour gegeben, wir dürfen weiterfahren. Ein mulmiges Gefühl hatten wir trotzdem. Der Polizist trug weder einen Mundschutz noch Handschuhe. Wer weiss, wie viele Ausweise er bereits in der Hand hatte.
Ich habe mich gestern auch auf eine Rollirunde durchs Dorf gewagt. Ich freu mich so sehr, bald wieder weitere Strecken unter die Räder nehmen zu dürfen und meine bunten Masken auszuführen. Freiheit ist so wertvoll, so etwas Kostbares, passen wir auf sie auf.
JUNI
5. Der Findling in unserem Rasen wird gerne von Tieren zum herum krakseln und Sonne tanken benutzt. Oft dient er auch als Rückzugsort für unsere tierischen Gartenbewohner. So auch diese Woche, als eine meiner Assistentinnen und eine Blindschleiche aufeinandertreffen. Ich weiss nicht, wer von den Beiden sich mehr erschrak. Ich glaube, am liebsten hätten sich wohl Beide unter dem Findling versteckt. Ich kann in solchen Momenten niemandem helfen. Ich habe genug zu tun, mein Lachen unter Kontrolle zu bringen.
6. Ja, mein Lachen ist manchmal kaum zu bändigen. Meine Gedanken gehen mit Vorkommnissen oder dem Gesagten auf Reisen. Manchmal muss ich so lachen, dass sich meine Augen mit Tränen füllen und überlaufen. Da die Nase nicht hintenanstehen möchte, legt sie auch gleich los und fängt an zu laufen. Das Ganze führt dann zu einer Schleimbildung im Rachenraum, was wiederum zu Brechreiz oder Atemnot führt. Da nützt es auch nichts, wenn mir gesagt wird, ich solle mich beruhigen. Ich muss mich dann schon selbst aus der Situation entfernen. Besonders schwierig wird es, wenn der Lachanfall mitten bei einem Transfer eintritt. Wie oft musste mich mein Mann schon stützen, als ich an der Wand stand. Wieso muss er mich auch immer so zum Lachen bringen. Ich habe wohl immer schon viel gelacht. Durch die Pseudobulbäre Affektstörung (PBA) der ALS, wird dies einfach noch verstärkt. Starkes Weinen gehört ebenso zu einer Affektstörung. Kommt bei mir allerdings sehr selten vor. Vielleicht wären Tränen weniger peinlich als das Lachen. Aber, was soll's, ändern kann ich es ohnehin nicht. Ausserdem soll lachen ja gesund sein. Also lache mit.
7. Seit dieser Woche werde ich wieder vom ganzen Assistenz-Team unterstützt. Ich bin froh, hat sich mein Gesundheitszustand in den vergangenen drei Monaten kaum verändert. So lief die Wiederaufnahme der Arbeit meiner Assistentinnen reibungslos ab. Mit den Anpassungen an meinem Rollstuhl, welche durch meinen Mann vorgenommen wurden, mussten sie sich jedoch zuerst zurechtfinden. Langsam kommt auch bei uns die Normalität näher. So konnte auch unser Sohn endlich mal wieder an unserem Mittagstisch platznehmen. Jetzt freue ich mich auf nächste Woche. Ich will nach langer Zeit, zusammen mit einer Assistentin einkaufen "gehen". Blumen- und Gemüsesetzlinge gehören natürlich ebenfalls zum Einkauf. Mit Mund- Nasenschutz sollte ich hoffentlich genug gegen das Corona-Virus geschützt sein. Ich befürchte, er Einkauf wird sich garantiert in die Länge ziehen und die Einkaufstaschen schwer sein. Ich freu mich.
9. Seit Tagen hängen die Wolken tief in die Täler und lassen kaum einen Sonnenstrahl durch. Immer wieder entleeren sich die Wolken und lassen die Natur vom kostbaren Nass trinken. Wenn die Wolken mal einen Blick in die Berge zulassen, kann ich sehen, wie die Bergspitzen wieder weiss tragen. Diese Tatsache rechtfertig auch das Tragen von Winterpullis im Juni. Es ist merklich kühler geworden und ich bin froh, hat mein Mann mir zu liebe die Heizung nochmals hochgefahren. Menschen die sich, wie ich, nicht gross bewegen können und den Tag sitzend in einem Rollstuhl verbringen, haben oft schneller kalt als Fussgänger. Nun hoffe ich, dass sich die Sonne in den nächsten Tagen gegen die Wolken durchsetzen vermag.
Trotz des ungemütlichen Wetters wollte ich auf mein erstes Einkaufen nach fast drei Monaten nicht verzichten. Natürlich durfte dabei der Mundschutz nicht fehlen. Wie vermutet waren die Einkaufstaschen nach dem Einkauf gut gefüllt. Nicht nur Lebensmittel, Haushalts- und Pflegeartikel mussten danach Zuhause verstaut werden, auch Blumen mussten eingepflanzt werden. Zudem musste für die Süsskartoffelpflanze ein geeignetes Plätzchen im Garten gefunden werden. Ich freue mich, bald wieder die Natur im Garten beobachten zu können.
11. Eine wunderschöne Reise liebe Pink Lady
Menschen treten in unser Leben und begleiten uns eine Weile. Einige bleiben für immer, denn sie hinterlassen ihre Spuren in unseren Herzen.
14. Gestern habe ich meine Dorfrunde schon mal erweitert. Da ich ohne Maske unterwegs sein wollte, wählte ich die Wege abseits der gängigen Routen. Ich habe mich ausgiebig den Natursteinmauern und den in den Mauerritzen wachsenden Pflanzen am Wegesrand gewidmet. Einige der Pflanzen sieht man nicht mehr so oft und ich freue mich, wenn ich ein Pflänzchen entdecke, dessen Existenz ich vergessen hatte. Ich habe so genossen, ganz allein Unterwegs zu sein. Heute wäre eine solche Runde auf Grund des Wetters nicht möglich gewesen. Die Kälte bekam ich schon am Freitag zu spüren. Mit meinem Mann, meinem Sohn und Hündin Elly sind wir dem Föhn entfliehend auf den Gotthardpass gefahren. Wir wollten dort zum Stausee wandern. Ich schaffte jedoch knappe 100 Meter und musste wegen der Kälte wieder zum Auto zurückkehren. Das kalte Wetter mit dem Nebel schwappte vom Tessin herkommend bis über den Pass. Obwohl es heute wärmer ist als die 5 Grad, die am Freitag auf dem Gotthardpass herrschten, habe ich heute auch im Haus kalt. Zu meinem Glück gibt es die gute alte Wärmeflasche immer noch. Sie und der von mir gern getrunkene Lindenblütentee lassen mich das nasskalte Wetter leichter ertragen. Ich freue mich, wenn dann auch noch meine Nasenspitze warm ist. Warum muss sie auch immer zuvorderst stehen.
15. Manchmal frage ich mich schon, warum ich tagtäglich Stunden aufwende und so versuche, das Leben von Menschen mit Beeinträchtigungen zu verbessern oder sie durch ihre Krankheit zu begleiten. Manchmal möchte ich mich zurückziehen und andern die Arbeit überlassen. Ich möchte auf Reisen gehen, unseren wunderschönen, vielfältigen Planeten erkunden und kennenlernen. Einfach losfahren, ohne Ziel vor den Augen, frei sein wie ein Vogel. Aber darauf muss ich wohl noch ein Jahr zwei warten und durchhalten. Solange Menschen ohne Beeinträchtigungen meinen, sie wüssten was das Beste für uns Menschen mit Beeinträchtigungen ist, werde ich nicht still sein. Solange noch so viele Entscheidungen von Menschen getroffen werden, die wenig Ahnung haben, was der Alltag von Menschen mit Beeinträchtigungen abverlangt, kann ich nicht still sein. Schön wäre es schon, wenn ich mehr Menschen mit Beeinträchtigungen motivieren könnte, sich aktiv für unsere Lebensqualität einzusetzen oder uns solidarisch zu unterstützen. Ich wünschte mir, wir Menschen würden nicht nur die glänzenden Fassaden bewundern, sondern immer auch mal einen Blick hinter die Fassaden wagen. Dies alles hört sich etwas enttäuscht an, was ich wohl auch bin. Vielleicht bin ich auch einfach etwas traurig, weil ich vor ein paar Tagen eine aktive Unterstützerin und Kämpferin durch die Krankheit ALS verloren habe.
17. .... dann erreichen mich aus weiter Ferne Zeilen und ich weiss warum ich meine "Arbeit" tue. Vielen Dank nach Hamburg. Ab Morgen soll ja auch das Wetter wieder freundlicher werden und so kann ich wieder in "meinen" Garten. Ich freue mich auf die Sonnenstrahlen.
18. Sonnenstrahlen, naja. Die Sonne hat sich ein paarmal schüchtern zwischen den Wolken gezeigt. Aber auch wenn immer wieder Regentropfen vom Himmel fielen, hielt es mich nicht davon ab, mit meiner Assistentin im Garten nach dem Rechten zu sehen. Das Gemüse, die Salate, die Früchte und Pflanzen wachsen kräftig und einiges kann geerntet werden. Der Fenchel zum Zmittag hat hervorragend geschmeckt und die Rhabarberwähe zum Zviere hat ebenfalls gemundet. Eigentlich geht es mir schon gut. Es ist nämlich gar nicht selbstverständlich, dass ich nach so vielen Jahren nach der Diagnose ALS, nach wie vor über den Mund essen kann. Wenn ich mich dann irgendwann mal mittels Peg-Sonde ernähren muss, hoffe ich, dass ich die guten Sachen vom Garten sondengerecht gemixt verabreicht bekomme. Also geniesse ich das Essen solange ich es kann.
21. Heute findet der alljährlich am 21. Juni stattfindende Internationale ALS Gedenktag statt. An diesem Tag machen ALS Organisationen mit div. Events, Artikeln in den Medien usw. auf die Krankheit Amyotrophe Lateralsklerose aufmerksam. Gerne wird dieser Tag auch genutzt, um Spendengelder für die Unterstützung der von der Krankheit ALS betroffenen Menschen und ihren Angehörigen zu sammeln. Auf Grund der Corona-Situation konnten kaum Events geplant, geschweige denn, heute durchgeführt werden. Also neue Ideen mussten her. Da ich selber von dieser, noch immer nicht heilbaren Krankheit betroffen bin, hab auch ich mir Gedanken gemacht. So stellte ich gestern Nachmittag für unseren Verein ALS Community Schweiz kurzerhand folgendes Video zusammen.
Wenn auch du ALS Community Schweiz bei der Unterstützung der von ALS betroffenen Menschen und Angehörigen helfen willst, so nimm einfach mit dem Verein Kontakt auf oder werde Mitglied.
26. Die Zeit, sie läuft und läuft und schon wieder ist eine Woche um. Am Montagmorgen war ich wieder bei meiner Neurologin in Basel. Dort erhielt ich wieder meine Botox-Injektion in den linken Unterarm. Diese Behandlung löst die Spastik in meinen Fingern. Zusammen mit Ergotherapie lassen sich meine Finger wieder besser öffnen. Schmerzende Kontrakturen und eine Verkürzung der Sehnen kann dadurch verringert werden. Übrigens, die beiden Stiche tun nicht weh.
Nach der Behandlung machten mein Mann und ich noch einen Abstecher ins Jura. Natürlich mit dem Picknickkorb im Cabrio.
Bei dem schönen Wetter durfte eine Rollitour diese Woche auch nicht fehlen. Weit kam ich allerdings nicht. Die erste Pause legte ich beim Bauernhof von einem meiner vier Brüdern ein. Trotz Heuer-Stress lag ein Schwatz mit meinem Bruder, Schwägerin und ihren Söhnen drin. Als sich dann auch noch eine von meinen vier Schwestern zu uns gesellte, wurde der Schwatz ausgedehnt. Schliesslich haben wir uns in der vergangenen Coronazeit kaum gesehen. Bei meiner Weiterfahrt traf ich dann auch noch auf einen weiteren Neffen.
Am Mittwoch dann, nahm ich mit zwei meiner Assistentinnen am ALS-Care-Training teil. Wie immer führte Bea Goldman mit ihrem enormen ALS-Fachwissen professionell durch das Thema Atmung. Ich habe die Care-Training Module bereits vor ca. 15 Jahren absolviert. Eine Auffrischung konnte also nicht schaden. Damit mich meine Assistentinnen im ALS-Alltag symtomgerecht unterstützen können, habe ich sie gleich für alle 8 Module angemeldet. Müde und an Wissen reicher beendeten wir das Training und machten uns auf den 70-minütigen Heimweg.
Mit den Terminen der Ergo- und Physiotherapie und den Verwandtenbesuchen im Spital, war diese Woche gut ausgefüllt.
Es reichte aber trotzdem, mich immer wieder in unserem Garten aufzuhalten. Heute sogar mit einem tierisch lieben Besuch. Warm hatten wir Beide.
Und schon wieder muss ich von einem Mitglied aus
der ALS Familie Abschied nehmen. Eine wunderschöne Reise liebe Anthea
J ULI
1. Guten Morgen im sonne- und wärmebringenden Sommermonat.
Heute gabs wieder einen wunderschönen Tag im Garten. Dazu hat nicht nur das schöne Wetter beigetragen, vielmehr noch war es lieber Besuch, der den Nachmittag verschönerte. Es tat gut, uns mal wieder mit Menschen auszutauschen, welche wir auf Grund der Corona seit längerem nicht mehr gesehen haben. Vom plötzlich einsetzenden Gewitter liessen wir uns nicht aus dem Garten vertreiben und so setzten wir uns einfach in unser Gartenhäuschen. Piet hat es vor einiger Zeit etwas aufgepeppt. Ich fühle mich darin sehr wohl und so schreibe ich auch oft im Gartenhäuschen. Ich bin froh, um den Ideenreichtum und die Vorstellungsfähigkeit von meinem Mann. So kann ich mich mit dem Rollstuhl im Garten frei bewegen.
4. Immer wieder schön, auf der alten geplästerten Tremola den Gotthardpass hochzufahren und dabei der historischen Gotthard-Postkutsche zu begegnen.
6. Sorry, ich habe zurzeit etwas Mühe mit Schreiben. Ich bin etwas angeschlagen und verletzt. Nicht körperlich, da bin ich durch meine Krankheit reichlich eingedeckt und ich komme mit all den körperlichen Einschränkungen eigentlich gut durch den Alltag. Nein, es ist mein Selbstwertgefühl, das angeschlagen ist. Und das alles, weil ich nicht handschriftlich Unterschreiben kann. Eigentlich wollte ich nur ein Vereinskonto beim gelben Riesen eröffnen, doch leider steckt sie immer noch in der Postkutschenzeit fest. Vorausschauend habe ich meinem Mann bereits vor Jahren eine notariell beglaubigte Generalvollmacht erteilt um unteranderem für mich Unterschreiben zu können. Das hat der gelbe Riese nicht akzeptiert und nach langem Warten, vielen Nachfragen meinerseits und vielen Vertröstungen von Seiten des gelben Riesen, verlangten sie nach einiger Zeit eine Ärztliche Bescheinigung, welche meine Unfähigkeit eine handschriftliche Unterschrift zu leisten, bestätigt. Sicherheitshalber liess ich vom Arzt zusätzlich meine einwandfreie Geistige Verfassung bestätigen. Doch anscheinend reicht das Alles immer noch nicht. Das Ganze zieht sich nun schon über mehrere Wochen hin und ein Ende der Schikanen und Diskriminierung ist nicht in Sicht.
7. Wer mich kennt, weiss, dass ich solch ein Verhalten nicht hinnehme. Ich setze mich selbst seit einigen Jahren für die Belange von Menschen mit Einschränkungen ein. Dabei konnte ich mir ein kleines Netzwerk aus Vereinen und Behinderten-Organisationen aufbauen. Als Selbstvertreterin versuche ich meine Anliegen selbst zu vertreten und räume Hindernisse selbst aus dem Weg. Manchmal kann ich aber noch so kämpfen und komme trotzdem nicht ans Ziel. Dann bin ich froh, auf das Netzwerk zurückgreifen zu können. So habe ich mir nun Unterstützung geholt. Werde wieder berichten.
Ein Erfolgserlebnis hatte ich heute trotzdem. Ich habe es geschafft, über die Rollstuhlsteuerung selbstständig ein paar Fotos mit dem Handy zu machen. Jippie! Nur nicht unterkriegen lassen.
10. Leider kann ich immer noch nichts Positives vom gelben Riesen berichten. Für das weitere Vorgehen wurde mir gestern nun die "Kampfmontur" angezogen. Verliere in all deinen "Kämpfen" nie den Humor.
Schon wieder muss ich von einer lieben Kämpferin aus der ALS Familie Abschied nehmen. Lieber Kurt, auch dir wünsche ich eine wunderschöne Reise.
12. Nicht das Corona-Virus reisst Lücken in unsere ALS-Familie, es ist die Krankheit ALS, welche uns Betroffenen das Leben raubt. Zurzeit wird in vielen Ländern nach einem Medikament gegen das Corona-Virus geforscht. ALS Betroffene warten schon über 150 Jahre auf ein Medikament, welche die Krankheit ALS heilbar macht. Traurig!
13. Seit dem Vereinskonto-Antrag sind nun anderthalb Monate verstrichen und eine Lösung ist noch immer nicht in Sicht. Obwohl ich zu unserer Unterstützung den Rechtsdienst einer Behinderten-Organisation eingeschaltet habe, gehts kaum vorwärts. Eigentlich hätte ich nochmals ein Papier zur Unterschrift erhalten sollen, doch ich warte immer noch. Ich sehe das Vorgehen des gelben Riesen als eine Diskriminierung mir als Mensch mit Behinderung gegenüber. Es ist für mich unfassbar und nicht akzeptierbar, wie mit Rechten von Menschen mit Behinderung umgegangen wird. Schliesslich haben wir das BehiG (Behindertengleichstellungsgesetz) und ausserdem hat die Schweiz im Jahr 2014 die UNO-Behindertenrechtskonvension ratifiziert. Diese soll Menschen mit Behinderungen vor solchen Schikanen schützen. Jetzt werden wir wohl das EBGB (Eidgenössisches Büro für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen) einschalten. Werde dann wieder berichten.
Trotzdem kann ich etwas Erfreuliches vom heutigen Tag berichten. Heute Morgen hatte ich eine Besichtigung mit einem Projektverantwortlichen des Kantons betreff der Rollstuhlbefahrbarkeit eines Weges. Das Gespräch fand auf Augenhöhe statt und verlief positiv. Die Anpassungen werden in den nächsten Tagen ausgeführt.
18. Bin gespannt, was sich der gelbe Riese noch alles einfallen lässt. Jetzt mussten wir nochmal was abändern und unterschreiben. Ob jetzt der Schikanen genug sind werde ich dann wieder berichten.
Zum Glück haben wir so wunderschöne Landschaften um uns herum. Die Natur nimmt mich so wie ich bin und gibt mir den Boden, den nötigen Halt, wenn ich wieder mal an der Menschheit zweifle.
Bilder vom gestrigen Ausflug. Route: Gotthard - Centovalli - Domodossola - Simplon - Brig - Furka
23. Trotz meinen körperlichen Einschränkungen, will ich kein Bedauern. Ich will nur, dass ich von unserer Gesellschaft als Eigenständiger Mensch wahrgenommen und behandelt werde. Offenbar reicht es aber nicht, mit körperlichen Einschränkungen leben zu müssen. Nein, man muss mir noch zusätzlich Hürden in den Weg stellen. Die vergangenen zwei Monate haben Nerven gekostet und viel Geduld gefordert. Und dies auf Grund meiner körperlichen Einschränkungen, welche es mir verunmöglicht eine handschriftliche Unterschrift zu leisten. Nun scheint es, dass das Ende des Tunnels in Sicht ist. Vielleicht hat Jemand beim gelben Riesen einfach mal den Lichtschalter betätigt, um so Licht in die Sache zu bringen. Auch wenn es Kraft gekostet hat, so bin ich froh, dass ich nicht aufgegeben habe.
Wie ich erfahren habe, arbeitet eine Organisation, die sich für Belange von Menschen mit Behinderungen einsetzt, bereits seit einiger Zeit an einer Unterschriften-Regelung für Bankgeschäfte, Verträge usw. für Menschen mit Behinderungen. Ich hoffe sehr, dass bald eine Lösung gefunden wird und niemand mehr so einen Irrgarten durchwandern muss, wie ich, in den beiden letzten Monaten.
28. Ich habe zurzeit Mühe mit Schreiben. Mein Klickfinger streikt mal wieder. Vielleicht geht es Morgen besser. Ich schreibe eben immer noch lieber mit den Fingern als mit den Augen.
29. Seit ca. einem Jahr bekomme ich gegen die Spastik in meinen Fingern, alle drei Monate, Botox-Injektionen in die Unterarmmuskulatur. Die Injektionen zeigen Wirkung. Meine zur Faust eingerollten Finger lassen sich wieder besser öffnen und strecken. Nachteil, mein Klickfinger hat durch die geringere Spastik, an Kraft eingebüsst. Wenn mir die Krankheit, wie jetzt gerade, weitere Einschränkungen auferlegt, dann ist es auch für mich nicht immer einfach zu akzeptieren, dass wieder ein Stück meiner Selbstständigkeit wegbricht. Dann fliesen auch bei mir schon mal Tränen. Ich weiss, dies darf ich mir auch leisten. Nun heisst es aber, wieder neuen Mut zu fassen, mich neu einzurichten und zu organisieren. Daran arbeite ich nun.
In einer Sache habe ich wieder etwas an Selbständigkeit zurückgewonnen. So kann ich mittels Rollstuhl-Joystick, die Kamera auf meinem Handy bedienen und so einfache Fotos machen. Die Positionierung und die Befestigung des Handys sind noch verbesserungsfähig. Da ich das Handy nicht bewegen kann, muss ich den Bildausschnitt mit Positionsänderungen des Rollstuhls erreichen. Auch durch Neigungsveränderungen des Rollstuhls, kann ich den Blickwinkel verändern. Man sieht mich schon mal in halb liegender Rollstuhlposition vor einer Blumenwiese oder einem Gewässer stehen. Ob für alle, die meinen Weg kreuzen, ersichtlich ist, was ich da tue, bezweifle ich. Das spielt aber auch keine Rolle. Ich freue mich jedes Mal und bin gespannt, wenn ich meine neu geknipsten Bilder auf dem PC anschaue und allenfalls bearbeiten kann. Das Titelbild oben ist eines meiner Neusten. Musste ganz schön nahe ans Wasser fahren. Ich finde, es hat sich gelohnt.
AUGUST
3. Da mich der Regen vom Aufenthalt im Garten abhält, widme ich mich heute Schreibarbeiten. Mal schauen, wieviel Tagebuchzeilen drin liegen. Ich habe meinen Klickfinger schon ganz schön gefordert heute.
Mit der Augensteuerung zu schreiben würde funktionieren. Mit gewissen PC-Anwendungen habe ich aber immer noch meine liebe Mühe. Für Jemanden der wie ich schon immer gerne über Dies und Das diskutiert hat, fällt die Einschränkung der Lautsprache, aufgrund des Fortschreitens der Krankheit, besonders schwer. Das nicht oder falsch verstanden werden, ist unbefriedigend und frustriert. Wenn sich mein Gegenüber dann aus diesem Grund vermehrt mit meiner Assistentin unterhält, finde ich dies nicht so toll. Wenn dies passiert, bin ich selber schuld. Denn dann habe ich bei der Instruktion meiner Assistentin etwas falsch gemacht.
In den letzten Jahren habe ich das Schreiben und das Zeichnen am PC entdeckt. Das fällt mir nun auch immer schwerer. Ich muss nun halt einfach in Raten schreiben. Irgendwie geht es immer.
9. Mit all den Beeinträchtigung und Einschränkungen, welche die Krankheit ALS mit sich bringt, habe ich gelernt zu leben und zu akzeptieren. Auch, dass mein Sohn sein künftiges Leben mit der Krankheit Epilepsie wird meistern müssen, werde ich akzeptieren müssen. Trotzdem hadere ich mitunter und frage mich warum. Vorallem dann, wenn ich wie heute in das verletzte Gesicht meines Sohnes nach einem EPI-Sturz sehe. Am Donnerstag ist er bei einem Epi-Anfall die Aussentreppe seines Hauses heruntergefallen und mit dem Gesicht auf einen Geländerpfosten aufgeprallt. Fazit; Nase, Jochbein, Kiefer gebrochen und Arm verletzt. Das tut mir im Herzen weh. Ich würde wie jede andere Mutter auch, gerne alle Schmerzen und alle Einschränkungen, die eine Epilepsie mit sich bringt auf mich nehmen, wenn ich das nur könnte. Ich weiss aber um die Stärke meines Sohnes, er wird die Herausforderung Epilepsie meistern.
Meinem Mann und zugleich Vater meines Sohnes wird es mit uns nie langweilig. Mein Sohn und ich halten ihn zurzeit ganz schön auf Trab. Ich bin froh, um seine mentale Stärke. Ich weiss, wir können immer auf ihn zählen. Ein grosses Glück, ihn an meiner Seite zu wissen.
12. Mein Sohn hat die heutige OP gut hinter sich gebracht. Ich bewundere seinen Humor und seine positive Haltung, mit der er sich der momentanen Situation stellt. Witze erzählen sollte man in seiner Umgebung jedoch noch nicht. Die Platten, Drähte und Gummischlaufen im Kiefer hindern ihn daran zu lachen. 😊 Es geht wieder aufwärts.
15. Ich sitze mit meinem Laptop auf dem Balken und geniesse die kühler werdende Abendluft. Bereits zeichnen sich weisse Wolken und einzelne Sterne am immer dunkler werdenden Himmel ab. Ein wunderschöner Sonnentag geht langsam in die Nacht über. Wie Laternen dringen Lichter aus den Häusern und geben Wärme und Geborgenheit in die Nacht. Aber auch die vielen Autos auf der Autobahn tragen zur Lichtquelle bei. Der Ferienrückreiseverkehr ist heute besonders hoch. Ein Auto reit sich auf der Nord- Südachse ans Andere. Für viele wird es eine lange Nacht werden. Ich bin froh, war ich heute mehrheitlich auf den Strassen des Langsamverkehrs unterwegs. Obwohl, auch dort war das Aufkommen von Spaziergängern, Wanderer, Bikern und wie ich, Rollstuhlfahrenden erhöht. Trotzdem liess ich es mir nicht nehmen, die eben erst fertiggestellte Brücke über die Reuss (Ryyssboogebrugg) mit dem Rollstuhl zu testen. Sie ist genial. Da sie ohnehin auf einer von meinen Lieblingsrouten liegt, werde ich sie nun öfters befahren. So, nun muss ich rein. Es wird kühler und das Licht des Laptops zieht immer mehr Insekten an.
22. Jetz sitzi scho wieder ufum Balkon und lüäg i dr Gägend umänant. Auf der Autobahn ist nicht mehr gar so viel los wie vor einer Woche. Dafür steht ein Güterzug vollbeladen mit Lastwagen-Containern auf den Schienen der Nord- Südachse und wartet auf das Signal zur Weiterfahrt. Es ist auch wesentlich ruhiger und auch kühler. Der Herbst kommt auf leisen Sohlen näher. Bereits verlieren einzelne Blätter an Sträuchern und Bäumen ihre meist grüne Farbe. Und ich war noch nicht mal in den Ferien. Klar wohne ich mit all den vielen Bergen, den grossen und kleinen Seen, der Fauna und Flora an einem wunderschönen Ort. Wenn ich gehen, wandern oder auch einfach in einen der Seen springen könnte, bräuchte ich auch nirgend anders hin zu fahren. Doch mittlerweile muss ich mich mit den Wahrnehmungen meiner Sinne begnügen. So würden sich meine Augen, meine Ohren und auch meine Nase auf Neues freuen. Das nicht in die Ferien fahren können geht auf Grund des Virus, auch vielen andern so. Besonders jenen, welche wie ich zur Risikogruppe zählen. Eine Lungenentzündung würde unsere geschwächte Atmung zusätzlich belasten. Also, brav zu Hause bleiben, statt in ferne Länder reisen.
So drehe ich meine Rolli-Runden weiterhin in der näheren Umgebung. So fuhr ich gestern eine Strecke auf dem Weg der Schweiz. Die Sonne meinte es Gestern besonders gut mit mir. So war ich froh, dass die Strecke am See entlangführte und mir Abkühlung suggerierte. Klar hätte ich es den vielen Seebesuchern gerne gleichgetan und eine Abkühlung im See vorgezogen. Aber was soll's, die Strecke hat noch mehr zu bieten. Ich fuhr über Holzbrücken, an Felswänden entlang, durch tropfende Tunnels und lenkte meinen Rolli auf Naturwege am See entlang. Leider ist der Weg an manchen Stellen in schlechten Zustand. Für Fussgänger ist dies weniger ein Problem. Für Rollstuhlfahrende hingegen stellen die ausgewanderten, ausgefahrenen und vom vielen Regen ausgewaschenen Wege eine Gefahr dar. So fuhr ich gestern auf einen Stein auf und konnte meinen Rolli weder zum Vor- noch zum Rückwärtsfahren bewegen. Ich war froh, halfen mir Fussgänger aus meiner misslichen Lage. Es ist für mich unverständlich, warum solche wunderschönen Wege nicht besser gepflegt werden. Autostrassen, Kreisel, Velowege, Bike-Strecken usw. werden realisiert. Für Strecken wie der Weg der Schweiz fehlt das Geld für die Instandhaltung. Sehr schade.
23. Für die ALS-Forschung stelle ich mich immer wieder für Studien zur Verfügung. So legte ich mich auch diese Woche wieder für 50 Minuten in die Röhre. Alle 6 Monate wird dieses Prozedere wiederholt. In der Hoffnung, durch eventuelle Veränderungen, Rückschlüsse auf die Krankheit ALS ziehen zu können. Auch wenn es mir selber wohl nichts bringen wird, so vielleicht für später Erkrankende. Für sie mache ich das gerne.
Ich nehme auch immer wieder an Fortbildungen über ALS teil. So besuche ich zurzeit die 8 Module des ALS-Care-Trainings. Diese werden von der Muskelgesellschaft organisiert und von der Care-Training Initiantin Bea Goldman vom Caregiver-Center geleitet. Das Einbringen ihrer Erfahrungen durch ihre jahrelange Arbeit an der Basis ist unschätzbar. Auch das Einbinden der Erfahrungen von Betroffenen, Angehörigen und Pflegenden in die jeweiligen Module sind enorm wertvoll.
Im Jahr 2004 besuchte ich schon mal alle Module und bin heute erstaunt, wieviel Neues dazugekommen ist. Ich kann den Besuch dieser Module allen ALS- Betroffenen, Angehörigen und im ALS- Umfeld tätigen Personen und Organisationen nur ans Herz legen. Ich und meine Assistentinnen freuen uns bereits jetzt aufs Nächste interessante und lehrreiche Modul zum Thema Pflege Zuhause.
30. Judihui und Yippee ei o! Jetz, am speeterä Sunntignamitag, chund doch tatsächlich nu d'Sunnä cho viirälüägä. Das het geschter und hyt aber eu abbä glärt. Eu d'Temperätürä sind rächt zruggangä. Und da ich sid minära Erchrankig viu schnewer chaut ha, hanni mies Summer-Autfit gägä wärmeri Chleider miässä tüschä.
Ich hoffe aber, dass der September doch noch viele warme Sonnentage bringt und uns so den Sommer verlängert. Jetzt, da mein Rolli wieder einen neuen Reifensatz bekommen hat, möchte ich noch einige Touren unternehmen. War ich Früher zu Fuss unterwegs, so bewege ich mich seit 2004 auf vier Rädern vorwärts. Mein erster Rollstuhl der speziell auf meine Bedürfnisse angepasst wurde, war ein Storm von Invacare. Dieser leistete bis ins Jahr 2012 gute Dienste. Sein Nachfolger, der C350 von Permobil, ist auch schon wieder seit acht Jahren bei mir im Einsatz. Tagtäglich verrichtet er ohne Widerspruch über zwölf Stunden seinen Dienst. Durch seine Anpassungsfähigkeit hilft er mit, ein Teil meiner Selbständigkeit zu erhalten. Es wundert nicht, dass der Rollstuhl bislang mein wichtigstes Hilfsmittel ist. Darum lege ich auch grossen Wert auf seine Pflege. Er bekommt einmal in der Woche eine rundum Reinigung. Diese liegt im Aufgabenbereich meiner Assistentinnen. Kleinere Reparaturen und Anpassungen darf ich meinem Mann übergeben. Für einen Pneuwechsel, grössere Anpassungen und dem gleichzeitig durchzuführenden Service besuchen wir persönlich die Permobil Werkstatt. Ja, ich mag meinen Stuhl, er gehört zu mir.
Numä nid gschprängt. Scheen siferli i niwä Monet schtartä.
SEBTEMBER
2. Der Schnee auf den Bergspitzen hat die Kälte gebracht und mir Hals- und Ohrenschmerzen. Irgendwo muss ich einen Zug erwischt haben. Ich fühle mich auch sonst nicht ganz so fit. Wie immer in so einem Fall, verbringe ich die Nachmittage im Bett. Damit ich schnell wieder die Betriebstemperatur erreiche, teile ich mein Bett mit zwei Wärmeflaschen. Zudem macht es sich ein Traubenkernkissen auf meiner Brust bequem und ein Schal schmiegt sich um meinen mit Wick VapoRub bestrichenen Hals. Natürlich findet auch mein Laptop noch Platz. Einfach nur da liegen, passt nicht zu mir. Dazu müsste ich dann schon krank sein. Morgen habe ich wieder einiges vor. Darum mache ich jetzt auch Schluss und stehe Morgen pudelmunter mit der Sonne wieder auf.
9. Heute schreibe ich mal nicht selbst. Gerne lege ich euch dafür die Zeitschrift von Agile.ch mit interessanten Beiträgen zum Lesen nahe. Agile.ch setzt sich mit denen Themen auseinander, welche für mich als Mensch mit Behinderung und praktizierende Selbstvertreterin wichtig sind. Daher stand ich auch gerne für ein Portrait zur Verfügung. Danke Barbara für den angenehmen Nachmittag.
14. Der Sommer ist zurück und so halte ich mich so oft wie möglich im Freien auf. Wenn es in meinem Gartenhäuschen zu warm und unter dem Sonnensegel zu drückend ist, fahre ich mit dem Rolli unter den Ahornbaum. Vor ca. 4 Jahren haben wir ihn als kleines Bäumchen in die Mitte des Rasens gesetzt. Heute kann ich mich bereits in seinen Schatten legen. Sein Geäst lässt die Luft zirkulieren und die Blätter bewegen sich leicht mit dem Wind. Ab und an löst sich ein müdes Blatt vom Ast und segelt kreiselnd zum Boden. Auch die Äste vom Nussbaum, welche in den Rasen reichen, lassen täglich mehr Blätter los. So verwandelt sich der satt-grüne Rasen immer mehr in einen braunen, knisternden Teppich.
Ich drehe natürlich auch immer wieder kleinere und grössere Rolli-Runden oder fahre mit meinem Mann mit dem Cabrio durch die Berge. Ich hoffe, die Sonne lässt mich noch viele Stunden Vitamin D tanken.
16. Natürlich kann auch ich nicht andauernd in der Sonne liegen oder unterwegs sein. Dafür sorgt meine aufwendige Pflege, welche jeden Morgen zwischen 1 - 2 Stunden beansprucht. Dann folgt an zwei Wochentagen 1 Stunde Physio- und Ergotherapien. Hinzukommen Besuche beim Neurologen, Lungenarzt und Studienteilnahmen. Ab und zu besuche ich ALS-Betroffene Zuhause und in Pflegeheimen. Viel Zeit investiere ich um per Mail, WhatsApp und SMS mit ALS-Betroffenen und Angehörigen zu kommunizieren. Dieser Austausch ist mir sehr wichtig. So bin ich die Administratorin des ALS-Familien-Chats und die Organisatorin des 4-mal im Jahr stattfindende ALS-Familien-Stammtisch. Ebenfalls betreue ich meine eigene Homepage, sowie die HP von ALS Community Schweiz und von Selbstvertretung Uri und deren Facebookseiten. Ausserdem habe ich mit "alten" Weggefährten den Verein ALS Community Schweiz gegründet. Dessen Aufbau nimmt doch etliche meiner Zeit in Anspruch.
Dazu später mehr, muss jetzt nach Basel zur ALS-Sprechstunde.
So, bin wieder zurück von der Sprechstunde. Meine Neurologin und ich sind zufrieden mit meiner körperlichen Verfassung. Bei den Therapien und bei der Medikation ändert sich kaum was. Ausser, dass mir eine Handschiene für die Nacht angepasst wird (am Tag benötigte ich die Hand zum Arbeiten) und ich werde versuchsweise ein zusätzliches Medikament für eine mögliche, deutlichere Aussprache einnehmen. Für den Tipp, ein Dankeschön nach Hamburg. Wir Betroffenen unterstützen einander. Für uns gibt es keine Landesgrenzen.
Morgen mehr, jetzt bin ich müde.
21. Jetzt hani dänkt, ich chennt de im Herbscht glich nu äs paar Täg i Pferiä, aber nei, diä cheibä Corona-Fauzahlä stieget wieder bedänklich a. Zum Glick wohn ich innerä wunderscheenä Gägend. Susch wird mer de eppä Tächi ufä Chopf ghiä.
Ich liebe es sehr, mit dem Rolli entlang von Seen zu fahren. Ich höre- und sehe fasziniert zu, wie die Wellen ans Ufer schlagen. Ich geniesse dabei den Duft des Wassers, den meine Nase wahrnimmt. Wenn dann noch schönes, warmes Sommerwetter ist, kann es vorkommen, dass sich Wehmut in mir breit macht. Wie gerne würde ich wie viele andere Menschen auch, in den See springen, um mich abzukühlen oder einfach, weil es so herrlich im Wasser ist. Es ist nicht immer einfach, den Verlust der körperlichen Bewegungsfreiheit und der damit verbundene Spontanitätsverlust, gelassen hinzunehmen. Das mit dem Wasser ist wie mit dem werdenden Heu. Wenn der Duft in die Nase steigt, weitet sich mein Brustkorb und unterschiedliche Gefühle machen sich bemerkbar. Ein Gefühl von Vertrautem aus der Kindheit, traurige über nicht Wiederkehrendes oder Freude und Dankbarkeit fürs hier und jetzt.
Nun hoffe ich mal, dass ich bald wieder die Physiostunden im Wasser aufnehmen kann und das Therapie-Bad nicht wieder wegen Corona geschlossen werden muss.
Menschen die wie ich, von der unaufhaltsam-fortschreitenden Krankheit ALS betroffen sind, müssen sich dauernd mit verändernden Situationen auseinandersetzen. Wie schon oft geschrieben, sind wir der Krankheit im Idealfall immer einen Schritt voraus. Das ist oft nicht einfach. Viele Faktoren spielen dabei eine Rolle. Das fängt beim Hausarzt an. Wie rasch erkennt er die Dringlichkeit einen Neurologen beizuziehen. Mitunter machen Patienten eine Odyssee von Untersuchungen und Überweisungen durch, bis sie bei dem Facharzt ankommen, der sich mit dieser Krankheit auskennt und die Krankheit beim Namen nennt. Es gibt eben keinen Test, der auf die Krankheit hinweist. Ich hatte Glück mit meinem Hausarzt. Da er vor mir bereits von ALS- betroffene Patienten in seiner Praxis hatte, wusste er wahrscheinlich schon bei meinem zweiten Besuch (Daumen-Delle, schwindende Kraft im Arm) was geschlagen hat. So wurde ich auch zügig nach Luzern zu einem Neurologen überwiesen. Ein Neurologe wendet dabei das Ausschlussverfahren an. Das heisst: durch diverse Untersuchungen werden Krankheiten ausgeschlossen. Bei uns heisst es dann am Schluss "Verdacht auf ALS". Je früher diese Diagnose steht, desto eher kann mit den Behandlungen, mit der Medikation begonnen werden. Auch wenn diese Massnahmen keine Heilung bringen, so kann zumindest eine Verbesserung der Lebensqualität herbeigeführt werden.
„Und am Ende sind es nicht die Jahre in deinem Leben, die zählen. Es ist das Leben in deinen Jahren.“
Abraham Lincoln
23. Gestern Nachmittag habe ich in Begleitung einer meiner Assistentinnen einen für nächste Woche geplanten Gruppen-Ausflug abgelaufen, sprich mit dem Rolli abgefahren. Das Wetter war perfekt zum Wandern und die Strecke am See entlang wunderschön. Ich konnte so richtig meine Seele baumeln lassen. Jetzt müsste nächste Woche nur das Wetter nochmals mitspielen.
Heute bin auch wieder unterwegs. Zusammen mit zwei meiner Assistentinnen nehme ich an einem weiteren Modul vom Care-Training teil. Das heutige Modul: Pflege Zuhause - Möglichkeiten der Versorgung zu Hause, finanzielle Aspekte, Spitex. Für mich ist es wichtig, dass sich auch meine Assistentinnen weiterbilden. So können sie mich im Alltag auch optimal unterstützen. Dies nimmt auch Einfluss auf meine Lebensqualität.
25. Als meine Assistentinnen und ich am Mittwoch nach dem Care-Training wieder Zuhause ankamen, waren wir alle schon recht müde. Bei mir hat sich dies mit andauerndem Lachen und mit unkontrolliertem Steuern meines Rollstuhls bemerkbar gemacht. Bis ich auf dem Plattformlift unseres Treppenhauses war, dauerte seine Zeit. Es ist aber auch kein einfaches Unterfangen mit zwei kichernden Frauen im Rücken. Als Autofahrerin wäre mir in einer vergleichbaren Situation wohl der Führerschein abgenommen worden. Zum Glück habe ich mein Schein bis heute nicht abgegeben. Wer weiss schon, was in ein paar Jahren möglich ist ...
Beim Care-Training konnte auch ich als alter ALS Hase wieder profitieren. Ich finde es sehr interessant, Lösungsvorschläge zu echten Fallbeispielen in Gruppenarbeit (mit Schutzkonzept) zu erarbeiten und zusammenzutragen. Auch das direkte Arbeiten an den themenspezifischen Hilfsmitteln macht Mut und bringt Sicherheit. Leider schreitet so ein Nachmittag rasant voran und so ist es nicht möglich, alles bis ins Detail anzuschauen. Dafür wird zu jedem Trainings-Modul ein dickes Themen-Dossier mit vielen Infos abgegeben. Zusammengetragen von der Initiantin der ALS-Care-Trainings. Ihre Erfahrungen aus der Tätigkeit als ALS-Care-Nurse und aus den Erfahrungen von ALS- Betroffenen, von Angehörigen, den Care-Nurse sowie im ALS-Umfeld tätigen Personen sind in den Unterlagen enthalten. Diese, über einen Zeitraum von 16 Jahren zusammengetragenen Informationen, sind ein wertvolles Werkzeug für meine Assistentinnen und mich im ALS-Alltag. Das nächste Modul, welches ich mit meinen Assistentinnen besuchen werde, findet am 18. November in Oensingen statt. Das Thema: Zeit zuletzt - Palliativmedizin, seelsorgerische Aspekte. Das Datum trifft sich sehr gut. An diesem Tag feiere ich mein Leben, meinen Geburtstag.
Nun, heute nahm ich mir dann Zeit, mich auszuruhen. Das Wetter hat aber auch schön mitgespielt. Unter einer warmen Decke liegend, mit Blick auf die angeschneiten Bergketten, lies ich es mir gut gehen.
30. Nicht die Sonne hat mich Gestern aus dem Haus gelockt. Es waren langjährige Weggefährten aus der ALS-Familie mit denen ich den Tag verbringen wollte. Mit ihnen wollte ich eine Herbstwanderung unternehmen. Doch bevor wir den Weg unter die Füsse und Räder nahmen, stärkten wir uns gemeinsam bei einem feinen, reichhaltigen Mittagessen. Denen, welche auf Grund der fortgeschritten Erkrankung das Essen nicht mehr selbst zum Mund führen können, wurde das Essen von den anderen Anwesenden gereicht. Sie alle wissen aus eigenen Erfahrungen, wie mit solchen Herausforderungen der ALS-Erkrankung umzugehen ist.
Nach dem Essen gings dann los zum Vierwaldstättersee, wo wir ein Teilstück auf dem Weg der Schweiz unter die Räder und Füsse nahmen. Ein wunderschöner Wanderweg mit der Begehung des Urner Reuss-Deltas. Natürlich durfte Unterwegs ein Kaffeehalt nicht fehlen. Auch für das Austreten der Fussgänger und Rollstuhlfahrende war durch die sich auf dem Weg befindenden barrierefreien Toiletten-Anlagen gesorgt. Es wurde ein wunderschöner Tag mit Freunden. Den konnte auch die fehlende Sonne nicht trüben.
OKTOBER
4. Gestern hätten wir die Herbstwanderung mit dem Streckenabschnitt im Reussdelta und der Reussquerung nicht machen. Der viele Regen hat zu Überschwemmungen geführt und Strecken an der Reuss mussten gesperrt werden. So schön Natur ist, so wild und unberechenbar kann sie sein. Man kann sie nicht zähmen, sie findet immer wieder einen Weg auszubrechen. Sie liebt die Freiheit, so wie ich.
Diese Woche war ich wieder in Basel. Ich bekam wieder meine Botox-Injektion in den linken Arm und die Ergotherapeutin passte mir eine Handschiene für die Nacht an. Mit diesen Massnahmen wollen wir versuchen, meine Finger an der linken Hand in die Streckung zu bringen.
Wie jeden Herbst, wollten wir auch dieses Jahr wieder irgendwo Ferien machen. Da sich das Virus wieder mehr ausbreitet, hält uns dies davon ab, nächste Woche nach Meran zu fahren. Schade.
5. Zum Andenken an Steve Lee, der am 5.10.2010 auf einer Motorrad-Tour auf der Route 66 sein Leben lassen musste. Ich besuchte einige Konzerte von Gotthard mit Steve Lee als Lead-Sänger. Ich vermisse diese Konzerte auch nach 10 Jahren immernoch. Steve und seine Stimme bleiben unvergessen.
8. Jetz hani mich grad gfragt, was ich diä Wuchä eigendlich gmacht ha? Wenn nu scheens Wätter gsi wär, wissdi wenigschtens mit was ich Zit verliired ha.
Bei schönem Wetter wäre ich entweder mit dem Rolli unterwegs gewesen oder hätte im Garten die Herbstsonne genossen. Heute, am späteren Nachmittag war ich lediglich kurz auf der Strecke.
Auf Grund meiner fortgeschrittenen Krankheit, benötige ich für fast alles was ich tue mehr Zeit als Früher. Das beginnt schon am Morgen beim Aufstehen mit der Morgenpflege und dem Frühstück. Auch die Schreibarbeiten am PC verlangen ihre Zeit. Muss ich doch jeden Buchstaben auf der Bildschirmtastatur einzeln anklicken. Nichts mehr mit Zehn-Finger-System. Aber he, ich kann so immer noch schreiben, wenn auch viel langsamer.
10. War das schön Gestern. Piet hat schon früh am Morgen, Urnerkaffee gebraut und in die Thermoskanne abgefüllt. Brötchen mit Butter bestrichen und mit Schnittfleisch belegt. Mit einem schönen bissen Käse und Getränken, füllte er die Picknicktasche und verfrachtete alles, samt mir und meinem Handrollstuhl im Cabrio. Und schon ging es los Richtung Landesgrenze zu Österreich. Kurz eine Vignette gekauft und dann peilten wir die Silvretta Hochalpenstrasse an. Wunderschön auf der Panoramastrasse die Täler und Bergketten zu schauen. Es scheint, wir kommen von den Bergen einfach nicht los. Über den Arlberg ging es dann wieder Richtung Schweizergrenze. In der Abendsonne fuhren wir über den Klausenpass und danach nach Hause. Wir lieben diese gemeinsamen Ausflüge.
12. Ich hatte ja immer noch auf Ferien ausser Haus gehofft. Doch diese werde ich dieses Jahr wohl definitiv in den Kamin schreiben können. Die sich weiter auf Ausbreitungskurs befindenden Corona-Viren schränken meine Reiselust ein. Was ich sehr bedauere ist, dass die ALS-Stammtische und weitere Treffen wegen dem Virus abgesagt oder nur sehr eingeschränkt durchgeführt werden können. Seit nun mehr zehn Monaten bremst uns Covid-19 aus. Der Freiheitsverlust durch die auferlegten Vorsichtsmassnahmen, trifft uns Menschen mit verkürzter Lebenserwartung besonders hart. Die durchschnittliche Lebenserwartung nach Diagnosestellung beträgt bei der Krankheit ALS gerademal 3 - 5 Jahre. Es ist darum nicht verwunderlich, wenn wir die wenige Zeit uneingeschränkt auskosten möchten. Auch ich lasse mir nicht gerne vorschreiben eine Maske zu tragen oder mein Leben in der Öffentlichkeit einzuschränken. Mir bleibt aber nichts anderes übrig, diese Massnahmen zu befolgen, um mich selbst zu schützen. Eine Lungenentzündung könnte mein Leben und das Leben von Menschen mit vergleichbaren Krankheitsbildern abrupt verkürzen. Nehmen wir also Rücksicht aufeinander. Das Leben ist das Kostbarste was wir je besitzen werden.
18. Ich bin keineswegs müde, mein Tagebuch mit Buchstaben, Fotos und Bildern zu füllen. Da mein Klickfinger jedoch immer öfters Pausen einfordert, muss ich das Schreiben einteilen. In dieser Woche hatte ich viel Schriftverkehr zu erledigen. So reicht die Klickkraft fürs Tagebuchschreiben nur für diese Sätze und Musik aus.
19. Ich liebe Musik. Je nach Stimmung tönt Rock, Blues, Jazz, aber auch Balladen und Volksmusik aus den Boxen. Wobei es mir Gitarrenklänge besonders angetan haben. Zu hören, wie sanft die Saiten gezupft werden oder wie virtuos Solos gespielt werden, fasziniert mich. Ich liebe dieses echte Spiel am Instrument. Darum gehe ich auch gerne an Konzerte. Die Liebe zur Musik wird mir auch ALS nicht vermiesen können. Das Hören wird von der Krankheit nicht beeinflusst. Somit geht schon wieder eine Runde an mich.
24. Was mir die ALS auch nicht nehmen kann, ist mein Lachen. Sollte das Lachen bei Fortschreiten der Krankheit lautmässig nicht mehr hörbar sein, so wird es durch die Mimik und den Lachtränen, welche mir über die Wangen kullern sichtbar. Was habe ich schon gelacht. Und das an den unmöglichsten Orten und in unpassenden Momenten. Mitunter assoziiere ich so schnell, dass ich längere Zeit benötige, mein Kopfkino unter Kontrolle zu bringen. Ob es nun positiv ist, dass die ALS auf mein Lachen Einfluss nimmt ...? Pathologisches Lachen kann Teil der ALS-Erkrankungen sein. Wobei es bei mir schon einen Auslöser braucht. Ich fange nie grundlos zu lachen an. Also passt auf, was ihr in meiner Gegenwart anstellt und besucht mit mir nie ein Theater. Sonst spielt sich die Komödie gleich neben euch ab.
27. Wenn ich mein Brautkleid auf den Bildern betrachte, muss ich sagen, es gefällt mir immer noch und ich würde es wieder auswählen. Der Vintage-Stil ist zurzeit wieder voll im Trend. Heute würde ich für das Kleid inklusiv dem nicht verwendeten Schleier, allerdings weit über meinen bezahlten 80 Franken berappen müssen. Ich finde es auch schön, mich stehend neben meinem Mann zu sehen. Seit 16 Jahren gibt es solche Bilder nicht mehr. Von den 40 Ehejahren ist die Krankheit ALS seit fast 20 Jahren unser nicht abschüttelbarer Begleiter. Die ALS nimmt schon Einfluss auf die Beziehung und es ist sicher nicht immer einfach die Balance zu halten. Dass wir es zu zweit soweit geschafft haben, macht mich stolz und glücklich.
30. Tag der betreuenden und pflegenden Angehörigen
Auch wenn ich für die Bewältigung meines Alltags, Assistenzpersonen einsetze, so verbleiben doch viele Stunden der Unterstützung, welche von meiner Familie abgedeckt werden. Meine Assistentinnen übernehmen an 4 Tagen die Morgenpflege. Zudem machen sie den Hauskehr, fahren mit mir Einkaufen, nehmen mit mir Termine war usw. Ab Mittag oder am späteren Nachmittag übernimmt dann jeweils mein Mann. Das beinhaltet, das Verabreichen des Nachtessens, die Abendpflege, sowie diverse Handreichungen und die Nachtbetreuung. Am Mittwoch und am Wochenende übernimmt mein Mann das Zepter vollständig😉. Solange es geht, wollen wir mit diesen 3 Tagen unser Privatleben leben.
Mein Sohn unterstützt mich in technischen Bereichen und im Schriftverkehr. Er ist ausserdem ein sehr angenehmer Gesprächspartner. Wir haben eine vertrauensvolle Mutter - Sohn - Beziehung. Er hält ausserdem ein Auge auf mich, wenn Piet eine Tagestour auf seiner Harley unternimmt.
So sind es doch sehr viele Stunden, in denen ich von der Unterstützung meiner Familie profitieren darf.
Ich würde mir wünschen, ich dürfte meine Angehörigen als Assistenzpersonen anstellen und dem entsprechend entlohnen. Es wäre so viel einfacher und zudem wäre es gerechtfertigt.
NOVEMBER
1. Ich hoffe, ihr habt den Blue Moon und Halloween gut überstanden und könnt heute die wärmende Sonne geniessen.
Der heutige Tag ist jenen Menschen gewidmet, welche nicht mehr mit uns leben. Mit dem Gedenken an sie, weilen sie trotzdem unter uns.
4. Ich bin froh, hatte ich keine Zeit in mein Tagebuch zu schreiben. Sonst hätte ich vielleicht Worte in mein Tagebuch geschrieben, die meinem gewohnten Wortschatz nicht entsprechen. Was hat mich so aufgebracht? Es sind Leserbeiträge zu diesem Artikel und die fehlenden Fakten durch die Tageszeitung. Ich habe mich ab der Missgunst der Schreiber erschrocken. Ebenso die Geringschätzung der Betreuungs- und Pflegeleistungen, die durch Angehörigen geleistet werden. Dies hat mich tief getroffen.
Manche Angehörige stehen in der Nacht mehrmals auf, um ihre Angehörige umzulagern oder sie auf die Toilette zu begleiten. Dafür kann nicht einfach die Spitex gerufen werden. Auch wenn Angehörige wie Spitex-Pflegende entlohnt würden, könnten sie lediglich der Zeitaufwand für die Pflege abrechnen. So gibt es für jede Pflegehandlung eine Zeitvorgabe. Für das Duschen z.B. darf die Spitex gerade mal 20 Minuten abrechnen. Alles andere was nicht unter die Pflegeleistungen fallen, kann auch gar nicht abgerechnet werden. Diese Kosten werden vom Patienten selbst getragen. Die Kosten bleiben also unverändert, ob die Grundpflegeleistungen von Spitexmitarbeitern oder von Angehörigen erbracht werden.
Ich wünschte mir, wenn sich Personen zu einem so komplexen Thema äussern, sie sich vorerst mit dem Thema befassen würden.
6. Die Sonne hat mich heute aus dem Haus gelockt und mir gezeigt, wie viel Wärme noch in ihr steckt. So fuhr ich auf dem mit Blättern ausgelegten Weg, auf das von der Sonne beschienene Plätzchen unter den Nussbaum. Durch den inzwischen blätter- und nussfreien Baum kann ich meinen Blick auf einen wunderschön blauen Himmel richten. Langweilig - auf keinen Fall. Möwen fliegen lautstark vorbei und am Boden bringen die wieder aufgewachten Eidechsen die trockenen Blätter zum Rascheln. So konnte ich heute wieder auf natürliche Weise wertvolles Vitamin D tanken. Ich hoffe, mit der Sonne und der gestrigen Grippeimpfung zusammen, komme ich gut durch den kommenden Winter. Ein Chip mehr oder weniger - was spielt das jetzt noch für eine Rolle ;-).
Wie viele Menschen die nicht ausser Haus müssen, verbringe auch ich die meiste Zeit Zuhause. Damit ich etwas Abwechslung habe, machen mein Mann und ich ab und an einen Ausflug mit dem Auto. Natürlich immer mit Esswaren im Gepäck. So kommen wir auch nicht mit andern Menschen in Kontakt. Rolliausfahrten und Einkäufe mache ich kaum mehr. Und wenn, dann nur mit Maske. Dutch das Tragen der Maske hoffe ich, ich kann das Risiko einer Virus-Ansteckung für mich und mein Gegenüber etwas minimieren.
7. Wie die Maskenverweigerer würde auch ich mich gerne frei bewegen können und ohne Maske unter Menschen mischen. Dass ein Virus zurzeit sein Unwesen treibt, kann wohl keiner leugnen. Ob das Virus nun naturgegeben ist oder womöglich absichtlich losgelöst wurde, sollte zurzeit eine untergeordnete Rolle spielen. Für Menschen wie mich, die von einer Krankheit betroffen sind, bei der die Atmung geschwächt ist, würde die Ansteckung des Covid-19 Virus sehr gefährlich werden. Müsste ich intubiert werden, käme ich nach einer Genesung von einer künstlichen Beatmung kaum mehr los. Daher habe ich in meiner Patientenverfügung festgehalten, dass ich keine Intubation wünsche. Wenn ich leben will, muss ich mich den Schutzmassnahmen unterwerfen. Ich wünschte mir, meine lieben Mitmenschen würden sich alle an die Schutzmassnahmen halten. Umso schneller bringen wir das Virus hinter uns und wir, die gefährdeten Personen, können unsere ohnehin verkürzte Lebenszeit auch in Freiheit geniessen.
Wenn du im Regen keinen Schirm aufspannen willst und das Nasswerden in Kauf nimmst, ist das deine Sache. Denn, nur du wirst nass. Trägst du hingegen keine Maske, steckst du womöglich dein Gegenüber mit dem Virus an. Das ist dann nicht nur deine Sache.
10. In den kühleren Monaten unternehme ich weniger Rollitouren. Seit ich sitzend unterwegs bin, fühle ich kühlere Temperaturen intensiver und die Kälte durchdringt meinen Körper schneller. Zu sehen ist dies an meiner laufenden Nase. Die neuste Mode hat mir nun ein Kleidungsstück beschert, mit dem ich meine untere Gesichtshälfte warm einpacken kann und so das Naselaufen in Schach hält. Nun muss ich nur noch einsame Routen suchen, um meine neuen bunten Accessoires ausführen zu können. Das wunderschöne Herbstwetter lockt mich zurzeit 2 - 3 Stunden aus dem Haus.
11. Wie ihr am neuen Tagebuchbild sehen könnt, war ich heute unterwegs. Auf der Suche nach der Sonne fuhren wir hoch in die Berge. Die Fahrt zur Sonne hatte etwas mystisches in sich. So strich der Nebel rechts und links des Weges durch die Wälder und dichte Nebelbänke liessen kaum Sicht auf die nächste Kurve zu. Dann plötzlich war sie da die Sonne und sie überstrahlte alles. Ich fühlte die Freude, die Leichtigkeit und das Gefühl frei zu sein. Und da war der Gedanke ... so muss das Leben über den Wolken sein....
Wäre ich denn schon bereit, wäre ich vorbereitet? Nein, bereit zu gehen werde ich wohl noch lange nicht sein. Eigentlich will ich überhaupt nicht gehen. Wieso auch; unsere Erde ist so wunderschön. Corona hat mich jedoch daran erinnert, in nächster Zeit einige Dinge zu regeln und zum Abschluss zu bringen. Und das mache ich doch glatt. Leben, was gibt es Schöneres.
12. Auch wenn ich jetzt noch nicht sterben will, heisst das nicht, dass ich Angst vor dem Tod habe. Warum sollte ich mich schon vor ihm fürchten. Reicht es doch zu erschrecken, am Tag an dem er kommt. Die Prognose der verkürzten Lebenserwartung will ich nicht immer in meinem Nacken spüren. Ab und an daran erinnert zu werden reicht mir völlig. Wenn das Thema Sterben und Tod, wie gerade in dieser Zeit, mehr Raum in meinen Gedanken einnehmen, befasse ich mich auch damit und kläre es. So habe ich vor vier Wochen meine Schutzmassnahmen Zuhause erhöht. Knapp zwei Wochen lang besuchten mich weder Therapeuten, noch wurde ich von meinen Assistentinnen Zuhause unterstützt. So durfte ich die volle Aufmerksamkeit meines Mannes geniessen. Seit zwei Wochen sind nun wieder meine Assistentinnen bei mir im Einsatz. Sie verrichten einen reduzierten Dienst. Die Therapiestunden habe ich ebenfalls wieder aufgenommen. Schliesslich will ich meine Beweglichkeit so lange wie möglich erhalten und ich lasse nicht zu, dass meine Therapieerfolge dem Corona-Virus zum Opfer fallen. Es gilt für mich abzuwägen, zwischen Schutz und deren Folgen. Ich freue mich jedenfalls riesig auf die Zeit nach Corona.
13. Ich denke, wie wir zum tot-sein stehen, hängt sicher auch von unserer Glaubensrichtung ab. Geprägt wird diese in unserer Kindheit. Die Eltern geben die Glaubensrichtung vor. So war es auch bei mir. Der Glaubensgemeinschaft Römisch-Katholisch zugehörig, erhielt ich bis jetzt die Sakramente der Taufe, der 1. Kommunion / Eucharistie, der Firmung, des Busssakraments und der Eheschliessung. Zudem durfte ich als erstes Mädchen in unserer Kirche, zusammen mit meinem Cousin den Wein und das Wasser zum Priester an den Altar bringen. Dieses Privileg verschaffte mir unser Onkel, der viele Jahrzehnte als Sakristan amtete. Hielt diese Prägung des christlichen Glaubens in meinem erwachsenen Leben bestand?
Ich bin meinen Eltern sehr dankbar, dass sie mir diese Leitlinien für meinen Weg mitgaben. Vielen dieser Linien versuche ich auch heute zu folgen. So will ich meinen Mitmenschen unvoreingenommen begegnen und sie falls nötig und wie mir eben möglich, auf ihrem Lebensweg unterstützen. Viel mehr braucht es gar nicht. Was mir in den Leitlinien im röm. kath. Glauben zu kurz kommt, sind unsere Mitbewohner die Tiere. Auch sie sollen ein gutes Leben haben. Und der Satz, "macht euch die Erde untertan" passt wohl kaum mehr in die heutige Zeit.
So haben im Laufe meines Lebens mitgegebene Leitlinien eine Korrektur oder einen kompletten Richtungswechsel erfahren. Den krassesten Richtungswechsel habe ich wohl dem Hinterfragen der Existenz von Gott beschritten. Dieser Richtungswechsel ist noch nicht definitiv vollzogen. Ich suche noch immer Meine Leitlinie. Die meisten von uns brauchen eine Stütze, die wir in ausweglos scheinenden Situationen anrufen können. In der Hoffnung, dass da doch noch mehr ist und das einfach nicht Wissen ob diesem, wandere ich zurzeit wohl als Agnostikerin durch mein Leben.
So ist es wohl auch nachvollziehbar, dass ich möglichst lang mit offenen Augen durch unseren Planeten streiffen möchte. Menschen, die fest an ein Leben nach den Tod glauben, wird der Abschied vom irdischen Leben womöglich etwas leichter fallen. Sie dürfen sich freuen, dass es irgendwo, irgendwie weiter geht. Ich freue mich ab ihrem unerschütterlichen Glauben. Ich hoffe, dass alles so eintreffen wird, wie jeder das für sich persönlich wünscht. Für mich ist es auch vollkommen in Ordnung, hier auf der Welt bleiben zu dürfen.
14. Wenn ich den Tod als endlos sehe, muss ich davon ausgehen, dass ich mit den Menschen, die in mein Leben getreten sind und mir wichtig sind, nie mehr zusammenkommen werde. Als Lebende macht mich diese Aussicht traurig. Der Abschied von einem geliebten Menschen fällt so, umso schwerer. Aber, soll ich deswegen von einem Leben nach dem Tod ausgehen, um mir den Schmerz zu ersparen.
Ganz verschwindet ein Mensch ja nie. So sind es Erinnerungen und sichtbare Spuren, mit denen wir einen Menschen bei uns behalten. Und ab und an zaubern uns diese Erinnerungen ein Lächeln ins Gesicht.
Vielleicht kommt das oben Geschriebene abgeklärt und der Gefühle arm daher. Vielleicht bin kühler und im Nehmen härter geworden. Vielleicht ist dies auch einfach mein Schutz, damit ich andere Menschen, welche vom gleichen Schicksal betroffen sind wie ich, möglichst lange unterstützen kann. Meistens sind uns nur wenige Jahre auf dem gemeinsamen Weg gegönnt. Die Krankheit ALS nimmt mir immer wieder meine Weggefährten. Jeder Verlust schmerzt und ich musste lernen damit umzugehen. Aber jetzt genug des Todes, das Leben reden.
19. Ich weiss nicht was es ist, was mich zurzeit so aktiv hält. Ich bin voller Tatendrang und Energie. Und doch komme ich kaum vom Fleck. Ich sehe was zu machen gäbe, dabei verreisst mich meine Eingeschränktheit fasst. Meine Ideen nicht verwirklichen, nicht selbst realisieren zu können und ständig auf andere angewiesen zu sein, ist nicht immer einfach anzunehmen. Wenn ich mich einer Sache annehme, dann will ich mit meinem Herzen dabei sein. Ich freue mich, wenn ich Mitmenschen für eine Sache begeistern kann und sie mit mir am gleichen Strang ziehen. Nur so ist es mir möglich Ideen, Projekte zu verwirklichen, welche Mitmenschen und meistens auch mir zugutekommen. Es gibt immer wieder engagierte und uneigennützige Menschen, welche mich auf diesen Wegen begleiten und unterstützen. Es gibt aber auch jene Menschen, die wenig bis gar nichts zur ihrer und zur Lebensverbesserung anderer Mitmenschen beitragen. Klar ist es nicht jedem gegeben, sich für eine Sache einzusetzen. Das können z.B. gesundheitliche Gründe sein, fehlendes Wissen um die Möglichkeiten der Unterstützung oder der Glaube an die eigene Stärke für ein Engagement fehlt. Das kann ich verstehen. Mit was ich jedoch Mühe habe sind Mitmenschen, welche die Kraft und die Möglichkeit hätten, etwas zum Guten zu verändern, nichts tun oder nur ja und amen sagen. Dann aber gerne von den Errungenschaften anderer profitieren wollen.
Diese fehlende Unterstützung und die Geringschätzung gegenüber Menschen, welche sich zu Gunsten anderer einsetzenden, schmerzt. Auch das Verschliessen der Augen seitens der Mitglieder von Organisationen, vor überzogenen Administrativen Kosten bei Gesellschaften, lässt mich ungläubig werden.
Doch da gibt es jene Menschen, die sich oft viele Stunden ehrenamtlich oder zu einem der Gesellschaft tragbaren Entlohnung für ihre Mitmenschen einsetzen. Dies stimmt mich wiederum hoffnungsvoll. Ich habe so oder so das Gefühl, dass wir uns im Wandel befinden. Vieles wird hinterfragt, anders betrachtet und wahrgenommen und neue Wege werden beschritten. Und ich will Teil davon sein.
21. Auch ich vermisse in dieser Zeit vieles. So würde ich gerne mal wieder an Konzerte gehen und Veranstaltungen besuchen. Shoppen gehen und durch Märkte schlendern. Mich unter die Leute mischen und mich mit Freunden treffen. Oder mich mit Geschwistern und Anverwandten gemütlich an den Küchentisch zu setzen, um zusammen ein Urnerkaffee zu trinken oder ein feines Zabig zu essen. So vieles kommt zu kurz. Aber es geht allen in etwa ähnlich und da müssen wir jetzt wohl alle gemeinsam durch.
In dieser Zeit führen viele Organisationen ihre Versammlungen und Abstimmungen online oder schriftlich durch. So hat sich Zoom auch auf meinem PC eingerichtet. Nun habe ich entdeckt, dass interessante Vorträge über Zoom angeboten werden. Für mich sind solche Angebote genial. So kann ich von Zuhause aus teilnehmen und je nach dem auch schriftlich agieren. So nehme ich zurzeit an diversen Vorträgen mit Thema Menschen mit Behinderungen teil. So nutze ich die Einschränkungen durch Corona sinnvoll und lerne dazu.
23. Ich habe Heute, meiner im Einsatz stehenden Assistentin, beinahe äs Härzchriäsi, sprich Herzkasperl verpasst. Sie war gerade dabei ihre Arbeitsstunden einzutragen und ich sass am PC und öffnete einen zugesandten WhatsApp-Clip. Ich konnte nicht ahnen, dass wir gleich mit Akkordeontönen überrascht würden. Wir sind beide gleichzeitig erschrocken, sie aber sicher noch viel mehr als ich. Ich hatte doch glatt vergessen den hochgeschraubten Volumenregler für die am PC angeschlossenen Musikboxen auf normale Lautstärke runterzudrehen. Vielleicht sollte ich an meiner Bürotüre ein Schild anbringen mit der Aufschrift - Warnung vor Gehörschaden.
Ich höre jedoch nicht nur laute Musik, auch sanfte und leise Töne betören meine Ohren. Ebenso liebe ich den grazilen Tanz wie er im Ballett vorkommt. Das Spiel mit dem Körper, das Miteinbeziehen jedes einzelnen Muskels, die Biegsamkeit der Glieder und die sanften Bewegungen faszinieren mich. In früheren Träumen war ich oft eine Ballerina und ich konnte minutenlang in der Luft schweben. Ich musste lediglich meine angewinkelten Arme auf und ab bewegen und schon flog ich als hätte ich Flügel. Diese Träume erlebe ich seit geraumer Zeit nicht mehr. Meine reale Welt hat wohl die Traumwelt erreicht.
27. Auch wenn es in den Bergen noch mager ist mit Schnee, treibt es die Bergdohlen auf der Suche nach Essbarem doch schon ins Tal. So hörte ich heute beim Erwachen statt melodischem Pfeifkonzert ein Krah-Krah von Draussen. Das passt auch irgendwie zu meinem Traum von heute Nacht. Ein Traum, der immer mal wiederkehrt, seit ich vor nun mehr 17 Jahren meine Arbeitsstelle auf Grund meiner ALS Erkrankung aufgeben musste. In diesen Träumen will ich zur Arbeit gehen und finde den Weg nicht. Ich laufe weite Strecken über Berge und Täler, frage Menschen nach dem Weg und trotzdem finde ich den Weg nicht mehr. Manchmal fahre ich auch mit dem Lift von Stockwerk zu Stockwerk, finde die Abteilungen aber nicht. Beim heutigen Traum ein ähnlicher Ablauf. Ein kleiner Auszug: Ich bin mit einer Reisegruppe in den Ferien. Zusammen mit einer Freundin, gehe ich den Ort erkunden. Die Verkaufsgeschäfte konnten wir natürlich nicht links liegen lassen. So trugen wir bald an beiden Händen mehrere Taschen und es drängte sich auf das Hotel aufzusuchen. Aber wo war schon wieder das Hotel? Wir fragten uns durch. Eher meine Freundin, ich konnte ja nicht sprechen. Auf einmal haben wir uns in der Menge aus den Augen verloren. Nun stand ich da, die Hände voller Taschen und weiss den Namen vom Hotel nicht. Also gehe ich suchen. Ich durchstreifte Gassen, Täler und Berge. Die Taschen werden immer schwerer, doch abstellen kann ich sie nicht. Ich werde immer müder und trotzdem gehe ich weiter und suche das Hotel. .....
Um meine Träume zu analysieren brauche ich kein Psychologe zu sein. Auch wenn dieser Tage der Nebel arg dicht liegt, weiss ich sehr wohl was diese Träume bedeuten. Mit der Zuversicht, dass sich auch dieser Nebel mal lichtet und auflöst, gehe ich weiter und starte voller Tatendrang in den neuen Tag.
29. Am 1. Adventssonntag beginnt der Monat der Lichter. Und gerade heute wurde wieder ein Licht in der Behinderten-Politik angezündet. Am heutigen Abstimmungssonntag hat das Stimmvolk des Kanton Genfs einer Verfassungsänderung zugestimmt und gibt damit Menschen mit schwerer Beeinträchtigung ihre politischen Rechte zurück. Dieses Licht gilt es nun in alle Kantone zu tragen, damit alle Menschen mit Beeinträchtigung das Recht innehaben an Abstimmungen und Wahlen teilzunehmen und so an Politischen Entscheidungen teilhaben können.
Über politische Rechte der Menschen mit Behinderung, habe ich vor kurzem an einem Online-Vortrag teilgenommen. Durch den Referent Prof. Dr. Thierry Tanguerel erhielt ich einen Einblick in dieses Thema.
Ich wusste schon lange, dass ich mich intensiver mit Themen die Menschen mit Beeinträchtigungen betreffen, befassen muss und auch will. Nur so bin ich mir selbst eine Stütze und kann auch andern Menschen mit ähnlichem Schicksal Stütze sein. Ich hatte in der Vergangenheit kaum mehr Zeit und Gelegenheit, mich in Themen zu vertiefen und mich so weiter zu bilden. Ich war bislang immer gut beschäftigt, jüngst mit dem Auf- und Ausbau des Vereins ALS Community Schweiz. Fast möchte ich sagen; Corona sei Dank, finden sich weniger Termine in meinem Kalender und so kann ich vermehrt an Online-Vorträgen teilnehmen und so mein Wissen aufbessern. Diese Form der Weiterbildung ist für mich ideal. So muss ich nicht aus dem Haus, muss keine weiten Strecken auf mich nehmen und benötige weder Begleit- noch Unterstützungs-Assistenz. Ich kann einfach Zuhause mittels PC / ZOOM teilnehmen.
Zünden wir Lichter an.
DEZEMBER
1. Das nenn ich mal prompt geliefert. Pünktlich zum ersten Dezember schwebten zig Schneeflocken ins Tal. In kürzester Zeit legte sich ein weisser Teppich über alles was sich im Freien aufhielt. Die ersten Schneeflocken im Tal von diesem Winter wollte ich mir natürlich nicht entgehen lassen. So musste ich einfach nach Draussen. Abwarten, bis jemand mir eine Jacke anzieht mochte ich nicht. So war es mir doch sowas von egal, als meine Kleider in kürzester Zeit nass waren. Ich habe es so genossen, die flauschigen Flocken auf meiner Haut spüren zu können. Natürlich musste ich die ersten Schneeflocken auf Bild festhalten. Dann musste ich auch schon wieder ins wärmende Haus zurück.
Heute durfte ich mich noch zusätzlich freuen. In der Nacht zu Heute musste ich Zuhause mit einem Atmungsaufzeichnungsgerät am Körper schlafen. Zusammen mit dem heute durchgeführten Lungenfunktionstest und der Blutgasanalyse ergab dies ein erfreuliches Ergebnis. Meine Werte haben sich nicht verschlechtert und sind gleich wie vor einem halben Jahr.
3.Heute, am Internationalen Tag der Menschen mit Behinderungen, verfolgte ich die online Fachtagung "Partizipation als Chance". Die Fachtagung wurde vom EBGB, dem Bundesamt für Sozialversicherungen BSV und der Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren SODK in enger Zusammenarbeit mit fünf Behindertenorganisationen organisiert.
Für mich als Selbstvertreterin ist die Mitbestimmung und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen ein grosses Thema. Es ist wichtig, dass wir unsere Anliegen kundtun und uns in der Gesellschaft und Politik einbringen. Gar nicht so einfach. Viele Hürden gibt es zu überwinden und viele Barrieren sind wegzuräumen. Es braucht Mut, Kraft und Durchhaltevermögen von Seitens der Menschen mit Behinderungen und die Unterstützung unserer Gesellschaft.
Obwohl ich die heutige Fachtagung mit Interesse verfolgte, entging mir das Geschehen vor meinem Bürofenster trotzdem nicht. Das Futterhäuschen hat mir Piet beim ersten Schneeeinbruch auf dem Fenstersims installiert. Wer kann da schon den Blick abwenden.
7. Ein bisschen kalt wars heut schon draussen, doch wunderschön wars. Wie jede Jahreszeit hat auch der Winter seinen eigenen Duft. So konnte ich den Schnee und die kalte frische Luft gut riechen. So schön der weisse, dicke Teppich, der über allem liegt und die schneebedeckten Berge lassen meinen Blick kaum abwenden. Diese Schönheiten musste ich natürlich auf Bild festhalten. Via Rollstuhlsteuerung und dem HouseMate löste ich die Bildaufnahme auf meinem Natel aus. So sind die unten eingefügten Fotos entstanden. Es wären sicher noch mehr geworden. Doch nach einer Weile wurden meine Finger von der Kälte so klamm, dass ich ins Haus musste.
9. Am Montag besuchte ich nach langer Zeit wieder mal ein Einkaufscenter. Das auch nur, weil ich diesen persönlichen Einkauf nicht delegieren konnte. Weil die Fahrstühle zwischen den Verkaufsebenen oft gut besetzt sind und die einladenden Treppen kaum Beachtung finden, weiche ich mit dem Rollstuhl mitunter auf die Rolltreppe aus. Als ich so gemütlich auf der Rolltreppe nach oben fahre und mich dabei umblicke, nehme ich die maskentragenden Menschen wahr. Mein Gedanke, wie konnte das passieren. Ich hätte nie gedacht, dass ich diese Realität erleben werde. Wie verletzlich die Menschheit doch ist und wie machtlos wir gegen einen Winzling wie das Virus sind. Von Weihnachtstimmung war kaum was zu spüren und so hielt ich mich auch nur kurz im Center auf.
Heute doch, zog ein Duft von Weinachten durch unser Haus. Zimtsterne mit schneeweisser Glasur, auf Zucker ausgestochene Brunsli und die nach Butter riechenden und mit Eigelb bestrichenen Mailänderli wurden in den Backofen geschoben und wieder herausgeholt. Unsere Küche hat sich wie jedes Jahr um diese Zeit in eine Weihnachtsbäckerei verwandelt.
17. Dem Jahresende entsprechend fühle ich mich zunehmend ausgelaugt und der Worte leer. Dabei habe ich noch nicht mal die Weihnachtskarten geschrieben, geschweige denn verschickt. Ich werde dieses Jahr wohl mehrheitlich auf den elektronischen Weg umsteigen müssen. Ich glaube, etwas Sonne würde mir guttun. Meine Lebensgeister wecken und meine Hirnzellen aktivieren. Werde der Sonne morgen mal einen Besuch abstatten und meine Akkus aufladen.
21. Zwei- drei Stunden Sonne im Gesicht und der Vitaminpegel steigt. So habe ich es doch noch geschafft, Weihnachtskarten zu kreieren und diese auf die Post zu bringen. Jetzt müssen die fleissigen Postler*innen nur noch mitspielen und die lieben Weihnachtsgrüsse rechtzeitig überbringen. Wenn dann am Donnerstag, der von meinem Mann liebevoll geschmückte Tannenbaum im Wohnzimmer steht, darf's dann Weihnachten sein.
23. Ich höre und sehe mir gerade dieses Tanz-Video an und versuche dabei, ein paar Zeilen in mein Tagebuch zu schreiben.
Solche Tanz-Videos gibt es tausende im Netz. Darunter sind sicher auch eine Menge, mit denen ich nichts anfangen kann. Da gibt es aber jene die mich begeistern, meine Seele berühren. So auch jenes, welches ich oben verlinkt habe. Ich fühle die Freude am Tanz, ich spüre das Zusammengehörigkeitsgefühl. Es lädt mich ein, es den Tanzenden gleichzutun. So tanzt meine inzwischen ungelenkiger Körper mit und der Rollstuhl fängt an zu vibrieren. Ich fühle mich so gut, wenn ich sehe und spüre, mit welcher Freude und Begeisterung sich Menschen zusammentun, um gemeinsam etwas zu schaffen.
Neben mir auf dem PC-Tisch brennt eine Kerze. Sie verbreitet ein warmes Licht im Zimmer mit dem Fenster mit Aussicht auf eine rege benutze Strassenkreuzung. Inzwischen ist es Draussen dunkel geworden und die Weihnachtsdekolichter an Nachbars Häusern ist angegangen. Sie wetteifern mit den Strassenlaternen um Beachtung. Ich mag diese Zeit der Lichter, besonders wenn die vielen Lämpchen in warmem gelb-gold erstrahlen. Bunte Lichter in der Weihnachtszeit mag ich nicht so.
Wegen dem herumziehenden Corona-Virus werde ich mich im kommenden Jahr weiter vor einer Ansteckung schützen müssen. Zumindest im ersten halben Jahr werde ich wohl kaum in die Ferien fahren können und auch Ausflüge wird es weniger geben. Ich werde also unweigerlich mehr Zeit Zuhause verbringen. Damit ich mir in der kalten Jahreszeit keinen Winterblues einfange, hat mir mein Mann meinen alten Arbeitsplatz wiederhergerichtet. Nun kann ich wählen, wo ich mich aufhalten möchte. Im ersten oder zweiten Stock. So habe ich die nötige Abwechslung und kann mit Blick aus dem Fenster am Dorfleben teilnehmen.
26. Ich hoffe, meine Weihnachtswünsche haben euch erreicht. Eigentlich wollte ich die Wünsche selber sprechen und mit einem bewegten Bild erstellen. Was ich/wir jedoch nicht fertiggebracht habe/n. Nicht, dass meine Assistentin und ich die Techniken zur Herstellung eines Video-Clip nicht beherrschen. Nein, es waren die störenden Geräusche und blendenden Lichter der vorbeifahrenden Autos. So mussten wir mit filmen immer wieder neu ansetzen und dies brachte mich laufend mehr zum Lachen. Den Text zu Sprechen wurde für mich unmöglich und wir mussten mein Vorhaben abbrechen. So entstand dann der Weihnachtsclip aus dem Standbild.
Ich lache allgemein sehr viel. Oft verknüpfe ich Gesprochenes mit Bildern. Ein daraus resultierendes Lachen kann da schon mal unangebracht und peinlich sein. Da trägt sicher auch das pathologische Lachen, eine Auswirkung meiner ALS Erkrankung, zu meiner Lachfreutigkeit bei. Diese Auswirkung teile ich mit 50% der von ALS- betroffenen Menschen. Klar ist es ab und an mühsam, vor lauter Lachen kein Wort vorbringen zu können. Da könnte mein Umfeld von Situationen erzählen bei denen gar nichts mehr ging. Einzige Lösung, mich irgendwo sitzen zu lassen, bis mein Lachanfall vorüber ist. Ich kann mich auch immer wieder köstlich amüsieren, wenn von mir Gesagtes von meinem Gegenüber nicht oder falsch verstanden wird und dabei eine fantasievolle Interpretation entsteht.
Während meine verwaschene Aussprache im privaten Umfeld noch gut händelbar ist, stosse ich in meinen öffentlichen Tätigkeiten an Grenzen. Ich möchte so viel in Bewegung bringen und habe auch die Ideen dazu. Durch meine Immobilität und meinen Lautsprachverlust kann ich mein Feuer, meine Begeisterung nur mehr schwer transportieren. Ich bräuchte Menschen, die wie ich für Sachen brennen können und diese mit mir zusammen vorantreiben und verwirklichen. Ich bemerke Menschen, die nehmen und profitieren gerne, aber selbst tun sie wenig bis gar nichts fürs andere Menschenwohl. Und dass, obwohl sie es könnten. Warum sollten sie sich auch bewegen, wenn es andere für sie tun. So geht mein Lachen schon mal in Enttäuschung und Trauer über. Doch das hält mich keineswegs davon ab, meinem eingeschlagenen Weg weiter zu folgen. Ich erfahre dabei auch immer wieder positive Rückmeldungen und wertvolle Unterstützung.
Liegt es an Weihnachten oder am endenden Jahr, was mich in Erinnerungen schwelgen lässt. Ich vermisse meine ALS-Freunde, die mit mir den Weg gegangen sind und sich viel zu früh verabschieden mussten. Wir waren eine ganz besondere Gruppe. Ich denke auch an meine Eltern, die durch ihr lebenlanges Arbeiten, unsere Grossfamilie durch alle Stürme geführt haben. Ich bin unendlich dankbar, dass ich mit meinen 8 Geschwistern auf "unserem" Bauernhof aufwachsen durfte. Ich denke so gerne an die gemeinsamen Aktivitäten, wie Heuen, Schuheputzen, im Zuber baden u.v.m. zurück. Ich sehe auch meinen Götti, wie er am Ende jedes Jahres, mit meinem Vater am Küchentisch sitzt und die Fuhrschulden begleicht. Und jedes Mal erhielt ich den Weihnachtsbatzen von meinem Götti. Nun ist mein Götti heute friedlich eingeschlafen.
Dieses Jahr war nicht ganz einfach für meine "eigene" kleine Familie. Es war erfüllt von Hoffen, Bangen und und manchmal auch nahe der Verzweiflung. Doch nun schauen wir hoffnungsvoll ins neue Jahr. Dieses Jahr mit dem Virus war ohnehin für alle Menschen eine Herausforderung. Das Virus wird uns wohl ins neuen Jahr begleiten. Bis wir uns im öffentlichen Raum wieder uneingeschränkt bewegen und treffen können, wird es wohl noch einige Monate dauern. Wir können also nur abwarten und so gut wie eben möglich, diese verrückte Zeit meistern.
27. Nicht nur das Corona-Virus hat im Jahr 2020 sein Unwesen getrieben, auch die Krankheit ALS hat wieder seine bösartigen Krallen ausgefahren und sich neue Opfer gesucht und gegriffen. Während gegen das Covid-19 Virus in vielen Kontinenten intensive Forschung betrieben wurde und so innerhalb eines Jahres Impfungen hergestellt werden, warten Menschen mit seltenen Krankheiten weiterhin auf geeignete Medikamente. So warten ALS-Betroffene seit der namentlichen Bezeichnung der Krankheit vor gut 150 Jahren noch immer auf ein Heilmittel. Was wäre Möglich, wenn die Krankheit plötzlich mutieren würde und die Krankheit ansteckend würde? Natürlich darf und wird dies nicht geschehen, denn die Krankheit ALS verläuft immer tödlich. So musste ich auch in diesem Jahr von liebgewonnenen Weggefährten Abschied nehmen.
28. Musste ich von Weggefährten Abschied nehmen, so lernte ich auch in diesem Jahr wieder Menschen kennen, welche ebenfalls auf demselben Weg unterwegs sind. Da Treffen wie der ALS-Stammtisch, dieses Jahr aufgrund von Corona nicht stattfinden konnten, entstanden die Kontakte mehrheitlich übers Netz. So geschehen über den Zugriff auf meine eigene Homepage, durchs Weitersagen oder durch die Kontaktaufnahme, bei dem in diesem Jahr neu gegründeten Verein ALS Community Schweiz. Dort haben wir den ALS-Gruppen-Chat auf WhatsApp ausgebaut und planen weitere Angebote und Dienstleistungen im neuen Jahr. Ich freue mich, zusammen mit ALS-Experten und Personen mit langjähriger Erfahrung im Bereich ALS, den Verein auszubauen. Wir hoffen, ALS- Betroffene und ihr Umfeld gezielt und bedürfnisgerecht unterstützen zu können. Wenn du die ALS Community Schweiz dabei unterstützen möchtest, kannst du das gleich hier tun. Danke!
29. Ich vermisse meine Freunde, meine Familie und meine ALS-Weggefährten schon sehr. Sie nicht treffen zu dürfen lässt mich schon mal traurig werden. Gerade in dieser Zeit bräuchten wir einander. Ich würde so gerne wieder Menschen in die Arme schliessen und sie an mich drücken. Auch wenn ich dies auf Grund meiner körperlichen Beeinträchtigung schon vor Corona nicht mehr tun konnte, fehlt mir dies sehr. In einer Umarmung stecken so viele Gefühle.
Manchmal kann dieses Gefühl von Nähe und Gemeinsamkeit auch auf andere Weise herbeigeführt werden. So habe ich gestern vor dem Schlafengehen, diesen Traumfänger gezeichnet. Was dann in der Nacht geschah, war wunderbar. Mit alten Freunden sassen Piet und ich an einem langen Tisch in einem Musiklokal. Wir haben zusammen diskutiert, gelacht und die Gläser waren gut gefüllt. Auf der Bühne spielte eine Country-Band. Wie üblich konnte ich nicht ruhig auf meinem Platz sitzen bleiben. So nahm ich immer wieder neben jemand anderem Platz um mit ihr/ihm zu quatschen. Das Sprechen viel mir ganz leicht und Räder brauchte ich auch keine. Ich fühlte mich so gut zwischen meinen Freunden. So verwundert es nicht, dass ich am Morgen ganz aufgewühlt war und am liebsten wieder in den Traum zurückgekehrt wäre.
31. Was möchte ich noch sagen am letzten Tag dieses Jahres. Antworten auf Fragen wie; ist das Universum unendlich; warum ist unser aller Leben nur so furchtbar kurz; u.v.m. wurden auch dieses Jahr nicht beantwortet. Wer sollte mir auch Antwort geben. Niemand weiss es. Es zeigt, wie wenig wir eigentlich wissen. Beängstigend nicht zu wissen, was um mich herum abgeht. Welche Ereignisse kommen zu Lebzeiten auf mich zu. Was passiert mit mir, wenn ich sterbe. Da mir dies Niemand beatworten kann, bringt mir die Möglichkeit, mir meine Zukunft und meinen Tod, bunt auszumalen. Sollte meine Zukunft auch eher grau ausfallen, so ist die Vorfreude doch wunderschön farbenfroh. Beim Tod gehe ich davon aus, dass ich mich mit der Erde verbinde und dies finde ich eine schöne Vorstellung. So habe ich auch keine Angst vor dem Tod. Doch gehen möchte ich noch lange nicht. Ich liebe mein Leben trotz aller Einschränkungen und der Abhängigkeit von anderen Menschen immer noch so sehr.
Viel zu meiner Lebensfreude trägt mein Unterstützungsteam bei. Mein Mann und mein Sohn stehen mir immer zur Seite und langjährige Assistentinnen unterstützen mich in meinem Alltag. Ihnen gebührt auch der letzte, geschriebene Satz im Jahr 2020.
Danke, ihr seid wunderbar.
2. Leute, das neue Jahr fängt ja schon mal gut an. Ich lauf/roll ihm schon hinterher. Trotzdem freue ich mich auf ein ereignisreiches Jahr. Mir schwirren wieder tausend Ideen im Kopf herum, die nach Verwirklichung schreien. Zuerst muss ich jedoch das alte Jahr beenden. Was so viel heisst; alle Excel-Tabellen für die Assistenzstundenabrechnungen aufs neue Jahr datieren. Sozial- und Steuerabzüge der Assistentinnen bei der Ausgleichskasse einreichen, Mitarbeitergespräche planen und vorbereiten, Ferienplan der Assistentinnen erstellen und noch diverses mehr. Ich bin so froh, kann ich diese Arbeiten mehr oder weniger immer noch selbst erledigen. Einige dieser Arbeiten waren Bestandteil meiner beruflichen Tätigkeit. Ich bin froh, konnte ich einiges in meinen ALS Alltag hinüberretten. Dabei vergesse ich auch nicht, zwischendurch mit der ALS Familie zu chatten. Jetzt, nach einem Tag am PC, gönne ich mir wieder etwas Musik.
Von meinen Vorsätzen, meinen Träumen, meinen Wünschen, meinen Ideen und meinen Visionen werde ich dann später berichten.
7. Ich besuche des Öfteren ALS-Betroffene in Pflegeheimen, Spitälern oder auch einfach mal Zuhause. Auch wenn die Besuche manchmal nur eine halbe Stunde dauern, denke ich, diese Besuche sind wichtig und werden geschätzt. Ich mache dies auch sehr gerne und ist für mich eine Herzensangelegenheit.
Da ich nicht gerade zentral wohne, sind es oft lange Wege, welche ich für die Besuche zurücklege. Das macht mir keineswegs was aus. Es hindert mich jedoch daran, ALS-Betroffene öfters besuchen zu können. Bei vielen schaffe ich es gar nicht, vorbeizuschauen. Besonders wenn ich spüre, dass es Jemandem nicht gut geht und ein Besuch zum Reden guttun würde, stehe ich wegen der Distanzen manchmal am Hag.
Nun habe ich mir überlegt, unter dem Dach von ALS Community eine Besucher-Gruppe mit Hinterbliebenen / ev. auch mit pensionierten Pflegepersonen, aufzubauen. Sie übernehmen quasi eine Art Gotti/Götti Funktion von einem Betroffenen oder einem Angehörigen. Idealerweise wohnt die Gotte/Götti in der näheren Umgebung (Kanton) des zu Besuchenden. Natürlich wird vorher abgeklärt, ob Betroffene / Angehörige dies auch wünschen. Damit alle Betroffene / Angehörige von diesen Besuchen profitieren können, ist es wichtig, dass Organisationen die von ALS-Betroffenen und Angehörige auf dieses Angebot hinweisen. Alles steht und fällt mit der Bereitschaft von Hinterbliebenen / pensionierte Pflegende, sich ehrenamtlich als Gotte/Götti zu engagieren. Die Bedeutung "Zeit schenken" kommt hier perfekt zum Tragen. Wieviel Zeit eine Gotte/Götti investieren will, und in welchem Turnus die Besuche stattfinden werden, ist Sache zwischen den Betroffenen/Angehörigen und den Göttis.
Einmal im Jahr treffen sich die Göttis gemeinsam mit Fachpersonen zum Erfahrungsaustausch und zur Unterstützung.
Es ist nicht jedem Hinterbliebenen gegeben, sich wieder mit der Krankheit ALS auseinandersetzen zu müssen. Manche wollen auch einfach einen Schlussstrich unter die eigene ALS-Geschichte ziehen. Manche fallen nach dem Verlust ihres Partners in ein Loch und wissen mit der freigewordenen Zeit nichts anzufangen. Der Einsatz als Götti kann allenfalls bei der Trauerverarbeitung helfen. Daraus geht eine Win-Win-Situation hervor. Ausserdem haben Hinterbliebene durch ihre eigenen Erfahrungen mit der ALS, ein enormes Wissen angesammelt, was nicht brachliegen sollte.
Wenn also Jemand Interesse daran hat, ALS Betroffenen und Angehörigen Zeit zu schenken, darf sich gerne bei ALS Community melden. info@als-community-schweiz.ch
Vielleicht lässt sich eine meiner vielen Ideen zu Gunsten ALS-Betroffenen, Angehörigen und Pflegenden verwirklichen.
14. Rollstuhl auf Liegeposition gestellt, eine Decke über den Beinen, das Gesicht der Sonne zugewandt, so lässt es sich in unserem Garten aushalten. Ich musste dieser Tage viel Korrespondenz erledigen und die Therapien waren auch nicht wenige. Da kam mir der stahlblaue Himmel und die wärmenden Sonnenstrahlen heute genau richtig. Mit der Einnahme von Vitamintropfen kann ich meinen Vitamin D Haushalt im Winter aufrecht halten. Die natürliche Vitamingabe durch die Sonne ziehe ich allerdings vor. Auch wenn ich gerne Schnee gehabt hätte, so sehne ich mich nun nach dem Frühling.
Wenn meine Finger und mein Geist müde sind, finde ich oft auch mit Musik Entspannung.
16. Normalerweise ist der Mittwochnachmittag mein "Ruhetag". An diesem Tag lege ich mich oft in den Fernsehsessel, um Fern zu schauen oder zu schlafen. Gestern und vielleicht auch in Zukunft wird es anders. Dadurch, dass mein Mann eine berufliche Pause einlegt, komme ich wahrscheinlich öfters in den Genuss von Ausflügen. So waren wir gestern im Elsass und fuhren durch die Vogesen. Die Berge kann man nicht mit der Höhe unserer Berge vergleichen. Die niedrige Höhe und die weichen Linien der Hügel, lassen viel Weite zu. Was mir ab und zu schon gut tut. Der Sonnenuntergang war in der Fläche gigantisch, sodass ich mich kaum satt sehen konnte.
Eins ist sicher, das Elsass wird uns in Zukunft öfters sehen.
18. Mit Schneeflocken bis ins Tal, war heute nichts. Dafür zeigten sich die Berge rings um uns, in Weiss gehüllt. Die Sonnenstrahlen verliehen den Schneefeldern einen wunderschönen kristallzuckerartigen Schimmer. Des Sonnenschein wegen wollte ich mich am Nachmittag im Garten kurz an die Sonne legen. Kurz wurde es. Eine runde im Garten gedreht und schon gings wieder ins Haus. Da ich die Sonne mit Wärme in Verbringe bringe, habe ich die Winterkälte nicht bedacht. Seit meiner ALS Erkrankung hat sich mein Kälteempfinden laufend verstärkt. Obwohl ich heute nur kurz Draussen war, musste ich danach, in eine Decke gehüllt und mit Wärmekissen bestückt, auf Temperaturen gebracht werden. Kommentar meines Mannes; selbst schuld, man geht zurzeit auch nicht ohne Jacke aus dem Haus. Ich im Stillen; würde ja eine Jacke anziehen, wenn ich könnte. Manchmal mag ich nicht warten bis Jemand Zeit hat und mir behilflich ist. Zudem fühle ich mich in dicken Jacken noch unbeweglicher und eingeengt. Da muss ich manchmal ausbrechen.
19. Sein Leben mit der Krankheit ALS zu organisieren ist ein Full-Time Job. Und wenn man den Job, wie ich es auch versuche, gut machen will, stellt man sich einer grossen Herausforderung. Die Arbeit ist immer da und hört nicht nach acht Stunden und zehn auf. Sie ist vierundzwanzig Stunden präsent. Dass ich diesen Job nicht allein bewältigen kann, liegt auf der Hand. Ich musste mir ein Netzwerk von Helfern aufbauen. So habe ich drei Assistentinnen mit unterschiedlichen Pensen eingestellt. Ihre Aufgabe ist es, mich bei allen anfallenden Arbeiten zu unterstützen. Zu ihren Tätigkeitsbereichen gehören z.B. meine Pflege, die Nahrungszubereitung und Verabreichung, die Überwachung der Medikamente und deren Verabreichung, die Überwachung der Vorräte von Pflegematerialien, der Haus Kehr und die Wäschebesorgung, Mithilfe bei Büroarbeiten, Unterstützung beim Wocheneinkauf, Terminbegleitung ausser Haus, Unterstützung bei meinen Freizeitaktivitäten. Das sind die Tätigkeiten, die mir spontan einfallen. Oh, die schönste Tätigkeit, zumindest in meinen Augen, die Gartenarbeit, hätte ich fast vergessen. Vielleicht weil es für mich nie Arbeit war.
Um meinen Job gut zu machen, muss ich ausserdem versuchen, meine Lebensqualität möglichst lange hoch zu halten. Dabei helfen mir folgende Therapien; Physiotherapie, Ergotherapie, Logotherapie und Therapie im Gehbad.
Für mich gehört zur Erfüllung meines Jobs auch die Bekanntmachung meines Arbeitgebers, der den Namen ALS trägt. Obwohl man schon über 150 Jahren von deren Existenz weiss, konnte sie im Bekanntheitsgrad nur unwesentlich wachsen. Mein langsamer Krankheitsverlauf lässt es zu, mich für die Belange der ALS einzusetzen. Und dies täglich.
Eben, an ALS erkrankt zu sein bedeutet, einen Full-Time-Job bis ans Lebensende zu haben. Die Hoffnung, entlassen zu werden steht bis heute bei null.
21. Bevor ich weiter von meinem Job berichte, will ich euch das Bild zeigen, welches ich gestern Abend im Bett gemalt habe. Malen kann ich am besten in Liegeposition. Dafür wird meine rechte Hand mit Klett auf der PC Maus befestigt. Die so ausgerüstete Hand wird dann auf eine flache Unterlage gelegt, welche sich neben meiner rechten Hüfte auf dem Bett befindet. Obwohl es mir immer schwerer fällt, die Striche und Farben dorthin zu bringen, wo ich diese haben möchte, habe ich die Lust am Malen noch nicht verloren. Meine Bilder spiegeln oft meine Gefühle. So durfte ich nach fast zwei Monaten der "Wasserabstinenz" gestern wieder ins Geh-Bad. Ich habe das Schwimmen, Treten, Planschen und auf dem Wasser liegen so genossen. Eine Wohltat für Körper, Geist und Seele.
Obwohl der Aufwand für 40 Minuten im Wasser, bei knapp 2 Stunden liegt, lohnt es sich für mich. Ich kann mich nirgends so gut bewegen wie im Wasser. Dank dem Auftrieb im Wasser, gelingt es mir besser, meinen Körper anzusteuern. Dies gibt mir das Gefühl, wieder Frau meiner Körperbewegungen zu sein. Das tut meinem Selbstbewusstsein so gut. So möchte ich ALS Betroffene ermuntern, wenn irgendeine Möglichkeit besteht, den Aufwand auf sich zu nehmen und auch Therapien im Wasser wahrzunehmen. Im Wasser habe ich zumindest, einen besseren Zugang zu meinem Körper. Deswegen bin ich im Wasser auch so glücklich, was sich wiederum in meinen Bildern und Worten zeigt.
23. Heute musste ich per Zufall erfahren, dass das einzige Medikament, welches laut Medizinern, den Verlauf der Krankheit ALS etwas hinaus zögern könnte, bis auf Monate hinaus, vergriffen ist. Viele in der Schweiz lebende ALS Betroffene nehmen, auf Empfehlung ihres Arztes oder ihres Neurologen, dieses Medikament ein. Obwohl Neurologen und ALS Muskelzentren, laut Patienteninformation, bereits letztes Jahr von diesem Engpass wussten und eng mit Organisation zusammenarbeiten, welche sich für die Belange von ALS Betroffenen und deren Umfeld einsetzen, fand sich anscheinend niemand verantwortlich, diese Info an möglichst alle ALS Betroffene weiterzugeben. Nun müssen Rilutek-Konsumenten auf andere Riluzol Medikamente ausweichen. Auf Grund der grossen Nachfrage, entstehen nun auch bei diesen Medikamenten Engpässe.
Diesen Medikamente Engpass finde ich bedenklich. Die mangelhafte Patienteninformation finde ich jedoch noch bedenklicher. Ich, als ALS Betroffene, mache mir so meine Gedanken. Mein Rat an Rilutek-Konsumenten; fragt bei Bedarf oder Unsicherheit bei eurem Arzt oder Apotheker nach.
Morgen habe ich die Gelegenheit meine Neurologin nach dem Rilutek Engpass zu fragen. Sie wird mir Morgen die zweite Botox Dosis in den linken Unterarm injizieren. Die erste Botox Injektion und die dazugehörige Ergotherapie haben mir geholfen, meine zur Faust geballte Hand besser zu öffnen. Nun, nach drei Monaten lässt diese Wirkung nach und ich bekomme daher eine weitere Injektion. Ich habe dabei keine Schmerzen zu fürchten.
26. Wie schön das Wetter heute wieder ist. Im Tal spriesst langsam der Frühling und in den Bergen glitzert der Schnee. Vielleicht wäre ich heute auch mit zwei Skiern und nicht mit vier Rädern unterwegs. Aber was soll's, jetzt ist es nun mal so.
Ich bin nach wie vor sehr selbständig. Dies ermöglichen mir angepasste Hilfsmittel und Therapien. Dazu gehört auch die oben erwähnte Behandlung mit Botox. Auch wenn Botox meine Lebenszeit nicht verlängern kann, so erhöht sie doch ein ganz klein wenig meine Lebensqualität. Eine ergotherapeutische Therapie ist mir jedoch noch wichtiger, um den Auswirkungen von Spastik, wie Muskelverkürzungen, Fehlhaltungen, Fehlstellungen der Gelenke, Gelenkdeformitäten und Gelenkschäden, entgegenzuwirken. Ich erhoffe mir durch angepasste Therapien, z.B. meine Fingerfertigkeit länger erhalten zu können, um meinen Rollstuhl länger eigenhändig steuern zu können. Dafür nehme ich die vielen Therapien sehr gerne auf mich.
Dass ich durch manche Medikamente meinem Körper zusätzlich Gifte zuführe, statt mich davon zu befreien, stört mich manchmal. Zu denken, dass für mein Wohlbefinden womöglich Lebewesen leiden könnten, bringt mich in eine nicht einfach zu lösende Zwickmühle.
Im Frühling darf ich wieder in die Reha. Dort werden meine Therapien intensiviert und an meinen Krankheitsverlauf angepasst. Ich freue mich über jede noch so kleine Verbesserung, die mir helfen, meine Selbständigkeit zu erhöhen oder zu halten.
FEBRUAR
1. Der neue Monat könnte nicht schöner beginnen. So durfte ich heute Morgen miterleben, wie der Tag erwacht. Es kam mir vor, als würde sich ein immer heller werdendes Licht, hinter den Bergen hocharbeiten. Dabei verändert sich die Farbe des Himmels. Die Decke der Erde verwandelt sich und zeigt sich in diversen Rottönen. Wobei ein Flugzeug einen weissen Strich in das rote Farbspektakel zieht. Inzwischen zeigt sich die Sonne am Himmel und ihre ausgebreiteten Strahlen nippen vom Schnee auf den Bergspitzen. Es wird ein wunderschöner, frühlingshafter Tag werden.
02.02.2020. Dieses ganz besondere Datum nehme ich zum Anlass, Menschen aufzufordern, aufeinander zuzugehen, ihre Querelen zu bereinigen, um sich mit vereinten Kräften für eine gute Sache einzusetzen. Welche geballte Kraft an Wissen und Ideen würde zusammenkommen, würden Player besser zusammenarbeiten und am gleichen Strick ziehen. Dabei gilt es, alle Player miteinzubeziehen. Einbezug, nicht Ausgrenzung muss das Ziel sein. Nur so wird es möglich sein, z.B. ALS-Betroffene und ALS-Angehörige bestmöglich durch die Krankheit zu begleiten. Mein Appell an alle Player, die wertvolle Arbeit und das Wirken anderer Player anzuerkennen, zu Unterstützen und zugunsten Aller zusammen zu arbeiten.
Was der Einbezug und die Zusammenarbeit von Betroffenen zutage bringen kann, zeigt die unten aufgeführte Aktion:
Heute möchte ich euch auf die Spenden-Aktion von Elisabeth Siegel aufmerksam machen. Einer ihrer letzten Wünsche in ihrem Leben, Spenden zur Unterstützung von ALS-Betroffenen und deren Angehörigen zu sammeln. Mit ihrer letzten Kraft stellt sie Artikel auf ihrer Stickmaschine her und bietet diese zum Spendenkauf an. Die Idee, den Spendern je nach Spendenbeitrag einen Artikel anzubieten. Elisabeths Näh-Freundinnen unterstützen sie dabei, indem sie ebenso einige ihrer Handarbeiten beisteuern. Wenn ihr mithelfen wollt, dass einer der letzten Träume von Elisabeth Erfüllung findet, dann besucht den Kreativ-Shop auf der Webseite von ALS Community Schweiz. Es findet sich für jeden Shop-Besucher einen passenden und originellen Artikel.
11. Da ich mal wieder viel um die Ohren habe, kommen meine Tagebucheinträge etwas zu kurz. Im Vergleich mit der «arbeitenden Bevölkerung» ist meine gemeinnützige Arbeit kaum der Rede wert. In Anbetracht meiner Erkrankung ist mein Wirken doch oft zeitintensiv. Es soll aber kein jammern meinerseits sein, liegt es doch in meinen Händen, wieviel ich geben will. Eigentlich war einer meiner Vorsätze fürs neue Jahr, mir selbst etwas Zeit zu geben. Ich möchte mich mit Themen wie Selbstbestimmung, Selbstvertretung, dem Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG) und der UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) befassen und mich darin weiterbilden. Dies kann mir helfen, meine Anliegen optimal zu platzieren und soll mir helfen, Menschen mit Behinderungen besser unterstützen zu können.
Ich bin noch immer sehr neugierig und meine Interessen erstrecken sich über viele Bereiche.
16. Ich kann nicht ausschliessen, dass es doch noch Schnee geben wird und den Frühling in eine Schockstarre drängt. Doch heute durfte ich sie sehen, die blumenbringende Jahreszeit.
Zeit ist auch zu erzählen, was mich dazu brachte, mich für meine Eigenen sowie für die Interessen von Menschen mit Behinderungen einzusetzen. Dabei ist meine eigene Krankheit, welche mich als Mensch mit Behinderungen leben lässt, die Ausschlaggebende.
Wenn ich so überlege, liegt der Ursprung meines Handelns womöglich bereits in meinen Kinder- und Jugendjahren. In einer Grossfamilie auf einem Bauernhof aufzuwachsen, lernte mich mit verschiedenen Charakteren klarzukommen. Gemeinsam mit meinen 8 Geschwistern und den Eltern, die anfallenden Arbeiten im Haus und auf dem Hof zu erledigen, gehörte zu meinen Kind- und Jugendjahren. Auch wenn es innerhalb unserer Familie nicht immer rund lief, so blicke ich auf eine schöne Kindheit zurück.
Geprägt hat mich sicher auch meine frühe Mutterschaft. Dazu komme ich dann Morgen........
17. Kurz vor Ablauf meiner Teenagerjahre wuchs in mir ein neues Leben heran. Das Kind der Liebe machte mich vor meinem 18. Geburtstagtag zur liebenden Mutter. Auch wenn mich meine Eltern sehr unterstützt haben, so musste ich doch rasch erwachsen werden, um die Verantwortung für mein Kind tragen zu können. Unterstützung fand ich auch beim Kindsvater, dem ich später auch mein Ja- Wort gab. Dieses Jahr dürfen wir, unseren 40-jährigen Durchhaltewillen feiern. Wir sind ein gutes Team. In Anbetracht meiner jetzigen Krankheit bin ich sehr froh, um die frühe Schwangerschaft. Bei meiner ALS-Diagnosestellung war mein geliebter Sohn, mit 22 Jahren zum Glück bereits erwachsen.
20. So, jetzt will ich endlich mal im Thema weiterschreiben. Durch das Fortschreiten der Krankheit ALS nahmen meine körperlichen Einschränkungen über die Jahre laufend zu. So gehörte ein Rollstuhl zu meinen ersten Hilfsmitteln. In dieser Zeit musste ich selbst erfahren, mit wie vielen Hindernissen sich Menschen im Rollstuhl herumschlagen müssen. Damals fing ich an, mich für die Beseitigung dieser Hindernisse einzusetzen. Oft habe ich mich gefragt, warum nicht schon eher gegen solche Hindernisse vorgegangen wurde. Wo waren die Organisationen, welche sich für die Belange von Menschen mit Behinderungen (MmB) einsetzen. Mir wurde rasch bewusst, dass es für Fussgänger schwierig ist, Hindernisse für MmB zu erkennen. Da in vielen Organisationen, welche sich für die Belange von MmB einsetzen, von Menschen ohne Behinderungen (MoB) geführt werden, verwundert dies nicht. So begann ich, mich selbst an Ämter, Behörden zu wenden, um auf die Hindernisse aufmerksam zu machen. Inzwischen nehmen vermehrt MmB im Vorstand von Organisationen Platz. Eine sehr erfreuliche Entwicklung. Denn, MmB wissen selbst am Besten was sie brauchen. Wir sind Experten in eigener Sache. Vor ca. 4 Jahren habe ich mit dem Aufbau der Selbstvertretung Uri begonnen. Mir war und ist es wichtig, dass sich MmB sich selbst oder mit Hilfe von andern MmB für ihre Anliegen einsetzen. Obwohl unsere Gruppe nach wie vor wenig Mitglieder hat, sind wir sehr aktiv in der Beseitigung von Hindernissen und Barrieren. Mitunter finden sich Barrieren auch in den Köpfen von Menschen ohne Behinderungen. Durch Aufklärung und Sensibilisierung für die Anliegen von MmB können diese Barrieren zuksessive abgebaut werden. Wir arbeiten daran.
25. Wie es Früher oft üblich war, traf auch in unserer Familie unser Vater die wichtigen Entscheidungen. Manchmal zum Ärger von uns allen. Er lebte uns aber auch vor, innovativ zu sein und trotz Widerstände neue Dinge anzugehen. So war er einer der ersten in unserer Gegend, der einen Traktor (Hürlimann natürlich) zulegte. Viele Jahrzehnte stand dann auch im Telefonbuch der Zusatz, Traktorhalter. Nach und nach kamen weitere Landwirtschaftliche Fahrzeuge dazu und mein Vater wurde bekannt als Fuhrhalter. So übernahm er viele Fuhren für andere Landwirtschaftliche Betriebe und besserte so unser Einkommen auf. Wie in vielen Familien, war jedoch unsere Mutter das Herz der Familie. Sie hielt die Familie zusammen, schlichtete Streit. Als Kinder wussten wir, was immer wir auch anstellten, unsere Mutter würde uns nie im Stich lassen. Wenn ich vom Vater die Inovationsbereitschaft und das Durchsetzungsvermögen geerbt habe, so habe ich von meiner Mutter die Kreativität, die Poesie und die Liebe zur Familie mitbekommen.
Solche und weitere Lebenserfahrungen haben mich zu der Person werden lassen, die ich heute bin. So liebe ich Gemeinschaften, sei dies nun meine eigene kleine Familie, meine vielen Geschwister und z.B. die ALS Familie. Es ist mein Bestreben, mich für sie einzusetzen, zu unterstützen.
Für mich war schon früh klar, dass Mann und Frau auf gleicher Stufe stehen. Dafür benötigte ich keinen Kurzhaarschnitt. Trotzdem bin ich der Frauenbewegung sehr dankbar, dass sie sich für uns Frauen eingesetzt haben und noch immer tun. Nicht jede Frau hat die Kraft, sich für ihre eigenen Rechte einzusetzen.
Ich selbst liebe meine Eigenständigkeit, meine Selbstständigkeit, auch wenn sie durch meine Erkrankung löchrig geworden ist. Mir ist es sehr wichtig, Entscheidungen selbst treffen zu können. Das sollte eigentlich jedem Menschen offenstehen. Noch viel zu oft treffen andere die Entscheidungen. Besonders im Bereich MmB treffen Organisationen, Institutionen, Behörden, Gesetzgeber, Endscheidungen ohne MmB beizuziehen. Das Mitbestimmungsrecht, die Teilhabe wird ihnen somit verwehrt.
Ich frage mich oft, woher nehmen sich Menschen das Recht, für andere zu entscheiden, wenn sie selbst nicht in der gleichen Situation stecken. Es wäre wünschenswert, wir würden mehr Miteinander arbeiten.
Es geht nicht darum, dass in den Vorständen und Geschäftstellen von Patienten-Organisation, Institutionen, Vereinen nur Betroffene Einsitz nehmen. Es wäre vermessen anzunehmen, dass alle Ressorts von Betroffenen-Fachspezialisten abgedeckt werden könnte. Die Entscheidungsgewalt sollte jedoch bei den Betroffenen / Patienten liegen.
Büetzer Buebe - John Deere
Auch mein Vater spielte früher mal mit dem Gedanken, auszuwandern. So würde ich heute womöglich Englisch und nicht im Ürner Dialekt sprechen und Vaters Traktor wäre ein John Deere und nicht ein Hürlimann. Ich weiss nicht, ob es meine Mutter oder eines meiner älteren Geschwister war, die unseren Vater davon abhielt, mit der Familie auszuwandern. Im fortgeschrittenen Alter durfte mein Vater dann doch noch über den Teich fliegen und das Land seiner Träume besuchen. Ich selbst habe dies noch immer nicht geschafft. Ich bin sehr froh, durfte ich auf einem Bauernhof aufwachsen. Hier entwickelte sich meine Liebe zur Natur und den Tieren. Mein Herz öffnet sich heute noch beim Duft von Heu. Es bringt Erinnerungen zurück, an die Zeit von gemeinsamen Heueinbringen. An das gemeinsame Zabig und die zufriedene Müdigkeit nach getaner Arbeit. Diese Erinnerung gehen tief und machen mich unglaublich glücklich.
28. Mir ist Familie sehr wichtig. Wenn es der Familie gut geht, geht es auch mir gut. Meine eigene kleine Familie und die Familien von unseren Geschwistern müssen sich auch mit Schicksalsschlägen zurechtfinden. Die letzte Zeit war nicht gerade einfach und das Kämpfen geht weiter. Ich musste und muss selbst erfahren, wie machtlos man sich als Angehörige fühlt, zusehen zu müssen wie eine Krankheit, ein Ereignis das Leben eines geliebten Menschen bestimmt und selbst kaum helfen zu können. Es macht weh, traurig und nachdenklich. Mitunter möchte ich alles hinschmeissen und mich verkriechen. Eine starke Familienbindung hilft in dieser Zeit. Die Unterstützung und der Zuspruch helfen, die Situation besser tragen zu können. Wie sagt man; Gemeinsam sind wir stark.
Was zwei, drei Sonnenstunden im Garten bewirken, sieht man an meinen roten Backen und dem Lächeln auf meinem Gesicht. Ich freue mich sehr auf die bunten Blumen und die blütentragenden Obstbäumchen im Frühling. Die summenden Bienen, die lautlosen Schmetterlinge und die den Morgen grüssende Vogelschar. Und natürlich auf meine Rollitouren.
Als ich gestern für eine ALS Studie nach Basel gefahren wurde, schien der Frühling wieder in weite Ferne gerückt zu sein. Dies störte mich gestern jedoch wenig. Lag ich doch eine volle Stunde im MRI-Gerät. Mir ist es wichtig, mich zu Gunsten von uns ALS Betroffenen für Studien zur Verfügung zu stellen. Als Belohnung erhielt ich eine wunderschön bunte Diffusionsaufnahmen von meinem Gehirn. Ich glaube, ich habe den Frühling in meinem Kopf.
MÄRZ
11. So leer wie jetzt war mein Terminkalender schon seit längerer Zeit nicht mehr. Mitgliederversammlungen, Sitzungen, Veranstaltungen werden laufend abgesagt oder verschoben. Wäre der Grund nicht das blöde Virus, hätte ich jetzt mehr Zeit, um meine Freunde zu besuchen, könnte ausgiebig Shoppen gehen oder Ausflüge machen.
Gestern hatte ich meinen halbjährigen Besuch bei meinem Pneumologen und er hat mir eindringlich geraten, möglichst alle Termine ausser Haus abzusagen. Er hat mir ebenfalls geraten die Reha im April/Mai zu verschieben. Obwohl sich meine Lungenwerte seit der letzten Messung kaum verändert haben, wäre es für mich fatal vom Virus angesteckt zu werden. Bleibt mir also nichts anderes übrig als abzuwarten.
Langweilig wird es mir trotzdem nicht. Ich bin dabei, Grusskarten zu kreieren, um diese dann für einen guten Zweck zu verkaufen. Ausserdem nutze ich jede Sonnenstunde, mich im Garten aufzuhalten und dem Frühlingstreiben zuzuschauen.
13. Wegen der Ansteckungsgefahr des Corona-Virus haben mein Mann und ich heute beschlossen, den Kontakt zu anderen Personen zu meiden. So habe ich bis auf einen Termin, alle Therapiebesuche vorerst abgesagt. Ebenfalls verschieben muss ich wohl meine geplante Reha. Auch meine Assistenzpersonen und die Spitex haben nächste Woche keinen Einsatz bei mir. Ich habe das grosse Glück, dass mein Mann bereit ist, während dieser Zeit meine Pflege und meine Unterstützung zu übernehmen. Wir werden diese gemeinsam gewonnene Zeit für Sonnenstunden im Garten nutzen oder für Ausflüge mit dem Auto. Mit einer gefüllten Picknicktasche geht das wunderbar. Das Einkaufen ohne Personenkontakt haben wir für den schlimmsten Fall auch bereits organisiert. Die nächsten Wochen werden für uns alle Herausforderungen bringen, welche es zu meistern gilt.
19. Ein malerischer Bildgruss aus meinem mir selbstauferlegten Hausarrest. Meinem Mann und mir geht es gut.
21. Ein Hallo aus meinem "Hausarrest". Da ich mich nach wie vor auch im Garten aufhalten kann, ist die Bezeichnung Grundstückarrest wohl bezeichnender. Nahen Kontakt pflege ich nur noch mit meinem Mann, der den Arrest genauso einhält wie ich. Obwohl das Grundstück unseres Sohnes an unseres grenzt halten wir auch zu ihm Distanz. Gespräche finden lediglich im Garten und mit Abstand statt. Wir haben Glück, uns sehen und, wenn auch jeweils nur kurz, austauschen zu können. Der Einkauf durch unseren Sohn oder durch eine Assistentin funktioniert auch wie vorgesehen. Wobei unser Sohn auch den Einkauf von unserem betagten Nachbar übernimmt. Ich finde diese Generationenunterstützung so wunderbar. Viel Gutes und Menschliches aus den momentanen Geschehnissen, werden unser zukünftiges Leben beeinflussen.
Diese Tage mit viel Sonne und Wärme im Garten habe ich sehr genossen. Die farbenfrohen Frühlingsblumen, die blütentragenden Aprikosen-, Pflaumenbäumchen, die gelben Forsythien Sträucher, die rosablühende Japanische Kirsche und die roten Johannesbeere Ziersträucher mit den am Nektar labenden Wildbienen und Hummeln, sind faszinierende Beobachtungsobjekte. Auch die wiedererwachten Eidechsen und die wunderschönen Vogelstimmen bereichern meine Zeit im Garten.
22. Heute ist es mir zu kalt und zu nass, um in den Garten zu rollen. Bleibe ich wie viele andere Menschen eben auch im Haus. Mit Einschränkungen umzugehen, lernte ich in all den vergangenen Jahren infolge meiner Krankheit. Dass die Einschränkungen zunehmen, kenne ich ebenfalls. Wir, die von der unheilbaren Krankheit ALS betroffen sind, müssen uns laufend auf veränderte Situationen einstellen.
Die meisten von uns haben schon mal nach Luft gefleht oder hatten Angst zu ersticken, weil uns durch einen Krümel oder Speichel die Atemwege verschlossen wurden. Auf Grund der Schwächung des Zwerchfells, der Bauchmuskulatur und der Muskeln im Rachenraum, müssen viele von uns in der Nacht, manche auch am Tag, eine Atemmaske tragen. Über die Maske wird Raumluft mit überdruck in die Maske geleitet und in die Lunge befördert. Ich kann euch sagen, es ist gar nicht lustig nach Luft schnappen zu müssen. Trotzdem hält es die wenigstens davon ab, immer wieder Kraft zu sammeln, um weiterzuleben. Ich habe gelernt, die Erstickungsanfälle auszublenden und keine Angst vor dem nächsten zu haben. Es reicht völlig, wenn die Angst bei einem nächsten Anfall zurückkehrt. Das gilt auch für einen Zahnarztbesuch. Warum sich Tage davor schon Gedanken machen. Das ist unnötig verlorene Zeit. Es reicht völlig, die Zähne kurz vor der Behandlung klappern zu lassen.
Im Haus bleiben zu müssen, ist wohl nicht das eigentliche Problem, welches uns zurzeit beschäftig, es sind die sozialen Kontakte die uns fehlen. Besonders hart trifft es z.B. ALS Betroffene, welche in Pflegeheimen leben. Das Besuchsverbot macht einsam. Damit unsere lieben Betroffenen wissen, dass sie nicht alleingelassen werden und wir bei ihnen sind, hat die ALS Community Schweiz auf ihrem ALS-WhatsApp-Chat eine Karten-Schreib-Aktion für ALS Betroffene in Pflegeheimen gestartet. Danke allen, die dabei mitmachen und eifrig Karten/Briefe schreiben.
31. Die Zeit steht irgendwie still. Die Wochentage haben ihre Bedeutung verloren. Die Helligkeit symbolisiert den Tagesanfang, die Dunkelheit das Tagesende. Die Zeiger der Uhr drehen ihre Runden und die Stunden plätschern vor sich hin. Es still geworden, auch in mir. Ich schlafe viel, habe aber auch viel Zeit, um mir über mein Leben Gedanken zu machen. Über die Vergangenheit, das Hier und Jetzt, die Zukunft.
Die letzten drei Jahre waren geprägt von der Sorge um meinen Sohn. Als Projektleiter war er in verschiedenen Ländern unterwegs. So trug er die Projektverantwortung unter anderem in Tschechien, China, Mexiko. Kurz nach der Rückkehr einer dieser Arbeitsreisen bekam mein Sohn den ersten Epileptischen Anfall, einen Grad-Mal. Natürlich für uns alle ein Schock mit viel Unsicherheit und Ängsten. Mein Sohn musste seine Arbeitsstelle aufgeben und die beruflichen Aussichten stellten sich alles andere als günstig dar. Was diese Situation mit einem Menschen macht, können wahrscheinlich nur diejenigen nachvollziehen, welche ähnliches durchgemacht haben oder der jeweiligen Person sehr nahestehen. Für mich als Mutter war es sehr schmerzlich, meinem Sohn ausser seelischem Beistand nicht helfen zu können. Nun wurde der Tiefstand allerdings erreicht und es geht mit grossen Schritten wieder aufwärts. Er wird wahrscheinlich sein Leben lang Epileptiker bleiben. Doch mit gut eingestellten Medikamenten, einer Lebensumstellung und der beruflichen Neuorientierung, kommen höchstens noch Absencen (Petit-Mal) vor und die sind händelbar. Zusammen mit meinem Sohn blicke ich nun in eine gute Zukunft.
Erste Hilfe bei einem Anfall
In den letzten Jahren widmete ich auch viel meiner Zeit dem Thema Selbstbestimmtes Leben und dem Thema ALS.
Wie schön öfters geschrieben, kann ich es nicht ab, mein Leben von Menschen bestimmen zu lassen, die nie in meinen Schuhen standen. Noch immer besetzen zu viele Personen entscheidungsrelevante Stellen, oder politisieren über die Köpfe von Betroffenen hinweg, ohne selbst vom jeweiligen Thema betroffen zu sein. Woher nehmen sich diese Personen das Recht über mich, über uns zu bestimmen. Wir, die Betroffenen geben ihnen diesen Blanco-Check selbst in die Hand. Wir fehlen bei Abstimmungen oder nicken der einfachheitshalber allem zu. Mit dem Gedanken, wenn etwas geändert werden müsste, so werden sicher Andere aufstehen und Gegensteuer geben. Ich engagiere mich jetzt schon viele Jahre in den Themen Selbstbestimmtes Leben und dem Thema ALS. Manchmal habe ich die Nase gestrichen voll von der Untätigkeit von andern Betroffenen. Oft hätte ich mir mehr Unterstützung, mehr Engagement von Betroffenen und ihren Angehörigen gewünscht. Mir ist sehr wohl bewusst, dass viele auf Grund ihres Gesundheitszustandes, ein persönliche Engagement nur beschränkt oder auch gar nicht leisten können. Was ich auch völlig verstehe. Aber euch andern will ich ans Herz legen; unterstützt die, die sich tagtäglich um euch sorgen. Die, die sich für euch trotz eisigem Wind in die Brandung stellen. Die, die sich für eure Rechte einsetzen und euch immer so gut es geht zur Seite stehen. Liebe Mitkämpfer, vielen Dank für euer Engagement und eure Unterstützung, welche uns ALLEN zugutekommt.
APRIL
1. Um beim Thema zu bleiben schreibe ich nun weiter und vielleicht komme ich heute noch auf den Punkt.
Ich gehe mal davon aus, dass jede Organisation, jede Institution im Sinne seiner Mitglieder handelt. So auch Patientenorganisationen und Organisationen, welche sich der Belange von Menschen mit Beeinträchtigungen annehmen. Wenn auch schleppend, so wird doch die Teilhabe der jeweiligen Mitglieder an Entscheidungsfindungen in Organisationen gefördert. Das ist nicht immer einfach und stellt je nach körperlicher, geistiger oder psychischer Beeinträchtigung der jeweiligen Mitglieder eine Herausforderung dar. Ein fernes Ziel ist es, dass wir es schaffen, dass Betroffene und Patienten ihre Organisationen selbst organisieren und führen werden. Bis es aber mal soweit ist, sind wir auf Menschen angewiesen, die uns zuhören, unsere Ansichten und Anregungen ernst nehmen und zusammen mit uns Betroffenen und Patienten die Organisationen gemeinsam führen. Mittlerweile passiert in dieser Hinsicht einiges, was mich zuversichtlich stimmt. Es entlastet mich auch, was meinen Rückzug betrifft.
Wie oben beschrieben, habe ich mich in den letzten Jahren sowohl für Menschen mit Beeinträchtigung und Menschen, welche wie ich von der Krankheit ALS betroffen sind, engagiert. Ich bin etwas müde geworden und durch das Fortschreiten meiner Krankheit und den daraus resultierenden Verlust meiner Lautsprache, muss ich mein Engagement etwas reduzieren. Ich werde mich auf eine Sache konzentrieren und hierfür meine verbleibende Kraft einsetzen.
3. Auch wenn ich meinen Fokus nun vermehrt auf eine Sache lege, werde ich mich weiterhin im Hintergrund um Belange von Menschen mit Beeinträchtigungen engagieren. Da Menschen, welche von der Krankheit ALS betroffen sind, im Verlauf der unheilbar fortschreitenden Krankheit, ebenso mit massiven Beeinträchtigungen konfrontiert werden, geht dies fast Hand in Hand. ALS Betroffene und ihre Angehörigen haben noch immer eine zu geringe Lobby, um die Öffentlichkeit auf ihre Bedürfnisse aufmerksam zu machen. Damit Hilfsangebote ausgebaut werden können, braucht es finanzielle Unterstützung. Da ich selbst von dieser lebensverkürzenden Krankheit betroffen bin, will ich meinen Beitrag leisten und mich intensiver für die Belange von ALS Betroffenen und unseren Angehörigen einsetzen.
8. Ich habe wieder einen wunderbaren Tag im Garten hinter mir. Es ist unglaublich, wie die Frühlingssonne die Pflanzen zum Wachsen und Blühen anregt. Jeden Tag wird die Natur grüner und bunter. Ich finde es spannend, die Pflanzen beim Werden zu beobachten. Tag für Tag öffnen weitere Blumen und Blüten ihre Köpfe und locken mit ihren unterschiedlichen Duftstoffen Insekten zum Bestäuben an. Bald öffnen auch die Fliederbäume ihre Blütenrispen und verströmen ihren feinen Duft Auch beim Ahorn und beim Lindenbaum zeigen sich laufend die roten und grünen Blätter. Ich trinke sehr gerne Lindenblütentee. Im Sommer gerne kalt mit Kandiszucker und Zitronenschale, so wie es meine Mutter als Durstlöscher beim Heuen zubereitet hat. Es gibt so vieles in unserem Garten, dass es sich lohnt, darin zu verweilen.
9. Ich sitze mal nicht im Garten, das hebe ich mir für später auf. Was ich gerade mache, ich schlürfe an der zweiten Tasse Lindenblütentee und warte auf das Mittagessen, welches wie der Tee auch, von Piet zubereitet wird. Wie bereits erwähnt hat seit März mein Mann die gesamte Haushalt, sowie meine Pflege und Unterstützung übernommen. Es war schon ein Umgewöhnen, aber mittlerweile klappt alles sehr gut. Wichtig scheint mir zu erwähnen, dass bei solchen Aktionen, bei denen die Pflege durch den Partner übernommen wird, die Rollen vorher geklärt werden müssen. Der pflegende Partner muss bereit sein, sich bei der Pflege zurückzunehmen und sich ganz auf die Wünsche und Anweisungen des zu pflegenden Partners einzulassen. Wenn dies nicht zum vornherein geklärt wird, kommt es zu Unstimmigkeiten und das Zusammenleben wird schwierig. Beide Partner müssen sich dessen bewusst sein. Wenn es klappt, ist dies eine schöne Zeit zu zweit.
Des schönen Wetter wegen und wegen den wärmeren Temperaturen, haben wir diese Woche mein Kleiderschrank auf luftigere Bekleidung umgestellt. Beim Türe öffnen blicke ich nun auf ein Farbenspiel, gleich einer bunten Blumenwiese. Ich habe Lust, jede Bluse und jedes Kleid mindestens einmal auszuführen und deren sind es viele. Ich liebe es, mich farbenfroh zu kleiden, so bunt wie meine Seele, mein Herz jeweils eben sind.
16. Eine lange Zeit konntest du der Krankheit ALS die Stirn bieten. Nun bist du des Kampfes müde geworden, hast dich hingelegt und bist eingeschlafen.
Lieber Bruno, möge der Weg zu dem Ort deiner Hoffnung, wunderschön sein. Gute Reise, mein lieber Freund.
17. Ein schöner Tag nach dem andern reit sich an den anderen und lässt zu, dass ich viele Stunden im Garten verbringen kann. Hätte ich diese Möglichkeit nicht, wäre die Isolation Zuhause schwieriger durchzustehen. Auf Grund der fehlenden Therapien in der Isolation, treten bei mir bereits körperliche Verschlechterungen auf. So habe ich Mühe, meine rechte Hand / Arm zum Rollstuhlbedienteil zu bewegen. Mein Mann hat am Rollstuhl, so gut wie eben möglich, Anpassungen vorgenommen. Dabei hat er meine Tetragabel durch einen T-Griff ersetzt. Nun darf ich meinen Rolli mit einem Holzgriff steuern. Das Holz stammt von unserem ehemaligen Pflaumenbaum, welcher uns generationenübergreifende Jahrzehnte, mit Früchten für Konfitüren und Wähen beschenkte. Der Griff ist aus einem einzigen Stück gearbeitet und mit Schiffslack überzogen. Fühlt sich nicht nur angenehm an, er sieht auch noch sehr gut aus. Ein Hoch auf meinen geliebten Handwerker.
18. Eigentlich hätte nach den Ostern meine vierwöchige Reha stattfinden sollen. Daraus wird vorläufig leider nichts. Ebenso warten muss die weitere Botox Behandlung für meine Finger. Ich hoffe, bald wieder mit den Therapien fortfahren zu können und die Verschlechterungen wieder etwas auffangen kann.
Ob meine Entscheidung die Einnahme meiner Medikamente zu reduzieren (iss die Hälfte), die Verschlechterungen begünstigt hat, kann ich nicht sagen. Jedenfalls nehme ich nun wieder die volle Ladung.
19. Ich werde im Mai wieder mit den Therapien bei mir Zuhause beginnen. Auf die Therapie im Wasser werde ich wohl noch etwas länger verzichten müssen. Ab Mitte Mai werden dann meine Assistentinnen ihre Arbeit gestaffelt wieder aufnehmen. Bis dahin sollte auch das von mir bestellte Schutzmaterial bei mir eingetroffen sein. Ich muss meine Assistentinnen schützen und ebenso meinen Mann und mich. Zurzeit darf ich eine wunderschöne Zweisamkeit mit meinem Mann geniessen. Ich schätze auch die Gespräche mit meinem Sohn über den Gartenzaun hinweg. Gar nicht so einfach bei meiner kaum mehr verständlichen Aussprache. Ich freue mich aber trotzdem, mich mal wieder mit anderen Menschen austauschen zu können. Natürlich mit den nötigen Vorsichtsmassnahmen. Die Einschränkungen werden für Menschen wie mich wahrscheinlich noch lange Zeit andauern.
20. Drei meiner vier Therapeuten haben sich bereits bei mir gemeldet. Gut, lesen sie meine Tagebucheinträge und reagieren falls nötig und falls möglich darauf. Ab dem 27. April dürfen Therapeuten mit den verordneten Schutzmassnahmen wieder ran. Ich selber starte am Montag als erstes mit der Ergotherapie. Meine Arme, Hände und Finger werden sich freuen, wieder bewegt und trainiert zu werden.
Ich weiss um mein Glück, Zuhause leben zu können. Voraussetzungen bei mir sind unteranderem; eine barrierearme Wohnung, angepasste Hilfsmittel, Unterstützungsteam bestehend aus Angehörigen, Freunden, Pflegenden, Therapeuten, Ärzten, das Alter bei Diagnosestellung, finanzielle Mittel und mein Krankheitsverlauf.
21. Ihr fragt euch sicher, was für eine Rolle mein Alter bei der Diagnosestelle spielte. In der Schweiz haben wir diverse Sozialversicherung. Bei Krankheitsbeginn musste als erstes die KV (Krankenversicherung) ran. Nach Aufgabe meines Jobs, setzte die Lohnfortzahlung und Taggeldversicherung meines Arbeitgebers ein. Nach ca. 2 Jahren wurde ich berentet. Weil ich bei der Diagnose im Erwerbsfähigen Alter war, kam bei mir die IV (Invalidenversicherung) zum Tragen. Wäre ich damals bereits im Pensionsalter gewesen, so hätte die AHV (Alter- und Hinterlassenenversicherung) übernehmen müssen. Der Leistungsunterschied der Beiden ist frappant. So steht mir als IV Rentnerin eine umfangreichere Hilfsmittelliste zur Verfügung als wenn ich eine AHV Rentnerin wäre. Während AHV- sowie IV Rentennehmer eine HE (Hilflosenentschädigung) beantragen können, ist der Assistenzbeitrag nur den IV Bezügern vorbehalten. Diese Unterschiede sind schwer nachvollziehbar. Ob ich jetzt mit 55- oder 66- Jahren an ALS erkranke, die notwendigen Hilfsmittel und der Unterstützungsbedarf ist der gleiche. Nebst den bestehenden Versicherungen muss bei einer Krankheit wie der ALS, auch oft die EL (Ergänzungsleistung) beansprucht werden. Bei Fortschreiten der Krankheit werden immer mehr Hilfsmittel benötigt und der Pflege- und Unterstützungsbedarf nimmt stetig zu. Oft wird eine 24 Stunden Unterstützung nötig. So kommen pro Monat gut und gerne um 730 Stunden an Unterstützungsbedarf zusammen. Hierfür reichen die Hilflosenentschädigung, der Assistenzbeitrag und die Krankenversicherung oft nicht aus. Wenn man nicht zusätzlich auf die Unterstützung von Angehörigen und Freunden zurückgreifen kann, ist der Weg ins Pflege- oder Altenheim nicht weit. Dort wollen und gehören die wenigsten von uns hin.
23. Wenn zum jetzigen Zeitpunkt meine Pflege und Unterstützung Zuhause nicht mehr abgedeckt werden könnte, müsste ich mit meinen 58 Jahren doch tatsächlich in ein Alten- Pflegeheim eintreten. Und das bei meinem manchmal doch schon sehr lauten Musikgeschmack.
27. Nicht, dass ich nicht gerne Gespräche mit einer Generation über mir führe. Ich finde, ich kann noch viel von ihnen lernen. Ihre Lebenswege, ihre unterschiedlichen Geschichten sind spannend und oft darf ich etwas in mein Leben mitnehmen. Genau so gerne unterhalte ich mich aber mit meiner Generation und auch mit Generationen jünger als ich. Ich mag es bunt gemischt und als Naturliebhaberin habe ich Mühe mit Monokulturen.
Apropos Natur. Ich kann mich mit ihr zwar nicht unterhalten, nicht desto weniger faszinierender sind ihre Geschichten. Nur schon die Auswirkungen der Jahreszeiten auf die Natur zu beobachten, ist für mich sehr interessant. Mitzuerleben, wie Pflanzen im Frühling wiedererwachen und uns damit mitteilen, he ich bin wieder da, ich konnte dem Winter trotzen. Spannend auch, das spriessen und Wachsen der gesäten und gesetzten Pflanzen in den Gartenbeeten mitzuverfolgen. Wenn ich zurzeit in den Garten fahre, führt mich mein Weg zu den Gemüse-Beeten. Täglich sehe ich wie Sämlinge die Erde durchstossen und ihr meist grünes Kraut zeigen. Zwiebeln, Stangenbohnen, Karotten in unterschiedlichen Farben und Schnittsalat spriessen. Die Kartoffeln brauchen noch etwas Zeit. Die Setzlinge stehen den Sämlingen in nichts nach. So wachsen Randen, Fenchel, Kohlraben und Kopfsalat um die Wette. Weiter kündet der Rhabarber und die blühenden Erdbeeren süsse Desserts oder feine Konfitüren an. Für das Eindämmen der "Schädlinge" sorgen unteranderem Marienkäfer und auch unsere zahlreichen Eidechsen sind dabei sehr aktiv. So sah ich letzthin, wie eine Echse eine Maikäferlarve aus der Erde des Hochbeets buddelt, danach stolz eine Runde auf dem Rand des Hochbeets absolviert und dann mit der Beute zwischen den Erdbeeren verschwindet. Die Natur hat so viele Fassetten, ich bekomme nie genug von ihr.
29. Das nasskühle Wetter und viel Schreibarbeit liessen heute nur einen kurzen Aufenthalt im Garten zu. Das grün der ersten Kartoffel im Gartenbeet zu entdecken, hat mich für die kurze Zeit im Garten vollends entschädigt.
Ich bin auch froh, über die wieder aufgenommenen Ergotherapiestunden vom Montag. Es bringt mir nämlich nichts, die Virus-Zeit unbeschadet zu überstehen und dafür meine noch vorhandene Beweglichkeit einbüssen zu müssen.
MAI
2. Seit 19 Jahren ist die ALS mein ständiger Lebensbegleiter. Ich habe Glück, dass es mein Begleiter nicht so eilig hat und mir Zeit lässt, SEIN Ziel zu erreichen. Wahrscheinlich werde ich mich sabbernd über die Ziellinie ziehen lassen. Freiwillig überschreite ich sie sicher nicht, eher kracksle ich retour.
Die Länge der Absolvierten Strecke meines ALS Weges kann sich sehen lassen. Dabei schritt und rollte ich auf unterschiedlichen Etappen. Einige konnte ich gut selbst meistern, bei andern benötigte ich die Hilfe von aussen.
Die meiste Unterstützung seit meiner Erkrankung erhalte ich von meiner Familie.
Früh trat ich der Muskelgesellschaft bei. Sie war damals die Organisation, welche ALS- Betroffene und Angehörige durch die Krankheit begleitete. Zwecks Rilutek Studie kam ich mit der ALS-Clinic in St.Gallen in Kontakt. Ich weiss noch gut, wie sie mit 2,3 Hinterzimmer im Kantonsspital St.Gallen angefangen haben. Ich habe ebenfalls die Gründung vom Verein ALS Schweiz mitverfolgt und bin auch hier beigetreten. Viele Jahre durfte ich von all diesen Organisation profitieren und habe nötige Unterstützung erhalten.
Auf meinem bisherigen Weg begegnete ich immer wieder Menschen, welche den gleichen Weg hatten. Gemeinsam gingen wir einen Teils des Weges, um uns dann an einer Wegbiegung zu verabschieden. Ja, ich hatte und habe viele Wegbegleiter. Ich kenne dadurch viele Leidensgeschichten. Ich höre zu und erfahre wo der Schuh drückt.
In meinen Augen wurde in den letzten Jahren zu wenig auf die Bedürfnisse von ALS- Betroffenen, Angehörigen und Pflegenden eingegangen. Der Ausbau von nötigen Dienstleistungen geht nur schleppend voran und innovative Projekte finden kaum Unterstützung.
Ich möchte mithelfen, dass ALS- Betroffene, Angehörige und im ALS-Umfeld tätige Personen rascher zu den auf sie zugeschnittene Informationen und Dienstleistungen gelangen.
Ich habe mich vor längerer Zeit mit langjähren Weggefährten aus dem ALS-Umfeld zusammengesetzt, um zu schauen, wie wir mithelfen könnten, ALS- Betroffene und ihr Umfeld zusätzlich zu unterstützen.
Wir haben uns nun dazu entschlossen, unter dem bereits bestehenden Namen ALS-Community-Schweiz einen Verein zu gründen, welche als Vernetzungsplattform für ALS- Betroffene und Angehörige mit Fachpersonen und Fachorganisationen dienen soll. Die ALS-Community-Schweiz setzt sich zudem für Einzelschicksale ein. Sie unterstützt innovative Projekte und investiert unteranderem im Bereich Pflegeforschung.
Wir stehen kurz vor der Vereinsgründung und ich freue mich, ein Teil dieses innovativen Vereins sein zu dürfen. Wenn auch du Teil von ALS-Community-Schweiz sein willst oder du den zukünftigen Verein in anderer Form unterstützen willst, kannst du uns unter info@als-community-schweiz.ch kontaktieren. Website: ALS-Community-Schweiz
10. Es ist mir sehr bewusst, dass es viele Menschen nicht so gut haben wie ich. Ich konnte mir im Laufe meiner ALS-Erkrankung ein gut funktionierendes Netz zu meiner Unterstützung aufbauen. ............................... Sorry, konnte nicht weiterschreiben, wurde von meinem Mann entführt.
Ich bin weder reich an Geld oder Wertsachen, noch wohne ich in einer Villa mit Swimmingpool und Parkanlage. Ich wohne in einem über hundertjährigen Haus, welches wieder mal eine Innenrenovation vertragen könnte. Meine weiteste Reise führte mit dem Auto an die Cote d'Azur. Mit dem Flieger war ich ein einziges Mal unterwegs, und zwar ging die Reise nach Rom. Mein Reichtum besteht darin, Menschen um mich zu haben, die mich in allem Unterstützen, was ich alleine nicht schaffe. Dadurch kann ich Zuhause ein Selbstbestimmtes Leben führen und muss meine verbleibende Zeit nicht in einem Alters- und Pflegeheim verbringen. Ich bin nicht bereit, mir aus organisatorischen Gründen vorschreiben zu lassen, wann ich am Morgen aufzustehen habe, wann ich die Mahlzeiten einnehmen muss usw. Ich mag nicht immer aufs Neue erklären müssen, wie meine anspruchsvolle Pflege von statten gehen muss. Wie könnte ich auch, bei meiner undeutlichen Stimme. Bei der Pflege ist es schwierig mit dem Kommunikationsgerät zu hantieren. Gut, wenn hierfür ein detaillierter Pflegeablaufplan und eine Buchstabentafel zur Verfügung steht. Für eine angepasste Lagerung können Fotos eine Unterstützung sein. Wenn die Pflege- und Unterstützungspersonen aus einem konstanten Team besteht, ist das wahrscheinlich am hilfreichsten. Mit der Unterstützung von meinem Mann (er hat hierfür seine Erwerbstätigkeit auf Eis gelegt) von meinem Sohn und der Unterstützung von Assistenzpersonen, kann ich ein Selbstbestimmtes Leben führen. Ich würde mir ein Selbstbestimmtes Leben für alle Menschen wünschen. Leider kommt es im Verlauf einer ALS-Erkrankung vor, dass die Pflege- und Medizinische Unterstützung so komplex wird, dass ein Heimeintritt unausweichbar wird. Zuhause ist eine professionelle 24-Stunden Unterstützung ohne Angehörige, schwer abzudecken. Trotzdem ist eine Pflege- und Unterstützung Zuhause oft günstiger als im Heim. Das Problem liegt bei den Verordnungen über die Finanzierung. Der Wechsel von der Objektfinanzierung zur Subjektfinanzierung würde ein Selbstbestimmtes Leben fördern.
14. Obwohl ich einen wunderschönen Garten habe und mittlerweile auch wieder zwei, drei Ausflüge im Auto unternehmen durfte, vermisse ich doch einiges. Ich möchte endlich wieder raus auf die Strasse, möchte meine Rollirunden drehen, mich mit der Familie und Freunden treffen, mich durch Geschäfte wühlen, in einer Gelateria einkehren und mich durch die Glacesorten arbeiten, mich einfach wieder freier fühlen. Trotzdem darf ich nicht jammern, es geht andern nicht besser. Ich denke an meine ALS Freunde in den Pflegeheimen. Aber dazu komme ich morgen.
15. Auch wenn es schon spät ist, so will ich wie versprochen, heute weiterschreiben.
Wie schon oben geschrieben, ist ein Heimeintritt für ALS-Betroffene manchmal unumgänglich. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn die medizinische und pflegerische Unterstützung Zuhause nicht gewährleistet werden kann. So ist es für alle Betroffenen schwierig, die benötigten Unterstützungsstunden abzudecken. Oft funktioniert ein Leben Zuhause nur, wenn Angehörige einen Teil der Unterstützung übernehmen. Für Personen, welche die ALS Diagnose im AHV Alter erhalten, ist ein Selbstbestimmtes Leben besonders schwierig. Sie haben im Gegensatz zu den im erwerbsfähigen Alter befindenden Betroffenen, kein Anrecht auf ein Assistenz-Budget der IV. Sie erhalten somit auch kein Geld, um Assistenz-Personen anzustellen und zu entlohnen.
Ich habe immer wieder Kontakt mit ALS-Betroffenen, die mit der Unterstützung in Pflegeheimen nur schwer klarkommen. Bedingt durch das stete Fortschreiten der Krankheit, wird der Unterstützungsbedarf immer umfänglicher und Zeitintensiver. Durch die knappen Pflegekraft-Ressoursen und das fehlendes Fachwissen über die Ansprüche von ALS-Betroffenen, ist eine optimale Unterstützung nicht einfach zu bewerkstelligen. Daher ist es zwingend, dass ein Pflegeheimeintritt von kompetenten ALS Pflegefachpersonen begleitet und unterstützt wird.
Es gibt immer wieder traurige Geschichten. Besonders jetzt während der Coronozeit, sind viele einsam und hilflos. Durch die eingeschränkten Besucherrechte, fehlen wichtige Bezugs- und Unterstützungspersonen. So verzögern sich auch wichtige Abklärungen sowie Hilfsmittel-Anpassungen.
Es kommt aber auch mal vor, dass ALS-Betroffene nach einer gewissen Zeit das Pflegeheim wieder verlassen, um Zuhause wieder ein Selbstbestimmtes Leben zu führen. Ich darf gerade einen solchen Wechsel am Rande mitverfolgen. Ich hoffe so sehr, dass es Zuhause funktionieren wird und die Lebensfreude zurückkehren wird.
20. Heute nehme ich mir frei und fahre über den Gotthardpass.
Aus einer Passfahrt wurden zwei und aus zwei wurden drei. Ich liebe diese Passfahrten, vor allem wenn wir wie heute oben ohne fahren können. Während im Tessin das Thermometer auf 29 Grad stieg, war es auf den Pässen angenehm frisch. Natürlich durfte auch heute der Picknickkorb nicht fehlen. Es war wieder mal wunderschön in den Bergen.
29. Die Tage sind im Eiltempo unterwegs und manchmal komme ich kaum dazu, hier über mein Leben zu berichten. Wenn ich am PC sitze kommen zuerst andere Dinge zum zug. So auch der Austausch mit ALS- Betroffenen, Angehörigen und dem ALS-Umfeld. Wegen Covid-19 findet der Austausch zurzeit nur schriftlich statt. Je nach Beeinträchtigung, ist diese Art der Kommunikation, nicht für alle gleich einfach. Bei vielen ALS- Betroffenen stehen dringende Abklärungen an, welche wegen der momentanen Regeln zurückgestellt werden mussten. Langsam finden wir wieder in unseren Alltag retour. Wir ALS- Betroffene gehören zur Risikogruppe von Covid-19 und müssen bei all den Lockerungen nach wie vor sehr vorsichtig sein. Ich lockere meine selbstgewählte Isolation, ebenfalls. Nach nunmehr zweieinhalb Monaten nehmen meine Assistenten nächste Woche ihre Arbeit wieder auf. Ab Mitte Juni bekomme ich auch wieder Physiotherapie. Ins Wasser kann ich leider noch nicht. Ich freue mich jedoch auf jedes noch so kleine Stück Freiheit, welches ich zurückbekomme.
Ich werde die gemeinsame Isolationszeit mit meinem Mann sicher etwas vermissen. Hatten wir doch eine wunderschöne Zeit zusammen. Doch jetzt gönne ich meinem Mann auch wieder mehr Zeit für sich und seine Projekte.
30. Eigentlich sind mein Mann und ich bereits im Mai, zwei- dreimal aus unserer Isolation Zuhause ausgebrochen. So fuhren wir wie heute auch, über die geöffneten Alpenpässe. Natürlich sind wir nirgends eingekehrt. Der Picknickkorb und die Kanne Urnerkaffee reichte völlig. Wir haben peinlichst darauf geachtet mit niemand anderem in Kontakt zu kommen. Ging immer gut, bis wir in eine Polizeikontrolle kamen. Das heisst; Fenster runter, Ausweis und Fahrzeugpapiere dem direkt vor dem geöffneten Fenster stehenden Polizisten übergeben, alles i.o., Papiere werden deshalb wieder retour gegeben, wir dürfen weiterfahren. Ein mulmiges Gefühl hatten wir trotzdem. Der Polizist trug weder einen Mundschutz noch Handschuhe. Wer weiss, wie viele Ausweise er bereits in der Hand hatte.
Ich habe mich gestern auch auf eine Rollirunde durchs Dorf gewagt. Ich freu mich so sehr, bald wieder weitere Strecken unter die Räder nehmen zu dürfen und meine bunten Masken auszuführen. Freiheit ist so wertvoll, so etwas Kostbares, passen wir auf sie auf.
JUNI
5. Der Findling in unserem Rasen wird gerne von Tieren zum herum krakseln und Sonne tanken benutzt. Oft dient er auch als Rückzugsort für unsere tierischen Gartenbewohner. So auch diese Woche, als eine meiner Assistentinnen und eine Blindschleiche aufeinandertreffen. Ich weiss nicht, wer von den Beiden sich mehr erschrak. Ich glaube, am liebsten hätten sich wohl Beide unter dem Findling versteckt. Ich kann in solchen Momenten niemandem helfen. Ich habe genug zu tun, mein Lachen unter Kontrolle zu bringen.
6. Ja, mein Lachen ist manchmal kaum zu bändigen. Meine Gedanken gehen mit Vorkommnissen oder dem Gesagten auf Reisen. Manchmal muss ich so lachen, dass sich meine Augen mit Tränen füllen und überlaufen. Da die Nase nicht hintenanstehen möchte, legt sie auch gleich los und fängt an zu laufen. Das Ganze führt dann zu einer Schleimbildung im Rachenraum, was wiederum zu Brechreiz oder Atemnot führt. Da nützt es auch nichts, wenn mir gesagt wird, ich solle mich beruhigen. Ich muss mich dann schon selbst aus der Situation entfernen. Besonders schwierig wird es, wenn der Lachanfall mitten bei einem Transfer eintritt. Wie oft musste mich mein Mann schon stützen, als ich an der Wand stand. Wieso muss er mich auch immer so zum Lachen bringen. Ich habe wohl immer schon viel gelacht. Durch die Pseudobulbäre Affektstörung (PBA) der ALS, wird dies einfach noch verstärkt. Starkes Weinen gehört ebenso zu einer Affektstörung. Kommt bei mir allerdings sehr selten vor. Vielleicht wären Tränen weniger peinlich als das Lachen. Aber, was soll's, ändern kann ich es ohnehin nicht. Ausserdem soll lachen ja gesund sein. Also lache mit.
7. Seit dieser Woche werde ich wieder vom ganzen Assistenz-Team unterstützt. Ich bin froh, hat sich mein Gesundheitszustand in den vergangenen drei Monaten kaum verändert. So lief die Wiederaufnahme der Arbeit meiner Assistentinnen reibungslos ab. Mit den Anpassungen an meinem Rollstuhl, welche durch meinen Mann vorgenommen wurden, mussten sie sich jedoch zuerst zurechtfinden. Langsam kommt auch bei uns die Normalität näher. So konnte auch unser Sohn endlich mal wieder an unserem Mittagstisch platznehmen. Jetzt freue ich mich auf nächste Woche. Ich will nach langer Zeit, zusammen mit einer Assistentin einkaufen "gehen". Blumen- und Gemüsesetzlinge gehören natürlich ebenfalls zum Einkauf. Mit Mund- Nasenschutz sollte ich hoffentlich genug gegen das Corona-Virus geschützt sein. Ich befürchte, er Einkauf wird sich garantiert in die Länge ziehen und die Einkaufstaschen schwer sein. Ich freu mich.
9. Seit Tagen hängen die Wolken tief in die Täler und lassen kaum einen Sonnenstrahl durch. Immer wieder entleeren sich die Wolken und lassen die Natur vom kostbaren Nass trinken. Wenn die Wolken mal einen Blick in die Berge zulassen, kann ich sehen, wie die Bergspitzen wieder weiss tragen. Diese Tatsache rechtfertig auch das Tragen von Winterpullis im Juni. Es ist merklich kühler geworden und ich bin froh, hat mein Mann mir zu liebe die Heizung nochmals hochgefahren. Menschen die sich, wie ich, nicht gross bewegen können und den Tag sitzend in einem Rollstuhl verbringen, haben oft schneller kalt als Fussgänger. Nun hoffe ich, dass sich die Sonne in den nächsten Tagen gegen die Wolken durchsetzen vermag.
Trotz des ungemütlichen Wetters wollte ich auf mein erstes Einkaufen nach fast drei Monaten nicht verzichten. Natürlich durfte dabei der Mundschutz nicht fehlen. Wie vermutet waren die Einkaufstaschen nach dem Einkauf gut gefüllt. Nicht nur Lebensmittel, Haushalts- und Pflegeartikel mussten danach Zuhause verstaut werden, auch Blumen mussten eingepflanzt werden. Zudem musste für die Süsskartoffelpflanze ein geeignetes Plätzchen im Garten gefunden werden. Ich freue mich, bald wieder die Natur im Garten beobachten zu können.
11. Eine wunderschöne Reise liebe Pink Lady
Menschen treten in unser Leben und begleiten uns eine Weile. Einige bleiben für immer, denn sie hinterlassen ihre Spuren in unseren Herzen.
14. Gestern habe ich meine Dorfrunde schon mal erweitert. Da ich ohne Maske unterwegs sein wollte, wählte ich die Wege abseits der gängigen Routen. Ich habe mich ausgiebig den Natursteinmauern und den in den Mauerritzen wachsenden Pflanzen am Wegesrand gewidmet. Einige der Pflanzen sieht man nicht mehr so oft und ich freue mich, wenn ich ein Pflänzchen entdecke, dessen Existenz ich vergessen hatte. Ich habe so genossen, ganz allein Unterwegs zu sein. Heute wäre eine solche Runde auf Grund des Wetters nicht möglich gewesen. Die Kälte bekam ich schon am Freitag zu spüren. Mit meinem Mann, meinem Sohn und Hündin Elly sind wir dem Föhn entfliehend auf den Gotthardpass gefahren. Wir wollten dort zum Stausee wandern. Ich schaffte jedoch knappe 100 Meter und musste wegen der Kälte wieder zum Auto zurückkehren. Das kalte Wetter mit dem Nebel schwappte vom Tessin herkommend bis über den Pass. Obwohl es heute wärmer ist als die 5 Grad, die am Freitag auf dem Gotthardpass herrschten, habe ich heute auch im Haus kalt. Zu meinem Glück gibt es die gute alte Wärmeflasche immer noch. Sie und der von mir gern getrunkene Lindenblütentee lassen mich das nasskalte Wetter leichter ertragen. Ich freue mich, wenn dann auch noch meine Nasenspitze warm ist. Warum muss sie auch immer zuvorderst stehen.
15. Manchmal frage ich mich schon, warum ich tagtäglich Stunden aufwende und so versuche, das Leben von Menschen mit Beeinträchtigungen zu verbessern oder sie durch ihre Krankheit zu begleiten. Manchmal möchte ich mich zurückziehen und andern die Arbeit überlassen. Ich möchte auf Reisen gehen, unseren wunderschönen, vielfältigen Planeten erkunden und kennenlernen. Einfach losfahren, ohne Ziel vor den Augen, frei sein wie ein Vogel. Aber darauf muss ich wohl noch ein Jahr zwei warten und durchhalten. Solange Menschen ohne Beeinträchtigungen meinen, sie wüssten was das Beste für uns Menschen mit Beeinträchtigungen ist, werde ich nicht still sein. Solange noch so viele Entscheidungen von Menschen getroffen werden, die wenig Ahnung haben, was der Alltag von Menschen mit Beeinträchtigungen abverlangt, kann ich nicht still sein. Schön wäre es schon, wenn ich mehr Menschen mit Beeinträchtigungen motivieren könnte, sich aktiv für unsere Lebensqualität einzusetzen oder uns solidarisch zu unterstützen. Ich wünschte mir, wir Menschen würden nicht nur die glänzenden Fassaden bewundern, sondern immer auch mal einen Blick hinter die Fassaden wagen. Dies alles hört sich etwas enttäuscht an, was ich wohl auch bin. Vielleicht bin ich auch einfach etwas traurig, weil ich vor ein paar Tagen eine aktive Unterstützerin und Kämpferin durch die Krankheit ALS verloren habe.
17. .... dann erreichen mich aus weiter Ferne Zeilen und ich weiss warum ich meine "Arbeit" tue. Vielen Dank nach Hamburg. Ab Morgen soll ja auch das Wetter wieder freundlicher werden und so kann ich wieder in "meinen" Garten. Ich freue mich auf die Sonnenstrahlen.
18. Sonnenstrahlen, naja. Die Sonne hat sich ein paarmal schüchtern zwischen den Wolken gezeigt. Aber auch wenn immer wieder Regentropfen vom Himmel fielen, hielt es mich nicht davon ab, mit meiner Assistentin im Garten nach dem Rechten zu sehen. Das Gemüse, die Salate, die Früchte und Pflanzen wachsen kräftig und einiges kann geerntet werden. Der Fenchel zum Zmittag hat hervorragend geschmeckt und die Rhabarberwähe zum Zviere hat ebenfalls gemundet. Eigentlich geht es mir schon gut. Es ist nämlich gar nicht selbstverständlich, dass ich nach so vielen Jahren nach der Diagnose ALS, nach wie vor über den Mund essen kann. Wenn ich mich dann irgendwann mal mittels Peg-Sonde ernähren muss, hoffe ich, dass ich die guten Sachen vom Garten sondengerecht gemixt verabreicht bekomme. Also geniesse ich das Essen solange ich es kann.
21. Heute findet der alljährlich am 21. Juni stattfindende Internationale ALS Gedenktag statt. An diesem Tag machen ALS Organisationen mit div. Events, Artikeln in den Medien usw. auf die Krankheit Amyotrophe Lateralsklerose aufmerksam. Gerne wird dieser Tag auch genutzt, um Spendengelder für die Unterstützung der von der Krankheit ALS betroffenen Menschen und ihren Angehörigen zu sammeln. Auf Grund der Corona-Situation konnten kaum Events geplant, geschweige denn, heute durchgeführt werden. Also neue Ideen mussten her. Da ich selber von dieser, noch immer nicht heilbaren Krankheit betroffen bin, hab auch ich mir Gedanken gemacht. So stellte ich gestern Nachmittag für unseren Verein ALS Community Schweiz kurzerhand folgendes Video zusammen.
Wenn auch du ALS Community Schweiz bei der Unterstützung der von ALS betroffenen Menschen und Angehörigen helfen willst, so nimm einfach mit dem Verein Kontakt auf oder werde Mitglied.
26. Die Zeit, sie läuft und läuft und schon wieder ist eine Woche um. Am Montagmorgen war ich wieder bei meiner Neurologin in Basel. Dort erhielt ich wieder meine Botox-Injektion in den linken Unterarm. Diese Behandlung löst die Spastik in meinen Fingern. Zusammen mit Ergotherapie lassen sich meine Finger wieder besser öffnen. Schmerzende Kontrakturen und eine Verkürzung der Sehnen kann dadurch verringert werden. Übrigens, die beiden Stiche tun nicht weh.
Nach der Behandlung machten mein Mann und ich noch einen Abstecher ins Jura. Natürlich mit dem Picknickkorb im Cabrio.
Bei dem schönen Wetter durfte eine Rollitour diese Woche auch nicht fehlen. Weit kam ich allerdings nicht. Die erste Pause legte ich beim Bauernhof von einem meiner vier Brüdern ein. Trotz Heuer-Stress lag ein Schwatz mit meinem Bruder, Schwägerin und ihren Söhnen drin. Als sich dann auch noch eine von meinen vier Schwestern zu uns gesellte, wurde der Schwatz ausgedehnt. Schliesslich haben wir uns in der vergangenen Coronazeit kaum gesehen. Bei meiner Weiterfahrt traf ich dann auch noch auf einen weiteren Neffen.
Am Mittwoch dann, nahm ich mit zwei meiner Assistentinnen am ALS-Care-Training teil. Wie immer führte Bea Goldman mit ihrem enormen ALS-Fachwissen professionell durch das Thema Atmung. Ich habe die Care-Training Module bereits vor ca. 15 Jahren absolviert. Eine Auffrischung konnte also nicht schaden. Damit mich meine Assistentinnen im ALS-Alltag symtomgerecht unterstützen können, habe ich sie gleich für alle 8 Module angemeldet. Müde und an Wissen reicher beendeten wir das Training und machten uns auf den 70-minütigen Heimweg.
Mit den Terminen der Ergo- und Physiotherapie und den Verwandtenbesuchen im Spital, war diese Woche gut ausgefüllt.
Es reichte aber trotzdem, mich immer wieder in unserem Garten aufzuhalten. Heute sogar mit einem tierisch lieben Besuch. Warm hatten wir Beide.
Und schon wieder muss ich von einem Mitglied aus
der ALS Familie Abschied nehmen. Eine wunderschöne Reise liebe Anthea
J ULI
1. Guten Morgen im sonne- und wärmebringenden Sommermonat.
Heute gabs wieder einen wunderschönen Tag im Garten. Dazu hat nicht nur das schöne Wetter beigetragen, vielmehr noch war es lieber Besuch, der den Nachmittag verschönerte. Es tat gut, uns mal wieder mit Menschen auszutauschen, welche wir auf Grund der Corona seit längerem nicht mehr gesehen haben. Vom plötzlich einsetzenden Gewitter liessen wir uns nicht aus dem Garten vertreiben und so setzten wir uns einfach in unser Gartenhäuschen. Piet hat es vor einiger Zeit etwas aufgepeppt. Ich fühle mich darin sehr wohl und so schreibe ich auch oft im Gartenhäuschen. Ich bin froh, um den Ideenreichtum und die Vorstellungsfähigkeit von meinem Mann. So kann ich mich mit dem Rollstuhl im Garten frei bewegen.
4. Immer wieder schön, auf der alten geplästerten Tremola den Gotthardpass hochzufahren und dabei der historischen Gotthard-Postkutsche zu begegnen.
6. Sorry, ich habe zurzeit etwas Mühe mit Schreiben. Ich bin etwas angeschlagen und verletzt. Nicht körperlich, da bin ich durch meine Krankheit reichlich eingedeckt und ich komme mit all den körperlichen Einschränkungen eigentlich gut durch den Alltag. Nein, es ist mein Selbstwertgefühl, das angeschlagen ist. Und das alles, weil ich nicht handschriftlich Unterschreiben kann. Eigentlich wollte ich nur ein Vereinskonto beim gelben Riesen eröffnen, doch leider steckt sie immer noch in der Postkutschenzeit fest. Vorausschauend habe ich meinem Mann bereits vor Jahren eine notariell beglaubigte Generalvollmacht erteilt um unteranderem für mich Unterschreiben zu können. Das hat der gelbe Riese nicht akzeptiert und nach langem Warten, vielen Nachfragen meinerseits und vielen Vertröstungen von Seiten des gelben Riesen, verlangten sie nach einiger Zeit eine Ärztliche Bescheinigung, welche meine Unfähigkeit eine handschriftliche Unterschrift zu leisten, bestätigt. Sicherheitshalber liess ich vom Arzt zusätzlich meine einwandfreie Geistige Verfassung bestätigen. Doch anscheinend reicht das Alles immer noch nicht. Das Ganze zieht sich nun schon über mehrere Wochen hin und ein Ende der Schikanen und Diskriminierung ist nicht in Sicht.
7. Wer mich kennt, weiss, dass ich solch ein Verhalten nicht hinnehme. Ich setze mich selbst seit einigen Jahren für die Belange von Menschen mit Einschränkungen ein. Dabei konnte ich mir ein kleines Netzwerk aus Vereinen und Behinderten-Organisationen aufbauen. Als Selbstvertreterin versuche ich meine Anliegen selbst zu vertreten und räume Hindernisse selbst aus dem Weg. Manchmal kann ich aber noch so kämpfen und komme trotzdem nicht ans Ziel. Dann bin ich froh, auf das Netzwerk zurückgreifen zu können. So habe ich mir nun Unterstützung geholt. Werde wieder berichten.
Ein Erfolgserlebnis hatte ich heute trotzdem. Ich habe es geschafft, über die Rollstuhlsteuerung selbstständig ein paar Fotos mit dem Handy zu machen. Jippie! Nur nicht unterkriegen lassen.
10. Leider kann ich immer noch nichts Positives vom gelben Riesen berichten. Für das weitere Vorgehen wurde mir gestern nun die "Kampfmontur" angezogen. Verliere in all deinen "Kämpfen" nie den Humor.
Schon wieder muss ich von einer lieben Kämpferin aus der ALS Familie Abschied nehmen. Lieber Kurt, auch dir wünsche ich eine wunderschöne Reise.
12. Nicht das Corona-Virus reisst Lücken in unsere ALS-Familie, es ist die Krankheit ALS, welche uns Betroffenen das Leben raubt. Zurzeit wird in vielen Ländern nach einem Medikament gegen das Corona-Virus geforscht. ALS Betroffene warten schon über 150 Jahre auf ein Medikament, welche die Krankheit ALS heilbar macht. Traurig!
13. Seit dem Vereinskonto-Antrag sind nun anderthalb Monate verstrichen und eine Lösung ist noch immer nicht in Sicht. Obwohl ich zu unserer Unterstützung den Rechtsdienst einer Behinderten-Organisation eingeschaltet habe, gehts kaum vorwärts. Eigentlich hätte ich nochmals ein Papier zur Unterschrift erhalten sollen, doch ich warte immer noch. Ich sehe das Vorgehen des gelben Riesen als eine Diskriminierung mir als Mensch mit Behinderung gegenüber. Es ist für mich unfassbar und nicht akzeptierbar, wie mit Rechten von Menschen mit Behinderung umgegangen wird. Schliesslich haben wir das BehiG (Behindertengleichstellungsgesetz) und ausserdem hat die Schweiz im Jahr 2014 die UNO-Behindertenrechtskonvension ratifiziert. Diese soll Menschen mit Behinderungen vor solchen Schikanen schützen. Jetzt werden wir wohl das EBGB (Eidgenössisches Büro für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen) einschalten. Werde dann wieder berichten.
Trotzdem kann ich etwas Erfreuliches vom heutigen Tag berichten. Heute Morgen hatte ich eine Besichtigung mit einem Projektverantwortlichen des Kantons betreff der Rollstuhlbefahrbarkeit eines Weges. Das Gespräch fand auf Augenhöhe statt und verlief positiv. Die Anpassungen werden in den nächsten Tagen ausgeführt.
18. Bin gespannt, was sich der gelbe Riese noch alles einfallen lässt. Jetzt mussten wir nochmal was abändern und unterschreiben. Ob jetzt der Schikanen genug sind werde ich dann wieder berichten.
Zum Glück haben wir so wunderschöne Landschaften um uns herum. Die Natur nimmt mich so wie ich bin und gibt mir den Boden, den nötigen Halt, wenn ich wieder mal an der Menschheit zweifle.
Bilder vom gestrigen Ausflug. Route: Gotthard - Centovalli - Domodossola - Simplon - Brig - Furka
23. Trotz meinen körperlichen Einschränkungen, will ich kein Bedauern. Ich will nur, dass ich von unserer Gesellschaft als Eigenständiger Mensch wahrgenommen und behandelt werde. Offenbar reicht es aber nicht, mit körperlichen Einschränkungen leben zu müssen. Nein, man muss mir noch zusätzlich Hürden in den Weg stellen. Die vergangenen zwei Monate haben Nerven gekostet und viel Geduld gefordert. Und dies auf Grund meiner körperlichen Einschränkungen, welche es mir verunmöglicht eine handschriftliche Unterschrift zu leisten. Nun scheint es, dass das Ende des Tunnels in Sicht ist. Vielleicht hat Jemand beim gelben Riesen einfach mal den Lichtschalter betätigt, um so Licht in die Sache zu bringen. Auch wenn es Kraft gekostet hat, so bin ich froh, dass ich nicht aufgegeben habe.
Wie ich erfahren habe, arbeitet eine Organisation, die sich für Belange von Menschen mit Behinderungen einsetzt, bereits seit einiger Zeit an einer Unterschriften-Regelung für Bankgeschäfte, Verträge usw. für Menschen mit Behinderungen. Ich hoffe sehr, dass bald eine Lösung gefunden wird und niemand mehr so einen Irrgarten durchwandern muss, wie ich, in den beiden letzten Monaten.
28. Ich habe zurzeit Mühe mit Schreiben. Mein Klickfinger streikt mal wieder. Vielleicht geht es Morgen besser. Ich schreibe eben immer noch lieber mit den Fingern als mit den Augen.
29. Seit ca. einem Jahr bekomme ich gegen die Spastik in meinen Fingern, alle drei Monate, Botox-Injektionen in die Unterarmmuskulatur. Die Injektionen zeigen Wirkung. Meine zur Faust eingerollten Finger lassen sich wieder besser öffnen und strecken. Nachteil, mein Klickfinger hat durch die geringere Spastik, an Kraft eingebüsst. Wenn mir die Krankheit, wie jetzt gerade, weitere Einschränkungen auferlegt, dann ist es auch für mich nicht immer einfach zu akzeptieren, dass wieder ein Stück meiner Selbstständigkeit wegbricht. Dann fliesen auch bei mir schon mal Tränen. Ich weiss, dies darf ich mir auch leisten. Nun heisst es aber, wieder neuen Mut zu fassen, mich neu einzurichten und zu organisieren. Daran arbeite ich nun.
In einer Sache habe ich wieder etwas an Selbständigkeit zurückgewonnen. So kann ich mittels Rollstuhl-Joystick, die Kamera auf meinem Handy bedienen und so einfache Fotos machen. Die Positionierung und die Befestigung des Handys sind noch verbesserungsfähig. Da ich das Handy nicht bewegen kann, muss ich den Bildausschnitt mit Positionsänderungen des Rollstuhls erreichen. Auch durch Neigungsveränderungen des Rollstuhls, kann ich den Blickwinkel verändern. Man sieht mich schon mal in halb liegender Rollstuhlposition vor einer Blumenwiese oder einem Gewässer stehen. Ob für alle, die meinen Weg kreuzen, ersichtlich ist, was ich da tue, bezweifle ich. Das spielt aber auch keine Rolle. Ich freue mich jedes Mal und bin gespannt, wenn ich meine neu geknipsten Bilder auf dem PC anschaue und allenfalls bearbeiten kann. Das Titelbild oben ist eines meiner Neusten. Musste ganz schön nahe ans Wasser fahren. Ich finde, es hat sich gelohnt.
AUGUST
3. Da mich der Regen vom Aufenthalt im Garten abhält, widme ich mich heute Schreibarbeiten. Mal schauen, wieviel Tagebuchzeilen drin liegen. Ich habe meinen Klickfinger schon ganz schön gefordert heute.
Mit der Augensteuerung zu schreiben würde funktionieren. Mit gewissen PC-Anwendungen habe ich aber immer noch meine liebe Mühe. Für Jemanden der wie ich schon immer gerne über Dies und Das diskutiert hat, fällt die Einschränkung der Lautsprache, aufgrund des Fortschreitens der Krankheit, besonders schwer. Das nicht oder falsch verstanden werden, ist unbefriedigend und frustriert. Wenn sich mein Gegenüber dann aus diesem Grund vermehrt mit meiner Assistentin unterhält, finde ich dies nicht so toll. Wenn dies passiert, bin ich selber schuld. Denn dann habe ich bei der Instruktion meiner Assistentin etwas falsch gemacht.
In den letzten Jahren habe ich das Schreiben und das Zeichnen am PC entdeckt. Das fällt mir nun auch immer schwerer. Ich muss nun halt einfach in Raten schreiben. Irgendwie geht es immer.
9. Mit all den Beeinträchtigung und Einschränkungen, welche die Krankheit ALS mit sich bringt, habe ich gelernt zu leben und zu akzeptieren. Auch, dass mein Sohn sein künftiges Leben mit der Krankheit Epilepsie wird meistern müssen, werde ich akzeptieren müssen. Trotzdem hadere ich mitunter und frage mich warum. Vorallem dann, wenn ich wie heute in das verletzte Gesicht meines Sohnes nach einem EPI-Sturz sehe. Am Donnerstag ist er bei einem Epi-Anfall die Aussentreppe seines Hauses heruntergefallen und mit dem Gesicht auf einen Geländerpfosten aufgeprallt. Fazit; Nase, Jochbein, Kiefer gebrochen und Arm verletzt. Das tut mir im Herzen weh. Ich würde wie jede andere Mutter auch, gerne alle Schmerzen und alle Einschränkungen, die eine Epilepsie mit sich bringt auf mich nehmen, wenn ich das nur könnte. Ich weiss aber um die Stärke meines Sohnes, er wird die Herausforderung Epilepsie meistern.
Meinem Mann und zugleich Vater meines Sohnes wird es mit uns nie langweilig. Mein Sohn und ich halten ihn zurzeit ganz schön auf Trab. Ich bin froh, um seine mentale Stärke. Ich weiss, wir können immer auf ihn zählen. Ein grosses Glück, ihn an meiner Seite zu wissen.
12. Mein Sohn hat die heutige OP gut hinter sich gebracht. Ich bewundere seinen Humor und seine positive Haltung, mit der er sich der momentanen Situation stellt. Witze erzählen sollte man in seiner Umgebung jedoch noch nicht. Die Platten, Drähte und Gummischlaufen im Kiefer hindern ihn daran zu lachen. 😊 Es geht wieder aufwärts.
15. Ich sitze mit meinem Laptop auf dem Balken und geniesse die kühler werdende Abendluft. Bereits zeichnen sich weisse Wolken und einzelne Sterne am immer dunkler werdenden Himmel ab. Ein wunderschöner Sonnentag geht langsam in die Nacht über. Wie Laternen dringen Lichter aus den Häusern und geben Wärme und Geborgenheit in die Nacht. Aber auch die vielen Autos auf der Autobahn tragen zur Lichtquelle bei. Der Ferienrückreiseverkehr ist heute besonders hoch. Ein Auto reit sich auf der Nord- Südachse ans Andere. Für viele wird es eine lange Nacht werden. Ich bin froh, war ich heute mehrheitlich auf den Strassen des Langsamverkehrs unterwegs. Obwohl, auch dort war das Aufkommen von Spaziergängern, Wanderer, Bikern und wie ich, Rollstuhlfahrenden erhöht. Trotzdem liess ich es mir nicht nehmen, die eben erst fertiggestellte Brücke über die Reuss (Ryyssboogebrugg) mit dem Rollstuhl zu testen. Sie ist genial. Da sie ohnehin auf einer von meinen Lieblingsrouten liegt, werde ich sie nun öfters befahren. So, nun muss ich rein. Es wird kühler und das Licht des Laptops zieht immer mehr Insekten an.
22. Jetz sitzi scho wieder ufum Balkon und lüäg i dr Gägend umänant. Auf der Autobahn ist nicht mehr gar so viel los wie vor einer Woche. Dafür steht ein Güterzug vollbeladen mit Lastwagen-Containern auf den Schienen der Nord- Südachse und wartet auf das Signal zur Weiterfahrt. Es ist auch wesentlich ruhiger und auch kühler. Der Herbst kommt auf leisen Sohlen näher. Bereits verlieren einzelne Blätter an Sträuchern und Bäumen ihre meist grüne Farbe. Und ich war noch nicht mal in den Ferien. Klar wohne ich mit all den vielen Bergen, den grossen und kleinen Seen, der Fauna und Flora an einem wunderschönen Ort. Wenn ich gehen, wandern oder auch einfach in einen der Seen springen könnte, bräuchte ich auch nirgend anders hin zu fahren. Doch mittlerweile muss ich mich mit den Wahrnehmungen meiner Sinne begnügen. So würden sich meine Augen, meine Ohren und auch meine Nase auf Neues freuen. Das nicht in die Ferien fahren können geht auf Grund des Virus, auch vielen andern so. Besonders jenen, welche wie ich zur Risikogruppe zählen. Eine Lungenentzündung würde unsere geschwächte Atmung zusätzlich belasten. Also, brav zu Hause bleiben, statt in ferne Länder reisen.
So drehe ich meine Rolli-Runden weiterhin in der näheren Umgebung. So fuhr ich gestern eine Strecke auf dem Weg der Schweiz. Die Sonne meinte es Gestern besonders gut mit mir. So war ich froh, dass die Strecke am See entlangführte und mir Abkühlung suggerierte. Klar hätte ich es den vielen Seebesuchern gerne gleichgetan und eine Abkühlung im See vorgezogen. Aber was soll's, die Strecke hat noch mehr zu bieten. Ich fuhr über Holzbrücken, an Felswänden entlang, durch tropfende Tunnels und lenkte meinen Rolli auf Naturwege am See entlang. Leider ist der Weg an manchen Stellen in schlechten Zustand. Für Fussgänger ist dies weniger ein Problem. Für Rollstuhlfahrende hingegen stellen die ausgewanderten, ausgefahrenen und vom vielen Regen ausgewaschenen Wege eine Gefahr dar. So fuhr ich gestern auf einen Stein auf und konnte meinen Rolli weder zum Vor- noch zum Rückwärtsfahren bewegen. Ich war froh, halfen mir Fussgänger aus meiner misslichen Lage. Es ist für mich unverständlich, warum solche wunderschönen Wege nicht besser gepflegt werden. Autostrassen, Kreisel, Velowege, Bike-Strecken usw. werden realisiert. Für Strecken wie der Weg der Schweiz fehlt das Geld für die Instandhaltung. Sehr schade.
23. Für die ALS-Forschung stelle ich mich immer wieder für Studien zur Verfügung. So legte ich mich auch diese Woche wieder für 50 Minuten in die Röhre. Alle 6 Monate wird dieses Prozedere wiederholt. In der Hoffnung, durch eventuelle Veränderungen, Rückschlüsse auf die Krankheit ALS ziehen zu können. Auch wenn es mir selber wohl nichts bringen wird, so vielleicht für später Erkrankende. Für sie mache ich das gerne.
Ich nehme auch immer wieder an Fortbildungen über ALS teil. So besuche ich zurzeit die 8 Module des ALS-Care-Trainings. Diese werden von der Muskelgesellschaft organisiert und von der Care-Training Initiantin Bea Goldman vom Caregiver-Center geleitet. Das Einbringen ihrer Erfahrungen durch ihre jahrelange Arbeit an der Basis ist unschätzbar. Auch das Einbinden der Erfahrungen von Betroffenen, Angehörigen und Pflegenden in die jeweiligen Module sind enorm wertvoll.
Im Jahr 2004 besuchte ich schon mal alle Module und bin heute erstaunt, wieviel Neues dazugekommen ist. Ich kann den Besuch dieser Module allen ALS- Betroffenen, Angehörigen und im ALS- Umfeld tätigen Personen und Organisationen nur ans Herz legen. Ich und meine Assistentinnen freuen uns bereits jetzt aufs Nächste interessante und lehrreiche Modul zum Thema Pflege Zuhause.
30. Judihui und Yippee ei o! Jetz, am speeterä Sunntignamitag, chund doch tatsächlich nu d'Sunnä cho viirälüägä. Das het geschter und hyt aber eu abbä glärt. Eu d'Temperätürä sind rächt zruggangä. Und da ich sid minära Erchrankig viu schnewer chaut ha, hanni mies Summer-Autfit gägä wärmeri Chleider miässä tüschä.
Ich hoffe aber, dass der September doch noch viele warme Sonnentage bringt und uns so den Sommer verlängert. Jetzt, da mein Rolli wieder einen neuen Reifensatz bekommen hat, möchte ich noch einige Touren unternehmen. War ich Früher zu Fuss unterwegs, so bewege ich mich seit 2004 auf vier Rädern vorwärts. Mein erster Rollstuhl der speziell auf meine Bedürfnisse angepasst wurde, war ein Storm von Invacare. Dieser leistete bis ins Jahr 2012 gute Dienste. Sein Nachfolger, der C350 von Permobil, ist auch schon wieder seit acht Jahren bei mir im Einsatz. Tagtäglich verrichtet er ohne Widerspruch über zwölf Stunden seinen Dienst. Durch seine Anpassungsfähigkeit hilft er mit, ein Teil meiner Selbständigkeit zu erhalten. Es wundert nicht, dass der Rollstuhl bislang mein wichtigstes Hilfsmittel ist. Darum lege ich auch grossen Wert auf seine Pflege. Er bekommt einmal in der Woche eine rundum Reinigung. Diese liegt im Aufgabenbereich meiner Assistentinnen. Kleinere Reparaturen und Anpassungen darf ich meinem Mann übergeben. Für einen Pneuwechsel, grössere Anpassungen und dem gleichzeitig durchzuführenden Service besuchen wir persönlich die Permobil Werkstatt. Ja, ich mag meinen Stuhl, er gehört zu mir.
Numä nid gschprängt. Scheen siferli i niwä Monet schtartä.
SEBTEMBER
2. Der Schnee auf den Bergspitzen hat die Kälte gebracht und mir Hals- und Ohrenschmerzen. Irgendwo muss ich einen Zug erwischt haben. Ich fühle mich auch sonst nicht ganz so fit. Wie immer in so einem Fall, verbringe ich die Nachmittage im Bett. Damit ich schnell wieder die Betriebstemperatur erreiche, teile ich mein Bett mit zwei Wärmeflaschen. Zudem macht es sich ein Traubenkernkissen auf meiner Brust bequem und ein Schal schmiegt sich um meinen mit Wick VapoRub bestrichenen Hals. Natürlich findet auch mein Laptop noch Platz. Einfach nur da liegen, passt nicht zu mir. Dazu müsste ich dann schon krank sein. Morgen habe ich wieder einiges vor. Darum mache ich jetzt auch Schluss und stehe Morgen pudelmunter mit der Sonne wieder auf.
9. Heute schreibe ich mal nicht selbst. Gerne lege ich euch dafür die Zeitschrift von Agile.ch mit interessanten Beiträgen zum Lesen nahe. Agile.ch setzt sich mit denen Themen auseinander, welche für mich als Mensch mit Behinderung und praktizierende Selbstvertreterin wichtig sind. Daher stand ich auch gerne für ein Portrait zur Verfügung. Danke Barbara für den angenehmen Nachmittag.
14. Der Sommer ist zurück und so halte ich mich so oft wie möglich im Freien auf. Wenn es in meinem Gartenhäuschen zu warm und unter dem Sonnensegel zu drückend ist, fahre ich mit dem Rolli unter den Ahornbaum. Vor ca. 4 Jahren haben wir ihn als kleines Bäumchen in die Mitte des Rasens gesetzt. Heute kann ich mich bereits in seinen Schatten legen. Sein Geäst lässt die Luft zirkulieren und die Blätter bewegen sich leicht mit dem Wind. Ab und an löst sich ein müdes Blatt vom Ast und segelt kreiselnd zum Boden. Auch die Äste vom Nussbaum, welche in den Rasen reichen, lassen täglich mehr Blätter los. So verwandelt sich der satt-grüne Rasen immer mehr in einen braunen, knisternden Teppich.
Ich drehe natürlich auch immer wieder kleinere und grössere Rolli-Runden oder fahre mit meinem Mann mit dem Cabrio durch die Berge. Ich hoffe, die Sonne lässt mich noch viele Stunden Vitamin D tanken.
16. Natürlich kann auch ich nicht andauernd in der Sonne liegen oder unterwegs sein. Dafür sorgt meine aufwendige Pflege, welche jeden Morgen zwischen 1 - 2 Stunden beansprucht. Dann folgt an zwei Wochentagen 1 Stunde Physio- und Ergotherapien. Hinzukommen Besuche beim Neurologen, Lungenarzt und Studienteilnahmen. Ab und zu besuche ich ALS-Betroffene Zuhause und in Pflegeheimen. Viel Zeit investiere ich um per Mail, WhatsApp und SMS mit ALS-Betroffenen und Angehörigen zu kommunizieren. Dieser Austausch ist mir sehr wichtig. So bin ich die Administratorin des ALS-Familien-Chats und die Organisatorin des 4-mal im Jahr stattfindende ALS-Familien-Stammtisch. Ebenfalls betreue ich meine eigene Homepage, sowie die HP von ALS Community Schweiz und von Selbstvertretung Uri und deren Facebookseiten. Ausserdem habe ich mit "alten" Weggefährten den Verein ALS Community Schweiz gegründet. Dessen Aufbau nimmt doch etliche meiner Zeit in Anspruch.
Dazu später mehr, muss jetzt nach Basel zur ALS-Sprechstunde.
So, bin wieder zurück von der Sprechstunde. Meine Neurologin und ich sind zufrieden mit meiner körperlichen Verfassung. Bei den Therapien und bei der Medikation ändert sich kaum was. Ausser, dass mir eine Handschiene für die Nacht angepasst wird (am Tag benötigte ich die Hand zum Arbeiten) und ich werde versuchsweise ein zusätzliches Medikament für eine mögliche, deutlichere Aussprache einnehmen. Für den Tipp, ein Dankeschön nach Hamburg. Wir Betroffenen unterstützen einander. Für uns gibt es keine Landesgrenzen.
Morgen mehr, jetzt bin ich müde.
21. Jetzt hani dänkt, ich chennt de im Herbscht glich nu äs paar Täg i Pferiä, aber nei, diä cheibä Corona-Fauzahlä stieget wieder bedänklich a. Zum Glick wohn ich innerä wunderscheenä Gägend. Susch wird mer de eppä Tächi ufä Chopf ghiä.
Ich liebe es sehr, mit dem Rolli entlang von Seen zu fahren. Ich höre- und sehe fasziniert zu, wie die Wellen ans Ufer schlagen. Ich geniesse dabei den Duft des Wassers, den meine Nase wahrnimmt. Wenn dann noch schönes, warmes Sommerwetter ist, kann es vorkommen, dass sich Wehmut in mir breit macht. Wie gerne würde ich wie viele andere Menschen auch, in den See springen, um mich abzukühlen oder einfach, weil es so herrlich im Wasser ist. Es ist nicht immer einfach, den Verlust der körperlichen Bewegungsfreiheit und der damit verbundene Spontanitätsverlust, gelassen hinzunehmen. Das mit dem Wasser ist wie mit dem werdenden Heu. Wenn der Duft in die Nase steigt, weitet sich mein Brustkorb und unterschiedliche Gefühle machen sich bemerkbar. Ein Gefühl von Vertrautem aus der Kindheit, traurige über nicht Wiederkehrendes oder Freude und Dankbarkeit fürs hier und jetzt.
Nun hoffe ich mal, dass ich bald wieder die Physiostunden im Wasser aufnehmen kann und das Therapie-Bad nicht wieder wegen Corona geschlossen werden muss.
Menschen die wie ich, von der unaufhaltsam-fortschreitenden Krankheit ALS betroffen sind, müssen sich dauernd mit verändernden Situationen auseinandersetzen. Wie schon oft geschrieben, sind wir der Krankheit im Idealfall immer einen Schritt voraus. Das ist oft nicht einfach. Viele Faktoren spielen dabei eine Rolle. Das fängt beim Hausarzt an. Wie rasch erkennt er die Dringlichkeit einen Neurologen beizuziehen. Mitunter machen Patienten eine Odyssee von Untersuchungen und Überweisungen durch, bis sie bei dem Facharzt ankommen, der sich mit dieser Krankheit auskennt und die Krankheit beim Namen nennt. Es gibt eben keinen Test, der auf die Krankheit hinweist. Ich hatte Glück mit meinem Hausarzt. Da er vor mir bereits von ALS- betroffene Patienten in seiner Praxis hatte, wusste er wahrscheinlich schon bei meinem zweiten Besuch (Daumen-Delle, schwindende Kraft im Arm) was geschlagen hat. So wurde ich auch zügig nach Luzern zu einem Neurologen überwiesen. Ein Neurologe wendet dabei das Ausschlussverfahren an. Das heisst: durch diverse Untersuchungen werden Krankheiten ausgeschlossen. Bei uns heisst es dann am Schluss "Verdacht auf ALS". Je früher diese Diagnose steht, desto eher kann mit den Behandlungen, mit der Medikation begonnen werden. Auch wenn diese Massnahmen keine Heilung bringen, so kann zumindest eine Verbesserung der Lebensqualität herbeigeführt werden.
„Und am Ende sind es nicht die Jahre in deinem Leben, die zählen. Es ist das Leben in deinen Jahren.“
Abraham Lincoln
23. Gestern Nachmittag habe ich in Begleitung einer meiner Assistentinnen einen für nächste Woche geplanten Gruppen-Ausflug abgelaufen, sprich mit dem Rolli abgefahren. Das Wetter war perfekt zum Wandern und die Strecke am See entlang wunderschön. Ich konnte so richtig meine Seele baumeln lassen. Jetzt müsste nächste Woche nur das Wetter nochmals mitspielen.
Heute bin auch wieder unterwegs. Zusammen mit zwei meiner Assistentinnen nehme ich an einem weiteren Modul vom Care-Training teil. Das heutige Modul: Pflege Zuhause - Möglichkeiten der Versorgung zu Hause, finanzielle Aspekte, Spitex. Für mich ist es wichtig, dass sich auch meine Assistentinnen weiterbilden. So können sie mich im Alltag auch optimal unterstützen. Dies nimmt auch Einfluss auf meine Lebensqualität.
25. Als meine Assistentinnen und ich am Mittwoch nach dem Care-Training wieder Zuhause ankamen, waren wir alle schon recht müde. Bei mir hat sich dies mit andauerndem Lachen und mit unkontrolliertem Steuern meines Rollstuhls bemerkbar gemacht. Bis ich auf dem Plattformlift unseres Treppenhauses war, dauerte seine Zeit. Es ist aber auch kein einfaches Unterfangen mit zwei kichernden Frauen im Rücken. Als Autofahrerin wäre mir in einer vergleichbaren Situation wohl der Führerschein abgenommen worden. Zum Glück habe ich mein Schein bis heute nicht abgegeben. Wer weiss schon, was in ein paar Jahren möglich ist ...
Beim Care-Training konnte auch ich als alter ALS Hase wieder profitieren. Ich finde es sehr interessant, Lösungsvorschläge zu echten Fallbeispielen in Gruppenarbeit (mit Schutzkonzept) zu erarbeiten und zusammenzutragen. Auch das direkte Arbeiten an den themenspezifischen Hilfsmitteln macht Mut und bringt Sicherheit. Leider schreitet so ein Nachmittag rasant voran und so ist es nicht möglich, alles bis ins Detail anzuschauen. Dafür wird zu jedem Trainings-Modul ein dickes Themen-Dossier mit vielen Infos abgegeben. Zusammengetragen von der Initiantin der ALS-Care-Trainings. Ihre Erfahrungen aus der Tätigkeit als ALS-Care-Nurse und aus den Erfahrungen von ALS- Betroffenen, von Angehörigen, den Care-Nurse sowie im ALS-Umfeld tätigen Personen sind in den Unterlagen enthalten. Diese, über einen Zeitraum von 16 Jahren zusammengetragenen Informationen, sind ein wertvolles Werkzeug für meine Assistentinnen und mich im ALS-Alltag. Das nächste Modul, welches ich mit meinen Assistentinnen besuchen werde, findet am 18. November in Oensingen statt. Das Thema: Zeit zuletzt - Palliativmedizin, seelsorgerische Aspekte. Das Datum trifft sich sehr gut. An diesem Tag feiere ich mein Leben, meinen Geburtstag.
Nun, heute nahm ich mir dann Zeit, mich auszuruhen. Das Wetter hat aber auch schön mitgespielt. Unter einer warmen Decke liegend, mit Blick auf die angeschneiten Bergketten, lies ich es mir gut gehen.
30. Nicht die Sonne hat mich Gestern aus dem Haus gelockt. Es waren langjährige Weggefährten aus der ALS-Familie mit denen ich den Tag verbringen wollte. Mit ihnen wollte ich eine Herbstwanderung unternehmen. Doch bevor wir den Weg unter die Füsse und Räder nahmen, stärkten wir uns gemeinsam bei einem feinen, reichhaltigen Mittagessen. Denen, welche auf Grund der fortgeschritten Erkrankung das Essen nicht mehr selbst zum Mund führen können, wurde das Essen von den anderen Anwesenden gereicht. Sie alle wissen aus eigenen Erfahrungen, wie mit solchen Herausforderungen der ALS-Erkrankung umzugehen ist.
Nach dem Essen gings dann los zum Vierwaldstättersee, wo wir ein Teilstück auf dem Weg der Schweiz unter die Räder und Füsse nahmen. Ein wunderschöner Wanderweg mit der Begehung des Urner Reuss-Deltas. Natürlich durfte Unterwegs ein Kaffeehalt nicht fehlen. Auch für das Austreten der Fussgänger und Rollstuhlfahrende war durch die sich auf dem Weg befindenden barrierefreien Toiletten-Anlagen gesorgt. Es wurde ein wunderschöner Tag mit Freunden. Den konnte auch die fehlende Sonne nicht trüben.
OKTOBER
4. Gestern hätten wir die Herbstwanderung mit dem Streckenabschnitt im Reussdelta und der Reussquerung nicht machen. Der viele Regen hat zu Überschwemmungen geführt und Strecken an der Reuss mussten gesperrt werden. So schön Natur ist, so wild und unberechenbar kann sie sein. Man kann sie nicht zähmen, sie findet immer wieder einen Weg auszubrechen. Sie liebt die Freiheit, so wie ich.
Diese Woche war ich wieder in Basel. Ich bekam wieder meine Botox-Injektion in den linken Arm und die Ergotherapeutin passte mir eine Handschiene für die Nacht an. Mit diesen Massnahmen wollen wir versuchen, meine Finger an der linken Hand in die Streckung zu bringen.
Wie jeden Herbst, wollten wir auch dieses Jahr wieder irgendwo Ferien machen. Da sich das Virus wieder mehr ausbreitet, hält uns dies davon ab, nächste Woche nach Meran zu fahren. Schade.
5. Zum Andenken an Steve Lee, der am 5.10.2010 auf einer Motorrad-Tour auf der Route 66 sein Leben lassen musste. Ich besuchte einige Konzerte von Gotthard mit Steve Lee als Lead-Sänger. Ich vermisse diese Konzerte auch nach 10 Jahren immernoch. Steve und seine Stimme bleiben unvergessen.
8. Jetz hani mich grad gfragt, was ich diä Wuchä eigendlich gmacht ha? Wenn nu scheens Wätter gsi wär, wissdi wenigschtens mit was ich Zit verliired ha.
Bei schönem Wetter wäre ich entweder mit dem Rolli unterwegs gewesen oder hätte im Garten die Herbstsonne genossen. Heute, am späteren Nachmittag war ich lediglich kurz auf der Strecke.
Auf Grund meiner fortgeschrittenen Krankheit, benötige ich für fast alles was ich tue mehr Zeit als Früher. Das beginnt schon am Morgen beim Aufstehen mit der Morgenpflege und dem Frühstück. Auch die Schreibarbeiten am PC verlangen ihre Zeit. Muss ich doch jeden Buchstaben auf der Bildschirmtastatur einzeln anklicken. Nichts mehr mit Zehn-Finger-System. Aber he, ich kann so immer noch schreiben, wenn auch viel langsamer.
10. War das schön Gestern. Piet hat schon früh am Morgen, Urnerkaffee gebraut und in die Thermoskanne abgefüllt. Brötchen mit Butter bestrichen und mit Schnittfleisch belegt. Mit einem schönen bissen Käse und Getränken, füllte er die Picknicktasche und verfrachtete alles, samt mir und meinem Handrollstuhl im Cabrio. Und schon ging es los Richtung Landesgrenze zu Österreich. Kurz eine Vignette gekauft und dann peilten wir die Silvretta Hochalpenstrasse an. Wunderschön auf der Panoramastrasse die Täler und Bergketten zu schauen. Es scheint, wir kommen von den Bergen einfach nicht los. Über den Arlberg ging es dann wieder Richtung Schweizergrenze. In der Abendsonne fuhren wir über den Klausenpass und danach nach Hause. Wir lieben diese gemeinsamen Ausflüge.
12. Ich hatte ja immer noch auf Ferien ausser Haus gehofft. Doch diese werde ich dieses Jahr wohl definitiv in den Kamin schreiben können. Die sich weiter auf Ausbreitungskurs befindenden Corona-Viren schränken meine Reiselust ein. Was ich sehr bedauere ist, dass die ALS-Stammtische und weitere Treffen wegen dem Virus abgesagt oder nur sehr eingeschränkt durchgeführt werden können. Seit nun mehr zehn Monaten bremst uns Covid-19 aus. Der Freiheitsverlust durch die auferlegten Vorsichtsmassnahmen, trifft uns Menschen mit verkürzter Lebenserwartung besonders hart. Die durchschnittliche Lebenserwartung nach Diagnosestellung beträgt bei der Krankheit ALS gerademal 3 - 5 Jahre. Es ist darum nicht verwunderlich, wenn wir die wenige Zeit uneingeschränkt auskosten möchten. Auch ich lasse mir nicht gerne vorschreiben eine Maske zu tragen oder mein Leben in der Öffentlichkeit einzuschränken. Mir bleibt aber nichts anderes übrig, diese Massnahmen zu befolgen, um mich selbst zu schützen. Eine Lungenentzündung könnte mein Leben und das Leben von Menschen mit vergleichbaren Krankheitsbildern abrupt verkürzen. Nehmen wir also Rücksicht aufeinander. Das Leben ist das Kostbarste was wir je besitzen werden.
18. Ich bin keineswegs müde, mein Tagebuch mit Buchstaben, Fotos und Bildern zu füllen. Da mein Klickfinger jedoch immer öfters Pausen einfordert, muss ich das Schreiben einteilen. In dieser Woche hatte ich viel Schriftverkehr zu erledigen. So reicht die Klickkraft fürs Tagebuchschreiben nur für diese Sätze und Musik aus.
19. Ich liebe Musik. Je nach Stimmung tönt Rock, Blues, Jazz, aber auch Balladen und Volksmusik aus den Boxen. Wobei es mir Gitarrenklänge besonders angetan haben. Zu hören, wie sanft die Saiten gezupft werden oder wie virtuos Solos gespielt werden, fasziniert mich. Ich liebe dieses echte Spiel am Instrument. Darum gehe ich auch gerne an Konzerte. Die Liebe zur Musik wird mir auch ALS nicht vermiesen können. Das Hören wird von der Krankheit nicht beeinflusst. Somit geht schon wieder eine Runde an mich.
24. Was mir die ALS auch nicht nehmen kann, ist mein Lachen. Sollte das Lachen bei Fortschreiten der Krankheit lautmässig nicht mehr hörbar sein, so wird es durch die Mimik und den Lachtränen, welche mir über die Wangen kullern sichtbar. Was habe ich schon gelacht. Und das an den unmöglichsten Orten und in unpassenden Momenten. Mitunter assoziiere ich so schnell, dass ich längere Zeit benötige, mein Kopfkino unter Kontrolle zu bringen. Ob es nun positiv ist, dass die ALS auf mein Lachen Einfluss nimmt ...? Pathologisches Lachen kann Teil der ALS-Erkrankungen sein. Wobei es bei mir schon einen Auslöser braucht. Ich fange nie grundlos zu lachen an. Also passt auf, was ihr in meiner Gegenwart anstellt und besucht mit mir nie ein Theater. Sonst spielt sich die Komödie gleich neben euch ab.
27. Wenn ich mein Brautkleid auf den Bildern betrachte, muss ich sagen, es gefällt mir immer noch und ich würde es wieder auswählen. Der Vintage-Stil ist zurzeit wieder voll im Trend. Heute würde ich für das Kleid inklusiv dem nicht verwendeten Schleier, allerdings weit über meinen bezahlten 80 Franken berappen müssen. Ich finde es auch schön, mich stehend neben meinem Mann zu sehen. Seit 16 Jahren gibt es solche Bilder nicht mehr. Von den 40 Ehejahren ist die Krankheit ALS seit fast 20 Jahren unser nicht abschüttelbarer Begleiter. Die ALS nimmt schon Einfluss auf die Beziehung und es ist sicher nicht immer einfach die Balance zu halten. Dass wir es zu zweit soweit geschafft haben, macht mich stolz und glücklich.
30. Tag der betreuenden und pflegenden Angehörigen
Auch wenn ich für die Bewältigung meines Alltags, Assistenzpersonen einsetze, so verbleiben doch viele Stunden der Unterstützung, welche von meiner Familie abgedeckt werden. Meine Assistentinnen übernehmen an 4 Tagen die Morgenpflege. Zudem machen sie den Hauskehr, fahren mit mir Einkaufen, nehmen mit mir Termine war usw. Ab Mittag oder am späteren Nachmittag übernimmt dann jeweils mein Mann. Das beinhaltet, das Verabreichen des Nachtessens, die Abendpflege, sowie diverse Handreichungen und die Nachtbetreuung. Am Mittwoch und am Wochenende übernimmt mein Mann das Zepter vollständig😉. Solange es geht, wollen wir mit diesen 3 Tagen unser Privatleben leben.
Mein Sohn unterstützt mich in technischen Bereichen und im Schriftverkehr. Er ist ausserdem ein sehr angenehmer Gesprächspartner. Wir haben eine vertrauensvolle Mutter - Sohn - Beziehung. Er hält ausserdem ein Auge auf mich, wenn Piet eine Tagestour auf seiner Harley unternimmt.
So sind es doch sehr viele Stunden, in denen ich von der Unterstützung meiner Familie profitieren darf.
Ich würde mir wünschen, ich dürfte meine Angehörigen als Assistenzpersonen anstellen und dem entsprechend entlohnen. Es wäre so viel einfacher und zudem wäre es gerechtfertigt.
NOVEMBER
1. Ich hoffe, ihr habt den Blue Moon und Halloween gut überstanden und könnt heute die wärmende Sonne geniessen.
Der heutige Tag ist jenen Menschen gewidmet, welche nicht mehr mit uns leben. Mit dem Gedenken an sie, weilen sie trotzdem unter uns.
4. Ich bin froh, hatte ich keine Zeit in mein Tagebuch zu schreiben. Sonst hätte ich vielleicht Worte in mein Tagebuch geschrieben, die meinem gewohnten Wortschatz nicht entsprechen. Was hat mich so aufgebracht? Es sind Leserbeiträge zu diesem Artikel und die fehlenden Fakten durch die Tageszeitung. Ich habe mich ab der Missgunst der Schreiber erschrocken. Ebenso die Geringschätzung der Betreuungs- und Pflegeleistungen, die durch Angehörigen geleistet werden. Dies hat mich tief getroffen.
Manche Angehörige stehen in der Nacht mehrmals auf, um ihre Angehörige umzulagern oder sie auf die Toilette zu begleiten. Dafür kann nicht einfach die Spitex gerufen werden. Auch wenn Angehörige wie Spitex-Pflegende entlohnt würden, könnten sie lediglich der Zeitaufwand für die Pflege abrechnen. So gibt es für jede Pflegehandlung eine Zeitvorgabe. Für das Duschen z.B. darf die Spitex gerade mal 20 Minuten abrechnen. Alles andere was nicht unter die Pflegeleistungen fallen, kann auch gar nicht abgerechnet werden. Diese Kosten werden vom Patienten selbst getragen. Die Kosten bleiben also unverändert, ob die Grundpflegeleistungen von Spitexmitarbeitern oder von Angehörigen erbracht werden.
Ich wünschte mir, wenn sich Personen zu einem so komplexen Thema äussern, sie sich vorerst mit dem Thema befassen würden.
6. Die Sonne hat mich heute aus dem Haus gelockt und mir gezeigt, wie viel Wärme noch in ihr steckt. So fuhr ich auf dem mit Blättern ausgelegten Weg, auf das von der Sonne beschienene Plätzchen unter den Nussbaum. Durch den inzwischen blätter- und nussfreien Baum kann ich meinen Blick auf einen wunderschön blauen Himmel richten. Langweilig - auf keinen Fall. Möwen fliegen lautstark vorbei und am Boden bringen die wieder aufgewachten Eidechsen die trockenen Blätter zum Rascheln. So konnte ich heute wieder auf natürliche Weise wertvolles Vitamin D tanken. Ich hoffe, mit der Sonne und der gestrigen Grippeimpfung zusammen, komme ich gut durch den kommenden Winter. Ein Chip mehr oder weniger - was spielt das jetzt noch für eine Rolle ;-).
Wie viele Menschen die nicht ausser Haus müssen, verbringe auch ich die meiste Zeit Zuhause. Damit ich etwas Abwechslung habe, machen mein Mann und ich ab und an einen Ausflug mit dem Auto. Natürlich immer mit Esswaren im Gepäck. So kommen wir auch nicht mit andern Menschen in Kontakt. Rolliausfahrten und Einkäufe mache ich kaum mehr. Und wenn, dann nur mit Maske. Dutch das Tragen der Maske hoffe ich, ich kann das Risiko einer Virus-Ansteckung für mich und mein Gegenüber etwas minimieren.
7. Wie die Maskenverweigerer würde auch ich mich gerne frei bewegen können und ohne Maske unter Menschen mischen. Dass ein Virus zurzeit sein Unwesen treibt, kann wohl keiner leugnen. Ob das Virus nun naturgegeben ist oder womöglich absichtlich losgelöst wurde, sollte zurzeit eine untergeordnete Rolle spielen. Für Menschen wie mich, die von einer Krankheit betroffen sind, bei der die Atmung geschwächt ist, würde die Ansteckung des Covid-19 Virus sehr gefährlich werden. Müsste ich intubiert werden, käme ich nach einer Genesung von einer künstlichen Beatmung kaum mehr los. Daher habe ich in meiner Patientenverfügung festgehalten, dass ich keine Intubation wünsche. Wenn ich leben will, muss ich mich den Schutzmassnahmen unterwerfen. Ich wünschte mir, meine lieben Mitmenschen würden sich alle an die Schutzmassnahmen halten. Umso schneller bringen wir das Virus hinter uns und wir, die gefährdeten Personen, können unsere ohnehin verkürzte Lebenszeit auch in Freiheit geniessen.
Wenn du im Regen keinen Schirm aufspannen willst und das Nasswerden in Kauf nimmst, ist das deine Sache. Denn, nur du wirst nass. Trägst du hingegen keine Maske, steckst du womöglich dein Gegenüber mit dem Virus an. Das ist dann nicht nur deine Sache.
10. In den kühleren Monaten unternehme ich weniger Rollitouren. Seit ich sitzend unterwegs bin, fühle ich kühlere Temperaturen intensiver und die Kälte durchdringt meinen Körper schneller. Zu sehen ist dies an meiner laufenden Nase. Die neuste Mode hat mir nun ein Kleidungsstück beschert, mit dem ich meine untere Gesichtshälfte warm einpacken kann und so das Naselaufen in Schach hält. Nun muss ich nur noch einsame Routen suchen, um meine neuen bunten Accessoires ausführen zu können. Das wunderschöne Herbstwetter lockt mich zurzeit 2 - 3 Stunden aus dem Haus.
11. Wie ihr am neuen Tagebuchbild sehen könnt, war ich heute unterwegs. Auf der Suche nach der Sonne fuhren wir hoch in die Berge. Die Fahrt zur Sonne hatte etwas mystisches in sich. So strich der Nebel rechts und links des Weges durch die Wälder und dichte Nebelbänke liessen kaum Sicht auf die nächste Kurve zu. Dann plötzlich war sie da die Sonne und sie überstrahlte alles. Ich fühlte die Freude, die Leichtigkeit und das Gefühl frei zu sein. Und da war der Gedanke ... so muss das Leben über den Wolken sein....
Wäre ich denn schon bereit, wäre ich vorbereitet? Nein, bereit zu gehen werde ich wohl noch lange nicht sein. Eigentlich will ich überhaupt nicht gehen. Wieso auch; unsere Erde ist so wunderschön. Corona hat mich jedoch daran erinnert, in nächster Zeit einige Dinge zu regeln und zum Abschluss zu bringen. Und das mache ich doch glatt. Leben, was gibt es Schöneres.
12. Auch wenn ich jetzt noch nicht sterben will, heisst das nicht, dass ich Angst vor dem Tod habe. Warum sollte ich mich schon vor ihm fürchten. Reicht es doch zu erschrecken, am Tag an dem er kommt. Die Prognose der verkürzten Lebenserwartung will ich nicht immer in meinem Nacken spüren. Ab und an daran erinnert zu werden reicht mir völlig. Wenn das Thema Sterben und Tod, wie gerade in dieser Zeit, mehr Raum in meinen Gedanken einnehmen, befasse ich mich auch damit und kläre es. So habe ich vor vier Wochen meine Schutzmassnahmen Zuhause erhöht. Knapp zwei Wochen lang besuchten mich weder Therapeuten, noch wurde ich von meinen Assistentinnen Zuhause unterstützt. So durfte ich die volle Aufmerksamkeit meines Mannes geniessen. Seit zwei Wochen sind nun wieder meine Assistentinnen bei mir im Einsatz. Sie verrichten einen reduzierten Dienst. Die Therapiestunden habe ich ebenfalls wieder aufgenommen. Schliesslich will ich meine Beweglichkeit so lange wie möglich erhalten und ich lasse nicht zu, dass meine Therapieerfolge dem Corona-Virus zum Opfer fallen. Es gilt für mich abzuwägen, zwischen Schutz und deren Folgen. Ich freue mich jedenfalls riesig auf die Zeit nach Corona.
13. Ich denke, wie wir zum tot-sein stehen, hängt sicher auch von unserer Glaubensrichtung ab. Geprägt wird diese in unserer Kindheit. Die Eltern geben die Glaubensrichtung vor. So war es auch bei mir. Der Glaubensgemeinschaft Römisch-Katholisch zugehörig, erhielt ich bis jetzt die Sakramente der Taufe, der 1. Kommunion / Eucharistie, der Firmung, des Busssakraments und der Eheschliessung. Zudem durfte ich als erstes Mädchen in unserer Kirche, zusammen mit meinem Cousin den Wein und das Wasser zum Priester an den Altar bringen. Dieses Privileg verschaffte mir unser Onkel, der viele Jahrzehnte als Sakristan amtete. Hielt diese Prägung des christlichen Glaubens in meinem erwachsenen Leben bestand?
Ich bin meinen Eltern sehr dankbar, dass sie mir diese Leitlinien für meinen Weg mitgaben. Vielen dieser Linien versuche ich auch heute zu folgen. So will ich meinen Mitmenschen unvoreingenommen begegnen und sie falls nötig und wie mir eben möglich, auf ihrem Lebensweg unterstützen. Viel mehr braucht es gar nicht. Was mir in den Leitlinien im röm. kath. Glauben zu kurz kommt, sind unsere Mitbewohner die Tiere. Auch sie sollen ein gutes Leben haben. Und der Satz, "macht euch die Erde untertan" passt wohl kaum mehr in die heutige Zeit.
So haben im Laufe meines Lebens mitgegebene Leitlinien eine Korrektur oder einen kompletten Richtungswechsel erfahren. Den krassesten Richtungswechsel habe ich wohl dem Hinterfragen der Existenz von Gott beschritten. Dieser Richtungswechsel ist noch nicht definitiv vollzogen. Ich suche noch immer Meine Leitlinie. Die meisten von uns brauchen eine Stütze, die wir in ausweglos scheinenden Situationen anrufen können. In der Hoffnung, dass da doch noch mehr ist und das einfach nicht Wissen ob diesem, wandere ich zurzeit wohl als Agnostikerin durch mein Leben.
So ist es wohl auch nachvollziehbar, dass ich möglichst lang mit offenen Augen durch unseren Planeten streiffen möchte. Menschen, die fest an ein Leben nach den Tod glauben, wird der Abschied vom irdischen Leben womöglich etwas leichter fallen. Sie dürfen sich freuen, dass es irgendwo, irgendwie weiter geht. Ich freue mich ab ihrem unerschütterlichen Glauben. Ich hoffe, dass alles so eintreffen wird, wie jeder das für sich persönlich wünscht. Für mich ist es auch vollkommen in Ordnung, hier auf der Welt bleiben zu dürfen.
14. Wenn ich den Tod als endlos sehe, muss ich davon ausgehen, dass ich mit den Menschen, die in mein Leben getreten sind und mir wichtig sind, nie mehr zusammenkommen werde. Als Lebende macht mich diese Aussicht traurig. Der Abschied von einem geliebten Menschen fällt so, umso schwerer. Aber, soll ich deswegen von einem Leben nach dem Tod ausgehen, um mir den Schmerz zu ersparen.
Ganz verschwindet ein Mensch ja nie. So sind es Erinnerungen und sichtbare Spuren, mit denen wir einen Menschen bei uns behalten. Und ab und an zaubern uns diese Erinnerungen ein Lächeln ins Gesicht.
Vielleicht kommt das oben Geschriebene abgeklärt und der Gefühle arm daher. Vielleicht bin kühler und im Nehmen härter geworden. Vielleicht ist dies auch einfach mein Schutz, damit ich andere Menschen, welche vom gleichen Schicksal betroffen sind wie ich, möglichst lange unterstützen kann. Meistens sind uns nur wenige Jahre auf dem gemeinsamen Weg gegönnt. Die Krankheit ALS nimmt mir immer wieder meine Weggefährten. Jeder Verlust schmerzt und ich musste lernen damit umzugehen. Aber jetzt genug des Todes, das Leben reden.
19. Ich weiss nicht was es ist, was mich zurzeit so aktiv hält. Ich bin voller Tatendrang und Energie. Und doch komme ich kaum vom Fleck. Ich sehe was zu machen gäbe, dabei verreisst mich meine Eingeschränktheit fasst. Meine Ideen nicht verwirklichen, nicht selbst realisieren zu können und ständig auf andere angewiesen zu sein, ist nicht immer einfach anzunehmen. Wenn ich mich einer Sache annehme, dann will ich mit meinem Herzen dabei sein. Ich freue mich, wenn ich Mitmenschen für eine Sache begeistern kann und sie mit mir am gleichen Strang ziehen. Nur so ist es mir möglich Ideen, Projekte zu verwirklichen, welche Mitmenschen und meistens auch mir zugutekommen. Es gibt immer wieder engagierte und uneigennützige Menschen, welche mich auf diesen Wegen begleiten und unterstützen. Es gibt aber auch jene Menschen, die wenig bis gar nichts zur ihrer und zur Lebensverbesserung anderer Mitmenschen beitragen. Klar ist es nicht jedem gegeben, sich für eine Sache einzusetzen. Das können z.B. gesundheitliche Gründe sein, fehlendes Wissen um die Möglichkeiten der Unterstützung oder der Glaube an die eigene Stärke für ein Engagement fehlt. Das kann ich verstehen. Mit was ich jedoch Mühe habe sind Mitmenschen, welche die Kraft und die Möglichkeit hätten, etwas zum Guten zu verändern, nichts tun oder nur ja und amen sagen. Dann aber gerne von den Errungenschaften anderer profitieren wollen.
Diese fehlende Unterstützung und die Geringschätzung gegenüber Menschen, welche sich zu Gunsten anderer einsetzenden, schmerzt. Auch das Verschliessen der Augen seitens der Mitglieder von Organisationen, vor überzogenen Administrativen Kosten bei Gesellschaften, lässt mich ungläubig werden.
Doch da gibt es jene Menschen, die sich oft viele Stunden ehrenamtlich oder zu einem der Gesellschaft tragbaren Entlohnung für ihre Mitmenschen einsetzen. Dies stimmt mich wiederum hoffnungsvoll. Ich habe so oder so das Gefühl, dass wir uns im Wandel befinden. Vieles wird hinterfragt, anders betrachtet und wahrgenommen und neue Wege werden beschritten. Und ich will Teil davon sein.
21. Auch ich vermisse in dieser Zeit vieles. So würde ich gerne mal wieder an Konzerte gehen und Veranstaltungen besuchen. Shoppen gehen und durch Märkte schlendern. Mich unter die Leute mischen und mich mit Freunden treffen. Oder mich mit Geschwistern und Anverwandten gemütlich an den Küchentisch zu setzen, um zusammen ein Urnerkaffee zu trinken oder ein feines Zabig zu essen. So vieles kommt zu kurz. Aber es geht allen in etwa ähnlich und da müssen wir jetzt wohl alle gemeinsam durch.
In dieser Zeit führen viele Organisationen ihre Versammlungen und Abstimmungen online oder schriftlich durch. So hat sich Zoom auch auf meinem PC eingerichtet. Nun habe ich entdeckt, dass interessante Vorträge über Zoom angeboten werden. Für mich sind solche Angebote genial. So kann ich von Zuhause aus teilnehmen und je nach dem auch schriftlich agieren. So nehme ich zurzeit an diversen Vorträgen mit Thema Menschen mit Behinderungen teil. So nutze ich die Einschränkungen durch Corona sinnvoll und lerne dazu.
23. Ich habe Heute, meiner im Einsatz stehenden Assistentin, beinahe äs Härzchriäsi, sprich Herzkasperl verpasst. Sie war gerade dabei ihre Arbeitsstunden einzutragen und ich sass am PC und öffnete einen zugesandten WhatsApp-Clip. Ich konnte nicht ahnen, dass wir gleich mit Akkordeontönen überrascht würden. Wir sind beide gleichzeitig erschrocken, sie aber sicher noch viel mehr als ich. Ich hatte doch glatt vergessen den hochgeschraubten Volumenregler für die am PC angeschlossenen Musikboxen auf normale Lautstärke runterzudrehen. Vielleicht sollte ich an meiner Bürotüre ein Schild anbringen mit der Aufschrift - Warnung vor Gehörschaden.
Ich höre jedoch nicht nur laute Musik, auch sanfte und leise Töne betören meine Ohren. Ebenso liebe ich den grazilen Tanz wie er im Ballett vorkommt. Das Spiel mit dem Körper, das Miteinbeziehen jedes einzelnen Muskels, die Biegsamkeit der Glieder und die sanften Bewegungen faszinieren mich. In früheren Träumen war ich oft eine Ballerina und ich konnte minutenlang in der Luft schweben. Ich musste lediglich meine angewinkelten Arme auf und ab bewegen und schon flog ich als hätte ich Flügel. Diese Träume erlebe ich seit geraumer Zeit nicht mehr. Meine reale Welt hat wohl die Traumwelt erreicht.
27. Auch wenn es in den Bergen noch mager ist mit Schnee, treibt es die Bergdohlen auf der Suche nach Essbarem doch schon ins Tal. So hörte ich heute beim Erwachen statt melodischem Pfeifkonzert ein Krah-Krah von Draussen. Das passt auch irgendwie zu meinem Traum von heute Nacht. Ein Traum, der immer mal wiederkehrt, seit ich vor nun mehr 17 Jahren meine Arbeitsstelle auf Grund meiner ALS Erkrankung aufgeben musste. In diesen Träumen will ich zur Arbeit gehen und finde den Weg nicht. Ich laufe weite Strecken über Berge und Täler, frage Menschen nach dem Weg und trotzdem finde ich den Weg nicht mehr. Manchmal fahre ich auch mit dem Lift von Stockwerk zu Stockwerk, finde die Abteilungen aber nicht. Beim heutigen Traum ein ähnlicher Ablauf. Ein kleiner Auszug: Ich bin mit einer Reisegruppe in den Ferien. Zusammen mit einer Freundin, gehe ich den Ort erkunden. Die Verkaufsgeschäfte konnten wir natürlich nicht links liegen lassen. So trugen wir bald an beiden Händen mehrere Taschen und es drängte sich auf das Hotel aufzusuchen. Aber wo war schon wieder das Hotel? Wir fragten uns durch. Eher meine Freundin, ich konnte ja nicht sprechen. Auf einmal haben wir uns in der Menge aus den Augen verloren. Nun stand ich da, die Hände voller Taschen und weiss den Namen vom Hotel nicht. Also gehe ich suchen. Ich durchstreifte Gassen, Täler und Berge. Die Taschen werden immer schwerer, doch abstellen kann ich sie nicht. Ich werde immer müder und trotzdem gehe ich weiter und suche das Hotel. .....
Um meine Träume zu analysieren brauche ich kein Psychologe zu sein. Auch wenn dieser Tage der Nebel arg dicht liegt, weiss ich sehr wohl was diese Träume bedeuten. Mit der Zuversicht, dass sich auch dieser Nebel mal lichtet und auflöst, gehe ich weiter und starte voller Tatendrang in den neuen Tag.
29. Am 1. Adventssonntag beginnt der Monat der Lichter. Und gerade heute wurde wieder ein Licht in der Behinderten-Politik angezündet. Am heutigen Abstimmungssonntag hat das Stimmvolk des Kanton Genfs einer Verfassungsänderung zugestimmt und gibt damit Menschen mit schwerer Beeinträchtigung ihre politischen Rechte zurück. Dieses Licht gilt es nun in alle Kantone zu tragen, damit alle Menschen mit Beeinträchtigung das Recht innehaben an Abstimmungen und Wahlen teilzunehmen und so an Politischen Entscheidungen teilhaben können.
Über politische Rechte der Menschen mit Behinderung, habe ich vor kurzem an einem Online-Vortrag teilgenommen. Durch den Referent Prof. Dr. Thierry Tanguerel erhielt ich einen Einblick in dieses Thema.
Ich wusste schon lange, dass ich mich intensiver mit Themen die Menschen mit Beeinträchtigungen betreffen, befassen muss und auch will. Nur so bin ich mir selbst eine Stütze und kann auch andern Menschen mit ähnlichem Schicksal Stütze sein. Ich hatte in der Vergangenheit kaum mehr Zeit und Gelegenheit, mich in Themen zu vertiefen und mich so weiter zu bilden. Ich war bislang immer gut beschäftigt, jüngst mit dem Auf- und Ausbau des Vereins ALS Community Schweiz. Fast möchte ich sagen; Corona sei Dank, finden sich weniger Termine in meinem Kalender und so kann ich vermehrt an Online-Vorträgen teilnehmen und so mein Wissen aufbessern. Diese Form der Weiterbildung ist für mich ideal. So muss ich nicht aus dem Haus, muss keine weiten Strecken auf mich nehmen und benötige weder Begleit- noch Unterstützungs-Assistenz. Ich kann einfach Zuhause mittels PC / ZOOM teilnehmen.
Zünden wir Lichter an.
DEZEMBER
1. Das nenn ich mal prompt geliefert. Pünktlich zum ersten Dezember schwebten zig Schneeflocken ins Tal. In kürzester Zeit legte sich ein weisser Teppich über alles was sich im Freien aufhielt. Die ersten Schneeflocken im Tal von diesem Winter wollte ich mir natürlich nicht entgehen lassen. So musste ich einfach nach Draussen. Abwarten, bis jemand mir eine Jacke anzieht mochte ich nicht. So war es mir doch sowas von egal, als meine Kleider in kürzester Zeit nass waren. Ich habe es so genossen, die flauschigen Flocken auf meiner Haut spüren zu können. Natürlich musste ich die ersten Schneeflocken auf Bild festhalten. Dann musste ich auch schon wieder ins wärmende Haus zurück.
Heute durfte ich mich noch zusätzlich freuen. In der Nacht zu Heute musste ich Zuhause mit einem Atmungsaufzeichnungsgerät am Körper schlafen. Zusammen mit dem heute durchgeführten Lungenfunktionstest und der Blutgasanalyse ergab dies ein erfreuliches Ergebnis. Meine Werte haben sich nicht verschlechtert und sind gleich wie vor einem halben Jahr.
3.Heute, am Internationalen Tag der Menschen mit Behinderungen, verfolgte ich die online Fachtagung "Partizipation als Chance". Die Fachtagung wurde vom EBGB, dem Bundesamt für Sozialversicherungen BSV und der Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren SODK in enger Zusammenarbeit mit fünf Behindertenorganisationen organisiert.
Für mich als Selbstvertreterin ist die Mitbestimmung und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen ein grosses Thema. Es ist wichtig, dass wir unsere Anliegen kundtun und uns in der Gesellschaft und Politik einbringen. Gar nicht so einfach. Viele Hürden gibt es zu überwinden und viele Barrieren sind wegzuräumen. Es braucht Mut, Kraft und Durchhaltevermögen von Seitens der Menschen mit Behinderungen und die Unterstützung unserer Gesellschaft.
Obwohl ich die heutige Fachtagung mit Interesse verfolgte, entging mir das Geschehen vor meinem Bürofenster trotzdem nicht. Das Futterhäuschen hat mir Piet beim ersten Schneeeinbruch auf dem Fenstersims installiert. Wer kann da schon den Blick abwenden.
7. Ein bisschen kalt wars heut schon draussen, doch wunderschön wars. Wie jede Jahreszeit hat auch der Winter seinen eigenen Duft. So konnte ich den Schnee und die kalte frische Luft gut riechen. So schön der weisse, dicke Teppich, der über allem liegt und die schneebedeckten Berge lassen meinen Blick kaum abwenden. Diese Schönheiten musste ich natürlich auf Bild festhalten. Via Rollstuhlsteuerung und dem HouseMate löste ich die Bildaufnahme auf meinem Natel aus. So sind die unten eingefügten Fotos entstanden. Es wären sicher noch mehr geworden. Doch nach einer Weile wurden meine Finger von der Kälte so klamm, dass ich ins Haus musste.
9. Am Montag besuchte ich nach langer Zeit wieder mal ein Einkaufscenter. Das auch nur, weil ich diesen persönlichen Einkauf nicht delegieren konnte. Weil die Fahrstühle zwischen den Verkaufsebenen oft gut besetzt sind und die einladenden Treppen kaum Beachtung finden, weiche ich mit dem Rollstuhl mitunter auf die Rolltreppe aus. Als ich so gemütlich auf der Rolltreppe nach oben fahre und mich dabei umblicke, nehme ich die maskentragenden Menschen wahr. Mein Gedanke, wie konnte das passieren. Ich hätte nie gedacht, dass ich diese Realität erleben werde. Wie verletzlich die Menschheit doch ist und wie machtlos wir gegen einen Winzling wie das Virus sind. Von Weihnachtstimmung war kaum was zu spüren und so hielt ich mich auch nur kurz im Center auf.
Heute doch, zog ein Duft von Weinachten durch unser Haus. Zimtsterne mit schneeweisser Glasur, auf Zucker ausgestochene Brunsli und die nach Butter riechenden und mit Eigelb bestrichenen Mailänderli wurden in den Backofen geschoben und wieder herausgeholt. Unsere Küche hat sich wie jedes Jahr um diese Zeit in eine Weihnachtsbäckerei verwandelt.
17. Dem Jahresende entsprechend fühle ich mich zunehmend ausgelaugt und der Worte leer. Dabei habe ich noch nicht mal die Weihnachtskarten geschrieben, geschweige denn verschickt. Ich werde dieses Jahr wohl mehrheitlich auf den elektronischen Weg umsteigen müssen. Ich glaube, etwas Sonne würde mir guttun. Meine Lebensgeister wecken und meine Hirnzellen aktivieren. Werde der Sonne morgen mal einen Besuch abstatten und meine Akkus aufladen.
21. Zwei- drei Stunden Sonne im Gesicht und der Vitaminpegel steigt. So habe ich es doch noch geschafft, Weihnachtskarten zu kreieren und diese auf die Post zu bringen. Jetzt müssen die fleissigen Postler*innen nur noch mitspielen und die lieben Weihnachtsgrüsse rechtzeitig überbringen. Wenn dann am Donnerstag, der von meinem Mann liebevoll geschmückte Tannenbaum im Wohnzimmer steht, darf's dann Weihnachten sein.
23. Ich höre und sehe mir gerade dieses Tanz-Video an und versuche dabei, ein paar Zeilen in mein Tagebuch zu schreiben.
Solche Tanz-Videos gibt es tausende im Netz. Darunter sind sicher auch eine Menge, mit denen ich nichts anfangen kann. Da gibt es aber jene die mich begeistern, meine Seele berühren. So auch jenes, welches ich oben verlinkt habe. Ich fühle die Freude am Tanz, ich spüre das Zusammengehörigkeitsgefühl. Es lädt mich ein, es den Tanzenden gleichzutun. So tanzt meine inzwischen ungelenkiger Körper mit und der Rollstuhl fängt an zu vibrieren. Ich fühle mich so gut, wenn ich sehe und spüre, mit welcher Freude und Begeisterung sich Menschen zusammentun, um gemeinsam etwas zu schaffen.
Neben mir auf dem PC-Tisch brennt eine Kerze. Sie verbreitet ein warmes Licht im Zimmer mit dem Fenster mit Aussicht auf eine rege benutze Strassenkreuzung. Inzwischen ist es Draussen dunkel geworden und die Weihnachtsdekolichter an Nachbars Häusern ist angegangen. Sie wetteifern mit den Strassenlaternen um Beachtung. Ich mag diese Zeit der Lichter, besonders wenn die vielen Lämpchen in warmem gelb-gold erstrahlen. Bunte Lichter in der Weihnachtszeit mag ich nicht so.
Wegen dem herumziehenden Corona-Virus werde ich mich im kommenden Jahr weiter vor einer Ansteckung schützen müssen. Zumindest im ersten halben Jahr werde ich wohl kaum in die Ferien fahren können und auch Ausflüge wird es weniger geben. Ich werde also unweigerlich mehr Zeit Zuhause verbringen. Damit ich mir in der kalten Jahreszeit keinen Winterblues einfange, hat mir mein Mann meinen alten Arbeitsplatz wiederhergerichtet. Nun kann ich wählen, wo ich mich aufhalten möchte. Im ersten oder zweiten Stock. So habe ich die nötige Abwechslung und kann mit Blick aus dem Fenster am Dorfleben teilnehmen.
26. Ich hoffe, meine Weihnachtswünsche haben euch erreicht. Eigentlich wollte ich die Wünsche selber sprechen und mit einem bewegten Bild erstellen. Was ich/wir jedoch nicht fertiggebracht habe/n. Nicht, dass meine Assistentin und ich die Techniken zur Herstellung eines Video-Clip nicht beherrschen. Nein, es waren die störenden Geräusche und blendenden Lichter der vorbeifahrenden Autos. So mussten wir mit filmen immer wieder neu ansetzen und dies brachte mich laufend mehr zum Lachen. Den Text zu Sprechen wurde für mich unmöglich und wir mussten mein Vorhaben abbrechen. So entstand dann der Weihnachtsclip aus dem Standbild.
Ich lache allgemein sehr viel. Oft verknüpfe ich Gesprochenes mit Bildern. Ein daraus resultierendes Lachen kann da schon mal unangebracht und peinlich sein. Da trägt sicher auch das pathologische Lachen, eine Auswirkung meiner ALS Erkrankung, zu meiner Lachfreutigkeit bei. Diese Auswirkung teile ich mit 50% der von ALS- betroffenen Menschen. Klar ist es ab und an mühsam, vor lauter Lachen kein Wort vorbringen zu können. Da könnte mein Umfeld von Situationen erzählen bei denen gar nichts mehr ging. Einzige Lösung, mich irgendwo sitzen zu lassen, bis mein Lachanfall vorüber ist. Ich kann mich auch immer wieder köstlich amüsieren, wenn von mir Gesagtes von meinem Gegenüber nicht oder falsch verstanden wird und dabei eine fantasievolle Interpretation entsteht.
Während meine verwaschene Aussprache im privaten Umfeld noch gut händelbar ist, stosse ich in meinen öffentlichen Tätigkeiten an Grenzen. Ich möchte so viel in Bewegung bringen und habe auch die Ideen dazu. Durch meine Immobilität und meinen Lautsprachverlust kann ich mein Feuer, meine Begeisterung nur mehr schwer transportieren. Ich bräuchte Menschen, die wie ich für Sachen brennen können und diese mit mir zusammen vorantreiben und verwirklichen. Ich bemerke Menschen, die nehmen und profitieren gerne, aber selbst tun sie wenig bis gar nichts fürs andere Menschenwohl. Und dass, obwohl sie es könnten. Warum sollten sie sich auch bewegen, wenn es andere für sie tun. So geht mein Lachen schon mal in Enttäuschung und Trauer über. Doch das hält mich keineswegs davon ab, meinem eingeschlagenen Weg weiter zu folgen. Ich erfahre dabei auch immer wieder positive Rückmeldungen und wertvolle Unterstützung.
Liegt es an Weihnachten oder am endenden Jahr, was mich in Erinnerungen schwelgen lässt. Ich vermisse meine ALS-Freunde, die mit mir den Weg gegangen sind und sich viel zu früh verabschieden mussten. Wir waren eine ganz besondere Gruppe. Ich denke auch an meine Eltern, die durch ihr lebenlanges Arbeiten, unsere Grossfamilie durch alle Stürme geführt haben. Ich bin unendlich dankbar, dass ich mit meinen 8 Geschwistern auf "unserem" Bauernhof aufwachsen durfte. Ich denke so gerne an die gemeinsamen Aktivitäten, wie Heuen, Schuheputzen, im Zuber baden u.v.m. zurück. Ich sehe auch meinen Götti, wie er am Ende jedes Jahres, mit meinem Vater am Küchentisch sitzt und die Fuhrschulden begleicht. Und jedes Mal erhielt ich den Weihnachtsbatzen von meinem Götti. Nun ist mein Götti heute friedlich eingeschlafen.
Dieses Jahr war nicht ganz einfach für meine "eigene" kleine Familie. Es war erfüllt von Hoffen, Bangen und und manchmal auch nahe der Verzweiflung. Doch nun schauen wir hoffnungsvoll ins neue Jahr. Dieses Jahr mit dem Virus war ohnehin für alle Menschen eine Herausforderung. Das Virus wird uns wohl ins neuen Jahr begleiten. Bis wir uns im öffentlichen Raum wieder uneingeschränkt bewegen und treffen können, wird es wohl noch einige Monate dauern. Wir können also nur abwarten und so gut wie eben möglich, diese verrückte Zeit meistern.
27. Nicht nur das Corona-Virus hat im Jahr 2020 sein Unwesen getrieben, auch die Krankheit ALS hat wieder seine bösartigen Krallen ausgefahren und sich neue Opfer gesucht und gegriffen. Während gegen das Covid-19 Virus in vielen Kontinenten intensive Forschung betrieben wurde und so innerhalb eines Jahres Impfungen hergestellt werden, warten Menschen mit seltenen Krankheiten weiterhin auf geeignete Medikamente. So warten ALS-Betroffene seit der namentlichen Bezeichnung der Krankheit vor gut 150 Jahren noch immer auf ein Heilmittel. Was wäre Möglich, wenn die Krankheit plötzlich mutieren würde und die Krankheit ansteckend würde? Natürlich darf und wird dies nicht geschehen, denn die Krankheit ALS verläuft immer tödlich. So musste ich auch in diesem Jahr von liebgewonnenen Weggefährten Abschied nehmen.
28. Musste ich von Weggefährten Abschied nehmen, so lernte ich auch in diesem Jahr wieder Menschen kennen, welche ebenfalls auf demselben Weg unterwegs sind. Da Treffen wie der ALS-Stammtisch, dieses Jahr aufgrund von Corona nicht stattfinden konnten, entstanden die Kontakte mehrheitlich übers Netz. So geschehen über den Zugriff auf meine eigene Homepage, durchs Weitersagen oder durch die Kontaktaufnahme, bei dem in diesem Jahr neu gegründeten Verein ALS Community Schweiz. Dort haben wir den ALS-Gruppen-Chat auf WhatsApp ausgebaut und planen weitere Angebote und Dienstleistungen im neuen Jahr. Ich freue mich, zusammen mit ALS-Experten und Personen mit langjähriger Erfahrung im Bereich ALS, den Verein auszubauen. Wir hoffen, ALS- Betroffene und ihr Umfeld gezielt und bedürfnisgerecht unterstützen zu können. Wenn du die ALS Community Schweiz dabei unterstützen möchtest, kannst du das gleich hier tun. Danke!
29. Ich vermisse meine Freunde, meine Familie und meine ALS-Weggefährten schon sehr. Sie nicht treffen zu dürfen lässt mich schon mal traurig werden. Gerade in dieser Zeit bräuchten wir einander. Ich würde so gerne wieder Menschen in die Arme schliessen und sie an mich drücken. Auch wenn ich dies auf Grund meiner körperlichen Beeinträchtigung schon vor Corona nicht mehr tun konnte, fehlt mir dies sehr. In einer Umarmung stecken so viele Gefühle.
Manchmal kann dieses Gefühl von Nähe und Gemeinsamkeit auch auf andere Weise herbeigeführt werden. So habe ich gestern vor dem Schlafengehen, diesen Traumfänger gezeichnet. Was dann in der Nacht geschah, war wunderbar. Mit alten Freunden sassen Piet und ich an einem langen Tisch in einem Musiklokal. Wir haben zusammen diskutiert, gelacht und die Gläser waren gut gefüllt. Auf der Bühne spielte eine Country-Band. Wie üblich konnte ich nicht ruhig auf meinem Platz sitzen bleiben. So nahm ich immer wieder neben jemand anderem Platz um mit ihr/ihm zu quatschen. Das Sprechen viel mir ganz leicht und Räder brauchte ich auch keine. Ich fühlte mich so gut zwischen meinen Freunden. So verwundert es nicht, dass ich am Morgen ganz aufgewühlt war und am liebsten wieder in den Traum zurückgekehrt wäre.
31. Was möchte ich noch sagen am letzten Tag dieses Jahres. Antworten auf Fragen wie; ist das Universum unendlich; warum ist unser aller Leben nur so furchtbar kurz; u.v.m. wurden auch dieses Jahr nicht beantwortet. Wer sollte mir auch Antwort geben. Niemand weiss es. Es zeigt, wie wenig wir eigentlich wissen. Beängstigend nicht zu wissen, was um mich herum abgeht. Welche Ereignisse kommen zu Lebzeiten auf mich zu. Was passiert mit mir, wenn ich sterbe. Da mir dies Niemand beatworten kann, bringt mir die Möglichkeit, mir meine Zukunft und meinen Tod, bunt auszumalen. Sollte meine Zukunft auch eher grau ausfallen, so ist die Vorfreude doch wunderschön farbenfroh. Beim Tod gehe ich davon aus, dass ich mich mit der Erde verbinde und dies finde ich eine schöne Vorstellung. So habe ich auch keine Angst vor dem Tod. Doch gehen möchte ich noch lange nicht. Ich liebe mein Leben trotz aller Einschränkungen und der Abhängigkeit von anderen Menschen immer noch so sehr.
Viel zu meiner Lebensfreude trägt mein Unterstützungsteam bei. Mein Mann und mein Sohn stehen mir immer zur Seite und langjährige Assistentinnen unterstützen mich in meinem Alltag. Ihnen gebührt auch der letzte, geschriebene Satz im Jahr 2020.
Danke, ihr seid wunderbar.